Nr. 13/2006
«Schwarzafrikaner» in Gerichtsbericht / Diskriminierung

(Cran c. «20 Minuten» / «Freiburger Nachrichten») Stellungnahme des Presserates vom 17. Februar 2006

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I. Sachverhalt

A. Am 21. Oktober 2005 druckten Berner Zeitungen eine Polizeimeldung ab, wonach in der ersten Monatshälfte 33 Drogenhändler verhaftet worden seien. Die Gratiszeitung «20 Minuten» präzisierte: «Unter den Verhafteten befinden sich 28 Schwarzafrikaner, zwei Schweizer, zwei Vietnamesen und ein Italiener.»

B. Am 3. November 2005 berichteten die «Freiburger Nachrichten» über einen Strafprozess. Vor den Schranken stand ein ungenannter ©30-jähriger Schwarzafrikaner», weil er Drogen konsumiert und gehandelt habe, aber auch «mehrmals mit einem 14-jährigen Mädchen ins Bett gestiegen» sei.

C. Am 7. November 2005 beschwerte sich die Vereinigung CRAN (Carrefour de réflexion et d’action contre le racisme anti-noir en Suisse) beim Presserat über die beiden Artikel von «20 Minuten» und «Freiburger Nachrichten». Es gehe nicht an, 28 der Verhafteten einfach unter dem Begriff «Schwarzafrikaner» zusammenzufassen, während andere mit ihrer Nationalität aufgeführt worden seien. Die Redaktion habe damit einfach auf Dunkelhäutige gezielt. Das verstosse gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» und gegen die dazugehörende Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot), die Angaben über ethnische Zugehörigkeit verbiete – es sei denn, sie wären für das Verständnis notwendig. Eine solche Assoziierung «dunkelhäutig = drogenhandelnd», von der Polizei und von gewissen Kreisen «quasi-systematisch» betrieben, sei geeignet, dunkelhäutige Afrikaner den schlimmsten Vorurteilen auszusetzen. Der Text der «Freiburger Nachrichten» zeuge davon, dass sich diese Verallgemeinerungspraxis verbreite. In beiden Fällen hätten sich die Journalisten nach der Nationalität erkundigen und diese wiedergeben können.

D. Der Chefredaktor der «Freiburger Nachrichten», Christoph Nussbaumer nahm am 16. Dezember 2005 Stellung zur Beschwerde. Sein Redaktor habe sich kurzfristig entschieden, dem Prozess beizuwohnen, weshalb er nicht im Besitz der Unterlagen mit den persönlichen Angaben über den Angeklagten gewesen sei. Allerdings habe das Gericht die Vita des Angeklagten noch besprochen. Der Autor habe sich die Diskriminierungsproblematik bei der Niederschrift des Berichts nicht überlegt. Tatsächlich trage die Hautfarbe des Angeklagten nichts zum Verständnis des Textes bei. Gedankenlosigkeit und nicht Rassismus sei hinter der Erwähnung der Hautfarbe gestanden. Aber die Beschwerde löse eine Bewusstseinsbildung auf der Redaktion aus. Man wolle der Verantwortung gerecht werden und unnötige Qualifizierungen künftig vermeiden.

E. Der Chefredaktor von «20 Minuten», Marco Boselli, antwortete am 3. Januar 2006, er wolle sich für diesen Begriff entschuldigen. Der diensttuende Redaktor habe im Stress offenbar nicht bemerkt. «dass es sich um einen problematischen, weil sich nur auf die Hautfarbe beziehenden Begriff» handle. Den Vorwurf des latenten Rassismus weise er jedoch zurück. Übrigens handle es sich beim Begriff «Schwarzafrika» um eine «nach wie vor gängige geografische Bezeichnung». Zum Beleg legte er dem Presserat einige Agenturmeldungen bei.

F. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer (Präsident), Luisa Ghiringelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Katharina Lüthi, Edy Salmina und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.

G. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 17. Februar 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Hautfarbe als Anknüpfungspunkt einer Diskriminierung ist in dieser Bestimmung ebenso wenig erwähnt wie in der zugehörigen Richtlinie 8.2. Trotz dem unvollständigen Wortlaut fällt auch die diskriminierende Herabsetzung einer Personengruppe aufgrund physischer Merkmale (z.B. der Hautfarbe) wie bei Art. 261bis des Strafgesetzbuches (Rassendiskriminierung) oder Ziffer 12 des Pressekodex des Deutschen Presserates offensichtlich ebenso unter diese Bestimmungen. Konkret wird dies von den Parteien des Beschwerdeverfahrens denn auch stillschweigend vorausgesetzt.

