Nr. 52/2006
Respektierung der Privatsphäre

(Rima c. «Facts» / «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 20. Oktober 2006

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I. Sachverhalt

A. Die Titelseite der «Schweizer Illustrierten» vom 13. März 2006 bildete den «Starkomiker Rima & seine Christina» ab. «Marco Rima, 44 und Christina, 32» seien «seit Juli 2005 verheiratet» und «Marco beweist mir täglich seine Liebe». Die Seite 11 der gleichen Ausgabe enthielt unter dem Titel «Bei ihr wird er ganz romantisch» ein «intimes Gespräch» über die glückliche Beziehung der beiden. Im Gespräch mit der Zeitschrift beteuern sie ihre grosse Liebe und vermitteln das Bild einer harmonischen Ehe.

B. Unter dem Titel «Herz-Schmerz mit der Prominenz» veröffentlichte «Facts» daraufhin am 20. April 2006 einen Artikel über «Ungereimtheiten» im Beziehungsleben von prominenten Männern. Der Lead des Berichts von Ruth Brüderlin lautete: «Schauspielerin Nicole Allmann findet nicht lustig, was Komiker Marco Rima mit ihr trieb: Er schwärmt öffentlich vom Liebesglück mit Gattin Christina, dabei gestand er Nicole seine Liebe. Ungereimtheiten wie sie bei Prominenten gang und gäbe sind.» Wie kann Rima behaupten, dass er seiner Frau jeden Tag seine Liebe beweise, während «er in dieser Zeit in meinem Bett lag und zu mir sagte, er liebe mich». Dies sei «unfair. Mir gegenüber, seiner Frau gegenüber und der Öffentlichkeit gegenüber.» Marco Rima verweigere «jeden Kommentar zu Allmanns Äusserungen – mit Verweis auf die Privatsphäre. «Facts» räsoniert dazu: «Doch was ist privat, für eine Person, die ihr Privatleben selbst öffentlich macht? Die sich als offizieller Teilnehmer selber ins mediale Spiel einbringt? Die Grenzen zwischen privat und öffentlich haben sich ohnehin massiv verschoben.»

C. Am 7. Mai 2006 publizierte die «SonntagsZeitung» im Rahmen der Serie «Design your Life», ein von Lukas Lessing verfasstes Porträt von Nicole Allmann mit dem Titel «Mir ist es wichtig, in meinem Leben ein räumliches Zentrum zu haben. Der Untertitel lautete: «Schauspielerin Nicole Allmann hatte eine Affäre mit Marco Rima und lebt trotzdem glücklich in Berlin.» Angesprochen wird die Liebesaffäre mit Marco Rima im letzten Abschnitt des Lauftexts («Marco Rima hatte sich in ihre dunklen Augen verguckt»). Passiert sei es «während den Dreharbeiten zum Film ‹Handyman›». Der Schauspieler «stand aber danach nicht zu seinen Liebesbekundungen, sondern präsentierte sich in den Medien als glücklicher Ehemann und frisch gebackener Familienvater. ‹Das verstand ich nicht›, sagt, Allmann, ‹aber noch weniger verstand ich, wie die Medien das nicht wahrhaben wollten. Offenbar möchte es kein Journalist mit ihm verscherzen, weil er ein Promi ist, den man regelmässig im Blatt haben will.›»

D. Die Geschichte über eine Affäre Rimas mit der Schauspielerin Nicole Allmann wurde im Frühjahr 2006 von weiteren Medien aufgenommen, so u.a. von «Persönlich», «Berner Zeitung», «Weltwoche», «Bunte» und «BZ Berlin».

E. Am 28. Juni 2006 gelangte der anwaltlich vertretene Marco Rima mit einer Beschwerde gegen «Facts» und «SonntagsZeitung» an den Presserat. Er rügte, die beiden Berichte vom 20. April und 7. Mai 2006 verletzten seine Privat- und Intimsphäre und würden damit gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) verstossen. An Berichten aus dem angeblichen Liebesleben von Schauspielern bestehe kein öffentliches Interesse. Wenn ein Künstler dann und wann den Medien Einblick in sein Privatleben gewähre – wie im Artikel der Schweizer Illustrierten – so sei das keine Einladung an die Medien, sich nach freiem Gutdünken an «Tisch und Bett» des Betroffenen zu gesellen.

