Nr. 29/2000
Kritische Berichterstattung / Vorwürfe von anonymen Informanten

(Centro Touristico Grossalp SA c. „Tages-Anzeiger“ / „Basler Zeitung“ / „Bund“) Stellungnahme des Presserates vom 30. August 2000

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I. Sachverhalt

A. Zwischen November 1999 und Januar 2000 brachten verschiedene Zeitungen Berichte, die die touristische Entwicklung des kleinen Dorfes Bosco/Gurin im hinteren Teil des Val Rovana (Seitenarm des Maggiatales) im Tessin zum Inhalt hatten. Die Artikel erschienen in der “Basler Zeitung” (Artikel vom 30. November 1999, Autorin Barbara Hofmann: “Bosco Gurin soll zum Wintersportort werden”), im “Tages-Anzeiger” (Artikel vom 13. Dezember 1999, Autor Antonio Cortesi: “Eine Metro als Lebensader fürs Walserdorf”) und im Berner “Bund” (Artikel vom 10. Januar 2000, Autorin Barbara Hofmann: “Touristisches Goldgräberfieber zuhinterst im Maggiatal”). Im Vordergrund aller Berichte standen die Pläne der Grossalp SA und deren Verwaltungsratsdelegierter Giovanni Frapolli, Bosco Gurin mittels einer unterirdischen Bahn mit dem Italienischen Val Formazza zu verbinden und zu einem Wintersportzentrum auszubauen. In den Artikeln wurden diese Pläne kritisch beleuchtet, die unterschiedlichen Ansichten bezüglich der touristischen Entwicklung des Dorfes dargestellt, und es wurde über den gestörten Dorffrieden berichtet.

B. Am 21. April 2000 gelangte Fulvio Sartori, Direktor der Grossalp SA und Gemeindepräsident von Bosco Gurin, namens der Grossalp SA an den Presserat. Die Beschwerde richtete sich gegen eine “Pressekampagne in der ‚Basler Zeitung‘, im ‚Bund‘ und im ‚Tages-Anzeiger’” “gegen das Projekt einer Talverbindung vom italienischen Valla Formazza nach zur Grossalp über Bosco Gurin”. Die Artikel in den drei Zeitungen würden verschweigen, dass Bosco Gurin ohne wirtschaftlichen Aufschwung nicht mehr lebensfähig sei und dass solche Dörfer nur durch eine Stärkung des Tourismus zu retten seien. Die Beschwerdeführerin sah darin einen Verstoss gegen Ziff. 3 der “Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten” (Unterschlagung von wichtigen Informationen). Weiter werde in den Artikeln die Privatsphäre der Initianten verletzt, da diese mit ungerechtfertigten Anschuldigungen eingedeckt würden. Der Grossalp SA werde unterstellt, auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Druck auszuüben, und die Artikel beleidigten Stimmbürgerschaft und Gemeinderat (Verstösse gegen Ziff. 7 der “Erklärung”; Unterlassung anonymer und sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen). Ferner seien den Lesern wichtige Tatsachen unterschlagen worden. Etwa, dass der Tourismus die einzige Möglichkeit sei, die Dorfkultur zu erhalten, und dass die Bewohner von Bosco Gurin nicht wollten, dass ihr Dorf aussterbe. Entsprechende Einwände eines Gemeinderatsmitgliedes seien nicht publiziert worden, was einem Verstoss gegen die Berichtigungspflicht (Ziff. 5 der “Erklärung”) entspreche.

C. Mit Schreiben vom 26. April 2000 verwies der “Tages-Anzeiger” gegenüber dem Presserat auf einen Brief an die Beschwerdeführerin vom 1. März 2000, der dieser als Entgegnung auf eine Zuschrift an den “Tages-Anzeiger” geschrieben worden war. Darin erklärte der “Tages-Anzeiger”, dass im kritisierten Artikel Befürworter wie Gegner der Tourismusprojekte zu Wort gekommen seien und dass Leserbriefe beider Seiten veröffentlicht worden seien.

