Nr. 49/2006
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 10. November 2006

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I. Sachverhalt

A. Am 18. August 2005 veröffentlichte die «Basler Zeitung» im Rahmen der Serie «Bewegte 80er-Jahre» unter dem Titel «‹Wir waren schon fast revolutionär›. Auch das Sommercasino bewegte sich 1980» ein Interview von Tim Eugster mit Y., der «in der bewegten AJZ-Zeit das Jugend- und Kulturzentrum Sommercasino» leitete. Im Interview führt Y. aus, sie hätten damals bis zu 25 verschiedene Gruppierungen im Haus gehabt. Neben Jugendtheater und Discos der verschiedenen Stilrichtungen «waren junge Marxisten und Greenpeace bei uns aktiv, aber auch die Gebrüder X., die später durch rechtsextreme Haltungen Schlagzeilen machten».

B. Am 23. Oktober 2005 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die «Basler Zeitung» an den Presserat. Im Gegensatz zu seinem Bruder, r früher Mitglied der Nationalen Aktion bzw. Schweizer Demokraten gewesen und dessen «politisch rechts anzusiedelnde Haltung» aus den Medien hinlänglich bekannt sei, habe er selber sich nie entsprechend betätigt. Nach der Veröffentlichung der Interviews durch die «Basler Zeitung» sei er mehrfach auf das Interview angesprochen und gefragt worden, ob er das so stehen lassen könne. Anfangs Oktober 2005 habe er wegen des Interviews gar ein Anwaltsmandat verloren. Daraufhin habe er Y. kontaktiert. Dieser bestätigte in einem Schreiben vom 13. Oktober 2005 schriftlich, «die im Interview wiedergegebene Aussage ‹aber auch die rechtsextremen Gebrüder X. waren bei uns aktiv›» sei falsch. In der Folge habe er versucht, eine einvernehmliche Lösung mit der «Basler Zeitung» zu suchen. Chefredaktor Ivo Bachmann habe sich allerdings unkritisch vor Tim Eugster gestellt und habe die Schuld dem Interviewten zugewiesen. Die beanstandete Passage des Interviews verletze die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Entstellung von Informationen), 4 (Irreführende Verfälschung eines Originals) sowie 7 (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

C. Am 7. Dezember 2005 wies Peter Schibli, Mitglied der Chefredaktion der «Basler Zeitung», die Beschwerde als unbegründet zurück. Tim Eugster habe das Interview Y. zur Autorisierung vorgelegt. Y. habe sich damit einverstanden erklärt und an mehreren Formulierungen Korrekturen vorgenommen. «Eugsters Formulierung ‹waren auch die rechtsextremen Gebrüder X. bei uns aktiv› änderte er in ‹waren auch die Gebrüder X., welche später durch die rechtsextremen Haltungen Schlagzeilen lieferten, bei uns aktiv›.» Der Beschwerdeführer werde im Interview nicht namentlich erwähnt. Gemäss seinen Angaben handle es sich um drei Brüder. Die «Basler Zeitung» habe sich zudem nicht uneinsichtig gezeigt, sondern sich beim Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 2005 für die Fehlinformation entschuldigt. Dieser habe es in einem Telefongespräch mit Chefredaktor Ivo Bachmann ausdrücklich abgelehnt, dass die «Basler Zeitung» den Sachverhalt in der Zeitung korrigiere, da dies kontraproduktiv sei.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 20. Dezember 2005 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus Peter Studer (Präsident) sowie Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher (Vizepräsidentinnen) behandelt.

F. Mit E-Mail vom 21. Dezember 2006 bestritt X., gegenüber Chefredaktor Ivo Bachmann die Veröffentlichung einer Berichtigung als kontraproduktiv bezeichnet zu haben. Er protestiere dagegen, dass dieser «seine seinerzeitige Aussage und Meinung mit einem Notizzettel nun einfach zu meiner zu machen versucht». Ebenso habe er das Original des Entschuldigungsschreibens vom 21. Oktober 2005 nie erhalten.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 10. November 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Sowohl die Einzelheiten der Entstehung der beanstandeten Textpassage «aber auch die Gebrüder X., die später durch rechtsextreme Haltungen Schlagzeilen machten», wie auch die nachfolgenden Diskussionen über eine Entschuldigung und Berichtigung durch die «Basler Zeitung» sind zwischen den Parteien umstritten und nicht eindeutig dokumentiert. Der Presserat hat wiederholt dargelegt (vgl. z.B. die Stellungnahme 2/2006), dass es nicht seine Aufgabe ist, Beweisverfahren zur Klärung umstrittener Parteibehauptungen durchzuführen. Entsprechend muss hier offen bleiben, ob die Aussage über die «rechtsextremen Gebrüder X.» von Y. beim Telefongespräch mit Tim Eugster effektiv so gemacht wurde. Unklar ist auch, ob sie der Journalist – wie dies Y. und der Beschwerdeführer geltend machen – erst bei der Niederschrift des Telefongesprächs hineininterpretierte. Ebenso für den Presserat nicht zu klären ist die Frage, ob der Beschwerdeführer – wie die «Basler Zeitung» behauptet – den Abdruck einer Berichtigung selbst ausdrücklich als kontraproduktiv abgelehnt hat.

