Nr. 66/2006
Verletzung der Privatsphäre / Wahrheitspflicht

(Schneider c. «Sonntagsblick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 7. Dezember 2006

I. Sachverhalt

A. Am 11. Juni 2006 brachte der «Sonntagsblick» einen Artikel, den er auf dem Titelblatt so ankündigte: «Jörg Schneider. Mit Kinderschänder auf Tournee». Auf den Seiten 2/3 hiessen Ober- und Haupttitel über einem Bild des Volksschauspielers Jörg Schneider und der Kasperli-Puppe: «Jörg Schneiders Bühnentechniker ist wegen Kindsmissbrauchs angeklagt. Kasperli-Legende: ‹Das geht mich nichts an›». Der Artikel thematisierte, dass der Theaterunternehmer und Schauspieler Schneider einen Bühnentechniker weiterbeschäftigt, obwohl dieser zugegeben hatte, seine Stieftochter jahrelang sexuell missbraucht zu haben und nun deswegen angeklagt ist. Neben dem Artikel steht ein Interview, in dem Schneider seine Sicht der Dinge erklärt: Die Sache sei privat, der Mann werde dafür geradestehen müssen, er wolle ihm jedoch nicht noch seine Existenzgrundlage entziehen. Der Artikel zitiert sodann anonym mehrere Insider der Theaterszene mit der Aussage «Er will den Fall unter den Teppich kehren».

B. Am 18. Juni 2006 legte der anwaltlich vertretene Jörg Schneider Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen «Sonntagsblick»-Chefredaktor Christoph Grenacher und den Autor des Artikels, Redaktor Sandro Brotz, ein. Die Beschwerde sieht die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» zweifach verletzt: Zum einen hätten die Titel auf der Front und den Innenseiten sowohl die Privatsphäre von Jörg Schneider verletzt wie jene des «nicht namentlich genannten, aber identifizierbaren Bühnenarbeiters». Zum andern erhebe die Zeitung mit diesen Titeln sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Zudem verstosse die wörtlich gleiche Aussage «angeblich mehrerer Insider», Schneider wolle «den Fall unter den Teppich kehren», gegen Ziffer 1 der «Erklärung», die Wahrheitspflicht.

Die Beschwerde berichtet, Schneider habe Brotz davon abbringen wollen, einen Artikel zu schreiben. Denn der richte nur weiteres Unheil an, vor allem beim missbrauchten Mädchen. Schneider habe den Techniker auch deshalb weiterbeschäftigt, weil sowohl dessen Partnerin, die Mutter des Mädchens, wie deren Tochter selbst, ihn und seine Frau inständig darum gebeten hätten. Vor allem pocht die Beschwerde darauf, dass Bestand oder Nichtbestand eines Arbeitsverhältnisses in einem kleinen Theaterensemble für den Angestellten wie den Arbeitgeber Privatsache seien: «Öffentlich ist nur das Bühnenstück, nicht aber das Arbeitsverhältnis.»

Laut Beschwerdeschrift suggeriert der Artikel, Schneider halte Kindsmissbrauch für etwas eher Lässliches und er verharmlose die Tat. Das sei perfid. Denn Schneider verurteile die Tat deutlich; aber er trenne klar zwischen dem, was der Beschäftigte privat getan habe und wofür er büssen müsse und der Anstellung in seinem Ensemble. Die Weiterbeschäftigung des Technikers sei nicht nur mutig und menschlich, sondern durch diese Tat lebe Schneider auch dem Grundsatz der Unschuldsvermutung nach. An die sich gemäss Bundesverfassung und Europäischer Menschenrechtskonvention eigentlich auch der Journalist Brotz halten müsste. Kern des Artikels sei «eine nur schlecht verhüllte Aufforderung an die Leserschaft, für Menschen, die sich an Kindern (vielleicht) vergangen haben, die verfassungsrechtliche Unschuldsvermutung nicht gelten zu lassen, sie im Gegenteil zu ächten». Mit diesem Tenor, so die Beschwerde, erhebe der Artikel sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen.

In Bezug auf die Verletzung der Wahrheitspflicht berichtet die Beschwerdeschrift, wie Jörg Schneider sein Ensemble am 16. Januar 2006 vor der ersten Probe für das neue Stück «Nöd ohni mini Hose» zusammengerufen und es über den Fall orientiert habe: Alle wüssten, was dem Bühnenarbeiter vorgeworfen werde. Das sei gravierend. Dennoch hätten er und sein Geschäftspartner beschlossen, ihm nicht zu kündigen. Einmal um seine und seiner Lebenspartnerin Existenz nicht zu zerstören. Zum andern komme eine Vorverurteilung nicht in Frage. Über das Geschehene habe der Richter zu urteilen, nicht das Ensemble. Es habe mit der Theaterarbeit nichts zu tun. Damit sei die Sache besprochen, das Thema erledigt.

