Nr. 12/2006
Mohammed-Karikaturen / Bildbelege / Grenzen der Karikatur- und Satirefre

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I. Sachverhalt

A. Am 30. September 2005 publizierte die auflagenstarke dänische Zeitung «Jyllands-Posten» zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed. Religionsexperten hatten davon abgeraten, weil im neueren Islam ein absolutes Bildverbot mit Bezug auf Allah und Mohammed sowie erst recht ein Verspottungsverbot herrscht. «Wir wollten einfach testen, ob es in Dänemark eine Selbstzensur gibt», kommentierte Chefredaktor Carsten Juste. Er hatte sich darüber aufgehalten, dass niemand eine Biografie Mohammeds entgegen dem muslimischen Bildtabu zu illustrieren wagte. 12 von 24 angefragten Karikaturisten machten mit. Wegen Morddrohungen tauchten zwei beteiligte Zeichner unter.

Nachdem Botschafter aus elf arabischen Staaten den dänischen Regierungschef vergeblich um ein Gespräch gebeten hatten, bereiste eine Gruppe fundamentalistischer Imame aus Dänemark den Nahen Osten. Sie zeigte die zwölf Zeichnungen herum – zusammen mit weiteren Bildern (Mann mit Schweinekopf, Mohammed als Tierschänder), die gar nicht publiziert worden waren. Erst danach setzte eine andauernde Welle von heftigen Reaktionen ein: Boykotte dänischer Waren, Proteste islamischer Staatenkonferenzen, Massendemonstrationen mit Verbrennungen dänischer Flaggen, Botschaftszerstörungen, Zusammenstösse mit Toten. In Afrika und Europa – auch in der Schweiz – blieb es weitgehend bei friedlichen Protesten begrenzten Umfangs. Aber viele Muslime, auch religiös liberale oder indifferente, äusserten tiefes Unbehagen: Sie empfinden die Karikaturen als eine weitere Provokation westlicher Dominanz.

B. In der Schweiz setzte die «Weltwoche» in 2/06 mit dem Abdruck von drei der zwölf Karikaturen ein – ohne jedes Echo, wie Chefredaktor Jürg Wildberger später beteuerte. Einzelne Karikaturen als Belege druckten hernach zum Beispiel «Blick», «Le Temps», «24Heures», «Tribune de Genève», «La Liberté», und «NZZ am Sonntag» ab. Viele andere Medien lehnten Abbildungen in ihren Texten ab: So NZZ, «Tages-Anzeiger», Schweizer Fernsehen SF, und «Berner Zeitung». Zahlreiche Redaktionen meldeten sich mit Fragen beim Schweizer Presserat.

C. Am 10. Februar 2006 veröffentlichte das Präsidium des Presserats (Präsident, zwei Vizepräsidentinnen, Sekretär) eine erste Medienmitteilung und vertrat darin die Auffassung, medienethisch sei es zumindest erlaubt, Berichte über den Karikaturen-Streit angesichts der weltweiten Kontroverse mit Belegbeispielen zu illustrieren. «Es ist publizistisch unbefriedigend, einen solchen Streit zu beschreiben, ohne Beispiele zu zeigen.» In derselben Mitteilung kündigte das Präsidium eine Stellungnahme zum Grundsatzproblem an: Inwieweit bestehen Schranken der Medien- und Kunstfreiheit, weil auch bei Karikaturen auf die Empfindlichkeiten von Religionsgemeinschaften und ethnischen oder gesellschaftlichen Minderheiten Rücksicht zu nehmen ist?