F. In einer gemeinsamen Beschwerdeantwort wiesen die beiden vom Rechtsdienst der Tamedia vertretenen Redaktionen die Beschwerde als unbegründet zurück. Zwar seien aussereheliche Beziehungen eines Schauspielers in der Regel Privatsache und gehörten gegen dessen Wille nicht an die Öffentlichkeit. Wer jedoch wie der Beschwerdeführer sein privates Eheglück zu PR-Zwecken thematisiere und im Rahmen sogenannter Homestories sein Privat- und teilweise sogar sein Intimleben an die Öffentlichkeit trage, müsse sich gefallen lassen, dass auch andere über das Thema berichteten und «vielleicht zu anderen Schlüssen kommen».

G. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde zur Behandlung an die erste Kammer. Diese setzt sich aus Peter Studer (Kammerpräsident), Francesca Snider, Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Katharina Lüthi, Edy Salmina und Philip Kübler zusammen.

H. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 20. Oktober 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Ziffer 7 der «Erklärung» lautet: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.» Die Richtlinie 7.1 (Privatsphäre) zur «Erklärung» verdeutlicht hierzu, dass jede Person Anspruch auf den Schutz ihres Privatlebens hat. Journalistinnen und Journalisten dürfen im Privatbereich niemanden ohne Einwilligung aufnehmen. Den Gegenpol zur Privatsphäre bildet der öffentliche Raum (sog. Gemeinsphäre), wo es im Rahmen des öffentlichen Interesses erlaubt ist, über Auftritte von Personen – auch bildlich – zu berichten.

b) Die Richtlinie 7.3 (Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens) zur «Erklärung» bekräftigt ausdrücklich, dass auch Personen des öffentlichen Interesses ein Recht auf eine geschützte Privatsphäre haben. Im Gegensatz zu in der Öffentlichkeit unbekannten Personen ist bei Prominenten die Privatsphäre enger begrenzt. Sie können zudem nicht beanspruchen, dass über sie nur in einem genehmen Zusammenhang berichtet wird (Stellungnahme 20/1999).

c) Marco Rima ist aufgrund seiner Tätigkeit als Komiker und Schauspieler eine Person des öffentlichen Lebens. Die Berichterstattung über eine aussereheliche Beziehung berührt nicht nur die Privatsphäre, sondern auch die Intimsphäre der Betroffenen. Zur Intimsphäre einer Person werden in der Regel Fakten aus der inneren Gedanken- und Gefühlswelt sowie dem Sexualbereich gezählt, die in der Regel – wenn überhaupt – nur dem allerengsten Umfeld bekannt sind.

2. a) Berührt der Gegenstand einer Berichterstattung die Privat- oder gar die Intimsphäre einer Person, ist sie berufsethisch nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig. In Betracht fallen vorliegend zwei der in der Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» aufgeführten Ausnahmen: Die Einwilligung des Betroffenen oder ein Zusammenhang zwischen der der Privatsphäre zuzuordnenden Information und der Funktion der Person in der Öffentlichkeit.

b) Ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit am Liebesleben eines Schauspielers ist nach Ansicht des Presserates zu verneinen. Zumal der Begriff «öffentliches Interesse» nicht mit öffentlicher Neugier zu verwechseln ist. Auch wenn insbesondere die Regenbogenpresse zu einem guten Teil von den Klatsch- und Liebesgeschichten der Prominenz lebt, ist der Blick durch die Schlüssellöcher – so gross das Interesse der Leserschaft an derartigen Neuigkeiten auch sein mag – kein unentbehrlicher Bestandteil des demokratischen, gesellschaftlichen Diskurses. Daran ändert auch die quasi aufklärerische Stossrichtung («unfair der Öffentlichkeit gegenüber»; Aufdeckung von Widersprüchen bei Prominenten) nichts, die insbesondere dem Artikel von «Facts» anhaftet. Zwar ist nachvollziehbar, dass sich Nicole Allmann daran stösst, wenn gemäss ihrer Darstellung Marco Rima ihr einerseits seine Liebe gesteht, sie gleichzeitig aber in der «Schweizer Illustrierten» lesen muss, wie glücklich die Beziehung Rimas mit seiner Ehefrau sei. Aber selbst wenn Marco Rima mit der Darstellung seines «Eheglücks» die Öffentlichkeit getäuscht haben sollte – was der Presserat weder zu beurteilen hat noch beurteilen kann – wäre es deshal
b berufsethisch nicht zwangsläufig gerechtfertigt, diesen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdarstellung transparent zu machen.