Frei erfunden habe der «Sonntagsblick», Schneider stelle sich einer Diskussion im Ensemble nicht. Erstens habe niemand eine solche verlangt. Zweitens habe es darüber nach Schneiders Klarstellung auch gar nichts zu diskutieren gegeben. Und für frei erfunden und empirisch unmöglich hält die Beschwerde auch die gleichlautende Aussage «mehrerer Insider» «Er will den Fall unter den Teppich kehren».

C. Mit Datum vom 27. Juni 2006 reichte der Beschwerdeführer noch einen Brief des missbrauchten Mädchens ein, den dieses an «Sonntagsblick»-Redaktor Sandro Brotz geschrieben hatte. Darin gibt das Mädchen seiner Enttäuschung und Wut über den Artikel heftigen Ausdruck. Der Artikel mache es ihr noch schwerer, ihre Vergangenheit und die Jahre im Heim zu verarbeiten und in die Zukunft zu schauen. Mit seinem Artikel habe Brotz nicht nur den Täter bestraft, «sondern auch Jörg Schneider und mich!».

D. Die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion des «Sonntagsblick» bezog am 29. August 2006 Stellung. Sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzulehnen. Zu den einzelnen Vorwürfen argumentiert sie wie folgt:

Privatsphäre: Jörg Schneiders Privatsphäre sei weder betroffen noch verletzt; Schneider könne auch nicht die Verletzung der Privatsphäre eines unbekannten und vor allem ungenannten Angestellten behaupten: «Wenn ein kleiner Kreis von Eingeweihten mit Vorwissen weiss, um wen es geht, ist das presseethisch indifferent. Der durchschnittliche Sonntagsblick-Leser weiss nicht, wie der Bühnenarbeiter heisst, er kann es auch nicht aus andern Angaben der Zeitung erschliessen – und damit ist durch einen anonymen Bericht dessen Privatsphäre nicht betroffen.»

Es gehe gar nicht um die Privatsphäre des Beschwerdeführers, sondern um seine Haltung als Arbeitgeber gegenüber einem Angestellten. Schneiders Haltung aber habe der «Sonntagsblick» wahrheitsgemäss geschildert, er sei dazu kontaktiert worden und seine Äusserungen seien ihm vor Drucklegung vorgehalten worden. «Wer sich ausführlich dreimal gegenüber einem Journalisten zu einem beruflichen (betrieblichen) Thema äussert, ist klar ausserhalb seiner Privatsphäre.»

Zudem sei nicht alles, was ausserhalb des öffentlichen Bühnenstücks mit diesem zusammenhänge, einfach privat. «Von öffentlichem Interesse ist die Haltung des Beschwerdeführers um ihrer selbst willen: Er hält an einem geständigen Sexualtäter im Anklagezustand als Mitarbeiter fest. Das ist bei anderen Ensembles sicher anders zu werten als ausgerechnet beim Inbegriff des helvetischen Kinderschauspiels.»

Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen: Die Beschwerdegegnerin sieht nicht, wo sie solche erhoben hätte. Schneider werde mit seinen eigenen Worten zitiert, seine Haltung korrekt wiedergegeben. Das bestreite dieser auch gar nicht. Auch die Unschuldsvermutung habe der «Sonntagsblick» nicht verletzt. Der Beschwerdeführer habe sie im Interview zur Begründung seiner Haltung auch gar nicht angeführt. Dieses Motiv erscheine nachgeschoben; es sei aber ohnehin presseethisch ohne Belang, was Schneider jetzt denke. Es zähle, was er gesagt habe und was «Sonntagsblick» publiziert habe.

