Nr. 55/2006
Wahrheitssuche / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Beobachter» / «Tages-Anzeiger») Stellungnahme des Presserates vom 15. Dezember 2006

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I. Sachverhalt

A. Am 21. März 2005 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» einen Artikel von Roger Keller mit dem Titel «Geschasste Theologin rehabilitiert». Gegenstand des Berichts war die teilweise Gutheissung eines Rekurses einer von der Universität Zürich gekündigten deutschen Theologin durch den Regierungsrat des Kantons Zürich. Laut dem Entscheid sei die Dozentin ohne ausreichende Gründe entlassen worden. Zwar seien der Universität keine schwer wiegenden Verfehlungen anzulasten und die Vorwürfe der Rachekündigung, der Diskriminierung und des Mobbings weise der Regierungsrat zurück. Zudem hätte die Dozentin während ihrer Krankheit konstruktive Vorschläge zur Lösung der Konflikte am Theologischen Seminar liefern können. Laut Rekursentscheid habe es aber trotzdem keinen ausreichenden Grund für eine Kündigung gegeben, da auch Kündigungen wegen Vertrauensverlusts das Fehlverhalten der entlassenen Person voraussetzten; ein solches liege hier jedoch nicht vor. In der Theologischen Fakultät der Universität habe die Bereitschaft gefehlt, die Kritik der Dozentin «konstruktiv aufzunehmen bzw. sich ergebende Konflikte in einem offenen Klima einer Lösung zuzuführen».

B. Unter dem Titel «Universität Zürich. Eine teure Kündigung» berichtete Thomas Buomberger in der «Beobachter»-Ausgabe 7/2005 vom 31. März 2006 ebenfalls über den Rekursentscheid vom 9. März 2005. Hintergrund der Kündigung seien personelle Konflikte an der Theologischen Fakultät gewesen. Gegen die Entlassene hätten «verschiedene Unterstellte und Kollegen ein eigentliches Kesseltreiben inszeniert, und das erst noch, als sie schwer krank war». Der Rektor habe eine Administrativuntersuchung durchführen lassen, die Professorin daraufhin freigestellt und zur Alleinverantwortlichen des Konflikts gemacht. Der Regierungsrat stelle nun fest, dass es aus ihrer Sicht «nachvollziehbar» sei, wenn sich die Theologin «als Opfer einer Verschwörung» fühle. Sie sei heute arbeitslos. «Mit der Entlassung zerstörte die Universitätsleitung ihre akademische Karriere. Das könnte für die Uni teuer werden.» Der Anwalt der ehemaligen Professorin habe «beim Universitätsrat eine Haftungsklage über einen höheren Millionenbetrag für entgangene Löhne, Rentenverlust und weitere Kosten» eingereicht. Falls es keine Einigung gebe, wolle sie das Geld zivilrechtlich eintreiben. Nach dem Verdikt des Regierungsrates habe sie gute Karten für eine angemessene Entschädigung.

C. Am 26. April 2005 berichtete der «Tages-Anzeiger» ebenfalls über eine «Forderung in Millionenhöhe an die Uni». Nachdem beide Parteien den Entscheid des Regierungsrates – wonach die Theologin «ohne sachlich zureichenden Grund» entlassen worden sei – nicht an das Verwaltungsgericht weitergezogen hätten, gehe es in die nächste Runde. «Der Kanton muss sich nun mit einer Staatshaftungsklage befassen.» Der Anwalt der Professorin habe das Begehren beim Regierungsrat deponiert, doch dieser habe es an den Universitätsrat weitergeleitet. Falls es nicht zu einer Einigung komme, habe die Professorin die Möglichkeit, ihre Forderung auf gerichtlichem Weg einzuklagen.

