Nr. 24/2006
Einseitige Berichterstattung und Leserbriefauswahl / Keine Pflicht zu «Objektivität» und Ausgewogenheit

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 19. Mai 2006

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I. Sachverhalt

A. Am 19. November 2005 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die «Pressekampagne der ‹Basler Zeitung› zum Falle Röschenz» an den Presserat. Er empfinde die «Kampagne» als «unverhältnismässig, im Stil unfair und in der Sache unprofessionell sowie in der Ausrichtung einseitig». Die Leserbriefauswahl sei willkürlich und einer seiner Leserbriefe sei tendenziös verändert worden. Der Beschwerdeführer legte seiner Eingabe eine Liste mit insgesamt 71 Berichten der «Basler Zeitung» zur «Kampagne Röschenz», eine weitere Liste mit 119 publizierten Leserbriefen zum Thema, seine der Zeitung zugestellten Leserbriefe sowie «ausgewählte Zeitungsausschnitte» bei.

B. Am 23. November 2005 wies der Presserat den Beschwerdeführer darauf hin, es sei nicht seine Aufgabe, sämtliche 71 Artikel und 119 Leserbriefe auf allfällige Verletzungen berufsethischer Normen zu prüfen. Er forderte deshalb den Beschwerdeführer auf, seine Beschwerde auf die ihm am gravierendsten erscheinenden Berichte zu beschränken. Weiter wurde X. gebeten, bei diesen Berichten in einer ergänzenden Beschwerdebegründung anzugeben, welche Passagen dieser Texte nach seiner Auffassung welche Ziffern der «Erklärung» (und weshalb) verletzt hätten. Ebenso sei bei den Leserbriefen anzugeben, welche dieser Zuschriften ehrverletzende Passagen enthielten.

C. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2005 beschränkte sich der Beschwerdeführer auf fünf «Fälle»:

– «Basler Zeitung» vom 19. März 2005: «Keine Gnade für kritischen Pfarrer. Der Röschenzer Seelsorger Franz Sabo erhält ein Berufsverbot im Bistum Basel.»

– «Basler Zeitung» vom 18. April 2005: «Die Gnade des Herrn sei mit euch. Sonntags ist der katholischen Basis der Kirchenstreit egal. Lieber lässt man sich von der strengen Liturgie wegtragen.»

– «Basler Zeitung» vom 1. November 2005: «Rückendeckung für Röschenz. Synode der Römisch-katholischen Kirche Baselland bezieht Stellung.»

– Die einseitige Auswahl sowie der Abdruck von pauschalen, ehrverletzenden Leserbriefen.

D. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.

E. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 19. Mai 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gemäss konstanter Praxis des Presserates aus der «Erklärung» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abzuleiten ist. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig. Dies unter der Voraussetzung, dass in Respektierung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» vor der Publikation schwerer Vorwürfen die davon Betroffenen angehört werden und der Medienbericht ihre Stellungnahme zumindest kurz wiedergibt (vgl. dazu z.B. die Stellungnahme 1/2004 mit weiteren Hinweisen).

2. Beim Bericht der «Basler Zeitung» vom 19. März 2005 («Keine Gnade für kritischen Pfarrer») beanstandet X. sinngemäss im wesentlichen die kritische Bewertung des Verhaltens der Verantwortlichen des Bistums Basels und insbesondere von Bischof Kurt Koch gegenüber dem Röschenzer Pfarradministrator Franz Sabo. Insbesondere der Kommentar von Kurt Tschan, der Koch öffentlich als mitleidlos, unversöhnlich und unfähig, das Evangelium vorzuleben, kritisiere, sei unfair und ehrverletzend.

Der Beschwerdeführer übersieht dabei allerdings, dass der Presserat in seiner Praxis zur Kommentarfreiheit immer wieder den grossen Freiraum des Kommentars betont. Auch harsche Kritik ist berufsethisch zulässig, wenn die Leserschaft in die Lage versetzt wird, zwischen Informationen und Wertungen zu unterscheiden (Richtlinie 2.3 zur «Erklärung»; Stellungnahme 17/2000). Der Presserat hat zudem wiederholt darauf hingewiesen, dass «sich ein Kommentar in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen bewegt, wenn sowohl die Wertung wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind und wenn sich die Wertung zudem auf eine genügende Grundlage stützt» (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 14/2006 mit weiteren Hinweisen).

Vorliegend ist die Kritik von Kurt Tschan an Bischof Koch für die Leserschaft als kritische, kommentierende Wertung erkennbar. Ebenso sind der Berichterstattung die faktischen Grundlagen dieser Wertung zu entnehmen: Der Umstand, dass das Bistum Basel auch nach einem «dreistündigen Gespräch» mit dem Kirchgemeinderat Röschenz im «Fall Sabo» am «Entzug der Missio canonica» festhalte. Eine Verletzung berufsethischer Normen ist hier offensichtlich zu verneinen.

3. Den Bericht der «Basler Zeitung» vom 18. April 2005 über eine Messe vom Vortag im Kloster Mariastein («Die Gnade des Herrn sei mit Euch») beanstandet X. als «unprofessionell» und «unqualifiziert». Anstelle dieser Reportage hätten sich aus Sicht des Beschwerdeführers andere Recherchen aufgedrängt. Zudem habe es dem Autor offensichtlich an der notwendigen Fachkenntnis zu den Themen Liturgie und Gottesdienst gefehlt. Offensichtlich sei sich auch die Reaktion ihrer Verantwortung nicht bewusst gewesen, wenn sie drei Wochen nach der Publikation als Redaktion auf einen Leserbrief zu dieser Reportage folgende Anmerkung abdruckte: «Die baz hatte nicht die Absicht, mit der Montagsreportage religiöse Gefühle zu verletzen. Falls dies trotzdem eingetreten sein sollte, bedauert die Redaktion dies und bittet um Entschuldigung.»