2. Gemäss der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist nicht jede Erwähnung der ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit – und vorliegend der Hautfarbe – von Personen in der Medienberichterstattung bereits als Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» zu werten. Denn nach Auffassung des Presserates darf das Verbot diskriminierender Anspielungen nicht im Sinne einer political correctness ausdehnend interpretiert werden (32/2001). Eine Bezugnahme auf die ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeit ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist (37/2004). Das Diskriminierungsverbot verbietet zudem nicht Kritik an Einzelpersonen, sondern soll sachlich ungerechtfertigte Verallgemeinerungen verhindern (49/2001). Dies gilt insbesondere dann, wenn solche Angaben bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können (Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» – Diskriminierungsverbot).

3. In seiner Stellungnahme 44/2000 hat der Presserat empfohlen, die Begriffe «Ex-Jugoslawien» und «Ex-Jugoslawen» zu vermeiden und stattdessen besser direkt die Länder oder Nationalitäten zu nennen. Die Stellungnahme 10/2001 forderte die Journalistinnen und Journalisten auf, so differenziert wie möglich über Kriminalität zu berichten und gerade auch in der Kriminalberichterstattung insbesondere auf Zuschreibungen zu verzichten, die eine Nation, Ethnie oder Religion diskriminieren. In einer weiteren Stellungnahme (23/2002) erachtete der Presserat die mehrfache Nennung der Nationalität eines Verbrechensopfers in einem Medienbericht nicht als diskriminierend, weil dies im konkreten Fall angesichts rassistischer Motive des Trägers sachlich begründet gewesen sei.

Die anspruchsvolle Aufgabe einer dem Informationsbedürfnis der Gesellschaft Rechnung tragenden Kriminalberichterstattung, die möglichst auch nur latent diskriminierende Verallgemeinerungen vermeidet, erfordert im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung bei der Wahl der Begriffe. Allerdings bildet auch die Nennung der Herkunft der Täter Teil der medialen Glaubwürdigkeit. Die richtig gestellte «Wer-Frage» gehört zum medienhandwerklichen Grundraster, solange sie fallbezogen ist, nicht willkürlich etwa auf bestimmte Ethnien begrenzt oder mit unnötigen «Schlenkern» garniert wird.

4. Grundlage der in «20 Minuten» am 21. Oktober 2005 erschienenen Meldung war die Festnahme von 33 Drogendealern durch die Stadtpolizei Bern. Die Nennung ihrer Herkunft auch in einer Kurzmeldung ist nach dem oben Ausgeführten berufsethisch zulässig. Bei insgesamt 33 Verhafteten ist es für den Presserat zudem nachvollziehbar, wenn «20 Minuten» neben den weiter erwähnten 2 Schweizern, zwei Vietnamesen und einem Italiener, die grösste Gruppe begrifflich zusammenfasste und nicht sämtliche Nationalitäten der Verhafteten Dealer afrikanischer Herkunft aufzählte. Für die Information der Leserschaft nicht notwendig war hingegen die Verwendung des auf die Hautfarbe der afrikanischen Dealer hindeutenden Begriffs «Schwarzafrikaner». Dieser mag in gewissen historischen und ethnografischen Texten seinen Sinn haben. Ebenso wäre es beispielsweise zulässig, die Hautfarbe der Betroffenen zu nennen, wenn ein Medium über entsprechend rassistisch motivierte Übergriffe berichtet. Beim Bericht von «20 Minuten» hätte jedoch die Zusammenfassung der 28 Dealer als «Afrikaner» de
m Informationsbedürfnis genügt.

5. Ebenso wenig begründet war die mehrfache Bezeichnung des Angeklagten als «Schwarzafrikaner» im Gerichtsbericht der «Freiburger Nachrichten» vom 2. November 2005. Solch unnötige Pauschalisierungen sind geeignet, Vorurteile zu fördern. In diesem Fall wäre zudem die Nennung der Nationalität des Betroffenen ohne weiteres möglich gewesen.

Im Ergebnis haben deshalb beide Berichte – wenn auch nicht in gravierender Weise – die Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. «20 Minuten» und die «Freiburger Nachrichten» haben in ihren Berichten vom 21. Oktober und 2. November 2005 durch die sachlich nicht gerechtfertigte Verwendung des Begriffs «Schwarzafrikaner» Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Die unnötige pauschalisierende Zusammenfassung von Verdächtigen und Angeschuldigten als «Schwarzafrikaner» in der Kriminalberichterstattung ist geeignet, Vorurteile gegen dunkelhäutige Menschen zu fördern und diese damit zumindest latent zu diskriminieren.