D. Der “Bund” bestritt in seiner Stellungnahme zuhanden des Presserats vom 12. Mai 2000 insbesondere, dass die Privatsphäre der Initianten oder die Ehre der Stimmbürger verletzt worden sei. Man habe mit den Verantwortlichen der Gemeinde Bosco Gurin verschiedentlich Kontakt gehabt. Das Angebot, die Entgegnungen auf der Leserbriefseite zu publizieren, sei jedoch nicht benutzt worden.

E. In Ihrer Stellungnahme vom 6. Juni 2000 wies auch die “Basler Zeitung” die Beschwerde als unbegründet zurück. Die Journalistin Barbara Hofmann habe die an die journalistische Arbeit gestellten Anforderungen vollauf erfüllt. Die monierten anonymen Zitate stammten von ihr bekannten Informanten, die aus Angst vor Unfrieden im Dorf anonym bleiben wollten. Eine verlangte Gegendarstellung habe man nicht abgedruckt, weil zwischen der Publikation des Artikels und der Forderung des Abdrucks einer Gegendarstellung fast vier Monate vergangen seien, und weil die Reaktion der Grossalp SA einer eigentlichen Gegenoffensive gleichkomme. Angesichts des laufenden Verfahrens vor dem Presserat habe man auch auf die Veröffentlichung eines Leserbriefes verzichtet.

F. Das Präsidium des Presserates übertrug die Behandlung der Beschwerde der ersten Kammer. Diese setzt sich wie folgt zusammen: Roger Blum (Kammerpräsident), Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi sowie Edy Salmina. Die erste Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. August 2000.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführerin darum bittet, der “korrekten Berichterstattung zur Publikation zu verhelfen”, ist darauf hinzuweisen, dass dem Presserat keinerlei Sanktionsgewalt zukommen. Er kann sich in seinen Stellungnahmen lediglich zu grundlegenden berufsethischen Fragen und dazu äussern, ob im Einzelfall die berufsethischen Regeln verletzt worden sind. Dementsprechend fällt die Anordnung einer “korrekten Berichterstattung” von vornherein ausser Betracht.

2. Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde mehrfach die Unterschlagung von Informationen. Gemäss Ziff. 3 der “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” dürfen Journalistinnen und Journalisten keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen entstellen. Wie der Presserat verschiedentlich festgehalten hat, ist es ihm jedoch nicht möglich, im Einzelfall nachzurecherchieren, ob die in einem Beitrag erwähnten Fakten richtig und vollständig wiedergegeben wurden (vgl. zuletzt die Stellungnahme vom 30. August 2000 i.S. Aktion Dialog c. “Tages-Anzeiger). Die “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” statuiert ohnehin keine berufsethische Pflicht zu objektiver Berichterstattung, weshalb auch eine einseitige Auswahl der zu publizierenden Informationen nicht von vornherein gegen die Berufsethik verstösst (vgl. u.a. die Stellungnahme vom 26. Juni 1996 i.S. Up Trend AG c. “Beobachter”, Sammlung 1996, S. 43ff.). Die journalistische Berufsethik lässt den Journalistinnen und Journalisten einen grossen Freiraum bei der Auswahl und Gewichtung der zu veröffentlichenden Informationen (Stellungnahme i.S. A. c. “Blick” vom 11. Juni 1992, Sammlung 1992, S. 7ff.). Aus den Ziff. 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Vollständigkeit der Information) der “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” ist lediglich abzuleiten, dass Medienschaffende verpflichtet sind, die von ihnen als relevant erachteten Informationselemente korrekt und vollständig wiederzugeben.

Im vorliegenden Fall rügt die Beschwerdeführerin nicht in erster Linie eine materiell falsche Darstellung eines Sachverhaltes, sondern vielmehr die Weglassung verschiedener – aus ihrer Sicht wesentlicher – Argumente im Rahmen der Diskussion um den Sinn des Ausbaus der touristischen Infrastruktur in Bosco Gurin. Gerade bei kritischen Beiträgen liegt es in der Natur der Sache, dass sich die angegriffene Partei selten mit der Auswahl der vermittelten Informationen und deren Gewichtung zufrieden zeigt. Insoweit es in den beanstandeten Medienberichten zulässigerweise darum ging, die touristischen Ausbaupläne der Beschwerdeführerin kritisch darzustellen und insbesondere auch die Kritiker dieser Projekte zu Wort kommen zu lassen, ist es unter berufsethischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn in diesen Medienberichten nicht sämtliche Personen und Argumente erwähnt werden, die aus der Sicht der Beschwerdeführerin für das Projekt sprechen. Eine Verletzung von Ziff. 1 und 3 der “Erklärung” ist dementsprechend
zu verneinen.

