Nr. 45/2006
Vermeidung kommerzieller Werbung / Unterschlagung wichtiger Informationen / Berichtigung

(X. c. «SF DRS») Stellungnahme des Presserates vom 27. September 2006

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I. Sachverhalt

A. Das Schweizer Fernsehen (nachfolgend SF) strahlte am 7. und 13. August 2005 im Rahmen der Sendereihe Horizonte einen beim ORF eingekauften Film mit dem Titel «Top Secret: Wasser; auf der Spur eines unerklärlichen Phänomens» aus.

B. Am 8. August 2005 protestierte X. per E-Mail bei SF-Chefredaktor Ueli Haldimann gegen die Ausstrahlung dieses «Werbefilms». Darin würden «wissenschaftlich unhaltbare Thesen als Tatsachen hingestellt». Der Film gaukle dem Publikum vor, dass es für die sog. Wasser-Belebung des «Gurus» Johann Grander wissenschaftliche Belege gebe. In Tat und Wahrheit verkaufe Johann Grander «ein absolut lächerliches Produkt mit Herstellungskosten von einigen wenigen Cent für mehrere Tausend Euro und SF DRS strahlt ohne jeglichen Hinweis seinen Werbefilm aus». Er ersuche das SF von jeder weiteren Ausstrahlung abzusehen oder die «Sendung mit einem Hinweis auf die Eindeutigkeit der wissenschaftlichen Fakten zu versehen».

C. Am 10. August 2005 entgegnete der Stv. Chefredaktor / Programmentwickler von SF, Hansruedi Schoch, «Top Secret: Wasser» sei kein Werbefilm. Weder in der Moderation noch im Film selbst würden wissenschaftlich unhaltbare Thesen als Tatsachen hingestellt. «Vielmehr ist u.a. immer wieder von ‹Grenzwissenschaften› und ‹Phänomenen› die Rede.» Die freie Meinungsbildung der Zuschauerinnen sei gewährleistet.

D. Mit Beschwerde vom 16. August 2005 gelangte X. an den Presserat und beanstandete, SF habe mit «Top Secret: Wasser» einen Werbefilm eines «Tiroler Esoterik-Konglomerats um Johann Granders ‹Wasserbelebung› ausgestrahlt, dessen australische Vertriebsorganisation wegen Irreführung und Quacksalberei zur Zahlung von AUD 136’000.00 (ca. CHF 130’000.00) verurteilt wurde.» Mit der Ausstrahlung des Films habe SF 1 die Ziffern 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen und Entstellung von Tatsachen), 5 (Berichtigung) und 10 (Vermeidung von kommerzieller Werbung bei der Ausübung journalistischer Tätigkeit) verletzt. Beim auch in der Schweiz verkauften mit der sog. Grander-Technologie behandelten «belebten Wasser» handle es sich um einen «pseudowissenschaftlichen Unfug, dessen kommerzielle Nutzung an gewerbsmässigen Betrug grenzt». Der Film lasse mit seiner «pseudokritischen Struktur» jegliche Distanz vermissen und verheimliche dabei insbesondere, dass er ein «PR-Erzeugnis» der Agentur Energisch und des Uranus-Verlag sei, die sich beide im Umfeld von Johann Grander bewegten.

E. Mit Schreiben vom 26. September 2005 wies SF-Chefredaktor Ueli Haldimann den Presserat darauf hin, zum selben Beitrag sei bereits eine Beschwerde beim Ombudsmann DRS hängig. Weiter legte er die Stellungnahme der Redaktion «Horizonte» zu Handen des Ombudsmanns bei. Darin wies Michèle Sauvain, verantwortliche Redaktorin von «Horizonte», die von X. erhobenen Vorwürfe zurück. Ihre Aufgabe als Redaktorin sei es, aus Dutzenden von Filmen von verschiedenen Anbietern die für die Sendung «Horizonte» geeigneten auszuwählen. Die Auswahl beruhe auf journalistischen Kriterien. Zu den Vorwürfen bezüglich dem Zustandekommen des Films, den Produktionsgesellschaften und die Autoren verwies sie auf die beigelegten Ausführungen des österreichischen Autors des Films. Der Presserat sistierte das vorliegende Verfahren am 28. Oktober 2005 usanzgemäss bis zum Abschluss des Verfahrens beim Ombudsmann DRS.