2. a) Nicht bestritten ist hingegen, dass die Zuordnung einer rechtsextremen Haltung auf den Beschwerdeführer nicht zutrifft und die im Interview vom 18. August 2006 enthaltene Passage von den «Gebrüdern X., die später durch rechtsextreme Haltungen Schlagzeilen machten», deshalb objektiv falsch ist. Dementsprechend muss der Presserat prüfen, ob der «Basler Zeitung» berufsethisch ein Vorwurf aus dem Abdruck dieser Meldung zu machen ist.

b) Der Beschwerdeführer beanstandet, Tim Eugster habe eigene Fragen mit Aussagen seines Interviewpartners vermischt, die Antwort zu seiner Rückfrage über einen Bruder in unzulässiger Weise auf die Gebrüder X. verallgemeinert und damit die Aussagen von Y. verfälscht. Damit habe er die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Entstellung von Tatsachen), 4 (irreführende Verfälschung des Originals) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung» verletzt.

Aus den von den Parteien dem Presserat vorgelegten Kopien der E-Mail-Korrespondenz zwischen den Beteiligten geht zumindest hervor, dass Tim Eugster die Niederschrift des Telefongesprächs Y. mit folgender Formulierung zum Gegenlesen unterbreitete: «waren (…) aber auch die rechtsextremen Gebrüder X. bei uns aktiv». Y. änderte den Text wie folgt: «waren aber auch die Gebrüder X., welche später durch die extremen Haltungen Schlagzeilen lieferten, bei uns aktiv». Mit keinem Wort geht aus der Korrektur hervor, dass nur einer der Gebrüder X. später durch eine rechtsextreme Haltung aufgefallen ist. Unter diesen Umständen durfte Tim Eugster zum Zeitpunkt der Publikation in guten Treuen davon ausgehen, dass die von Y. korrigierte Formulierung der Wahrheit entsprach. Entsprechend sieht der Presserat hier keine Verletzung der berufsethischen Sorgfaltspflichten und verneint eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung». Ebenso unbegründet ist die Rüge der Verletzung von Ziffer 4 der «Erklärung» zumal sich die vom Beschwerdeführer herangezogene Teilnorm (irreführende Bearbeitung des Originals) von ihrem Wortlaut her ohnehin auf den Spezialfall der nicht transparent gemachten Bildbearbeitung bezieht («Sie bearbeiten nicht oder lassen nicht Bilder bearbeiten zum Zweck der irreführenden Verfälschung des Originals.»).

3. Aus den dem Presserat zur Verfügung stehenden Unterlagen geht weiter hervor, dass es die «Basler Zeitung» mit Schreiben vom 21. Oktober 2006 an X. bedauerte, falls ihm aus dem nicht zutreffenden Zitat «rechtsextreme Haltung» «Unannehmlichkeiten entstehen oder entstanden sein sollten. Wir sehen folglich auch keine Veranlassung, diese unpräzise Aussage in unserer Zeitung zu wiederholen.» Selbst wenn
– wie dies der Beschwerdeführer geltend macht – das Original dieses Schreibens aus welchen Gründen auch immer nie bei ihm angekommen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass diese Entschuldigung existiert und dass er jedenfalls via Presseratsverfahren davon Kenntnis erhielt. Da die Formulierung «rechtsextreme Haltung» damit in Bezug auf X. eingestandenermassen falsch war, wäre die «Basler Zeitung» aufgrund von Ziffer 5 der «Erklärung» an sich verpflichtet gewesen, diese Falschmeldung von sich aus zu berichtigen. Es würde jedoch dem der «Erklärung der Pflichten» zugrunde liegenden Fairnessprinzip widersprechen, die Berichtigung einer möglicherweise persönlichkeitsverletzenden Falschmeldung gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen abzudrucken. Wie angeführt kann der Presserat nicht klären, ob sich X. beim Telefongespräch mit Chefredaktor Ivo Bachmann tatsächlich gegen den Abdruck einer Berichtigung aussprach. Immerhin geht aus seiner E-Mail vom 21. Dezember 2005 aber hervor, dass im Gespräch mit Bachmann offenbar über eine eventuelle Berichtigung gesprochen wurde, wenn er darin protestiert, dass dieser «seine seinerzeitige Aussage und Meinung mit einem Notizzettel nun einfach zu meiner zu machen versucht». Unter diesen Umständen ist jedenfalls nicht erstellt, dass die «Basler Zeitung» die Veröffentlichung einer Richtigstellung ungerechtfertigt unterlassen hätte. Zudem erwähnt X. in seiner Beschwerde an den Presserat weder, dass er erfolglos eine Berichtigung verlangt hätte, noch rügt er ausdrücklich eine Verletzung von Ziffer 5 der «Erklärung».

III. Feststellung

Die Beschwerde wird abgewiesen.