Nr. 3/2000
Nichtabdruck von Leserbriefen

(S. / Schweizer Demokraten Thurgau c. „Bodensee-Tagblatt“ / „Regional-Zeitung“ / „Tagesspiegel“-Zeitungen / „Thurgauer Zeitung“)Stellungnahme des Presseratesvom 31. Januar 2000

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe der „Tagesspiegel“-Zeitungen vom 19. Oktober 1999 wurde unter dem Titel „Ehrliche Schweizer Demokraten“ ein Leserbrief von L. abgedruckt, der u.a. folgende Kritik am Wahlprospekt der Schweizer Demokraten enthielt: „(…) Da werden Zahlen manipuliert und auch vor offensichtlichen Lügen wird nicht zurückgeschreckt. Sich selber beweihräuchert man mit Lobhudelei, die anderen werden verteufelt. Für wie dumm halten diese Parteistrategen eigentlich Wähler und Wählerinnen? Glauben Sie, mit einer so verunglimpfenden Polit-Propaganda eine Ernte einfahren zu können? Das ist doch psychopathische Tieffliegerei und eine Bruchlandung ist vorprogrammiert. Und punkto Glaubwürdigkeit: Es passt auch schlecht zur Fremdenfeindlichkeit dieser Partei, wenn ihr Präsident mit einer Frau aus Fernost verheiratet ist. (…)“.

B. Gleichentags richtete S., Präsident der Schweizer Demokraten Thurgau, eine „Dringende Erwiderung“ auf den Leserbrief von L. an die „Tagesspiegel“-Zeitungen und machte darin geltend, dass das Volk die von den Oppositionsparteien eingebrachte „andere Sicht der Dinge“ brauche. „Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Schweizer Demokraten an den Mächtigen vieles zu bemängeln haben.“ Und hinsichtlich des Hinweises von L. auf seine Ehefrau merkte S. an: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Partnerwahl. Das aber hat ganz und gar nichts zu tun mit einem politischen Einsatz gegen die Verschacherung eines ganzen Landes, gegen Masseneinwanderung von über 180 Kulturen, Religionen und Völkern. Eine Partnerwahl hat auch ganz sicher nichts zu tun mit Asylleerlauf und Missbräuche unserer Institutionen.“

C. Am 21. Oktober 1999 wurde in „Bodensee-Tagblatt“, „Regional-Zeitung“, in den „Tagesspiegel“-Zeitungen und „Thurgauer Zeitung“ eine Entgegnung des Thurgauer Bauernverbandes und des Verbandes der Thurgauer Milchproduzenten auf Inserate der Schweizer Demokraten Thurgau als Leserbrief abdruckt. Darin wurde u.a. ausgeführt: „Wiederholt haben die Schweizer Demokraten im Wahlkampf – zuletzt in Inseraten – den Bauernverband und namentlich Hansjörg Walter angegriffen. Es scheint dass das Programm dieser Parteien nicht aus Inhalten sondern aus dem Schlechtmachen anderer Parteien und Personen, aus Angstmacherei und dem Operieren mit Halbwahrheiten besteht. (…) Obwohl die in der Schweiz für die Landwirtschaft eingesetzten Mittel absolut verhältnismässig sind und deren Anteil an den Bundesausgaben in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist, verlangen die Rechtsaussenparteien Sparmassnahmen in der Landwirtschaft (…) Das sind perfide Rückenschüsse für die Bauernfamilien und nicht die Arbeit der Bauern- und Milchverbände. (…)“.

D. Gleichentags reichte S. namens der Schweizer Demokraten Thurgau bei den genannten Zeitungen eine Redaktion auf den Leserbrief das Bauern- und der Milchproduzentenverbandes mit dem Titel „Totengräber des Bauernstandes“ ein, in dem er daran festhielt, dass der Bauernverband wegen seiner zustimmenden Haltung zu den bilateralen Verträgen zum Totengräber der Familienbetriebe werde. Weiter wies er darauf hin, dass die Schweizer Demokraten Sparmassnahmen auf dem Buckel der Landwirtschaft oder der Familienbetriebe weder vorgeschlagen noch befürwortet habe.

E. Am 2. November 1999 reichte S., Präsident der Schweizer Demokraten Thurgau, beim Presserat insgesamt fünf Beschwerden – teils im Namen der Schweizer Demokraten Thurgau, teils in eigenem Namen – ein. Vier der fünf Beschwerden richteten sich gegen den Nichtabdruck seiner Reaktion auf den Leserbrief des Thurgauer Bauernverbandes und des Verbandes der Thurgauer Milchproduzenten durch das „Bodensee-Tagblatt“, die „Regional-Zeitung, die „Tagesspiegel“-Zeitungen und die „Thurgauer Zeitung“. Die fünfte Beschwerde richtete sich gegen den Nichtabdruck seiner Erwiderung auf den Leserbrief von L.

