Nr. 22/2006
Wahrheitssuche / Unterschlagung von Informationen / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(Bau- ,Verkehrs- und Energiedirektion des Kt. Bern c. «Berner Zeitung»/«Thuner Tagblatt» und «Berner Oberländer

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I. Sachverhalt

A. Am 6. September 2005 titelte die «Berner Zeitung»: «Egger schweigt zur Bahnreform. Wie teuer ist RM-BLS?». Der Bericht von Stephan Künzi auf der Titelseite warf der Berner Regierungsrätin und Verkehrsdirektorin Barbara Egger vor, ausgerechnet sie als «gemeinsam mit dem Bund treibende Kraft» schweige zur Zeit zur geplanten Zusammenlegung von BLS Lötschbergbahn (BLS) und Regionalverkehr Mittelland (RM). «Dabei hätte sie einiges zu erklären», seit der Stadtpräsident von Solothurn und ehemalige RM-Verwaltungsrat Kurt Fluri Mitte Juni behauptete, die RM-Bahn arbeite viel günstiger als die fusionierte BLS-RM geschweige denn die heutige BLS. «Eine bislang unter Verschluss gehaltene Studie erhärtet nun diese Ausführungen.» Auf Seite 25 der gleichen Ausgabe legte die «Berner Zeitung» den Inhalt der von ihr nicht näher bezeichneten «aufwändigen, bislang unter Verschluss gehaltenen» Studie dar. In einem Kasten mit dem Titel «Die Berner Regierungsrätin Barbara Egger schweigt» warf Stephan Künzi der Regierungsrätin vor, sie habe ihn bei einer Anfrage für ein Interview am Vortag – wie bereits im Juni 2005 – ins Leere laufen lassen. «Egger liess über ihre Generalsekretärin Renate Amstutz ausrichten, Ansprechperson sei der neue RM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler. Doch der will sich erst einarbeiten.» Die gleichen Berichte erschienen gleichentags im «Solothurner Tagblatt».

B. Ebenfalls am 6. September 2005 hielt das Amt für Information des Kantons Bern in einer mit den Logos von Kanton Bern, BLS und RM versehenen Medienmitteilung diesen Medienberichten entgegen, BLS und RM würden als fusioniertes Unternehmen günstiger produzieren. Davon würden namentlich Bund und Kantone als Haupteigner und als Besteller von Regionalverkehrsdienstleistungen profitieren. Die von Fusionskritikern präsentierten untauglichen und nicht konsolidierten Zahlen führten zu falschen Ergebnissen, welche für die Fusion von BLS und RM nicht anwendbar seien. Dies bestätige auch der neue RM-Verwaltungsratspräsident, Paul Nyffeler.

C. «Berner Zeitung» (und «Solothurner Tagblatt») folgerten am 7. September 2005, die tags zuvor publizierte Studie habe für den nötigen Druck gesorgt. «Gestern äusserte sich Barbara Egger zur BLS/RM-Fusion.» Weiter erschien auf der Titelseite ein Kommentar von Stephan Künzi mit dem Titel «Egger muss reden». Darin kritisiert Künzi erneut das zweimalige «Abblocken» von Interviewanfragen zum Thema BLS/RM . Für ihn würden zudem auch nach Eggers Ausführungen vom Vortag Zweifel bleiben. Den Beweis, dass ihre Zahlen besser seien als diejenigen der von ihr kritisierten Studie, bleibe sie nach wie vor schuldig. Denn sie lege ihre Zahlen nicht auf den Tisch. In einem ebenfalls von Stephan Künzi schriftlich geführten Interview bezeichnete die Regierungsrätin die Zahlen der Fusionskritiker als «Milchmädchenrechnung». Die Kantone Bern, Luzern und Solothurn hätten gemeinsam mit dem Bund eine Expertise zur Überprüfung dieser Berechnungen in Auftrag gegeben. Diese Expertise belege klar, dass die Zahlen und Schlussfolgerungen der Fusionskritiker falsch seien. Vielmehr lägen die zu erwartenden Synergieeffekte in der Grössenordnung einer zweistelligen Millionenzahl. Regierungsrätin Egger habe das Interview «nur in schriftlicher Form» gegeben.