F. In seinem Schlussbericht vom 30. September 2005 erachtete der Ombudsmann DRS, Achille Casanova, die Beschwerde von X. als unbegründet. Bei jährlich ca. 100 eingekauften Dokumentarfilmen sei es der Redaktion «Horizonte» nicht zuzumuten, die von einem renommierten ausländischen Sender übernommene Produktion selber journalistisch zu überprüfen. Zudem falle bei der Visionierung des Filmes auf, dass nirgends behauptet werde, die darin gezeigten «Phänomene», einschliesslich des Grander-Wassers seien wissenschaftlich beweisbar. Er sehe deshalb keine Gesetzes- und/oder Konzessionsverletzung, insbesondere auch keine Schleichwerbung.

G. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

H. Am 4. November 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schlussbericht des Ombudsmanns DRS werde in die Akten des Presseratsverfahrens einbezogen. Der Schriftenwechsel sei abgeschlossen und die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

I. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. September 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat sieht keine Veranlassung, in seiner Beurteilung vom Schlussbericht des Ombudsmanns DRS vom 30. September 2005 abzuweichen. Er hat in erster Linie das Verhalten der für die Auswahl der Dokumentarfilme verantwortlichen Journalistin der Redaktion «Horizonte» zu beurteilen. Nicht zu den Aufgaben des Presserates gehört es hingegen, die Produktionsbedingungen eines in Österreich hergestellten Dokumentarfilms und die (wissenschaftliche) Haltbarkeit der darin vertretenen Thesen zu überprüfen.

2. a) Der Presserat hat seinerzeit in der Stellungnahme 3/1992 darauf hingewiesen, aus der berufsethischen Pflicht der Überprüfung von Informationsquellen könne nicht abgeleitet werden, dass eine Zeitung die von einer Nachrichtenagentur übernommene Meldungen ihrerseits selber auf ihre Richtigkeit zu überprüfen hätte. Weiter hat der Presserat in der Stellungnahme 4/2000 festgehalten, einer Redaktion müsse bei Übernahme einer Meldung einer Nachrichtenagentur die Ursprungsmeldung nicht zwingend bekannt sein.

b) In Analogie zu diesen Grundsätzen durfte die Redaktorin von «Horizonte» in Ergänzung zur eigenen Vorvisionierung des Films ohne eigene zusätzliche journalistische Recherchen darauf vertrauen, dass der unter massgeblicher Mitwirkung des ORF produzierte und von diesem vertriebene Film «Top Secret: Wasser» – der zuvor offenbar bereits durch die Sender ORF 1 und 2 sowie 3SAT ausgestrahlt worden war – den für die Sendereihe zu fordernden journalistischen Kriterien genügte.

2. a) Gemäss Ziffer 10 der «Erklärung» vermeiden Journalistinnen und Journalisten in ihrer beruflichen Tätigkeit «jede Form von kommerzieller Werbung». Laut der Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) ist die Grenze des Zulässigen überschritten, wenn eine Marke, ein Produkt oder eine Leistung oder deren wiederholte Nennung weder einem legitimen öffentlichen Interesse noch dem Anspruch des Publikums auf Information entspricht.

b) In der Stellungnahme 4/1999 ist der Presserat in Bezug auf die Erwähnung von Produkten, Marken und Unternehmen in redaktionellen Beiträge zu folgendem Schluss gelangt: Selbst wenn ein Unternehmen in einem redaktionellen Beitrag im Gegensatz zu seinen Marktkonkurrenten umfassend zu Wort kommt, kann daraus weder abgeleitet werden, der Redaktion fehle die notwendige Unabhängigkeit, noch dass es sich um einen nicht deklarierten bezahlten Beitrag (z.B. Publireportage) handelt. Dies gilt gemäss der Stellungnahme 10/2004 auch dann, wenn für den in einem Medienbericht Porträtierten eine gewisse Werbewirkung abfällt, wie sie mit jeder Nennung und Darstellung im redaktionellen Teil von Massenmedien zwangsläufig verbunden ist. Entscheidend ist dabei, dass die journalistische Begründung der Nennung von Produkt, Marke und Unternehmen eine allfällige Werbewirkung überwiegt.

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Film «Top Secret: Wasser» entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht als Werbefilm für Johann Grander und dessen «belebtes W
asser» zu bewerten. Aus Sicht eines unvoreingenommenen Betrachters erscheint es journalistisch begründbar, bei einem Film über sog. Phänomene zum Thema Wasser die darin gezeigten Beispiele und deren Exponenten mehrfach zu benennen, zu zeigen und zu Wort kommen zu lassen. Journalistisch ist das «Phänomen» des angeblich belebten Wassers nach Johann Grander zudem gerade auch aus schweizerischer Sicht von Interesse, weil – auch gemäss Angaben von X. – die Geräte Granders offenbar erstaunlicherweise auch von diversen Schwimmbädern und anderen Betrieben in der Schweiz benutzt werden. Eine Verletzung der Ziffer 10 der «Erklärung» ist auch deshalb zu verneinen.