Wahrheitspflicht: Die Beschwerdegegnerin hält daran fest, die als Aussage Dritter dargestellte Haltung Schneiders («Er will den Fall unter den Teppich kehren») entspreche der Wahrheit. Das ganze Interview belege ja, dass es so sei. Und unabhängig davon bleibe wahr, dass sich Dritte in der Umgebung des Beschwerdeführers, auch aus seinem Ensemble, so geäussert hätten, wie sie zitiert seien. Den Wahrheitsbeweis liefere die Beschwerde gleich selbst, indem sie ausführlich schildere, wie Schneider sein Ensemble über die Vorwürfe gegenüber dem Techniker i
nformierte, den Entscheid, diesen weiterzubeschäftigen, begründete und danach klar machte, damit sei alles gesagt, denn der Arbeitsplatz sei nicht der Ort für Gerüchte. «Eine Diskussion findet und fand im Theaterbetrieb des Beschwerdeführers nicht statt, und deshalb haben sich auch die befragten Ensemblemitglieder dahingehend geäussert, die Sache werde unter den Teppich gekehrt.»

Die Beschwerdegegnerin legt breit dar, wie sich aus ihrer Sicht die Telefonrecherche abgespielt hat. Sie stützt sich dabei auf zwei Gedächtnisprotokolle, die Brotz und ein weiterer Redaktor auf Veranlassung des «Sonntagsblick»-Rechtsvertreters am 13. und 14. Juni 2006 verfasst haben. Danach sind erstmals im Dezember 2005 Personen aus der Zürcher Theaterszene an den «Sonntagsblick» gelangt, weil sie einerseits der Fall empörte, anderseits wie Jörg Schneider «die Sache verharmlost». Diese Sicht sei auch auf Nachfrage aus Schneiders Ensemble bestätigt worden. Der ermittelnde Staatsanwalt bestätigte, es laufe ein Verfahren wegen Kindsmissbrauchs. Im Januar 2006 habe Brotz den Beschuldigten kontaktiert, der die Übergriffe einräumte. Er werde weiter für Schneider tätig sein. Darauf telefonierte Brotz mit Jörg Schneider, machte klar, dass er einen Artikel über seinen Bühnentechniker recherchiere und darüber, wie er, Schneider, mit den Vorwürfen umgehe. Schneider habe seine Haltung schon damals so umrissen, wie sie später im Artikel wiedergegeben worden sei. Am 7. Juni 2006 habe der Staatsanwalt auf Anfrage des «Sonntagsblick» gesagt, er habe diese Woche Anklage gegen den Techniker erhoben. Am Mittag des 8. Juni habe Brotz Schneider angerufen und ihn gefragt, ob es bei dem bleibe, was er ihm vor Monaten gesagt habe. Schneider habe bejaht und es habe sich ein Gespräch entwickelt, wie es im Wesentlichen als Interview abgedruckt worden sei. Schneider habe vorgeschlagen, Brotz solle ihm am Nachmittag nochmal telefonieren. Danach habe Brotz das Gehörte in Interviewform gebracht. Beim zweiten Telefonat habe Brotz wiederholt, was Schneider ihm am Mittag und im Januar zur Sache gesagt habe. Schneider erklärt laut Gedächtnisprotokoll, dies sei richtig wiedergegeben, er habe nichts anzufügen. Bei beiden Anrufen des 8. Juni sei das Telefon teilweise auf Lautsprecher gestellt gewesen, so dass Brotz‘ Gegenüber am Arbeitsplatz mithören konnte. Dieser Redaktor bestätigt die Darstellung von Brotz im zweiten Gedächtnisprotokoll.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. Dezember 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg. Dabei trat Claudia Landolt Starck als ehemalige Mitarbeiterin des «Sonntagsblick» von sich aus in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Vorab hält der Schweizer Presserat fest, dass er seine medienethischen Beurteilungen allein auf Grund der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» vornimmt. Wenn die Beschwerdeschrift daher auch Artikel der Schweizer Bundesverfassung zum Schutz der Privatsphäre und zur Unschuldsvermutung und zu Letzterem auch der Europäischen Menschenrechtskonvention ins Feld führt, so geht der Presserat darauf in seinen Überlegungen nicht ein. Dies auch, weil der oben genannte medienethische Kodex beide Gebote ebenfalls enthält.

2. a) Der Beschwerdeführer betont mehrmals, er habe den recherchierenden «Sonntagsblick»-Mann davon abbringen wollen, über den Fall zu schreiben. Immer auch mit dem Hinweis, das schade vor allem dem missbrauchten Mädchen. Und die Beschwerde insistiert, die Weiterbeschäftigung respektive Nichtkündigung des Fehlbaren sei reine Privatsache zwischen Arbeitgeber Schneider und seinem Angestellten. Der Artikel habe daher beider Privatsphäre verletzt. Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» zum Schutz der Privatsphäre lautet: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.»