D. Ein von der entlassenen Theologieprofessorin veröffentlichtes Buch, das «schärfste Kritik an der Universität» enthalte, veranlasste den «Tages-Anzeiger» am 19. Oktober 2005 zu einem weiteren Artikel. Die Theologin schreibe im Buch, aus der Uni drohe ein «totalitäres Regime» zu werden. «Der dokumentarische Bericht liest sich spannend wie ein Krimi und ist ein erschütterndes Zeugnis, wie schlecht es in diesem Fall um die Kritik- und Streitkultur am Theologischen Seminar und an der Universität stand (…) Nachdem sie unhaltbare Zustände am Theologischen Seminar aufgedeckt und kritisiert hatte, sei sie systematisch schikaniert, diskriminiert, geächtet und selbst während ihrer lebensgefährlichen Krebserkrankung mit juristischen Verfahren und Intrigen drangsaliert worden. (…) Sie belegt dies mit zahlreichen Dokumenten. Dabei sei ihr Fall nur einer von vielen, behauptet sie, bei denen vor allem ausländische Professoren an der Universität Zürich schikaniert würden, was auf ‹totalitäre Züge› schliessen lasse. Diese im Buchtitel aufgenommene Kritik (…) überzeugt allerdings nicht und ist auf den 320 Seiten auch kaum belegt. So hat die Universität Zürich wiederholt deutsche Professoren durch alle Böden verteidigt, als diese in der öffentlichen Kritik standen.» Und der im Buch besonders heftig kritisierte «damalige Dekan der Theologischen Fakultät (…) ist ebenfalls Deutscher».

E. Am 9. November 2005 sowie mit zwei Nachträgen vom 14. November und 7. Dezember 2005 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die obenerwähnten, im Jahr 2005 veröffentlichten Berichte von «Tages-Anzeiger» und «Beobachter» an den Presserat. Die Theologische Fakultät der Universität habe keinerlei Chance gehabt, sich gegen die gegenüber ihr in diesen Presseartikeln erhobenen Vorwürfe öffentlich zu wehren. Zum einen sei die Privatsphäre der Betroffenen zu schützen gewesen, zum anderen habe die Universitätsleitung während des laufenden juristischen Verfahrens jegliche öffentliche Stellungnahme untersagt.

Die Medien hätten die Theologische Fakultät nach Lancierung der Kampagne wenn überhaut nur noch sehr selektiv zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen befragt. Anstatt unvoreingenommen zu recherchieren, hätten diese von vornherein die Sichtweise der Dozentin übernommen und zur Schlagzeile gemacht. Der Ruf der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, der Universität Zürich insgesamt und des «Gastlandes Schweiz» sei durch diese Medienberichterstattung beeinträchtigt worden. Bei ihren Berichten hätten sich «Beobachter» und «Tages-Anzeiger» weder durch das Fairnessprinzip leiten lassen. Ebenso wenig hätten sie eigene unvoreingenommenen Recherchen hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der einseitig von der Dozentin übernommenen Vorwürfe unternommen (Ziffern 1 und 3 «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») oder Meldungen, die sich als unhaltbar erwiesen, nachträglich berichtigt (Ziffer 5 der «Erklärung»). Der angebliche «Universitätsskandal», zu dem «Tages-Anzeiger» und «Beobachter» diesen Fall hochstilisiert hätten, sei «in Wahrheit ein Presseskandal, der enormen Schaden angerichtet hat».

Zur Erläuterung der Vorgeschichte der beanstandeten Berichterstattung reichte der Beschwerdeführer dem Presserat ergänzend zu den beanstandeten Artikeln aus dem Jahr 2005 verschiedene Medienberichte über die Auseinandersetzung zwischen Dozentin und Theologischer Fakultät aus den Jahren 2001 bis 2003 ein.

F. Am 23. November 2005 wies Chefredaktor Balz Hosang die Beschwerde von X. – soweit den «Beobachter» betreffend – als unbegründet zurück. Der beanstandete Artikel «Eine teure Kündigung» gehe kaum noch auf die ursprüngliche Auseinandersetzung in der Theologischen Fakultät ein. Im Zentrum des Artikels stünden nicht die Vorgeschichte, sondern die möglichen weiteren finanziellen Folgen des Konflikts. Der Beschwerdeführer beanstande eine einzige Textpassage, die den in den Grundzügen auch im Rekursentscheid des Zürcher Regierungsrats nachzulesenden Konflikt jedoch korrekt zusammenfasse. Die Tatsachenbehauptungen des «Beobachters» seien lückenlos durch Akten belegt. In einer Phase, in der die Theologische Fakultät Sprechverbot hatte, sei es statthaft gewesen, die Stellungnahmen auf der Ebene Universitätsleitung, Universitätsrat und Regierungsrat einzuholen.

G. Am 16. Februar 2006 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion des «Tages-Anzeiger», die Beschwerde sei abzuweisen.