D. Gleichentags berichteten auch «Thuner Tagblatt» und «Berner Oberländer» auf ihren Titelseiten über die Bahnreform: «‹Die BLS fährt teurer als die RM-Bahn.› Regierungsrätin Barbara Egger drückte sich um klärende Antworten. Die gab sie erst, als gestern die Studie veröffentlicht wurde.» Dem ansonsten mit der Fassung «Berner Zeitung» / «Solothurner Tagblatt» identischen Kommentar war noch folgender Satz beigefügt: «Gleich wie sie sich gegenüber TT und BO zum Thema Hochwasser nicht befragen lassen wollte». Im Teil Region Thun / Bern druckten die beiden Zeitungen zudem das gleiche Interview ab wie die «Berner Zeitung».

E. Am 9. September 2005 gelangte Regierungsrätin Barbara Egger, Direktorin der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE), mit einer Beschwerde gegen die Berichterstattung vom 6. und 7. September 2005 in «Zeitungen der Espace Media Groupe» an den Presserat.

Mit der Schlagzeile vom 6. September 2005 «Egger schweigt zur Bahnreform» und der Bildlegende («Regierungsrätin Barbara Egger will nicht darüber reden») habe die «Berner Zeitung» den tatsachenwidrigen Eindruck erweckt, sie habe das Gespräch verweigert. Durch den auf Seite 23 veröffentlichten separaten Kasten «Die Berner Regierungsrätin Barbara Egger schweigt» sei dies noch verstärkt worden. Tatsächlich sei sie aber am Vortag wegen einer Medienkonferenz über die Auswirkungen des Hochwassers im Kanton Bern unabkömmlich gewesen. Ihre Generalsekretärin Renate Amstutz habe Stephan Künzi aber zurückgerufen und nochmals auf ausführliche Erläuterungen vom Juli 2005 verwiesen, bei denen Amstutz dem Journalisten ausführlich dargelegt habe, weshalb die von ihm zitierten Zahlen nicht stimmten.

Aufgrund der Berichterstattung vom 6. September habe die BVE den Abdruck einer Richtigstellung verlangt. Als Stephan Künzi eine solche abgelehnt habe, sei über ein Interview verhandelt worden. Die Schriftform sei von der BVE nicht verlangt worden, sondern nur deshalb vereinbart worden, weil es kurzfristig nicht möglich war, einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Das Interview sei dann zwar wie vereinbart am 7. September abgedruckt worden. Aufgrund der Wiederholung des unhaltbaren Vorwurfs der Gesprächsverweigerung sei die Sachinformation aber in den Hintergrund getreten. Ebenso werfe Künzi ihr in seinem Kommentar in «Berner Oberländer» und «Thuner Tagblatt» vom 7. September ungerechtfertigterweise vor, ihn abgeblockt zu haben.

Insgesamt habe die beanstandete Berichterstattung die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung / Entstellung von Informationen) sowie 7 (Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) verletzt.

F. Am 11. Oktober 2005 beantragte der Chefredaktor von «Thuner Tagblatt» und «Berner Oberländer», René E. Gygax, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit sie diese beiden Titel betreffe. Zum Themenkreis RM/BLS schliesse er sich der Stellungnahme der «Berner Zeitung» an, da die entsprechenden Texte ausschliesslich von der Partnerzeitung erarbeitet worden seien. Die ergänzende Kritik betreffend Ablehnung eines Interviews mit «Thuner Tagblatt» / «Berner Oberländer» zum Thema Hochwasser sei sachlich gerechtfertigt. Bereits am 29. und 30. August 2005 habe sein Mitarbeiter Roland Drenkelforth für ein Telefoninterview mit Regierungsrätin Egger zum Thema Hochwasser angefragt. Nachdem der Termin zuerst verschoben wurde, habe man ihn auf die für den 5. September 2005 vorgesehene Pressekonferenz hingewiesen bzw. ihm ein Interview mit Kreisoberingenieur Markus Wyss empfohlen. An der besagten Pressekonferenz habe Regierungsrätin Egger den elektronischen Medien bereitwillig Interviews gegeben. Drenkelforth sei durch Markus Wyss hingegen wie folgt informiert worden: «Frau Egger hat mich gebeten, an ihrer Stelle das Interview zu führen, da sie im Moment nicht besonders gut auf das ‹Thuner Tagblatt› zu sprechen ist.»