Wie die unterschiedliche Berichterstattung der Schweizer Medien über den Karikaturenstreit – mit oder ohne Bildbelege – vermuten liess, stiess die Medienmitteilung des Presseratspräsidiums auf ein geteiltes Echo. So kommentierte der Zürcher «Tages-Anzeiger» in einem Leitartikel vom 11. / 12. Februar 2006 (nach kurzer Wiedergabe des Presserats-Communiqués:): «Dem ist entgegenzuhalten, dass mit dieser Begründung letztlich alles und jedes publiziert werden darf. Und das will der Presserat sicher nicht, das wollen wir Zeitungsmacher nicht, und das wollen auch die Zeitungsleser nicht.» Gleichentags schrieb die NZZ: «Natürlich geht es in diesem Konflikt auch um das (…) hohe Gut der Pressefreiheit. Aber muss man von diesem Recht immer und unbedingt Gebrauch machen, rücksichtslos und ohne Respekt für die religiösen Empfindlichkeiten von Mitbürgern?» Beide wiesen darauf hin, dass die angloamerikanischen Medien keine Bildbelege publiziert hatten.

Die «NZZ am Sonntag» hingegen sekundierte am selben Wochenende das Presseratspräsidium: «Abdrucken oder nicht?, lautete die Frage für die Medien (…). ‹Tertium non datur› – etwas Drittes gibt es nicht. Die ‹NZZ am Sonntag› hat sich (…) entschlossen, ein Beispiel der umstrittenen Zeichnungen zu zeigen. Sie tat dies aus der Überzeugung heraus, eine Zeitung habe alle relevanten Informationen zu vermitteln, die dem Leser ein eigenes Urteil ermöglichen sollen. (…) Die Satire ist ein legitimes Mittel der Meinungsbildung, und Meinungsbildung ohne Pressefreiheit gibt es nicht».

D. Der Schweizer Presserat äussert sich nicht nur auf Beschwerde hin, sondern auch von sich aus zu Fragen der Berufsethik (Geschäftsreglement, Art. 1). Auf Antrag des Presseratspräsidiums beschloss das Plenum mit Mehrheitsbeschluss per 17. Februar 2006, die Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen von sich aus aufzugreifen (Art. 6 Abs. 2 des Geschäftsreglements) und die 1. Kammer zum Entwurf einer Stellungnahme aufzufordern.

E. Die 1. Kammer, der Peter Studer (Kammerpräsident), Luisa Ghiringelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Katharina Lüthi, Edy Salmina und Francesca Snider (Mitglieder) angehören, beriet den Entwurf an ihrer Sitzung vom 17. Februar 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg.

F. Nach einer schriftlichen Vernehmlassung verabschiedete das Plenum des Presserates die Stellungnahme per 21. März 2006 auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Presserat beschränkt sich auf die Prüfung von Medienberichten, die in Schweizer Medien erschienen sind. Er hat es wiederholt abgelehnt, seine Zuständigkeit auf ausländische Medien auszudehnen (vgl. zuletzt die Stellungnahme 34/2005). Deshalb ist es nicht seine Aufgabe, die Veröffentlichung der Mohammed-Karrikaturen durch die dänische Zeitung «Jyllands-Posten» oder andere ausländische Veröffentlichungen zu bewerten.

2. Vorab untersucht der Presserat, ob es in der Schweiz zulässig ist, umstrittene Illustrationen wie die Mohammed-Karikaturen in Medienberichten zu zitieren. Hernach erwägt er unter Verweis auf seine bisherige Praxis zu Karikaturen grundsätzlich, wie weit berufsethische Schranken der Meinungsäusserungs- und Kunstfreiheit bestehen – und ob insbesondere auch bei Karikaturen auf die Empfindlichkeiten von Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen ist.

3. Die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ruft dazu auf, das Recht auf Information und Öffentlichkeit sowie den gesellschaftlichen Diskurs zu sichern (Präambel); sich vom Anspruch der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren (Ziffer 2) sowie die Freiheit des Kommentars und damit der Satire und Karikatur zu wahren (Ziffer 3). Ebenso sind aber Privatsphäre (Ziffer 7) und Menschenwürde zu respektieren sowie diskriminierende Anspielungen zu unterlassen (Ziffer 8), welche die ethnische Zughörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung betreffen.

