Nr. 2/2006
Wahrheitspflicht / Diskriminierung

(X. c. «Beobachter») Stellungnahme des Presserates vom 20. Januar 2006

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe 14/2005 vom 7. Juli 2005 veröffentlichte der «Beobachter» einen Artikel von Elisabetta Antonelli mit dem Titel «In Teufels Küche». Der Untertitel lautete: «Die evangelikale Gruppe Y. weist klar sektenhafte Züge auf. Frühere Mitglieder brechen jetzt ihr Schweigen». Laut dem Artikel wird von Y. in «privatesten Angelegenheiten», so z.B. bei Unterbindung und unerfülltem Kinderwunsch, «grosser psychischer Druck» auf die Mitglieder ausgeübt. Einem ehemaligen Gruppenmitglied sei von Y. Nachwuchs prophezeit worden, obwohl der Ehemann unterbunden gewesen sei. «Man müsse nur glauben und beten.» Als sich eine erhoffte Schwangerschaft als Scheinschwangerschaft entpuppte, hätten die beiden von der Gruppe Schuldzuweisungen erhalten. Zudem habe Y. am Ehemann wiederholt einen «Befreiungsdienst» (Dämonenaustreibung) vollzogen. Ebenso machte ein weiteres im «Beobachter»-Artikel anonym zitiertes ehemaliges Mitglied geltend, von der «Y.-Leitung» mit Schuldvorwürfen überhäuft worden zu sein. Y. habe seine Ehe zerstört und nun werde er von der Gruppe angehalten, seine Geschichte nicht öffentlich zu machen. Schliesslich wird im Bericht die Beratungsstelle Infosekta zitiert, die Y. als Gruppe mit sektenhaften Zügen einschätze. X., ein «Leitungsmitglied von Y.», kommt im «Beobachter»-Artikel zu den einzelnen Vorwürfen zu Wort. X. widerspricht dem Vorwurf des Sektiererischen. Er bestreitet auch, dass die Gruppe Druck auf ihre Mitglieder ausübe oder ungerechtfertigte Schuldvorwürfe mache: «Bei uns herrscht so viel Freiheit, dass unsere Leute eher das Problem haben, sie auszufüllen. Wir sind sicher nicht sektiererisch.» Ebenso wenig könne es stimmen, dass die Gruppe Ehemaligen einen Maulkorb verpassen möchte. «X. sieht seine Gruppe als Opfer der persönlichen Rache eines Betroffenen. Er sagt, er wisse aus direkten Gesprächen mit Aussteigern von keinen, denen es wegen Y. schlecht gehen soll.» Ebenso verneint X. «aggressive exorzistische Dämonenaustreibungen». Y. helfe den Menschen lediglich, «sich auf ihren Wunsch von Zwängen zu lösen, wie zum Beispiel vom Rauchen».

B. Mit Beschwerde vom 20. Juli 2005 gelangte X., Emmenbrücke, an den Presserat. Er rügte, mit der Publikation des Artikels «In Teufels Küche» habe der «Beobachter» gegen die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 8 (Respektierung der Menschenwürde; Diskriminierung) verstossen. Der Bericht stütze sich auf einseitige Informationsquellen, obwohl er die Autorin und den Chefredaktor «in stundenlangen Telefongesprächen» vor der Publikation darauf hingewiesen habe, dass nicht richtig recherchiert worden sei. In einer Kommentierung des beanstandeten Artikels legt der Beschwerdeführer Punkt für Punkt dar, inwiefern dieser aus seiner Sicht Unwahrheiten verbreitet.

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.

D. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 20. Januar 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Presserates, in einem Medienbericht enthaltene, zwischen den Parteien umstrittene Faktenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (vgl. z.B. die Stellungnahme 21/2003). Der Presserat ist nicht in der Lage, ein umfangreiches Beweisverfahren zur Klärung komplexer Sachverhalte durchzuführen und kann dementsprechend nicht näher auf divergierende Darstellungen der Parteien eingehen. Vorliegend ist für den Presserat bereits aufgrund der vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen ersichtlich, dass hinsichtlich der vom «Beobachter» veröffentlichten Vorwürfe ehemaliger Mitglieder von Y. Aussage gegen Aussage steht. Dementsprechend ist die mit der Beschwerde geltend gemachte Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» nicht erstellt.

2. Gemäss konstanter Praxis des Presserates kann aus der «Erklärung» zudem keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig (vgl. hierzu z.B. die Stellungnahmen 32/2001, 50/2003, 1/2004). Dementsprechend ist es berufsethisch ohne weiteres zulässig, wenn der «Beobachter» einseitig den Parteistandpunkt zweier angeblicher «Opfer» von Y. einnimmt. Ebenso wenig kann aus der Verpflichtung zur Wahrheitssuche abgeleitet werden, dass deren Kritik vor der Publikation durch eine umfassende Recherche detailliert hätten abgeklärt werden müssen. Vorauszusetzen ist allerdings, dass bei derartigem «anwaltschaftlichem» Journalismus die Pflicht zur Anhörung Betroffener (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung») respektiert wird. Wie bereits aus dem beanstandeten Medienbericht und zusätzlich aus der vom Beschwerdeführer eingereichten E-Mail-Korrespondenz der Parteien hervorgeht, hat sich die Autorin mehrfach bemüht, die Stellungnahme von X. zur Kritik an Y. einzuholen und ihn im Bericht auch angemessen zu Wort kommen lassen. Die Anforderungen der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind damit offensichtlich erfüllt.

3. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung» rügt, ist mangels näherer Begründung darauf nicht einzutreten.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.