Nr. 44/2000
Diskriminierende Verwendung des Begriffs "Ex-Jugoslawien" Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 3. November 2000

I. Sachverhalt

A. Im Frühling 2000 machte R. Eggimann den Presserat darauf aufmerksam, dass die Schweizer Medien den Begriff „Ex-Jugoslawien“ und „Ex-Jugoslawen“ immer wieder auf diskriminierende Weise verwenden. Wenn von Personen aus dieser Region im positiven Sinne die Rede sei, würde die genaue Herkunft genannt (beispielsweise Bosnien, Kosovo). Stehe aber ein negativer Sachverhalt zur Diskussion – wie Drogenhandel, Lehrermord, Gefängnisstreik -, dann werde immer wieder der Begriff „Ex-Jugoslawen“ verwendet. Dies sei aber für viele, die aus Jugoslawien stammen, diskrimierend.

B. Das Präsidium des Presserat erkannte einen Klärungsbedarf und schlug dem Plenum vor, aus eigener Initiative eine Stellungnahme auszuarbeiten. Das Plenum stimmte diesem Vorschlag am 18. August 2000 zu.

C. Die Ausarbeitung der Stellungnahme wurde der 1. Kammer übertragen, der Roger Blum als Präsident und Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli, Silvana Ianetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina als Mitglieder angehören. Die Stellungnahme wurde durch die 1. Kammer an der Sitzung vom 3. November 2000 verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der 1918 aus den Königreichen Serbien und Montenegro sowie Teilen der ehemaligen österreichisch-ungarischen Donaumonarchie und des Osmanischen Reiches proklamierte Staat der Serben, Kroaten und Slowenen erhielt 1929 den Namen Jugoslawien. Und der von Josip Broz Tito aus dem Widerstand gegen die deutsche Besetzung formierte Nachfolgestaat nannte sich nach dem Zweiten Weltkrieg „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“. Er umfasste die sechs Republiken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Hercegowina, Serbien, Montenegro und Makedonien sowie innerhalb Serbiens die beiden autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo. „Jugoslawien“ stand für ein Land, in dem 10 Nationalitäten lebten, die zu mindestens fünf Sprachgruppen und drei Religionsgemeinschaften (Orthodoxe, Katholiken, Muslime) gehörten und zwei Schriften (Kyrillisch und Lateinisch) schrieben.

2. Dieser Staat begann zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu zerfallen. Begleitet von kriegerischen Auseinandersetzungen, erklärten sich nacheinander Slowenien, Kroatien, Bosnien-Hercegowina und Makedonien für unabhängig. Analog zum Begriff „Ex-Sowjetunion“ oder „ehemalige Sowjetunion“ bildete sich im europäischen Sprachgebrauch der Begriff „Ex-Jugoslawien“ heraus, der dazu dient, den Staat mit den von Tito geschaffenen Grenzen und seine Angehörigen zu bezeichnen.

3. Zur Sowjetunion besteht allerdings ein Unterschied: Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ging 1991 definitiv unter. Alle Russland einrahmenden Republiken – die baltischen (Estland, Lettland, Littauen), die osteuropäischen (Ukraine, Belorussland, Moldawien), die kaukasischen (Georgien, Armenien, Aserbeidschan) und die asiatischen (Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan) – machten sich selbständig. Und die ehemalige Russische Sozialistische Föderative Sowjerepublik lebt unter dem Namen „Russische Föderation“ fort. Den Namen Sowjetunion führt kein Land mehr. Anders in Jugoslawien: Dort existiert die „Bundesrepublik Jugoslawien“ weiter, bestehend aus Serbien, Montenegro und, als Teile Serbiens, Vojvodina und Kosovo (zumindest staatrechtlich). Jugoslawien gibt es daher immer noch.

4. Die Frage ist, wie das heutige Jugoslawien vom ehemaligen unterschieden werden kann und welcher Sammelbegriff verwendet werden soll, wenn Personen aus allen möglichen Teilen des früheren Jugoslawien gemeint sind. Die Problematik wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass sich viele Bewohnerinnen und Bewohner der Länder des ehemaligen Tito-Staates noch immer als Jugoslawen fühlen und dass gerade in der Schweiz viele Personen leben, die seinerzeit als Jugoslawinnen und Jugoslawen hier ankamen und immer noch einen jugoslawischen Pass besitzen. Man schätzt ihre Zahl auf 120’000. Folgende Lösungen sind empfehlenswert:

– Medienschaffende sollten dort, wo sie können, so präzis wie nur möglich sein und von Slowenien, Kroatien, Makedonien und von Serbinnen, Montenegrinern, Bosnierinnen sprechen. – Ist vom Staat die Rede, soll der Begriff „Bundesrepublik Jugoslawien“ oder einfach „Jugoslawien“ verwendet werden, wenn die von Kostunica regierte Föderation gemeint ist. – Ist der geographische Raum zwischen Triest und Saloniki gemeint oder sind Personen aus diesem Raum gemeinsam zu bezeichnen, so kann in Anlehnung an eine Regelung, die der „Tages-Anzeiger“ getroffen hat, vom „Gebiet des ehemaligen Jugoslawien“, dem „alten Jugoslawien“ oder von „Personen aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien“ gesprochen werden. – Ist hingegen historisch vom Staat Titos die Rede (z.B. die Situation von 1974), dann ist der Begriff „Jugoslawien“ korrekt (und sicher nicht „Ex“).

5. Die Bezeichnungen „Ex-Jugoslawien“ und „Ex-Jugoslawen“ hingegen – erst recht, wenn sie im negativen Zusammenhang verwendet werden – sind diskrimierend für die Bewohner der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien und für alle, die sich weiterhin als Jugoslawen fühlen. Der Begriff „Ex“ meint: „nicht mehr bestehend“. Das aus Serbien und Montenegro zusammengesetzte Jugoslawien besteht aber noch, und die Ausgewanderten, die sich weiterhin als Jugoslawen fühlen, möchten nicht als quasi „inexistent“ gelten. Die Ziffer 8 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ untersagt diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand haben. Die beiden Bezeichnungen sind daher zu vermeiden.

III. Feststellungen

1. Die Begriffe „Ex-Jugoslawien“ und „Ex-Jugoslawen“ sind diskriminierend und verstossen gegen Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“.

2. Medienschaffende sollen direkt die Länder oder Nationalitäten nennen und mit „Jugoslawien“ den heutigen sowie mit dem „Gebiet des ehemaligen Jugoslawien“ bzw. dem „alten Jugoslawien“ den Raum des früheren Staats bezeichnen.