4. Eine verantwortungsvolle Wahrnehmung der Freiheit der Medien kann bedeuten, Informationen selbst dann zu publizieren, wenn diese das Publikum oder Teile davon provozieren und schockieren. Der Presserat hält den Abdruck von Zitaten aus öffentlich zugänglichen amtlichen Quellen in Analogie zu Art. 27 Abs. 4 StGB (Straflosigkeit der wahrheitsgetreuen Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen) auch medienethisch grundsätzlich für zulässig – so in der Stellungnahme 35/2004. Vorbehalten bleibt die faire Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8.). Im Zusammenhang mit einem Bild von Demonstranten wies der Presserat darauf hin, man könne die jährliche Randale an den Frankfurter «Chaos-Tagen» als gesellschaftlic
hen Konflikt, als öffentliche Auseinandersetzung begreifen, für die ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung besteht (50/2001). Dies gehe dem Interesse eines Beteiligten vor, nicht erkennbar abgebildet zu werden. In der Stellungnahme 30/2000 forderte der Presserat bei der Veröffentlichung anonymer rassistischer Leserzuschriften aus dem «Online-Forum» der Zeitung «24 Heures» allerdings, nicht einfach die Texte in roher Form abzudrucken, sondern das Thema journalistisch zu analysieren und zu präsentieren.

Zusammenfassend lässt sich aus diesen Stellungnahmen zu Einzelaspekten ableiten, dass die Berichterstattung über öffentlich interessierende Ereignisse und deren bildliche Illustration in Form von Zitaten medienethisch grundsätzlich zulässig sind. Selbst dann, wenn einzelne Aussagen oder Informationen separat betrachtet oder in einem anderen Kontext publiziert allenfalls gegen Ziffer 7 oder 8 der «Erklärung» verstossen würden. Allerdings gilt dieses Zitatrecht nicht unbeschränkt; im Einzelfall ist eine Güterabwägung vorzunehmen, die Verhältnismässigkeit zu wahren. Wenn beispielsweise das Schweizer Fernsehen über Kinderpornos im Netz berichtet, pixelt es die Abbildungen. Bei besonders heiklen Aussagen / Bildern ist gegebenenfalls eine Distanzierung des berichtenden Mediums angebracht. Das Zitatrecht darf nicht als Vorwand genommen werden, um lügenhafte, ehrverletzende, rassistische oder diskriminierende Äusserungen undistanziert weiterzuverbreiten.

5. Beim Abdruck einzelner Belege von Mohammed-Karikaturen durch Schweizer Medien ist zu prüfen, ob dieser die rund 300 000 Muslime in der Schweiz – in Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» – religiös diskriminiert.

a) Die religiöse Minderheit der in der Schweiz lebenden Muslime gehört unbestrittenermassen zu den durch Ziffer 8 der «Erklärung» geschützten Personengruppen. Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot allerdings betont, dass nicht jeder Verweis auf die ethnische, nationale oder religöse Zugehörigkeit von Personen in der Medienberichterstattung bereits Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt. Denn das Verbot diskriminierender Anspielungen sollte nicht ausdehnend interpretiert werden (32/2001). Eine Bezugnahme auf solche Zugehörigkeiten ist nur diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist (37/2004). Dies gilt insbesondere dann, wenn solche Angaben bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können (Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» – Diskriminierungsverbot).