3. Nach Ziff. 7 der “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” haben Journalistinnen und Journalisten die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen sind zu unterlassen.

Die Beschwerdeführerin sieht eine Verletzung dieser Bestimmung darin, dass die beanstandeten Berichte gegen Initianten der touristischen Ausbaupläne ungerechtfertigte Anschuldigungen erhöben, insbesondere dass dem Verwaltungsratsdelegierten der Beschwerdeführerin in allen drei Medienberichten zu Unrecht unterstellt werde, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Grossalp SA und auf die Gemeindebevölkerung wirtschaftlichen Druck auszuüben.

Allein mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen wird der Vorwurf der ungerechtfertigten Anschuldigungen nicht erhärtet. Der Presserat kann zudem auch diesbezüglich keine eigenen Recherchen zur Prüfung der Wahrheit bzw. Unwahrheit dieser Vorwürfe durchführen. Hingegen sind die beanstandeten Beiträge daraufhin zu prüfen, ob deren Autorinnen und Autoren bei der Recherche und der Veröffentlichung die massgebenden berufsethischen Regeln befolgt haben. Im Vordergrund stehen die Regeln der Quellenangabe (Ziff. 3 der “Erklärung”) bzw. die Pflicht zur Wahrung der Quellen vertraulicher Informationen (Ziff. 6 ) sowie die aus Ziff. 3 und 7 der “Erklärung” bzw. dem Fairnessprinzip abgeleitete Pflicht zur Anhörung von Betroffenen, gegen die schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden (“audiatur et altera pars”).

4. Die Angabe der Quelle für die oben erwähnte Anschuldigung, Personen unter Druck zu setzen, ist bei beiden Autoren ähnlich formuliert: Barbara Hofmann wählt in ihren Berichten die Wendung “ Im Dorf heisst es, Frapolli setze die Bevölkerung unter Druck” (“Bund”) und “Im Dorf heisst es, dass Giovanni Frapolli Druck mache, bis zu einer Art Erpressung” (“Basler Zeitung”). Antonio Cortesi wählt für eine ähnliche Aussage die Wendung: “Die Angst geht um. Denn Frapolli sagt es jedem, der es hören will: wer gegen ihn ist, wird seinen Job (…) verlieren”. Weder Hofmann noch Cortesi geben also für die Aussage eine namentliche Quelle an. Die “Basler Zeitung” geht in ihrer Stellungnahme als einzige auf die Frage der anonymen Anschuldigungen ein und führt aus, dass die Informanten “aus Angst vor Unfrieden im Dorf” anonym blieben wollten.

Der Presserat hat sich verschiedentlich mit der Veröffentlichung vertraulicher Informationen und der Anonymität von Quellen auseinandergesetzt . Er hat u.a. in der Stellungnahme i.S. Bertossa c. “FACTS” vom 6. Juni 1997 (Sammlung 1997, S. 54ff.) festgehalten, dass Journalistinnen und Journalisten, die die Quelle einer vertraulichen Information verschweigen, damit noch keine unzulässigen anonymen Anschuldigungen veröffentlichen. Im Gegenteil sind sie gemäss Ziff. 6 der “Erklärung” verpflichtet, das Berufsgeheimnis zu wahren und die Quellen vertraulicher Informationen nicht preiszugeben. Zwar trägt gerade auch eine möglichst genaue Angabe der Quellen zur Glaubwürdigkeit des Medienbeitrages bei. Eine Abweichung von diesem Prinzip ist allerdings dort angebracht, wo Informationen von öffentlichem Interesse gerade nur durch die Zusicherung der Anonymität publiziert werden können. Ein solcher Quellen- und Informantenschutz erleichtert den Informationsfluss, wovon letztlich die Öffentlichkeit profitiert. Da die Zusicherung der Anonymität der Quelle jedoch unter Umständen die Möglichkeit bietet, Medienschaffende zu manipulieren, sind diese bei der Überprüfung von vertraulichen Quellen zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Dies gilt insbesondere, wenn von diesen vertraulichen Quellen Anschuldigungen gegenüber Drittpersonen geäussert werden. Diesfalls sind die Betroffenen vor der Publikation mit den Vorwürfen zu konfrontieren und ist deren Standpunkt im Medienbericht zumindest kurz wiederzugeben (zur Anhörungspflicht vgl. zuletzt die Stellungnahme 17/2000 i.S. von Daeniken c. “Weltwoche” vom 24. Mai 2000 mit weiteren Hinweisen).