G. Am 31. Oktober 2005 wies der Chefredaktor der «Berner Zeitung» die Beschwerde in Absprache mit dem Autor der beanstandeten Artikel, Stephan Künzi, ebenfalls als unbegründet zurück. Die Beschwerde stelle den Sachverhalt falsch und unvollständig dar. Stephan Künzi habe seine Fragen zur RM / BLS-Fusion bereits im Juli bewusst dem für dieses Projekt zuständige Mitglied des Berner Regierungsrates stellen wollen. Generalsekretärin Amstutz habe ein Interview mit Regierungsrätin Egger wegen Rekonvaleszenz und Regierungsratsferien frühestens für August in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber klar gemacht, dass sich Barbara Egger zur Fusion ohne
hin nicht äussern werde. Ansprechpartner hierfür sei ausschliesslich der neue Präsident des RM-Verwaltungsrats, Paul Nyffeler, der sich aber zuerst in die Thematik einarbeiten müsse. Stephan Künzi «äusserte daraufhin sein Bedauern über diese Absage». Amstutz habe Künzi damals weder die umstrittenen Zahlen erläutert, noch sei vereinbart worden, dass er sich künftig an Nyffeler halte.

In der Folge sei es Künzi gelungen, sich die Zahlen der Fusionskritiker zu beschaffen. Am Vormittag des 5. September 2005 habe er dann ein zweites Mal für ein Interview mit Regierungsrätin Egger angefragt. Daraufhin habe er wiederum einen Anruf von Generalsekretärin Amstutz erhalten, welche die Absage vom Juli wiederholt habe. Regierungsrätin Egger werde sich zu den Zahlen nicht äussern, da dafür allein der neue RM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler zuständig sei, der aber noch immer daran sei, sich einzuarbeiten. Künzi habe daraufhin auch noch Nyffeler angerufen, der letzteres bestätigt habe.

Angesichts der unmissverständlichen Äusserungen der Generalsekretärin Amstutz, wonach die Regierungsrätin sich nicht zur Fusion und zu den Zahlen äussern wolle, habe der Vorwurf der Gesprächsverweigerung nicht gegen die Wahrheitspflicht verstossen. Ebenso wenig sei der «Berner Zeitung» unter den gegebenen Umständen die Unterschlagung wichtiger Informationen vorzuwerfen, dass der Artikel vom 6. September 2005 keine Stellungnahme der Fusionsverantwortlichen enthielt. Neben dem Abdruck des Interviews mit Regierungsrätin Egger habe am 7. September 2005 zudem keine Notwendigkeit bestanden, auch noch auf die Medienmitteilung vom Vortag hinzuweisen. Der Hinweis auf die Schriftlichkeit des Interviews suggeriere weiter keineswegs, dass Egger ein mündliches Gespräch verweigert hätte. Schliesslich sei die Kritik an der Informationspolitik der Regierungsrätin nicht als sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung zu werten. Die Kritik basiere auf den Tatsachen, dass sie dem Journalisten im Zusammenhang mit der Fusionsberichterstattung zuerst unbegründet vorwarf, sie in ihrer Persönlichkeit zu verletzen und es danach abgelehnt habe, ihm zum Thema Fusion direkt Rede und Antwort zu stehen.

H. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

I. Am 4. November 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und der Vizepräsidentin Sylvie Arsever, behandelt. Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher, freie Mitarbeiterin der «Berner Zeitung», trat von sich aus in den Ausstand.

K. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 5. Mai 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde berührt zwei Themenkomplexe: Einerseits die sachliche Berichterstattung vom 6. und 7. September 2005 der «Berner Zeitung» und ihrer Partnerzeitungen über die «Kosten» der geplanten Fusion RM-BLS, andererseits den in diesem Zusammenhang gegenüber der Berner Regierungsrätin Barbara Egger erhobenen Vorwurf der Gesprächsverweigerung.

2. a) In Bezug auf das Thema Bahnfusion ist vorab darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Presserates ist, zu unterschiedlichen Positionen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Zusammenlegung von RM und BLS Stellung zu nehmen. Hingegen ist im Zusammenhang mit den beanstandeten Berichten vom 6. und vom 7. September 2006 je separat zu prüfen, ob der Autor bei der Recherche und Veröffentlichung den berufsethischen Pflichten (insbesondere: Wahrheitssuche, Überprüfung von Informationen, Unterschlagung und Entstellung von wichtigen Informationen) im erforderlichen Mindestumfang nachgekommen ist.

b) Ausgangspunkt des Berichts vom 6. September 2005 war eine von der «Berner Zeitung» nicht näher bezeichnete und dem Presserat nicht vorliegende fusionskritische Studie, deren Ergebnisse («Die heutige RM-Bahn fährt billiger») dargelegt wurden. Es lag nahe, die an der Fusion Beteiligten (die beiden Bahnen, den Bund sowie die Kantone Bern, Solothurn und Luzern) mit den brisanten Zahlen zu konfrontieren. Allerdings ist der «Berner Zeitung» nach Auffassung des Presserates nicht vorzuwerfen, dass sich Stephan Künzi bei seiner weiteren Recherche offenbar auf die drei Kantone beschränkte. Nach der Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie gibt er die Reaktion des Solothurner Regierungsrats Walter Straumann wieder. Dieser kenne die Kostenvergleiche nicht. «Man habe ihm aber von höchster Stelle versichert, dass eine Ersparnis von 10 Millionen drinliege». Ebenso relativierte der Luzerner Regierungsrat Max Pfister, «dass Zahlen zur künftigen BLS-RM-Bahn nur schwer zu errechnen seien». Auch wenn die Kontaktnahme am 5. September – lediglich einen Tag vor der Publikation – mit Regierungsrätin Barbara Egger als sehr spät erscheint – war es berufsethisch zulässig, die Zahlen der kritischen Studie zusammen mit den Stellungnahmen der beiden anderen Verkehrsdirektoren zu veröffentlichen, wenn gleichzeitig vermerkt wurde, dass die Berner Verkehrsdirektorin am Vortag für eine Stellungnahme nicht erreichbar war.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus behauptet, Generalsekretärin Renate Amstutz habe Stephan Künzi bereits im Juli 2005 sowie am Vortag der Publikation darauf hingewiesen, die Zahlen seien längst widerlegt, sieht sich der Presserat nicht der Lage, diesen von der «Berner Zeitung» bestrittenen Sachverhalt anhand der ihm vorliegenden Akten zu klären. Bekanntlich führt der Presserat keine Beweisverfahren zur Klärung umstrittener Parteibehauptungen durch (vgl. zuletzt die Stellungnahme 2/2006). Träfe der von der Beschwerdeführerin dargelegte Sachverhalt zu, hätte die Stellungnahme der BVE, die Zahlen beruhten auf einem unzulässigen und falschen Vergleich, jedoch zwingend bereits in den Bericht gehört.

c) Einen Tag später, nach dem schriftlichen Interview mit Regierungsrätin Egger verfügte die «Berner Zeitung» über eine wesentliche neue Information, welche die Bewertung der fusionskritischen Berechnungen zumindest stark in Frage stellte. «Die Kantone Bern, Luzern, und Solothurn haben mit dem Bund gemeinsam eine Expertise zur Überprüfung dieser Berechnungen in Auftrag gegeben. Die Expertise belegt klar, dass die Zahlen und Schlussfolgerungen falsch sind. Die Verwaltungsräte beider Unternehmen wurden damals darüber ausführlich orientiert und haben dies anerkannt.» Nach dem Abdruck dieser und der weiteren ausführlichen Erklärungen der Regierungsrätin in der Ausgabe vom 7. September 2005 war die Leserschaft in der Lage, die tags zuvor publizierten Zahlen kritisch einzuordnen.