Im Artikel vom 21. März 2005 («Geschasste Theologin rehabilitiert») habe der «Tages-Anzeiger» nicht nur über die ungewöhnlich deutliche Kritik des Regierungsrats an der Universitätsleitung berichtet, sondern auch di
e vom Regierungsrat an die Professorin gerichteten Vorwürfen erwähnt. Der Bericht vom 26. April 2005 («Forderung in Millionenhöhe») habe die Vorgänge rund um die entlassene Theologin als «Kesseltreiben» bezeichnen dürfen, da diese Wertung durch die Vorgänge gut abgestützt sei, was insbesondere der Rekursentscheid des Zürcher Regierungsrat gut dokumentiere. Dies gelte ebenso für die Buchbesprechung vom 19. Oktober 2005 («Schärfste Kritik an der Universität»), der zudem – entgegen den üblichen Gepflogenheiten – ein Kasten mit der Position der Universität beigestellt wurde («Kommentar der Uni: ‹Einseitig›»).

Dem «Tages-Anzeiger» sei bekannt gewesen, dass spätestens ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Anfechtung der Kündigung durch die Professorin die durch den Universitätsrat vertretene Universität in diesem Fall federführend war. Entsprechend habe diese es der Theologischen Fakultät untersagt, dazu Auskünfte zu geben. Der Vorwurf, niemand habe sich die Mühe genommen, sich bei der Theologischen Fakultät nach Einzelheiten zu erkundigen, ziele deshalb an der Realität vorbei.

H. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

I. Am 7. März 2006 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen und die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

K. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Dezember 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. X. hält in seiner Beschwerde vom 14. November 2005 selber fest, dass aufgrund des Ablaufs der Jahresfrist (Art. 15 Abs. 5 des Geschäftsreglements) bloss die in den Abschnitten A-D des Sachverhalts zusammengefassten Berichte Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens sind, nicht dagegen die dem Presserat ebenfalls eingereichten Artikel über die Auseinandersetzung rund um die entlassene Theologin aus den Jahren 2001-2003. Dazu ist weiter festzustellen, dass gegen diese frühren Medienberichte weder von Seiten des Beschwerdeführers noch anderweitig Beschwerde beim Presserat eingereicht worden ist.

2. Drei der vier Berichte («Tages-Anzeiger» vom 21. März und 26. April 2005; «Beobachter» 7/2005), die den Beschwerdegegenstand bilden, referieren schwergewichtig einen Entscheid des Zürcher Regierungsrats bzw. eine vom Anwalt der Theologin auf diesen Entscheid gestützte, gegenüber dem Kanton Zürich in Aussicht gestellte Schadenersatzforderung aus Staatshaftung. Der vierte Bericht («Tages-Anzeiger» vom 19. Oktober 2005) bespricht ein Buch der Theologin, in der diese den Konflikt aus ihrer einseitigen Optik darstellt. Der Beschwerdeführer beanstandet an diesen Berichten jedoch nicht etwa, in den Berichten seien der Entscheid des Zürcher Regierungsrates oder das Buch der Theologin in tatsachenwidriger oder verzerrter Weise dargestellt. Vielmehr erhebt er hauptsächlich den allgemeinen Vorwurf, die Theologische Fakultät sei als betroffene Partei in der gesamten «Kampagne» nicht genügend zu Wort gekommen und die Medien hätten, anstatt unvoreingenommen zu recherchieren, einseitig die Sichtweise der Dozentin übernommen. Auf diese generellen Vorwürfe der einseitigen Berichterstattung (nachfolgend Ziffer 3) und der ungenügenden Anhörung (nachfolgend Ziffer 4) gehen die weiteren Erwägungen ein.

3. a) Gemäss konstanter Praxis leitet der Presserat aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung ab. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig. Dies unter der Voraussetzung, dass in Respektierung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» vor der Publikation von schweren Vorwürfen die davon Betroffenen angehört werden und der Medienbericht ihre Stellungnahme zumindest kurz wiedergibt (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 23, 24 und 36/2006).