b) Aus Ziffer 8 der «Erklärung» ist dementsprechend ein Anspruch in der Schweiz lebender gläubiger Muslime abzuleiten, nicht in ihren Glaubensüberzeugungen verhöhnt oder lächerlich gemacht zu werden. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass damit Schweizer Medien berufsethisch von vornherein an ein insbesondere von fundamentalistischen Kreisen beschworenes aktuelles islamisches Gebot gehalten wären, den Propheten nicht abzubilden. Ebenso wie andere Religionen müssen sich auch der Islam, seine Glaubensgrundsätze und die Muslime in der Schweiz Karikaturen und erst recht Berichte über Karikaturen gefallen lassen (Stellungnahme 8/1996). Das ist ein Ergebnis der säkularen Entwicklung der westeuropäischen Kultur seit 1789, die dem Verfassungsdenken und dem Kodex der Medienethik zugrunde liegt. Anders mag es sich im islamischen Kulturkreis verhalten, wo «das Sakrale» die Bereiche von Scharia-Recht, Medien und Ethik durchdringt (so der Kulturhistoriker Dan Diner nach NZZ vom 14. Februar und der Ägyptologe Jan Assmann im «Tages-Anzeiger» vom 11. Februar 2006). Wer den Propheten verulke, beleidige die kulturelle Identität zahlreicher Muslime, präzisierte Assmann. Den Massstab für das in der Schweiz berufsethisch Zulässige liefern aber weder Einzelne noch Gruppen von orthodoxen Gläubigen, die allenfalls besonders tief verletzt sind. Vielmehr stellt der Presserat auf unbefangene Leser und Betrachterinnen aus dem Zielpublikum des Mediums und auf demokratische, aufgeschlossene Zeitgenossen ab.

c) Die Güterabwägung zwischen Informationsfreiheit und dem Respekt vor (religiösen und anderen) Minderheiten verlangt also medienethisch nicht zwingend den Verzicht auf den Abdruck von Karikaturen, welche zahlreiche Muslime verletzen könnten. Umgekehrt ist es auch möglich, medial nicht alles bis ins Letzte auszukosten, was Recht und Ethik allenfalls zulassen. Angesichts der Verstörung grösserer unter uns lebender Minderheiten wird die verantwortungsbewusste Redaktion einzelne Beispiele mit analysierenden Texten umgeben, wie das alle oben erwähnten Schweizer Zeitungen mit ihren Zitaten taten. Nicht alle der zwölf von «Jyllands Posten» veröffentlichten dänischen Karikaturen enthalten übrigens verletzendes Potential; eine wendet sich – ohne Mohammed abzubilden – sogar gegen die «Bande von Provokateuren» in der dänischen Redaktion. Die meisten Schweizer Redaktionen haben die von ihnen gewählte Form der Berichterstattung gegenüber der Leserschaft auch begründet. Daraus ergibt sich dann vielleicht der Dialog, nach dem die schweizerischen Muslime verständlicherweise rufen.

d) Im Ergebnis hält der Presserat folglich daran fest, dass der Abdruck von möglicherweise verletzenden Karikaturen zu religiösen Themen zulässig ist, um eine darüber laufende öffentliche Auseinandersetzung zu dokumentieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Medium beispielsweise in der Bildlegende darauf hinweist, welchem Zweck die Veröffentlichung der Karikatur dient; wenn der Abdruck in verhältnismässiger Weise erfolgt swie wenn er das Thema journalistisch analysiert und präsentiert. Selbstverständlich nötigt das nicht zum Umkehrschluss dass der Verzicht auf Bildzitate aus der dänischen Karikaturenreihe die Medienethik verletzen würde.

6. a) Nun zu den Grundsatzfragen: Wie weit schränkt Berufsethik die Meinungsäusserungs- und Kunstfreiheit ein; welche Rücksicht verlangt die Empfindlichkeit von Religionsgemeinschaften und Minderheiten? Das verlangt einen Blick auf die bisherige Praxis des Schweizer und ergänzend auf diejenige des deutschen Presserates.