Auch diese Rügen sind als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen. Die Auswahl der zu veröffentlichenden Informationen steht grundsätzlich im freien Ermessen der Redaktionen (so bereits die Stellungnahme 1/1992). Dementsprechend stand es der «Basler Zeitung» ohne weiteres frei, die Montagsreportage über die Messe vom Vortag im Kloster Mariastein zu veröffentlichen. Entgegen der Auffassung von X. sind zudem für einen solchen Erlebnisbericht berufsethisch besondere Fachkenntnisse über den katholischen Gottesdienst nicht zwingend erforderlich. Und schliesslich vermag der Presserat – ausgehend vom Massstab von aufgeklärten Zeitgenossen (vgl. hierzu die Stellungnahme 12/2006) – im beanstandeten Bericht keinerlei Passagen zu erkennen, die auch nur annähernd geeignet scheinen, religiöse Gefühle zu verletzen.

4. Auch bei den beiden Berichten der «Basler Zeitung» über die Synode der Römisch-katholischen Kirche Baselland (1. November 2005: «Rückendeckung für Röschenz. Synode der Römisch-katholischen Kirche Baselland bezieht Stellung»; 2. November 2005: «Es brodelt an der Basis der Kirche. Der Kirchenstreit war gestern auch Thema im ‹Zischtigs-Club›» und «Streit um Bischof Kochs Auftritt vor Synode. Röschenzer Kirchgemeinderat klärt rechtliche Schritte ab.» rügt X. in erster Linie die aus seiner Sicht einseitige Berichterstattung und widerspricht darin enthaltenen Wertungen und Kommentaren. Dazu ist auf die Ausführungen in den Ziffern 1 (keine Pflicht zu Objektivität) und 2 (Kommentarfreiheit) dieser Erwägungen zu verweisen. Argumente, die hier auch nur annähernd für eine Verletzung berufsethischer Normen sprechen würden, sind für den Presserat auch hier nicht ersichtlich.

5. Beim Gastbeitrag von Roland Hinnen («Seelsorger.Diktatur»; «Basler Zeitung vom 15. Oktober 2005) enthält die Beschwerdeergänzung von X. vom 19. November 2005 neben dem Vorwurf der einseitigen Auswahl des Kolumnisten (vgl. dazu oben die Erwägung 1) keine konkrete Begründung, weshalb die Veröffentlichung dieses Textes gegen berufsethische Verpflichtungen verstossen haben sollte. Soweit ersichtlich richtet sich die Beschwerde hier in erster Linie gegen die Bearbeitung der von der «Basler Zeitung» am 25. Oktober 2005 abgedruckten Reaktion des Besch
werdeführers auf diesen Gastbeitrag.

Hierzu geht aus der eingereichten Korrespondenz hervor, dass X. seinen Leserbrief zum Gastbeitrag von Roland Hinnen am 18. Oktober 2005 an die Redaktion sandte. Diese erklärte sich daraufhin bereit, den Brief in gekürzter Form abzudrucken. Gemäss eigener Darstellung opponierte der Beschwerdeführer nicht dagegen, sondern zeigte sich erst nach dem Abdruck irritiert über die vorgenommenen Streichungen.

Gemäss der Richtlinie 5.1 zur «Erklärung» dürfen Leserzuschriften durch die Redaktionen redigiert und dem Sinn entsprechend gekürzt werden. Ausgenommen sind Fälle, bei denen ein Leserbriefschreiber auf dem integralen Abdruck des Textes besteht. Dann ist entweder diesem Wunsch nachzugeben oder die Veröffentlichung abzulehnen.

Vorliegend hat sich der Beschwerdeführer eingestandenermassen mit einer Bearbeitung und Kürzung einverstanden erklärt. Bei einem Vergleich von Originalzuschrift und veröffentlichtem Text kommt der Presserat zudem zum Schluss, dass die redaktionelle Bearbeitung verhältnismässig erfolgte und eine Sinnentstellung offensichtlich zu verneinen ist.

6. Soweit X. schliesslich die Einseitigkeit der Leserbriefauswahl (101:18) kritisiert, ist wiederum auf das Fehlen einer berufsethischen Pflicht zu Ausgewogenheit und «Objektivität» hinzuweisen. In Bezug auf die Auflistung von «ehrverletzenden» Sätzen in einem Teil der Leserbriefe ist zudem anzumerken, dass der Beschwerdeführer nicht begründet, weshalb die von ihm zitierten Passagen ehrverletzend seien. Der Presserat gelangt zudem bei Betrachtung der aufgelisteten Zitate zum Schluss, dass sich diese im gerade bei Leserbriefen grosszügig zu bemessenden Rahmen der Freiheit des Kommentars und der Kritik bewegen, zumal Redaktionen hier lediglich bei offensichtlichen Verletzungen berufsethischer Normen verpflichtet sind, z.B. durch Streichung der entsprechenden Passagen redigierend einzugreifen.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.