Nr. 23/2000
Mangelnde Aktualität des Beschwerdegegenstandes

(Agnos Stiftung c. NZZ) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 31. August 2000

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I. Sachverhalt

A. Mit Schreiben vom 26. Juni 1997 sandte F. namens der A. Stiftung der Redaktion der NZZ einen Artikel mit dem Titel „Die Umverteilungslüge“ und bat um Abdruck im Wirtschaftsteil oder “notfalls in einer anderen Rubrik“. In seinem Artikel machte F. insbesondere geltend, dass entgegen der vielfach – auch von der NZZ – verbreiteten These einer Umverteilung von oben nach unten in Tat und Wahrheit eine solche von unten nach oben stattfinde. Diese Entwicklung schade der Schweiz letztlich volkswirtschaftlich und gefährde zudem den Rechtsstaat.

B. Mit Schreiben vom 1. Juli 1997 teilte Redaktor S. Herrn F. mit, dass der Abdruck des eingereichten Texts als Artikel in der NZZ nicht in Frage komme. Dagegen sehe er die Möglichkeit des Abdruck eines Leserbriefs. Voraussetzung dazu sei jedoch eine massive Kürzung des Textes auf einen Viertel oder maximal 2000 Anschläge. Das genüge aus seiner Sicht durchaus, um die zentrale These von F. darzustellen.

C. Mit Schreiben vom 11. Juli 1997 wiederholte F. seine Bitte um einen ungekürzten Abdruck seines Artikels. Allenfalls könnten einige mit ihm abzusprechende Retouchen vorgenommen werden. In einem Leserbrief müsste er Wichtiges weglassen. Zudem habe ein Leserbrief nicht dasselbe Gewicht wie ein von der Redaktion publizierter Beitrag.

D. In seinem Antwortschreiben vom 15. Juli 1997 hielt S. namens der NZZ an seiner im Schreiben vom 1. Juli 1997 vertretenen Position fest.

E. Mit Schreiben vom 23. Juli 1997 gelangte F. mit seinem Anliegen an NZZ-Chefredaktor B. und bat um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von ihm aufgeworfenen Fragen.

F. In seinem Antwortschreiben vom 18. September 1997 widersprach B. der von F. vertretenen Umverteilungsthese.

G. In einem erneuten Schreiben an B. kritisierte F. die Antwort vom 18. September 1997 als ausweichend. Zwar könne er nicht erwarten, dass der NZZ-Chefredaktor ohne weiteres seine Meinung übernehme. Was ihn aber überrasche und enttäusche sei, dass die NZZ über wichtige Fakten nicht informiere oder sie höchstens beiläufig publiziere.

H. Mit Schreiben vom 25. Juli 2000 gelangte F. namens der A. Stiftung an den Schweizer Presserat. Er sei durch eine Meldung der NZZ auf den Presserat aufmerksam geworden und würde gerne die Dienste dieser Institution in Anspruch nehmen, obwohl seine Beanstandung Ereignisse betreffe, die bereits einige Jahre zurückliegen. Neben dem Artikel „Die Umverteilungslüge“ seien auch zwei Leserbriefe mit den Titeln „Wer soll ‘den Gürtel enger schnallen’“ sowie „Schweizer Bankgeheimnis: eine heilige Kuh“ durch die NZZ weder publiziert noch beantwortet worden. Es scheine ihm wichtig, dass die NZZ-Leser endlich erfahren würden, dass die von vielen Seiten behauptete Umverteilung von oben nach unten nicht einmal nur eine Halbwahrheit, sondern – per Saldo aller „Umverteilungen“ – eine Lüge sei.

I. In seiner Eingangsbestätigung vom 28. Juli 2000 machte Presseratssekretär Martin Künzi den Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass der Presserat gemäss Art. 15 Abs. 5 seines Geschäftsreglements auf Beschwerden nicht eintritt, wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als ein Jahr zurückliegt.

K. Mit Schreiben vom 31. Juli 2000 entgegnete der Beschwerdeführer, es gehe bei seiner Beschwerde nicht um die Beanstandung eines Medienberichts, sondern um die Unterschlagung wesentlicher Informationen (Ziff. 3 der „Erklärung“). Der Grundtenor der NZZ laute nach wie vor, dass es volkswirtschaftlich schädliche Umverteilungen von oben nach unten gebe. Demgegenüber habe er in diesem Medium noch nie einen Hinweis auf die effektive Umverteilung von unten nach oben gefunden. Dieser nach wie vor aktuelle Sachverhalt sei dementsprechend keineswegs verjährt, auch wenn sein Leserbrief schon einige Zeit zurückliege.

L. Das Presseratspräsidium beschloss in Anwendung von Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglementes, auf die Beschwerde nicht einzutreten, da ihr der notwendige Aktualtitätsbezug fehlt, bzw. sie sich als offensichtlich unbegründet erweist.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 15 Abs. 5 des Geschäftsreglements tritt der Schweizer Presserat nicht auf Beschwerden ein, wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als ein Jahr zurückliegt. Der Beschwerdeführer macht hierzu zwar zu Recht geltend, dass seine Beanstandung nicht einen publizierten Artikel, sondern vielmehr den Nichtabdruck eines solchen betreffe. Dies ändert aber nichts daran, dass auch in diesem Fall grundsätzlich von der in Art. 15 Abs. 5 statuierten Jahresfrist auszugehen ist. Der Sinn und Zweck dieser Bestimmung besteht darin, das Tätigwerden des Presserates auf Fälle zu beschränken die – hinsichtlich der berufsethisch relevanten Fragen – wenigstens noch einen minimalen Aktualitätsbezug aufweisen. Ein solcher ist heute offensichtlich weder bezüglich der im Laufe des Jahres 1997 stattgefundenen Auseinandersetzung, ob der Artikel „Die Umverteilungslüge“ damals durch die NZZ hätte abgedruckt werden müssen, noch hinsichtlich der beiden Leserbriefe aus dem Jahr 1998 gegeben.

2. Der Beschwerdeführer macht demgegenüber einen Aktualitätsbezug hinsichtlich der von Ihm behaupteten Verletzung von Ziff. 3 der „Erklärung“ (Unterschlagung wesentlicher Informationselemente) geltend, in dem er ausführt, er habe in der NZZ noch nie einen Hinweis auf die von ihm vertretenen These einer effektiven Umverteilung von unten nach oben gefunden.

Abgesehen davon, dass diese Behauptung des Beschwerdeführers anhand der von ihm eingereichten Unterlagen durch den Presserat nicht verifiziert werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass gemäss der Praxis des Presserates aus Ziff. 3 der „Erklärung“ keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden kann, weshalb auch eine einseitige und parteiergreifende Medienberichterstattung zulässig ist (vgl. z.B. die Stellungnahme i.S. U. c. „Beobachter“ vom 26. Juni 1996, Sammlung 1996, S. 43ff.). Dementsprechend wäre eine Verletzung dieser berufsethischen Norm selbst dann zu verneinen, wenn sich der Vorwurf des Beschwerdeführers, die NZZ berichte einseitig, als zutreffend erweisen sollte. Dass Presseratsverfahren kann nicht dazu dienen, den politischen Meinungskampf stellvertretend auf der Ebene der journalistischen Berufsethik auszutragen. Dementsprechend erweist sich die Beschwerde in diesem Punkt als von vornherein offensichtlich unbegründet.

III. Feststellungen

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.