Nr. 8/2006
Kommentarfreiheit

(Schweizer Fernsehen / Deltenre c. «Blick») vom 17. Februar 2006

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I. Sachverhalt

A. Am 27. Mai 2005 veröffentlichte «Blick» unter dem Titel «Reisebüro SF DRS. Beim Schweizer Fernsehen müsste man arbeiten» einen von Silvan Grütter gezeichneten Artikel über die beim Schweizer Fernsehen geplante Sommerserie «Einmal im Leben». Das Thema wird bereits auf der Frontseite mit dem Titel «TV-Gebühren für Traumreisen! Wir zahlen und die Fernsehleute fliegen zu den schönsten Plätzen der Welt» angekündigt. Illustriert ist die Frontseite mit einem Porträt-Foto von SF-Direktorin Ingrid Deltenre vor dem Hintergrund einer Landschaft mit Palmen und Wasser. Unten rechts auf der Abbildung räkelt sich der «Blick»-Käfer unter einer Palme (Legende: «‹Ferien über Gebühr!› freut sich der Käfer vom Leutschenbach»). Der Artikel auf Seite 8 und 9 blendet zurück auf einen scharf kritischen «Gastkommentar» von SVP-Ständerat und DRS-Regionalrat Maximilian Reimann auf Seite 2. Wie Reimann beanstandet «Blick», SF-Personal dürfe im Rahmen der Sendereihe «Einmal im Leben» Reportagen an Traumdestinationen realisieren, mithin also auf Kosten der Gebührenzahler Ferienträume erfüllen. «Einzige Bedingung: die Selbstverwirklichung muss auf Video festgehalten werden (…) Keine Idee zu ausgefallen, kein Wunsch zu extravagant: Fernsehdirektorin Ingrid Deltenre erfüllt sie ihren Angestellten – schliesslich füllt sich das Gebührenkässeli ja jedes Jahr wieder von selbst.»

B. Am 22. Juni 2005 gelangten das anwaltlich vertretene Schweizer Fernsehen und dessen Direktorin Ingrid Deltenre mit einer Beschwerde gegen den «Blick» an den Schweizer Presserat. Die Beschwerdeführer rügten, mit der Berichterstattung vom 27. Mai 2005 habe «Blick» die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 2 (Kommentarfreiheit), 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationselementen / Entstellung von Informationen), 4 (Lauterkeit der Recherche), Ziffer 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen), 8 (Diskriminierung / Respektierung der Menschenwürde) sowie diverse der zu diesen Bestimmungen zugehörigen Richtlinien verletzt. «Blick» habe die Fakten ungenügend recherchiert, da sonst die Zeitung nicht wahrheitswidrig behauptet hätte, Ingrid Deltenre erfülle ihren Mitarbeitern gratis und franko jeden Wunsch und keine Idee sei zu ausgefallen, um von ihr nicht realisiert und vergütet zu werden. In Tat und Wahrheit hätten die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die besagte Sommerserie Eigenproduktionen in professioneller Qualität geliefert. Die damit verbundenen Arbeitseinsätze hätten keineswegs den Charakter bezahlter Ferien gehabt. Überdies würden die Reporter nicht nur ihre eigenen Träume realisieren, sondern andere Personen begleiten, die sich einen Wunsch erfüllen. «Blick» grenze sich unzureichend von Reimanns Behauptung ab, das Schweizer Fernsehen verletze mit dieser Frechheit seine Pflicht zum wirtschaftlichen Umgang mit Betriebsmitteln. Die Bildmontage auf dem Titelbild sei weder als Symbolbild noch als Fotomontage gekennzeichnet. Der ganze Artikel fokussiere auf Deltenre; nur ihr würden Vorwürfe gemacht. Deshalb hätte sie vor der Publikation zwingend angehört werden müssen. Mit ihrer «Hetzkampagne» verletze die Zeitung schliesslich auch die Menschenwürde der Fernsehdirektorin.