b) Soweit der Beschwerdeführer die Einseitigkeit der Berichterstattung von «Tages-Anzeiger» und «Beobachter» beanstandet, kann unter Hinweis auf die fehlende Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung offen bleiben, ob die Bewertung der vier Artikel als «einseitig» überhaupt haltbar erscheint. Immerhin ist dazu generell anzumerken, dass in den drei Berichten des «Tages-Anzeigers» zumindest immer auch die sich aus den Akten ergebende oder zusätzliche eingeholte (Gegen-)Position der Universität dargestellt wird. Demgegenüber beschränkt sich der «Beobachter» darauf, die aus seiner Sicht wichtigsten Fakten des regierungsrätlichen Entscheids sowie des angekündigten weiteren Vorgehens des Anwalts der Theologin kurz zu referieren und diese zu bewerten. Auch hier ist für die Leserschaft aber ohne weiteres ersichtlich, dass die Standpunkte von Theologischer Fakultät und Universitätsleitung demjenigen der Theologin diametral widersprechen.

c) Die berufsethische Pflicht zur Wahrheitssuche lässt nicht bloss eine parteiergreifende, fragmentarische Berichterstattung zu. Aus ihr lässt sich entgegen der Erwartung von X. auch nicht ableiten, dass die Medien insbesondere im Rahmen der heiklen Berichterstattung über personelle Auseinandersetzungen, bei denen Vorwürfe wie Mobbing, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit usw. im Raum stehen, deren Wahrheitsgehalt mittels eigener Recherchen sorgfältig zu überprüfen hätten. Zwar sind umfassende eigene Recherchen durch die Medien für den öffentlichen Diskurs wichtig und entsprechend aus Sicht des Publikums wünschbar. Würde man aber eine derart weitgehende Überprüfungspflicht als berufsethische Mindestpflicht postulieren, wären die Medien kaum in der Lage, umfassend über die von ihnen als aktuell und relevant erachteten Ereignisse zu berichten.

d) Gerade bei der Berichterstattung über ein Justizverfahren dürfen sich die Medien darauf beschränken, den Inhalt öffentlich zugänglicher amtlicher Quellen und öffentlicher Verhandlungen wahrheitsgemäss wiederzugeben (Stellungnahme 35/2004). Dies gilt ungeachtet davon, dass der in einem Justizverfahren ermittelte Sachverhalt naturgemäss immer nur eine relative «Wahrheit» abbildet. In Bezug auf Buchbesprechungen hat der Presserat in seiner Stellungnahme 34/2004 darauf hingewiesen, dass der Rezension von Büchern ein grosser Spielraum einzuräumen ist. «Deshalb sind selbst äusserst subjektive Wertungen mit den berufsethischen Pflichten vereinbar, sofern diese Wertungen für das Lesepublikum ebenso erkennbar sind wie die ihnen zugrundeliegenden Fakten.» Sowohl bei der Buchbesprechung wie auch bei der Justizberichterstattung erscheint die Forderung nach journalistischer Überprüfung des Sachverhalts jedenfalls dann als unhaltbar und realitätsfremd, wenn Journalistinnen und Journalisten über den Inhalt des Buchs bzw. des Justizurteils und dessen Bewertung hinaus keine zusätzlichen, neuen Sachverhalte/Vorwürfe veröffentlichen.

4. a) Gemäss der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind von schweren Vorwürfen Betroffene vor der Publikation anzuhören, und deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Der Beschwerdeführer beruft sich zwar nicht explizit auf diese Richtlinie, macht aber mehrfach geltend, dass in den vier Medienberichten gegenüber der Theologischen Fakultät und ihre Mitglieder schwere Vorwürfe erhoben wurden, ohne dass diese von den Journalisten dazu befragt worden seien.

b) In den Berichten über das Justizverfahren als auch in der Buchbesprechung werden gegen die Theologische Fakultät und einzelne Exponenten eine ganze Reihe von Vorwürfen erhoben:

– Laut dem Bericht des «Tages-Anzeigers» vom 21. März 2006 («Geschasste Theologin rehabilitiert») wirft der Fall «kein vorteilhaftes Licht auf die Konfliktbewältigung und Personalführung an der Universität». Sie sei
«systematisch schikaniert worden, auch mit widerrechtlichen Mitteln». Der Rektor der Universität und der damalige Dekan der Theologischen Fakultät hätten versucht, die Theologin zu «pathologisieren und loszuwerden». Nach zwei Konflikten mit einem Oberassistenten und einer Assistentin habe ein eigentliches «Kesseltreiben» gegen die Professorin stattgefunden. Dies erst noch zu einer Zeit, als sie wegen Krebs schwer erkrankt gewesen sei.