Ungeachtet der Erklärungen Eggers war es dem Autor und Kommentator im Lichte der Freiheit des Kommentars und der Kritik unbenommen, die von der Bahnfusion erhofften Spareffekte weiterhin in Frage zu stellen. Allerdings machte es sich Stephan Künzi etwas einfach, wenn er Regierungsrätin Egger, die immerhin innert einer sehr kurzen Frist von weniger als drei Stunden einen längeren Fragenkatalog ausführlich schriftlich beantwortete, danach vorwarf, den Beweis schuldig zu bleiben, dass ihre Zahlen besser seien, weil sie diese nicht auf den Tisch lege. Wenn Künzi schon an der Eggers Stellungnahme zugrunde liegenden Expertise zweifelte, wäre es ihm möglich gewesen, dazu bei den anderen Fusionspartnern nachzuhaken, ob sie tatsächlich anerkannt hätten, dass die von der «Berner Zeitung» tags zuvor publizierten Zahlen falsch seien. Und selbst wenn dies aus zeitlichen Gründen vor Redaktionsschluss nicht mehr möglich war, hätte er wenigstens der Medienmitteilung des Amts für Information des Kantons Bern vom gleichen Tag – für die selbstverständlich keine Abdruckspflicht bestand – fairerweise den für den Eindruck der Leserschaft wichtigen letzten Satz entnehme
n können, wonach auch der neue RM-Verwaltungsratspräsident, Paul Nyffeler, die Unzulässigkeit des Zahlenvergleichs bestätige. Nach Auffassung des Presserates würde es jedoch zu weit führen, diese Unterlassung als Verletzung der Ziffern 1 und / oder 3 der «Erklärung» zu bewerten. Sie fiel insgesamt nicht allzu stark ins Gewicht, weil Regierungsrätin Egger als massgebende Berner Exponentin der Bahnfusion umso prominenter und ausführlicher zu Wort kam.

3. a) Der Presserat betont in seiner Praxis zur Kommentarfreiheit (Ziffer 2 der «Erklärung) den grossen Freiraum des Kommentars. Allerdings sollten sich in einem Kommentar geäusserte Meinungen besonders auch dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen, wenn Einschätzungen von Personen bzw. deren Fähigkeiten wiedergegeben werden (Stellungnahme 3/1998). Auch wenn berufsethisch keine formale Trennung zwischen Nachricht und Kommentar vorgeschrieben ist, sollte die Leserschaft bei stark kommentierenden Berichten in die Lage versetzt werden, zwischen Informationen und Wertungen zu unterscheiden (Richtlinie 2.3 zur «Erklärung»; Stellungnahme 17/2000). Gerade bei pointierter Kritik sind die Medienschaffenden verpflichtet, dem Publikum die den negativen Meinungsäusserungen zugrundeliegenden sachlichen Grundlagen mitzuliefern (29/2001). Ebenso wie bei der Sachinformation über die Bahnfusion ist auch bei der Kritik des Informationsgebarens von Regierungsrätin Egger in diesem Zusammenhang zwischen der Berichterstattung vom 6. September und derjenigen vom 7. September 2005 zu unterscheiden.

b) Der Bericht vom 6. September 2006 wirft Regierungsrätin Egger vor, sie schweige, wolle nicht darüber reden, wie viel der Kanton Bern bei der Fusion von RM und BLS tatsächlich spare. Anfragen der «Berner Zeitung» seien sowohl im Sommer wie auch am Vortag «ins Leere» gelaufen. «Egger liess über ihre Generalsekretärin Renate Amstutz ausrichten, Ansprechperson sei der neue RM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler. Doch der will sich erst einarbeiten, wie er sagt.» Bereits im Frühjahr habe sich die Regierungsrätin nach einem kritischen Artikel über ihren Umgang mit dem widerspenstigen RM-Verwaltungsrat angegriffen gefühlt. In einem Brief habe sie die Redaktion gebeten, künftig auf persönlichkeitsverletzende Ausführungen zu verzichten.