b) Nach dem Tod eines übergewichtigen und – wie sich später herausstellte – herzkranken Infanterierekruten auf einem 20-Kilometer-Marsch karikierte die Satirezeitschrift «Nebelspalter» die militärgerichtliche Ahndung des Vorfalls. Das Titelblatt zeigte einen Soldaten mit Helm und Lendenschutz in Tarnfarbe, an ein Kreuz genagelt, darunter die Legende: «Die Schweizer Armee fordert Menschenopfer». Der Presserat äusserte sich zu dieser Publikation in der Stellungnahme 8/1996. Dies nachdem er zuvor eine schriftliche Umfrage zu den Grenzen der Satire bei Experten durchgeführt hatte. Danach ist kein Thema und keine Person aus berufsethischer Sicht von vornherein von der Satire als besonderer Form des Kommentars ausgenommen. Die satirische Einkleidung soll überspitzen und schmerzen dürfen – sonst braucht es sie als besondere Kommentarform nicht. Aber Satire muss für das Publikum erkennbar sein und zudem zurückstehen, wenn im Einzelfall durch satirische Beiträge betroffene Interessen schwerer wiegen. Religiöse Überzeugungen dürfen ebenso wie religiöse Symbole Gegenstand von Satire sein, sofern sie nicht verunglimpft oder lächerlich gemacht werden. Auch für die Satire in den Medien gilt schliesslich die berufsethische Wahrheitspflicht. Zumindest der Faktenkern muss stimmen, von dem die Satire ausgeht; sie ist kein Freipass für Lügen.

c) Diese Grundsätze hat der Presserat in mehreren Entscheiden bestätigt, so zuletzt auch in der Stellungnahme 17/2005, die von einer Karikatur des Karikaturisten Nico im «Tages-Anzeiger» ausging. Unter einem Plakat «Puure Zmorge SVP» drehte ein Koch mit Christoph Blochers Gesichtszügen den Grillspiess, an dem ein Mensch steckte. Legende: «Stimmt ü
berhaupt nicht, dass wir Ausländer nicht mögen, sie müssen nur gut gewürzt sein». Der Presserat lehnte eine Beschwerde wegen Verletzung der Menschenwürde ab. Der faktische, «wahre» Kern behaupte keinen Kannibalismus der SVP. Vielmehr solle der Widerspruch zwischen Bestreitung der Ausländerfeindlichkeit und restriktiver Ausländerpolitik bei der SVP karikiert werden.

d) In Bezug auf kommentierende und satirische Medienberichte zu religiösen Themen hat der Presserat in der Stellungnahme 2/2000 festgehalten, eine lebhafte Auseinandersetzung und scharfe Kritik an kirchlichen Organisationen sei auch in der Religionsberichterstattung Bestandteil der Kommentarfreiheit. Mit der Stellungnahme 19/2002 erachtete er es als zulässig, in einem satirischen Beitrag den Widerspruch zwischen kriegerischen Passagen der Bibel und dem seit den New Yorker Attentaten 2001 geführten Diskurs über Wurzeln des Jihad im Koran zu thematisieren. Bei der Satire zu religiösen Themen gilt es den vertretbaren Weg zu finden – zwischen einer Laxheit, die das Risiko der Veröffentlichung von Obszönitäten und Verunglimpfungen enthält, und einer lähmenden Rücksichtnahme gegenüber Gläubigen, die religiöse Satire faktisch verunmöglicht.

e) Die Beschwerdekammer 1 des deutschen Presserats hat am 1. März 2006 verschiedene Beschwerden gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in der Zeitung «Die Welt» abgelehnt. «Die bildlichen Darstellungen greifen das zeitgeschichtlich aktuelle Thema ‹religiös begründete Gewalt› mit den für Karikaturen typischen Mitteln auf. Dabei werden weder die Religionsgemeinschaft, noch ihr Stifter und ihre Mitglieder geschmäht oder allgemein herabgesetzt. Auch Religionsgemeinschaften und ihre Mitglieder müssen Kritik – auch scharfe – ertragen.»

Bereits vor diesem aktuellen Entscheid hat sich der deutsche Presserat mehrfach zu religiösen Karikaturen und zur Diskriminierung von Religionsgemeinschaften und Glaubensüberzeugungen geäussert. Gemäss Ziffer 10 des deutschen Pressekodex sind Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren. Nach Ziffer 12 darf niemand wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, religiösen oder sozialen Gruppe diskriminiert werden.