b) Der Presserat hat also zu prüfen: Ist Jörg Schneiders Privatsphäre verletzt? Dazu müsste der Artikel Schneiders private Sphäre tangieren. Das aber ist nicht der Fall. Im Bericht des «Sonntagsblick» steht Schneider nicht als Privatperson zur Diskussion, vielmehr als Theaterunternehmer, als Arbeitgeber. Ginge es hier um das Arbeitsverhältnis irgendeines unbekannten Arbeitgebers mit irgendeinem Arbeitnehmer in seinem Betrieb und ohne Bezug von dessen Verfehlung mit der Tätigkeit anderer Arbeitnehmer sowie ohne Bezug zum Auftritt der Firma in der Öffentlichkeit, so wäre das Ganze als Privatsache zu betrachten. Und es gäbe somit keinen Grund, darüber etwas zu publizieren.

Der Presserat sieht jedoch Argumente, weshalb der «Sonntagsblick» ausnahmsweise über diesen Casus berichten durfte: Der Staatsanwalt hatte Anklage erhoben, er berichtete im Artikel von der Kontaktsperre des Angeschuldigten zu seiner Stieftochter, der eingeklagte Straftatbestand sexueller Handlungen mit einem Kind über viele Jahre wog schwer; Jörg Schneider in seiner Rolle als Arbeitgeber des geständigen Angeklagten war prominent, seine Reaktion in diesem Fall durchaus von öffentlichem Interesse; die Konstellation des Schauspielers, der praktisch allen Schweizer Kindern als Kasperli vertraut ist, nun aber mit einem Kindsmissbraucher in der eigenen Theaterfirma konfrontiert ist, delikat; der Tadel von Ensemblemitgliedern, die von Schneiders Entscheid zur Weiterbeschäftigung des Fehlbaren mitbetroffen waren und denen bei der weiteren Zusammenarbeit mit diesem unwohl war, offenkundig. Der an sich private Charakter dieses Arbeitsverhältnisses tritt ins öffentliche Licht, weil das Verhalten dieses prominenten Arbeitgebers, dessen Arbeitnehmer eines schweren Delikts angeschuldigt ist, in diesem spezifischen Fall von Interesse ist und keine rein private Sache bleibt, wie der Beschwerdeführer meint. Mit Recht führt die Beschwerdegegnerin an, vom Fortbestand dieses Arbeitsverhältnisses seien auch die Mitglieder von Schneiders Ensemble betroffen; und manche verstünden Schneiders Haltung nicht, fänden, er verharmlose die Angelegenheit.

Der Fall ist gänzlich anders gelagert als bei einer Beschwerde Schneiders gegen den «Sonntagsblick» im Jahr 2000, bei welcher der Presserat eine Verletzung von Schneiders Privatsphäre feststellte (Stellungnahme 42/2000). Damals ging es tatsächlich um eine private, ja intime Angelegenheit des Prominenten. Und der Presserat entschied, Schneiders Privatsphäre sei verletzt, obgleich er Berichte über die Angelegenheit wegen Schneiders Prominenz nicht rundweg für unzulässig hielt. Er stellte jedoch auf den Umfang und die Intensität der Berichte in «Blick» und «Sonntagsblick» ab.

Dass Medien in Fällen sexueller Übergriffe berichten, ist Alltag, selbst bei viel weniger schwer wiegenden Vorkommnissen. Und oft interessiert in diesen Fällen: Was tut der Arbeitgeber? Kann der Abwart an der Schule bleiben? Spricht die Direktion die Kündigung des Abteilungsleiters aus? Trennt sich der Vorstand von seinem Pfadiführer? In den meisten dieser Fälle entlässt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer schon in einem frühen Stadium der Vorwürfe. Oder suspendiert den Verdächtigten zumindest während des laufenden Verfahrens.

Im konkreten Fall gilt es zu bedenken, dass der Angeklagte die ihm angelasteten Übergriffe gegenüber seiner Stieftochter soweit ersichtlich nicht an seiner Arbeitsstelle, sondern im privaten Rahmen beging. Insofern war das Arbeitsverhältnis nicht direkt betroffen, hatte die Tat des Mitarbeiters keinen unmittelbaren Bezug zu dessen Arbeit für Jörg Schneider. Und Schneider legt im «Sonntagsblick» eindringlich dar, dass er den Mann, seine Partnerin und deren Kind nicht zusätzlich durch den Verlust seiner Arbeitsstelle strafen, mit andern Worten seine Resozialisierung nicht behinder
n wolle.