Die Beschwerde rügt, der Vorwurf der Gesprächsverweigerung beruhe auf unrichtigen Fakten. Stephan Künzi habe Ende Juni/anfangs Juli im Sekretariat von Regierungsrätin Egger angerufen und nach ihr verlangt. Da sie zu diesem Zeitpunkt im Spital gewesen sei, habe ihr Sekretär wie in solchen Fällen üblich gesagt, sie sei im Moment nicht erreichbar. Künzi habe weder eine Mitteilung hinterlassen, noch nachgefragt, wann sie zu sprechen wäre. Am 5. September sei ein Interview mit Stephan Künzi nicht möglich gewesen, weil Regierungsrätin Egger an diesem Tag durch eine Medienkonferenz zum Thema Hochwasser absorbiert war. Dies sei dem Journalisten durch ihre Generalsekretärin mitgeteilt worden. An der Medienkonferenz vom 5. September hätten über 20 Medienschaffende teilgenommen von denen die meisten ein Interview mit der Regierungsrätin gewünscht hätten. Aus zeitlichen Gründen seien die elektronischen Medien vorgezogen und den Medien Radio 32 und «Thuner Tagblatt» aufgrund ihrer Interviewfragen je eine Fachperson als Auskunftsperson vorgeschlagen worden. Die sehr auf den Entlastungsstollen Thun konzentrierten Fragen von Roland Drenkelforth seien vom dafür verantwortlichen Kreisoberingenieur Markus Wyss beantwortet worden.

Die Beschwerdegegner bestreiten jedoch wiederum relevante Sachverhaltselemente. So hat laut der Beschwerdeantwort von «Thuner Tagblatt» / «Berner Oberländer» Markus Wyss Roland Drenkelforth am 5. September beschieden, er führe das Interview, weil Regierungsrätin Egger nicht besonders gut auf das «Thuner Tagblatt» zu sprechen sei. Und die «Berner Zeitung» wendet ein, Generalsekretärin Amstutz habe sowohl im Juli wie am 5. September klar gemacht, dass sich Egger zur Bahnfusion nicht äussere, weil dafür Paul Nyffeler der Ansprechpartner sei. Auch hier sieht sich der Presserat nicht in der Lage, die umstrittenen Parteistandpunkte zu klären. Geht man von der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdebeklagten aus, ist der kommentierende Vorwurf des Schweigens und der Gesprächsverweigerung sachlich genügend fundiert und eine Verletzung der «Erklärung» entsprechend nicht erstellt. Trotzdem wäre es Stephan Künzi gut angestanden, wenn er bei aller zulässigen Kritik erwähnt hätte, dass Regierungsrätin Egger bei der ersten Interviewanfrage im Spital und bei der zweiten durch eine Medienkonferenz zum Thema Hochwasser absorbiert war.

c) In den Berichten und im Kommentar vom 7. September 2005 kritisiert Stephan Künzi, Regierungsrätin Egger habe sich erst nach dem durch die Publikation vom Vortag erzeugten Druck endlich zur Bahnfusion geäussert, anstatt dies bereits im Juli oder wenigstens am Vortag zu tun, als sie Interviewanfragen zweimal abgeblockt habe. Das Interview komme zudem für eine Zeitung ungewohnt daher, weil es «nur in schriftlicher Form» geführt werden konnte. «Thuner Tagblatt» / «Berner Oberländer» fügten dem Kommentar von Stephan Künzi den Satz an, «Gleich wie sie sich gegenüber TT und BO zum Thema Hochwasser nicht befragen lassen wollte.»