Im Entscheid B 192/01 sah der deutsche Presserat Ziffer 10 des Pressekodex durch eine bildliche Darstellung des Propheten Mohammed nicht verletzt. Die Zeichnung war einem Artikel beigefügt, mit dem eine Boulevardzeitung ihrer Leserschaft den Islam erklärte. Die Zeichnung des Propheten sei nicht zu beanstanden, da dadurch weder der Islam noch seine Gründer lächerlich gemacht würden. Hingegen beanstandete das Gremium in einem anderen Fall die Textpassage «Allah ist gross, Allah ist mächtig, er hat einen Arsch von drei Meter sechzig» (B 36/37/38/01). Schliesslich verurteilte das Gremium eine Karikatur mit der Unterzeile «Dankeschön auf schiitisch». Abgebildet war ein amerikanischer Soldat, der mit einer Säge die Fussfessel eines Schiiten durchtrennt, derweil dieser mit seiner Maschinenpistole auf den Amerikaner schoss (BK 23/04).

9. Welche medienethischen Schlüsse können aus den Beispielen der beiden Presseräte mit religiösen Karikaturen gezogen werden – im Vergleich zu den umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen? Zunächst einmal sind generelle Aussagen nur beschränkt möglich. Der Presserat hat in der Stellungnahme 5/2004 darauf hingewiesen, dass eine Umschreibung des Begriffs «öffentliches Interesse» für den Presserat wohl nur kontextbezogen Sinn macht: Dem Presserat fehlen unter anderem Erkenntnisse über die textliche Einbettung durch die dänische Redaktion. Dieses «Kontextgebot» gilt übrigens für alle bildlichen Aussagen (Stellungnahmen 1/1998 und 41/2000).

Dafür zwei Vergleichsbeispiele aus der aktuellen dänischen Reihe: Spielen einzelne Karikaturen mit einer Abbildung Mohammeds darauf an, dass sich gewisse terroristische Islam-Fraktionen wie Al-Qaida zu Unrecht auf den Propheten berufen, liegen sie wohl innerhalb der weit zu definierenden Freiheit von politischer Karikatur und Satire; denn der materielle Kern dieser Satire entspricht der Wahrheit, und es werden weder die Religion noch die Gesamtheit ihrer Angehörigen herabgesetzt. Suggeriert eine Karikatur hingegen die Gleichsetzung von Islam und islamistischem Terrorismus, ist sie diskriminierend. Das ist von Menschen zu beurteilen, die Karikaturen gegenüber aufgeschlossen sind. Wie bereits zum Zitatrecht dargelegt, können jedenfalls die von einer Religionspraxis ins Feld geführten Bildverbote nicht massgeblich sein.

Auch wenn damit im Ergebnis an der weitgehenden Liberalität der Satirepraxis mit ihrem Fundament in der Medien- und Kunstfreiheit nicht gerüttelt werden soll, ist aber bei der konkreten Umsetzung die Verantwortung der Medien einzufordern. «Pragmatische Toleranz heute» heisst, absolute islamische Bilderverbote der Neuzeit «weder zu verstehen noch zu billigen», aber «um des friedlichen Zusammenlebens willen» nicht grundlos und frivol mit ihnen zu experimentieren (Thomas Maissen, NZZ vom 6. Februar 2006).

III. Feststellungen

1. Der Abdruck von möglicherweise verletzenden Karikaturen zu religiösen Themen, die eine darüber laufende öffentliche Auseinandersetzung dokumentieren, ist jedenfalls dann zulässig, wenn er in verhältnismässiger Weise erfolgt und das Thema journalistisch analysiert und präsentiert.

2. Die Freiheit von Satire und Karikatur erstreckt sich auch auf religiöse Themen. Sie ist weder an religiöse Bildverbote gebunden, noch hat sie auf besondere Empfindlichkeiten von orthodoxen Gläubigen abzustellen. Ausgehend vom Empfinden von demokratischen, aufgeschlossenen Zeitgenossen hat sie sich unter Wahrung der Verhältnismässigkeit an die weitgezogenen Schranken von Wahrheit, Diskriminierungsverbot und Respektierung der Menschenwürde zu halten. Auch im Umgang mit Religionsgemeinschaften ist die Satirefreiheit verantwortlich zu handhaben.