3. a) Der Beschwerdeführer macht darüber hinaus geltend, das Schweizer Fernsehen habe die Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt. Mit der Ausstrahlung des Films sei unterschlagen worden, dass es sich bei Johann Granders «Wasserbelebung» um einen «pseudowissenschaftlichen Unfug handle, dessen kommerzielle Nutzung an gewerbsmässigen Betrug grenzt». Unterschlagen werde insbesondere auch, dass der Film ein «PR-Erzeugnis» der Agentur Energisch und des Uranus-Verlags sei, die sich beide im Umfeld von Johann Grander bewegten.

b) Dieser Argumentation von X. ist entgegenzuhalten, dass der Film keineswegs den Eindruck erweckt, bei den beschriebenen «Phänomenen» handle es sich um nach wissenschaftlichen Methoden durchgeführte beweisbare Experimente. Im Gegenteil weist er klar auf die Diskrepanz zwischen dem nach wissenschaftlichen Methoden Beweisbaren und den im Film gezeigten «Entdeckungen» hin. In Bezug auf Johann Grander spricht der Off-Kommentar ausdrücklich von einer «umstrittenen Erfindung» und darüber, dass es sich entweder um eine «gigantische Massensuggestion» oder eine sensationelle Entdeckung handle. In Bezug auf ein «Wasserbelebungsgerät» in einem Schwimmbad wird ausgeführt «was da drinnen vor sich geht, ist wissenschaftlich gesehen Hokuspokus – und obendrein Johann Granders Geheimnis».

c) Hätte das Schweizer Fernsehen bei der Ausstrahlung des vom ORF übernommenen Films die vom Beschwerdeführer angeführte – offenbar noch nicht rechtskräftige? – Verurteilung der australischen Vertriebsorganisation des «Grander Wassers» durch ein australisches Gericht sowie neuere wissenschaftliche Studien zum Thema erwähnen müssen? Zwar stellen diese Fakten möglicherweise einen interessanten Ausgangspunkt für weitere journalistische Recherchen dar. Und je nach Standpunkt des Betrachters mag man zudem die im Dokumentarfilm zum Ausdruck kommende relativ unkritisch bis wohlwollend erscheinende Haltung des Films gegenüber Johann Grander und seinem angeblich «belebten Wasser» bedauern. Wie unter Ziffer 1 der Erwägungen ausgeführt, war die Redaktion «Horizonte» vor der Ausstrahlung des Films jedoch berufsethisch nicht verpflichtet, eigene zusätzliche journalistische Recherchen anzustellen. Und ebenso wenig musste das Schweizer Fernsehen zwingend die ihm nach der ersten Ausstrahlung des Films vom Beschwerdeführer mitgeteilten zusätzlichen Informationen veröffentlichen.

d) Der Beschwerdeführer erachtet es schliesslich als schwere Verfehlung, dass der Film die Mitwirkung des Uranus-Verlags an der Produktion verschweige. Angesichts der kommerziellen Verflechtungen dieses Verlags mit Johann Grander war die Angabe über die Beteiligung an dieser Produktion zumindest wünschbar. Wie aus den vom Schweizer Fernsehen eingereichten Unterlagen hervorgeht, ist der Uranus-Verlag im Abspann des Originalfilms denn auch erwähnt. Die Redaktorin von «Horizonte» hat den Abspann jedoch aus dem für den Presserat nachvollziehbaren Grund gekürzt, beim Fernsehen wolle man die Zuschauer nicht mit überlangen Abspannen «verjagen». Hinzu kommt, dass die Erwähnung der Mitwirkung dieses Verlags an der Produktion dem Fernsehpublikum in der Schweiz kaum etwas gesagt hätte. Eine Unterschlagung von wichtigen Informationen im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung» ist deshalb auch bei diesem Punkt zu verneinen.

4. Erweisen sich die von X. unmittelbar nach der Erstausstrahlung des Films «Top Secret: Wasser» beim Chefredaktor des Schweizer Fernsehens vorgebrachten Beanstandungen berufsethisch als unbegründet, war dieses auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung im Sinne von Ziffer 5 der «Erklärung» auszustrahlen.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.