– Der «Beobachter» Nr. 7/2005 schreibt ebenfalls, verschiedene Unterstellte und Kollegen hätten ein eigentliches Kesseltreiben inszeniert, «und das erst noch, als sie schwer krank war».

– Auch im «Tages-Anzeiger» vom 26. April 2005 wird der Vorwurf des «Kesseltreibens» gegen die Theologin erneut erhoben.

– Die Buchbesprechung des «Tages-Anzeigers» vom 19. Oktober 2005 gibt die schweren Vorwürfe der Entlassenen in voller Schärfe wieder: Sie sei «systematisch schikaniert, diskriminiert, geächtet und selbst während ihrer lebensgefährlichen Krebserkrankung mit juristischen Verfahren und Intrigen drangsaliert worden».

Insbesondere der Vorwurf des «Kesseltreibens» (systematische Hetz- und Verleumdungskampagne gegen jemanden) wiegt schwer, ebenso derjenige der Schikane mit widerrechtlichen Mitteln. Eine Anhörung der davon Betroffenen war deshalb grundsätzlich unabdingbar.

c) Keiner der vier beanstandeten Medienberichte enthält jedoch eine Stellungnahme der Theologischen Fakultät oder des im «Tages-Anzeiger»-Artikel vom 21. März 2006 namentlich genannten ehemaligen Dekans. Gleichzeitig weisen die Parteien dazu allerdings übereinstimmend darauf hin, dass die Leitung der Universität Zürich der Theologischen Fakultät während des laufenden Justizverfahrens verbot, sich öffentlich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äussern. Zwar entbindet der Hinweis auf das Amtsgeheimnis die Journalistinnen und Journalisten nicht davon, bei schweren Vorwürfen gegen Beamte und Magistraten deren Stellungnahme vor der Publikation einzuholen (vgl. die Stellungnahme 62/2003 und 51/2006). Unter den gegebenen Umständen durften der «Beobachter» und der «Tages-Anzeiger» jedoch davon ausgehen, dass ein entsprechendes Bemühen von vornherein aussichtslos wäre, weshalb sie sich an die Akten und die Universitätsleitung hielten. Entsprechend ist aus dieser Unterlassung der beiden Redaktionen keine Pflichtverletzung abzuleiten. Ohnehin ist die Anhörungspflicht bei Vorwürfen, die sich gegen eine Institution richten, erfüllt, wenn sich Journalistinnen und Journalisten an die dafür als zuständig bezeichnete Auskunftsstelle wenden.

d) Bei einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände ist den beiden Redaktionen auch aus einem anderen Grund keine Verletzung der Anhörungspflicht vorzuwerfen. Wie unter Ziffer 2 der Erwägungen ausgeführt, referieren drei der vier Artikel schwergewichtig einen Entscheid des Zürcher Regierungsrates und dessen mögliche juristischen Weiterungen. Das berufethische Anhörungsprinzip würde überdehnt, wenn die Kontaktnahme mit den von schweren Vorwürfen Betroffenen bei jeder späteren Wiederholung und sei es wie hier bloss zur Erläuterung des Hintergrunds eines Justizentscheids, erneut obligatorisch wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die anderslautenden Standpunkte der von den schweren Vorwürfen Betroffenen (hier: Theologische Fakultät und Universitätsleitung) zumindest im Grundsatz aus dem Medienbericht ersichtlich sind. Dies ist nach Auffassung des Presserats bei allen vier Medienberichten zu bejahen.

5. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich eine Verletzung der Ziffer 5 der «Erklärung» (Berichtigungspflicht) rügt, ist für den Presserat aus der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar, inwiefern er diese Bestimmung konkret verletzt sieht.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Tages-Anzeiger» (Berichte vom 21. März, 26. April und 19. Oktober 2005) und «Beobachter» (Nr. 3/2005) haben die Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

3. Bei schweren Vorwürfen, die sich gegen eine Institution richten, ist die Anhörungspflicht erfüllt, wenn sich Journalistinnen und Journalisten an die dafür als zuständig bezeichnete Auskunftsstelle wenden. Zudem ist eine erneute Anhörung der Betroffenen zu bereits früher veröffentlichten schweren Vorwürfen verzichtbar, wenn sie nur als Hintergrundinformation veröffentlicht werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn deren anderslautende Standpunkte zumindest im Grundsatz aus dem Medienbericht ersichtlich sind.