C. Am 12. Juli 2005 wies die ebenfalls anwaltlich vertretene «Blick»-Redaktion die Beschwerde als unbegründet zurück. Der beanstandete Artikel stelle die Dinge viel differenzierter dar, als dies die Beschwerde in unzulässiger Verkürzung behaupte. «Blick» habe klar und unmissverständlich kritisiert, dass «unter höchst geringen Voraussetzungen und offenbar ohne erkennbare Begrenzung der Kosten Fernreisen bezahlt würden». Den Anlass zu dieser Darstellung habe die Fernsehdirektorin in ihrer Medienmitteilung zum Sommerprogramm gleich selber geliefert. In einem Interview in «Persönlich» (Ausgabe Juli 2005) habe sie zudem eingeräumt, ihre Kommunikation habe tatsächlich so verstanden werden können, dass das Schweizer Fernsehen seinen Mitarbeitern Reisen an ihre Traumdestinationen finanziere, damit sie darüber berichteten.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 14. Juli 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 17. Februar 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) In seiner Praxis zur Kommentarfreiheit (Ziffer 2 der «Erklärung) hat der Presserat immer wieder den grossen Freiraum des Kommentars betont. Allerdings sollten sich in einem Kommentar geäusserte Meinungen besonders auch dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen, wenn Einschätzungen von Personen bzw. deren Fähigkeiten wiedergegeben werden (Stellungnahme 3/1998). Auch wenn berufsethisch keine formale Trennung zwischen Nachricht und Kommentar vorgeschrieben ist, sollte die Leserschaft bei stark kommentierenden Berichten in die Lage versetzt werden, zwischen Informationen und Wertungen zu unterscheiden (Richtlinie 2.3 zur «Erklärung»; Stellungnahme 17/2000). Gerade bei pointierter Kritik sind die Medienschaffenden verpflichtet, dem Publikum die den negativen Meinungsäusserungen zugrundeliegenden sachlichen Grundlagen mitzuliefern (29/2001).

b) Gestützt auf Ziffer 2 der Erklärung rügen die Beschwerdeführer, «Blick» habe Reimanns Meinung, die Verwendung von Gebührengeldern für die kritisierte Sommerserie sei eine «Frechheit», ohne jede Distanz übernommen. Damit seien Fakten und Kommentare ungenügend getrennt.

c) Der Presserat erachtet diese Rüge als unbegründet. Zwar polemisiert der beanstandete Artikel ausgehend von einer im Faksimile abgebildeten SF-Medienmitteilung einseitig und spitzt insbesondere auf der Titelseite scharf zu. Dabei werden aber die faktischen Grundlagen der in die gleiche Richtung zielenden Kritik von Maximilian Reimann und des Autors des Berichts für die Leserschaft durchaus ersichtlich: Dem Bericht ist zu entnehmen, dass SF-Redaktor/innen im Rahmen der Sommerserie «Einmal im Leben» mit Reportagen aus Traumdestination über die Erfüllung von Reiseträumen (eigenen oder solchen von Zuschauer/innen) berichten sollen. Dies darf der Autor ebenso wie Maximilian Reimann als «bezahlte Ferien» kritisieren. Neben den wesentlichen Fakten sind auch die Werturteile wie «Reisebüro SF DRS», «Selbstverwirklichung», «TV-Direktorin Ingrid Deltenre gönnt ihren Mitarbeitern was Schönes» usw. als solche erkennbar. Zwar halten die Beschwerdeführer – sowie der verantwortliche Redaktionsleiter Kurt Schaad – bereits im «Blick»-Artikel vom 27. Mai berechtigterweise entgegen, die professionelle Herstellung von Fernsehsendungen sei auch an Traumdestinationen mit (Knochen-)Arbeit verbunden. Aber «Blick» hat die Grenzen der Kommentarfreiheit nicht überschritten, wenn die hauptsächlich gebührenfinanzierte Arbeit von Fernsehjournalistinnen an Traumdestinationen erkennbar polemisch als Traumreisen auf Kosten des Publikums bewertet werden.

2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer entsteht durch den Bericht auch nicht der falsche Eindruck, Fernsehdirektorin Ingrid Deltenre erfülle ihren Mitarbeitern jeden Wunsch gratis und franko und keine Idee sei zu ausgefallen, um von ihr realisiert und vergütet werden. Bei unvoreingenommener Lektüre wird ohne weiteres klar, dass es nicht um bezahlte Ferien, sondern um professionelle Einsätze nach den Vorgaben des Arbeitgebers geht, mithin auch professionelle Qualität des Arbeitsergebnisses vorausgesetzt wird. Im Ergebn
is ist deshalb weder eine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») noch eine Entstellung von Informationen (Ziffer 3) oder die Verbreitung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen festzustellen.