In Bezug auf den konkreten Fall ist aus diesen Grundsätzen abzuleiten, dass die Wiedergabe der Vorwürfe der Informanten ohne Quellenangabe unter berufsethischen Gesichtspunkten zulässig war, weil es ohne Wiedergabe dieser kritischen Stimmen kaum möglich erschiene, glaubhaft darüber zu berichten, dass die touristischen Ausbaupläne in Bosco Gurin offenbar von einem Teil der Bevölkerung kritisch hinterfragt werden.

5. Bei der Beurteilung der Frage der Anhörung der Betroffenen müssen die Artikel von Cortesi und Hofmann gesondert betrachtet werden.

a) “Tages-Anzeiger”-Korrespondent Cortesi konfrontierte den Verwaltungsratsdelegierten der Beschwerdeführerin mit den Vorwürfen aus dem Dorf und stellte seine Entgegnungen auch in angemessener Weise dar, indem er ihn direkt zitiert auf die Vorwürfe reagieren liess. Dementsprechend ist der Bericht des “Tages-Anzeigers” unter berufsethischen Gesichtspunkten in keinerlei Hinsicht zu beanstanden.

b) Anders verhält es sich bei den beiden Artikeln von Barbara Hofmann in der “Basler Zeitung” und im “Bund”. Aus diesen Berichten wird nicht ersichtlich, wie der Verwaltungsratsdelegierte der Beschwerdeführerin zum schwer wiegenden Vorwurf des wirtschaftlichen Druckversuchs Stellung nimmt. Im “Bund”-Artikel kommt er nicht direkt zu Wort, in der “Basler Zeitung” wird lediglich eine Aussage wiedergegeben, die er gegenüber dem Radio der italienischen Schweiz machte, wonach das neue Skiparadies nur mit den Kunden aus Italien rentieren könnte. In den beiden Artikeln wurde somit gegen das Fairnessprinzip und gegen den Grundsatz des “audiatur et altera pars” verstossen.

6. Laut der Beschwerdeführerin hat schliesslich ein Gemeinderatsmitglied von Bosco Gurin Entgegnungen verfasst, die “von keiner der betroffenen Redaktionen veröffentlicht worden seien, auch von den Chefredaktoren unbeantwortet geblieben seien und “die selbst auf Abmahnung hin nicht als Berichtigungen im Sinne einer objektiven Darstellung aller Sachverhalte publiziert wurden. Abgesehen von einer fadenscheinigen Begründung eines direkt involvierten Redaktionsleiters haben sich alle Zeitungen vor einer klärenden Antwort gedrückt”. Die Beschwerdeführerin sieht in diesem Verhalten der Redaktionen eine Verletzung von Ziff. 5 der “Erklärung” (“Sie berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist”). Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wäre zudem zu berichtigen gewesen, dass die überwiegende Mehrheit der Einwohner von Bosco Gurin entgegen dem Eindruck der Berichte der Beschwerdegegner nicht wollten, dass ihr schönes Dorf aussterbe (und dementsprechend die Ausbaupläne der Beschwerdeführerin unterstützten).