Die Beschwerde beanstandet hier insbesondere, die «Berner Zeitung» wiederhole den unwahren Vorwurf der Gesprächsverweigerung und zementiere diesen mit dem Titel des separaten Kastens «Nur in schriftlicher Form». Dazu kann weitgehend auf die Ausführungen im Abschnitt b) dieser Erwägung verwiesen werden. Wenn die «Berner Zeitung» davon ausging, dass Regierungsrätin Egger am 5. September Fragen zur Fusion nicht selber beantworten wollte, sondern Stephan Künzi (nach wie vor) an BM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler weiterverwies, durfte der Journalist dies auch am Tag danach noch als Gesprächsverweigerung und Abblocken kritisieren und in seiner Sichtweise das nun gewährte schriftliche Interview als Reaktion auf den durch ihre Publikation erzeugten Druck bewerten. In Bezug auf die Schriftlichkeit des Interviews wirft der Bericht der Regierungsrätin nicht ausdrücklich vor, dass sie nicht zu einem direkten Gespräch bereit gewesen wäre. Auch wenn das «nur» im Kastentitel ein Stück weit in diese Richtung deutet. Neben der genaueren Erwähnung der Umstände der Ablehnung der Interviewanfragen (Spitalaufenthalt, Hochwasser-PK) wäre es aus Sicht der Leserschaft von «Thuner Tagblatt» / «Berner Oberländer» zudem wünschbar gewesen, wenn der Bericht darauf hingewiesen hätte, dass die Ablehnung der Interviewanfrage im Rahmen einer Pressekonferenz mit über 20 Medienschaffenden erfolgte und als Ersatz ein Gespräch mit dem für den Entlastungsstollen zuständigen Oberingenieur angeboten wurde.

3. Soweit die Beschwerde schliesslich rügt, die Berichterstattungen hätten gegenüber Regierungsrätin Barbara Egger sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen erhoben, ist die Beschwerde ebenfalls abzuweisen. Den letztlich basiert auch dieser Vorwurf zu wesentlichen Teilen auf zwischen den Parteien umstrittenen Sachverhaltselementen, die der Presserat nicht klären kann. Die beanstandeten Berichterstattungen kritisieren nicht generell, sondern lediglich in Bezug auf das Thema Bahnfusion, dass Regierungsrätin Egger gegenüber Medienschaffenden keine Auskunft geben und kritische Berichte möglichst einschränken wolle. Die Berichte vom 6. September 2005 kritisieren zudem nicht, dass Egger Informationen über die Bahnfusion unterschlage, sondern dass die Regierungsrätin kein Interview geben wolle. Und auch wenn in der Berichterstattung vom 7. September 2005 die Bestätigung von RM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler fehlt, wonach auch er die Schlussfolgerungen der fusionskritischen Studie für unzulässig halte, war es weiterhin zulässig, die Erklärungen von Regierungsrätin Egger kritisch zu hinterfragen. Von einem unzulässigen Spielen auf ihre Person kann nicht die Rede sei
n, zumal sich die Kritik ausschliesslich auf die Ausübung ihrer Funktion als Regierungsrätin und nicht auf persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder den Privatbereich bezieht.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Es wäre jedoch fair gewesen, wenn die «Berner Zeitung» in ihrer Berichterstattung vom 7. September 2005 darauf hingewiesen hätte, dass auch der neue RM-Verwaltungsratspräsident Paul Nyffeler die Kritik von Regierungsrätin Egger am tags zuvor veröffentlichten Kostenvergleich teile.

3. Ebenso hätte der Zeitung der Hinweis gut angestanden, dass Regierungsrätin Egger bei der Interviewanfrage vom Juli 2005 gesundheitlich verhindert und bei derjenigen vom 5. September 2005 durch eine Medienkonferenz zu einem anderen Thema absorbiert war. Journalistinnen und Journalisten dürfen nicht erwarten, dass ihnen Exekutivmitglieder und andere Personen des öffentlichen Lebens zu jeder Stunde sofort zur Verfügung stehen.