Nr. 41/2000
Wahrheitswidrige Illustration / Respektierung der Privatsphäre

(A. c. „Basler Zeitung“) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 2. November 2000

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I. Sachverhalt

A. In der „Basler Zeitung“ (nachfolgend BaZ) vom 19. Juni 2000 erschien unter dem Titel „Verlegt, verloren, verschlampt – das Trambillett“ ein Artikel, der über die Erfahrungen zweier Kontrolleure der Basler Verkehrsbetriebe (nachfolgend: BVB) berichtete. Die beiden Kontrolleure erzählen darin von ihren Erlebnissen – unter anderem auch von der zunehmenden Aggressivität. Der Text ist illustriert mit einem Bild, das im Vordergrund einen Fahrgast und einen Kontrolleur zeigt. Die dazugehörige Bildlegende lautet: „Kontrolle in den Trams und Bussen der BVB. Die Aggressivität gegenüber den Kontrolleuren hat zugenommen.“

B. Mit Schreiben vom 1. Juli 2000 gelangte A. (nachfolgend: der Beschwerdeführer) via seinen Anwalt an die BaZ und wies darauf hin, dass er auf dem am 19. Juni 2000 publizierten Bild ohne weiteres identifizierbar sei. Durch die Verknüpfung des Bildes mit der Bildlegende und dem Text sei bei der Leserschaft der Eindruck erweckt worden, er habe etwas mit den im Bericht geschilderten Aggressionen zu tun. In der Folge sei er von zahlreichen Bekannten und Verwandten auf den Bericht angesprochen worden. Er fühlte sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und verlangte deshalb, dass a) die Redaktion schriftlich bekenne, die Kontrollverfahren bei der Veröffentlichung von Bildern zu verbessern, und b) eine Genugtuung von 5‘000 Franken bezahle.

C. Nachdem sich die Parteien über die Erledigung des Falles nicht direkt einigen konnten, kamen sie schliesslich überein, den Fall dem Schweizer Presserat vorzulegen. Für die Dauer des Verfahrens vor dem Presserat verzichtete der Beschwerdeführer darauf, eine Klage bei einem Zivilgericht einzureichen. Am 25. August 2000 erfolgte die entsprechende Eingabe der BaZ an den Presserat.

D. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin sowie Esther Diener-Morscher, Judith Fasel, Sigmund Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören.

E. Mit Schreiben vom 7. September 2000 gab das Presseratssekretariat den Parteien Gelegenheit, sich innert Monatsfrist noch einmal zu äussern.

F. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2000 rügte der Beschwerdeführer, die BaZ habe die Ziffern 1, 7 und evtl. 8 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen“ verletzt. Durch den Abdruck des Bildes sei in Verbindung mit der Bildlegende der wahrheitswidrige Eindruck erweckt worden, es handle sich beim Beschwerdeführer um einen Randalierer. Das Bild sei ohne Einwilligung des Beschwerdeführers veröffentlicht worden. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Publikation sei zudem offensichtlich zu verneinen. Schliesslich sei zu prüfen, ob nicht die Menschenwürde des Beschwerdeführers dadurch verletzt worden sei, dass er leichtfertig mit Agressionsdurchbrüchen gegenüber BVB-Kontolleuren in Verbindung gebracht worden sei. Schliesslich beantragte der Beschwerdeführer, der Presserat möge über die Beurteilung des konkreten Falles hinaus allgemeine Empfehlungen für den Umgang mit textillustrierenden Bildern ausarbeiten, auf denen Personen abgebildet sind.

G. Seitens der „Basler Zeitung“ ging keine weitere Stellungnahme ein.

H. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 2. November 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Gemäss Ziff. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ sind die Medienschaffenden verpflichtet, sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Nach Ziff. 3 der „Erklärung“ dürfen keine wesentlichen Elemente von Informationen unterschlagen werden. Diese Pflichten sind auch bei der Verwendung textillustrierender Bilder und der dazu gehörigen Bildlegenden zu beachten. In der Richtlinie 3.4 zur „Erklärung“ ist ausdrücklich festgehalten, dass Bilder oder Filmsequenzen mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben (Symbolbilder), als solche erkennbar sein sollen. Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Bezug herstellen.