Was genau Inhalt der erwähnten Entgegnungen war, geht weder aus der Beschwerdeschrift noch aus den von der Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen hervor. Angesichts der mangelnden Substanttiierung der Beschwerde in diesem Punkt, kann sich der Presserat dazu nicht äussern und tritt dementsprechend nicht darauf ein. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang weiter das Verhalten der Beschwerdegegner rügt, die sich im Zusammenhang mit den verlangten Entgegnungen mit einer Ausnahme von einer klärenden Antwort gedrückt hätten, stehen diesem Vorwurf die Ausführungen der Beschwerdegegner diametral entgegen. Der “Tages-Anzeiger” hat die Ablehnung des Abdrucks eines Leserbriefs der Beschwerdeführerin mit einem Schreiben vom 1. März 2000 schriftlich begründet. “Der Bund” machte in seiner Stellungnahme vom 12. Mai 2000 geltend, nach der Publikation des Artikels am 10. Januar 2000 mehrmals Kontakt mit Vertretern der Gemeinde Bosco Gurin und der Beschwerdeführerin gehabt zu haben. Eine vom “Bund” unterbreitete Offerte, auf der Leserbriefseite eine Entgegnung zu publizieren, sei n
icht benutzt worden. Schliesslich machte die “Basler Zeitung” in ihrer Stellungnahme vom 6. Juni 2000 geltend, sie habe die Publikation einer erst vier Monate nach Erscheinen des Artikels verlangten Gegendarstellung abgelehnt. Auf die am 26. April 2000 telefonisch angebotene Möglichkeit, einen Teil der Gegendarstellung in Form eines Leserbriefes zu veröffentlichen, habe die “Basler Zeitung” angesichts des am 21. April 2000 eingeleiteten Presseratsverfahrens verzichtet. Da die Medien gemäss der ständigen Praxis des Presserates nach eigenem pflichtgemäss auzuübenden Ermessen über den Abdruck von Leserbriefen frei entscheiden können (vgl. zuletzt die Stellungnahme 16/2000 vom 16. Mai 2000 i.S. Oui à la vie Fribourg c. “La Liberté”), kann bezüglich des Nichtabdrucks der erwähnten Entgegnungen als Leserbriefe von einer Verletzung der berufsethischen Pflichten von vornherein keine Rede sein.

Die Berufung auf die berufsethische Berichtigungspflicht geht schliesslich auch im Zusammenhang mit der Rüge fehl, wonach die Beschwerdegegner zu Unrecht unterschlagen hätten, dass die überwiegende Mehrheit der Einwohner von Bosco Gurin nicht wolle, dass ihr Dorf aussterbe oder dass solche Orte nur noch durch eine Stärkung des Tourismus zu retten seien. Materiell wird damit nicht eine Falschinformation, sondern vielmehr eine Unterschlagung wesentlicher Informationselemente gerügt. Auf diese Rüge wurde bereits unter Ziff. 2 der Erwägungen eingegangen, weshalb darauf nicht noch einmal separat einzutreten ist.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen den “Tages-Anzeiger” wird abgewiesen.

2. Die Beschwerden gegen den “Bund” und die “Basler Zeitung” werden insoweit teilweise gutgeheissen, als aus den von ihnen veröffentlichten Medienberichten nicht hervorgeht, wie der von schweren Vorwürfen betroffene Verwaltungsratsdelegierte der Beschwerdeführerin zu diesen Vorwürfen Stellung nimmt. Darüber hinausgehend werden die Beschwerden gegen den “Bund” und die “Basler Zeitung” abgewiesen.

3. Die “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten” lässt den Journalistinnen und Journalisten einen grossen Freiraum bei der Auswahl und Gewichtung der zu veröffentlichenden Informationen, weshalb auch eine einseitige Berichterstattung nicht von vornherein unzulässig ist. Aus den Ziff. 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Vollständigkeit der Information) der “Erklärung” ist lediglich abzuleiten, dass Medienschaffende verpflichtet sind, die von ihnen als relevant erachteten Informationselemente korrekt und vollständig wiederzugeben.

4. Die Veröffentlichung der von anonym bleibenden Informanten erhobenen Vorwürfe ist ohne Quellenangabe dann zulässig, wenn es ohne Wiedergabe dieser kritischen Stimmen kaum möglich wäre, glaubhaft darüber zu berichten, dass öffentliche oder private Vorhaben von einem Teil der Bevölkerung kritisch hinterfragt werden. Die von den schweren Vorwürfen der anonymen Informanten Betroffenen sind in jedem Fall vor der Publikation des Medienberichts anzuhören, und ihre Stellungnahme ist im Medienbericht mindestens kurz wiederzugeben.