3. Bei der Fotomontage auf der Titelseite, welche die lächelnde Fernsehdirektorin vor einer (Traum-)Landschaft mit Palmen und Wasser zeigt, machen die Beschwerdeführer zu Recht geltend, diese Illustration sei weder als Symbolbild noch als Fotomontage deklariert.

Der Presserat hat in der Stellungnahme 27/2001 unter Bezugnahme auf die Richtlinie 3.6 zur «Erklärung» (Montagen) die begrifflich klare Bezeichnung einer Illustration als «Fotomontage» als berufsethisch unabdingbar erachtet. Denn bei der damals zur Diskussion stehenden Fotomontage habe die Gefahr bestanden, dass ein grosser Teil der Medienkonsumenten die Abbildung als real missverstehen würden. Auch wenn der Presserat bei Fotomontagen generell eine klare begriffliche Deklaration empfiehlt und eine solche im Prinzip auch einfach umzusetzen ist, bestand vorliegend trotz des Fehlens einer solchen keine Verwechslungsgefahr. Auch die Beschwerdeführer behaupten dies nicht. Eine Verletzung der Richtlinie 3.6 zur «Erklärung» ist darüber hinaus auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit zu verneinen. Danach begründet nicht jede Unkorrektheit bereits eine Verletzung berufsethischer Pflichten (vgl. hierzu in Bezug auf die Wahrheits- und Berichtigungspflicht zuletzt die Stellungnahmen 33, 37 und 49/2005).

4. Der Presserat hat jüngst in der Stellungnahme 45/2005 festgehalten, dass die Veröffentlichung eines Bildes einer Person des öffentlichen Lebens in einem beruflichen Kontext die Privatsphäre des Betroffenen nicht tangiert. Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, das für die Bildmontage verwendete Bild von Ingrid Deltenre zeige sie in ihrem privaten Bereich. Dementsprechend fällt eine Verletzung der Richtlinie 7.3 zur «Erklärung» (Schutz der Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens) ausser Betracht.

5. Wie bereits ausgeführt, kommt das Schweizer Fernsehen im «Blick»-Artikel durch den Redaktionsleiter von «Einmal im Leben», Kurt Schaad, immerhin kurz zu Wort. In seinem Statement hält er dem von Maximilian Reimann erhobenen Vorwurf «einer ungeheuerlichen Arroganz und Frechheit gegenüber dem Gebührenzahler» nüchtern entgegen, die Realisierung der (Traum-)Reportagen stelle keinen Luxus, sondern vielmehr «echte Knochenarbeit für die Beteiligten» dar. Damit ist ungeachtet der Frage, ob eine Anhörung im Sinne der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» hier überhaupt zwingend war, das Schweizer Fernsehen jedenfalls im berufsethisch geforderten Mindestmass zu Wort gekommen. Eine zusätzliche separate Anhörung der Fernsehdirektorin Ingrid Deltenre war nach Auffassung des Presserates nicht erforderlich. Auch wenn die Berichterstattung des «Blick» stark auf ihre Person fokussiert ist, werden keine ihre Persönlichkeit betreffenden Vorwürfe erhoben. Sie wird zwar vom «Blick» dafür kritisiert, dass sie den «extravaganten» Wünschen ihrer Mitarbeiter angeblich allzu leicht nachgebe und so die Gebühren nicht sinnvoll einsetze. Diese Kritik unterstellt jedoch – entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer – weder widerrechtliche noch gar kriminelle Handlungen, die eine Anhörung zwingend gemacht hätten.

6. So polemisch und sachlich unbegründet die Einschätzungen von Maximilian Reimann und «Blick» aus Sicht der Beschwerdeführer auch sein mögen, erreichen sie offensichtlich nicht die Dimension einer Verletzung der Menschenwürde. Die Kritik beschränkt sich ausschliesslich auf Handlungen Deltenres im Rahmen ihrer Funktion als Fernsehdirektorin. Sie wird dabei nicht als individuelle Person in einem inakzeptablen Mass kritisiert, das als Verunglimpfung oder Herabwürdigung ihres Menschseins zu werten wäre (Stellungnahme 16/2005).

7. Nicht näher begründet wird in der Beschwerdeschrift schliesslich die geltend gemachte Verletzung der Ziffer 4 der «Erklärung», weshalb der Presserat auf diese Rüge nicht eintritt.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.