Trotzdem überwiegen für den Presserat die oben angeführten Gründe, die den Fall aus der Privatsphäre in den öffentlichen Raum heben und damit eine Berichterstattung ausnahmsweise zulässig erscheinen lassen. Vor allem fällt die Prominenz des Arbeitgebers Schneider ins Gewicht. Sodann seine Stellung als Verkörperung des Schweizer Kinderschau- und -hörspiels. Und die Kritik aus dem eigenen kleinen Ensemble, das weiter eng mit dem eines schwerwiegenden Verbrechens angeklagten Bühnentechniker zusammenarbeiten soll. Deshalb sieht der Schweizer Presserat die Ziffer 7 der «Erklärung» in Bezug auf Schneiders Privatsphäre nicht verletzt.

c) Wie sieht es diesbezüglich beim Mitarbeiter von Schneiders Ensemble aus? Zwar ist der Mann durch den Bericht in seiner Privatsphäre betroffen, im Gegensatz zu Jörg Schneider. Der Bericht nennt aber weder seinen noch den Namen des Mädchens und liefert keine Details, die ihn für ein breites Publikum unmittelbar identifizierbar machen. Zwar ist nicht auszuschliessen, dass die eine oder andere Person aus seinem näheren Umfeld aufgrund der Berichterstattung des «Sonntagsblick» Kenntnis von dem gegen ihn im Raum stehenden Vorwurf erhalten hat. Der Presserat hat bereits in der Stellungnahme 7/1997 darauf hingewiesen, dass es in einer berufsethisch zulässigen Berichterstattung über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse oft unvermeidlich ist (selbst wenn die Namen nicht genannt werden), dass die Betroffenen für einen beschränkten Kreis des Publikums erkennbar sind. Daraus könne jedenfalls keine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» abgeleitet werden. Die reine Berichterstattung über das Vorgefallene und die Anklage wegen sexueller Handlungen mit einem Kind verletzt deshalb die Privatsphäre des angeklagten Bühnentechnikers nicht.

3. Ziffer 7 des Kodex hat noch einen zweiten Teil, der lautet: «Sie (die Journalisten) unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.» Auch diesen Teil sieht die Beschwerde für verletzt an; der «Sonntagsblick» habe gegen Schneider solch sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen erhoben. Der Beschwerdeführer sieht sie in den oben zitierten Titeln und in der ganzen Richtung des Artikels, der Schneiders mitmenschliche Haltung zum Vorwand nehme, zu suggerieren, Arbeitgeber Schneider nehme seine moralische Pflicht und Verantwortung nicht wahr, indem er wegsehe und solcherart einiges Verständnis mit der Untat seines Mitarbeiters zeige.

Der Presserat erkennt keine Anhaltspunkte, die dafür sprechen, der «Sonntagsblick» habe sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen erhoben. Er gibt die Fakten sowohl zur Anklage wie zur Haltung Schneiders korrekt wieder. Und er macht sein Unverständnis für und seine Kritik an Schneiders Reaktion als redaktionelle Wertung kenntlich. Das ist zulässig. Jörg Schneider muss sich Kritik an seiner Haltung und an seinem Entscheid, den Angeklagten weiter zu beschäftigen, in dieser hochemotionalen Sache gefallen lassen. Ziffer 7 ist auch in diesem Beschwerdepunkt nicht verletzt.

4. Die Beschwerde nimmt insbesondere die Titel zum Artikel des «Sonntagsblick» ins Visier. Sie erkennt speziell in ihnen eine Verletzung der Privatsphäre und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Nach Einschätzung des Presserats fassen die Titel den Gehalt des Artikels allerdings zutreffend zusammen. Die Oberzeile auf den Innenseiten «Jörg Schneiders Bühnentechniker ist wegen Kindsmissbrauchs angeklagt» ist rein faktisch. Der Haupttitel «Kasperli-Legende: ‹Das geht mich nichts an›» enthält ein korrektes Zitat aus dem Interview und bringt Schneiders Haltung zwar pointiert, aber nicht unzutreffend zum Ausdruck. Und der knallige Frontanriss «Jörg Schneider. Mit Kinderschänder auf Tournee» ist zwar hart, aber sachlich gedeckt. Dass Schneider und ihm Nahestehenden ein solch knapper Auf-den-Punkt-Titel nicht gefallen kann, ist nachvollziehbar. Nichtsdestoweniger ist er faktisch richtig und medienethisch gedeckt.