c) In seiner bisherigen Praxis hat der Presserat erst in einem Fall einen Eingriff in die Intimsphäre einer Person des öffentlichen Lebens als ausnahmsweise gerechtfertigt erachtet. «24 Heures» berichtete damals über den Hintergrund des aus persönlichen Gründen motivierten, überraschenden Rücktritts einer Lokalpolitikerin aus dem Stadtparlament und aus ihrer Partei. Der Presserat kam damals zum Schluss, die Erhellung der Umstände dieses Rücktritts, wäre ohne den Eingriff in die Intimsphäre der Beteiligten nicht möglich gewesen (Stellungnahme 2/1993). Hingegen erachtete es der Presserat in einem anderen Fall (42/2000) für unzulässig, achtundzwanzig Jahre nach der Geburt des Kindes über eine erst ein Jahr vor Veröffentlichung des Medienberichts gerichtlich festgestellte aussereheliche Vaterschaft eines bekannten Schauspielers zu berichteten.

d) Ebenso wenig wie bei einer ausserehelichen Vaterschaft ist bei einer ausserehelichen Beziehung ein genügend enger Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit von Marco Rima ersichtlich. Dies gilt selbst dann, wenn er – wie dies die Beschwerdegegner geltend machen – die öffentliche Darstellung seines Ehelebens auch für die Vermarktung seiner Person und seiner Produktionen benutzt. Im Ergebnis fällt deshalb eine Rechtfertigung der Publikationen von «Facts» und «SonntagsZeitung» durch ein überwiegendes öffentliches Interesse ausser Betracht.

3. a) Ebenso wenig wie ein überwiegendes öffentliches Interesse lag für die angefochtene Berichterstattung eine ausdrückliche Einwilligung von Marco Rima vor. Eine solche lässt sich insbesondere nicht aus der Veröffentlichung der Homestory in der «Schweizer Illustrierten» ableiten. Zumal sich Marco Rima gegenüber «Facts» bei der Kontaktnahme vor der Publikation eine Veröffentlichung unter Hinweis auf seine Privatsphäre ausdrücklich verbat. Zu prüfen bleibt jedoch, ob der Beschwerdeführer aufgrund seines medialen Vorverhaltens – wie dies die Beschwerdegegner geltend machen – sein Recht dauerhaft verwirkt hat, sich in Bezug auf seine eheliche Beziehung und damit zusammenhängender Fakten auf die Respektierung seiner Privat- und Intimsphäre zu berufen.

b) Politiker und Prominente bestimmen durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit selber, ob und wie die Medien über ihr Privat- und Familienleben berichten dürfen, ob dieses vollständig tabu ist, oder ob sie es für die Medien innerhalb gewisser Grenzen zugänglich machen. Im Einzelfall führt dies zu einer Verschiebung der Grenzen zwischen Gemein- und Privatbereich. Ein gänzlicher Verzicht des Betroffenen auf den Schutz der Privat- und Intimsphäre oder von Teilbereichen lässt sich aus einem medialen Vorverhalten aber kaum je ableiten.