Zwischen einem Bild und der dazugehörigen Bildlegende besteht immer ein Verweisungs-Zusammenhang. Das Bild verdeutlicht den Text, der Text erläutert das Bild. Ist dies nicht der Fall – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – wird Interpretationen Tür und Tor geöffnet, die mit der Wahrheit einer Information nichts zu tun haben müssen.

Im konkreten Fall suggeriert das Bild, das den Beschwerdeführer im Vordergrund zeigt, wie er gerade von einem Beamten kontrolliert wird, zusammen mit der Bildlegende „Kontrolle in den Trams und Bussen der BVB. Die Aggressivität gegenüber den Kontrolleuren hat zugenommen“ einen inhaltlichen Zusammenhang, der so nicht besteht. Es kann deshalb nicht verwundern, dass der Beschwerdeführer nach der Publikation des Artikels von Bekannten gefragt wurde, ob er gegenüber BVB-Kontrolleuren gewalttätig geworden sei. Darstellung und Wahrheit klaffen hier auseinander. Dem unbefangenen Leser wird vorenthalten, dass das Bild nicht in der zu vermutenden Weise mit Bildlegende und Text zu tun hat. Im Ergebnis sind deshalb die Ziffern 1 und 3 der „Erklärung“ durch die „Basler Zeitung“ verletzt worden.

2. Ziff. 7 der „Erklärung“ auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Ebenso sind sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen. Laut der Richtlinie 7.1 zur „Erklärung“ dürfen Journalistinnen und Journalisten – vorbehältlich eines überwiegenden öffentlichen Interesses im Einzelfall – niemanden ohne Einwilligung fotografieren. Bei der Verwendung von Bildern zur Illustration von Medienbeiträgen ist dementsprechend immer darauf zu achten, dass der Persönlichkeitsschutz der darauf abgebildeten Personen gewahrt ist, sei es dadurch, dass sie unkenntlich gemacht werden, dass ihre Einwilligung eingeholt und/oder darauf hingewiesen wird, dass ein Bild gestellt ist.

Der Beschwerdeführer ist auf dem in der „Basler Zeitung“ publizierten Bild ohne weiteres zu identifizieren. Er steht – zusammen mit dem BVB-Kontrolleur – im Zentrum des Bildes, ist Hauptperson einer Geschichte, die durch das Bild und die Legende erzählt wird. Ein öffentliches Interesse an der Publikation dieses Bildes vom Beschwerdeführer – und schon gar nicht ein solches, das den Anspruch auf Schutz seiner Privatsphäre überwiegen würde – kann ernstlich nicht geltend gemacht werden. Ebensowenig ist die Einwilligung des Beschwerdeführers zum Abdruck des Bildes eingeholt worden. Durch den tatsachenwidrigen Zusammenhang zwischen Bild, Bildlegende und Text, wird darüber hinaus gegen den Beschwerdeführer eine sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung erhoben. Die „Basler Zeitung“ hat dementsprechend auch die Ziff. 7 der „Erklärung“ verletzt.

3. Nicht verletzt ist hingegen Ziffer 8 der „Erklärung“. Die dort angesprochene Pflicht auf Unterlassung von diskriminierenden Anspielungen bezieht sich in erster Linie auf Gruppenzugehörigkeiten (Ethnie, Religion, Geschlecht usw.) oder Behinderungen. Zudem scheint die Art und Weise der Darstellung des Beschwerdeführers nicht als derart erniedrigend, dass dadurch seine Menschenwürde verletzt worden wäre (vgl. die Stellungnahme 37/2000 vom 3. November 2000 i.S. Ogi c. „Zeitfragen).

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die Basler Zeitung hat die Ziffern 1 und 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ dadurch verletzt, dass sie nicht in genügender Weise darauf hin
gewiesen hat, dass das zur Illustration eines Artikels verwendete Bild keinen direkten Zusammenhang mit der Bildlegende und dem Text hat.

3. Da ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Publikation des Bildes, auf dem der Beschwerdeführer für das Publikum ohne weiteres erkennbar ist, offensichtlich zu verneinen ist, hat die „Basler Zeitung“ auch die Ziff. 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt. Durch den tatsachenwidrigen Zusammenhang zwischen Bild, Bildlegende und Text hat sie darüber hinaus auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung erhoben.