5. Mit dem Interview konnte Jörg Schneider seine Haltung mit guten Argumenten zum Ausdruck bringen. Das entspricht der Fairness, wie sie die Präambel zur «Erklärung» fordert. Das begleitende Interview macht Schneiders Sicht, seine Haltung deutlich, eine vielleicht vertretbare, achtbare. Zwar bewertet sie der «Sonntagsblick» als moralisch falsch, als fast schon verwerflich. Das aber ist klar erkennbar seine kommentierende Wertung der Haltung, des Tuns von Jörg Schneider. Der Presserat hat in steter Praxis immer wieder festgehalten, dass solch kommentierende Wertung einer Redaktion erlaubt ist, solange sie die Fakten als Grundlage zum Verständnis dieser Wertung liefert (vergleiche dazu die Stellungnahmen 17/2000, 30 und 44/2001, 48/2004 sowie 18/2006).

6. Der letzte Vorwurf der Beschwerde betrifft die Ziffer 1 der «Erklärung», die Verpflichtung des Journalisten auf die Wahrheit. Der Beschwerdeführer hält die Aussage von Theaterinsidern, Schneider wolle «den Fall unter den Teppich kehren» für vom «Sonntagsblick» frei erfunden. Dass an der Orientierung des Ensembles durch Jörg Schneider am 16. Januar 2006 niemand dessen Sicht der Dinge widersprochen habe («Alle waren damit einverstanden», dass das Thema erledigt sei), besagt dazu nicht viel.

Dass allerdings, wie die Beschwerdegegnerin vermeint, allein schon das veröffentlichte Interview belege, Schneider wolle den Fall unter den Teppich kehren, ist falsch. Das Interview macht nur wie oben beschrieben Schneiders Haltung sehr deutlich, warum er seinem Techniker nicht kündigen will. Zur Frage, ob Schneider irgendetwas unter den Teppich kehren will oder nicht, ob dieses Zitat also falsch, frei erfunden oder eben wahr ist, ist deshalb auf die Darstellung von Autor Brotz abzustellen, wonach ihm gegenüber diese Aussage sinngemäss bereits im Dezember 2005 von mehreren Personen der Zürcher Theaterszene, aber auch von Mitgliedern des Ensembles gemacht worden ist. Im Übrigen ist es journalistisch zulässig, mehrere in der Tendenz und inhaltlich gleich lautende Aussagen in einer Formulierung zu kondensieren, wie es der «Sonntagsblick»-Journalist getan hat. Freilich schwächt es die Aussagekraft dieses zentralen Zitats erheblich, dass gerade diese Aussage anonym bleibt. Dem Presserat liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor, die darauf hindeuten, dass Brotz das Zitat nicht korrekt eingeholt und wiedergegeben hätte. Daher ist eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» nicht erstellt.

7. Die Beschwerde erhebt nebenbei den Vorwurf, Jörg Schneider habe das Interview nicht zum Gegenlesen bekommen. Und die Beschwerde schildert den Ablauf der beiden Telefonate Brotz-Schneider am 8. Juni 2006 so, dass Schneider die Interviewfragen erst beim zweiten und letzten Anruf zu beantworten hatte. Diametral anders die Darstellung der Beschwerdegegnerin: Danach hat Schneider seine Sicht Brotz gegenüber ein erstes Mal im Januar 2006 dargelegt und dann beim ersten Anruf am 8. Juni mittags auf Nachfragen Brotz‘ einlässlich wiederholt und bekräftigt. Im zweiten Anruf dann habe Brotz Schneider ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, er werde ihm nun seine (inzwischen in Interviewform gebrachten) Aussagen vorlesen. Und Schneider habe sie so als richtig akzeptiert.

Welche Darstellung die richtigere ist, ist dem Presserat nicht möglich zu entscheiden. Immerhin spricht einiges für jene des «Sonntagsblick»: Die Gedächtnisprotokolle zweier Redaktoren, die den Ablauf wie skizziert wiedergeben, entstanden, bevor die Beschwerde eingereicht wurde, also in Unkenntnis, dass der Beschwerdeführer bestreiten würde, das Interview zum Gegenlesen erhalten zu haben. Und die Beschwerdeschrift selbst macht zu keinem Punkt geltend, dass die Interview-Aussagen Schneiders nicht korrekt wiedergegeben seien.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Redaktion des «Sonntagsblick» hat weder die Privatsphäre von Jörg Schneider oder diejenige seines Bühnentechnikers verletzt noch sachlich ungerechtfertigte Anschuldi
gungen erhoben. Sie hat sich auch an die Wahrheit gehalten. Weder Ziffer 1 noch Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sind verletzt.