c) Die Beschwerdegegner machen sinngemäss geltend, die von Nicole Allmann behauptete aussereheliche Beziehung mit Marco Rima sei aufgrund der zuvor publizierten Homestory in der «Schweizer Illustrierten» der öffentlichen Sphäre zuzuordnen. Das dafür von den Beschwerdegegnern in ihrer Beschwerdeantwort vergleichsweise angeführte Beispiel «Wer die ‹Schweizer Illustrierte› zu einer grossen Homestory einlädt, der muss sich gefallen lassen, dass auch andere Medien sein Haus abbilden» (Studer/Mayr von Baldegg, Medienrecht, 2. A., S. 111) liegt nach Auffassung des Presserates allerdings anders als der konkrete Fall. Die Abbildung eines Hauses von aussen berührt die Privatsphäre lediglich am Rande, währenddem die Berichterstattung über die behauptete aussereheliche Beziehung in die Intimsphäre Rimas eingreift. Ebenso wenig lässt sich aus dem von «Facts» und «SonntagsZeitung» weiter angeführten Zitat des deutschen Medienrechtlers Christian Schertz («Die haben das Urteil nicht gelesen», in: «Die Zeit» vom 2. September 2004), eine derart weite Verschiebung der Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit ableiten. Zwar argumentiert Schertz, «das Eigenverhalten definiert auch den Rechtsschutz. Wer die Tür gerne aufmacht, hat auf Zeit das Recht verwirkt, sie nach Belieben wieder zu schliessen.» Er relativiert diese Aussage aber gleich wieder. Danach muss ein Politiker, der seine Frau für eine Wahlkampagne öffentlich einsetzt, damit rechnen, dass später auch über eine allfällige Trennung öffentlich berichtet wird. Das bedeute aber nicht, dass damit sein gesamtes Privatleben, z.B. seine Kinder, für die Berichterstattung frei wäre.

d) Für die nicht einfach vorzunehmende Abgrenzung zwischen zulässiger Kritik an der öffentlichen Selbstdarstellung von Marco Rima und einem unzulässigen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre ist daraus nach Auffassung des Presserates zu folgern: Wenn Marco Rima zusammen mit seiner Ehefrau bei einer Homestory in der «Schweizer Illustrierten» mitmacht und darin seine eheliche Beziehung thematisiert, muss er zwar hinnehmen, dass andere Medien diese Selbstdarstellung kritisch hinterfragen und insbesondere auch über eine allfällige Scheidung oder Trennung berichten. Unter Umständen müsste er sich auch kritische Fragen der Medien gefallen lassen, wenn er in öffentlich auffallender Weise in Begleitung einer anderen Frau gesichtet würde. Die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien rechtfertigt es aber nicht, über die Wiedergabe derart äusserlich wahrnehmbarer Vorgänge und deren kritische Kommentierung hinauszugehen. Insbesondere der Artikel von «Facts» («gestand Nicole seine Liebe»; «lag in meinem Bett und sagte er liebe mich») geht aber weit über die Wiedergabe von sich in der Gemeinsphäre abspielenden privaten Vorgängen hinaus. Aber auch die «SonntagsZeitung» überschreitet mit Begriffen wie «Affäre» und «Liebesbekundungen» die Grenze zur Intimsphäre.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Mit ihren Berichten vom 20. April 2006 respektive 7. Mai 2006 über die angebliche Affäre von Nicole Allmann mit dem Schauspieler und Komiker Marco Rima haben «Facts» und «SonntagsZeitung» Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) verletzt.

3. An der Berichterstattung über eine aussereheliche Beziehung eines Schauspielers und Komikers besteht mangels Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit kein überwiegendes öffentliches Interesse. Dies gilt selbst dann, wenn dieser mit der öffentlichen Darstellung seines Ehelebens auch seine Person und seine Produktionen vermarktet.

4. Personen des öffentlichen Lebens bestimmen durch ihr Verhalten selber, ob sie ihr Privat- und Familienleben für die Medien innerhalb gewisser Grenzen zugänglich machen. Auch wenn dies im Einzelfall zu einer Verschiebung der Grenze zwischen Gemein- und Privatbereich führen kann, ist daraus kaum je ein gänzlicher Verzicht auf den Schutz der Privat- und Intimsphäre abzuleiten.

5. Journalistinnen und Journalisten dürfen die öffentliche Selbstdarstellung von Prominenten kritisch hinterfragen und auf Widersprüche hinweisen. Sie dürfen dabei aber die durch das mediale Vorverhalten des Betroffenen gegebenenfalls erweiterte Gemeinsphäre nicht verlassen oder gar in die Intimsphäre eingreifen.