F. „Regional-Zeitung“, „Thurgauer Zeitung“ , das „Bodensee Tagblatt“ und die „Tagesspiegel“-Zeitungen wiesen in ihren Stellungnahmen vom 19. November, 9. Dezember 1999 und 5. Januar 2000 vorab auf die in diesen Zeitungen je mehrmals publizierten Regeln zum Abdruck von Leserbriefen während des Wahlkampfes hin. Danach sei ein Abdruck der Reaktion von S. aus den Leserbrief des Bauern- und Milchproduzentenverbandes allein schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr vor den Wahlen möglich gewesen. Inhaltlich wiesen die drei letztgenannten Zeitungen darauf hin, dass S. und die Schweizer Demokraten durch diesen Leserbrief nicht in einer Art und Weise betroffen gewesen seien, dass ein Abdruck der Reaktion von S. nach Ablauf der Frist von Stellungnahmen und Leserbriefen zum Thema Wahlen unabdingbar gewesen wäre. Der Beschwerdeführer sei in den betroffenen Zeitungen während des Wahlkampfes ausführlich zu Wort gekommen.

Ebenfalls bereits aus zeitlichen Gründen war laut „Tagesspiegel“-Zeitungen auch der Abdruck der Entgegnung auf den Leserbrief von L. vor den Wahlen nicht mehr möglich. Inhaltlich hielt „Tagesspiegel“ -Chefredaktor T. die Anspielung auf die Herkunft der Ehefrau von S. im Leserbrief L. zwar nicht für guten Stil, jedoch nicht für persönlichkeitsverletzend. Wer hart austeile, müsse auch einstecken können. G. Mit Schreiben vom 7. Januar 2000 machte der Beschwerdeführer geltend, seit der Einreichung der Beschwerden vom 2. November 1999 druckten „Thurgauer Zeitung“, „Tagesspiegel“-Zeitungen und andere keinerlei Stellungnahmen und Medienmitteilungen von den Schweizer Demokraten Thurgau und deren Exponenten mehr ab. Dabei arbeiteten die Schweizer Demokraten zur Zeit an einem wichtigen Referendum, aber auch Bezirks- und Kantonsratswahlen stünden bevor. Er frage sich, welchen Sinn eine Einrichtung wie der Presserat habe, wenn die Beschwerdeführer eingeschüchtert, zensiert und benachteiligt würden, die es wagten, diese Institution anzurufen.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt den Nichtabdruck von Leserbriefen bzw. Parteistellungnahmen. Für keine dieser beiden Kategorien kann er einen Anspruch auf Abdruck aus den berufsethischen Pflichten der Medienschaffenden ableiten. Der Presserat hat wiederholt festgehalten (vgl. u.a Stellungnahme i.S. S. c. Baillod vom 13. Juni 1996, Sammlung 1983-1989, S. 42ff., Stellungnahme Nr. 11/98 i.S. KVP Luzern c. „Neue Luzerner Zeitung“, Sammlung 1998, S. 102ff.), dass Medien grundsätzlich nicht verpflichtet sind, sämtliche Medienmitteilungen von politischen Parteien und ähnlichen Organisationen abzudrucken. Ebenso sind die Redaktionen in ihrem Entscheid über die Veröffentlichung und die Kürzung von Leserbriefen weitgehend frei (vgl. hierzu z.B. die Stellungnahme Nr. 15/98 vom 15. Oktober 1998 i.S. B. c. „Basler Zeitung“, Sammlung 1998 S. 129ff. sowie zuletzt die Stellungnahme Nr. 19/99 i.S. B. c. „La Liberté“ vom 1. Oktober 1999).

2. Der Presserat vermag deshalb im Zusammenhang mit dem verweigerten Abdruck der Reaktion des Beschwerdeführers auf den Leserbrief des Bauern- und Milchproduzentenverbandes keine Verletzung von berufsethischen Grundsätzen zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als sich der Inhalt des am 21. Oktober 1999 publizierten Leserbriefes mit den darin gegenüber den Schweizer Demokraten enthaltenen Vorwürfen im Rahmen der üblichen Wahlkampfrhetorik bewegt. Zudem haben sich die betroffenen Medien an die von ihnen rechtzeitig publizierten Regeln für den Abdruck von Zuschriften während des Wahlkampfes gehalten.

3. Hinsichtlich des von den „Tagesspiegel“-Zeitungen abgedruckten Leserbriefes von L. ist insofern zu differenzieren, als dieser persönliche Angriffe enthält, die den Abdruck einer Entgegnung des Beschwerdeführers an sich auch noch nach den Wahlen gerechtfertigt hätten. Allerdings konnte die „dringende Erwiderung“ von S. jedenfalls in der von ihm abgefassten Version aus inhaltlichen
Gründen nicht abgedruckt werden, konterte er doch den von ihm als unter der Gürtellinie empfundenen Angriff von L. mit einem ehrverletzenden Gegenangriff („rassistischer Giftspeier“, „… vielleicht haben auch Hass und Gift gegen Mitbürger mit anderen Meinungen seine Sinne umnebelt …“) . Allenfalls wäre durch die „Tagesspiegel“-Redaktion zu prüfen gewesen, die Entgegnung des Beschwerdeführers durch Weglassung der ehrverletzenden Passagen so zu redigieren, dass der Abdruck von der Redaktion hätte verantwortet werden können (vgl. hierzu die Stellungnahme des Presserates Nr. 23/99 vom 16. Dezember 1999). 4. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich einen Boykott verschiedener Thurgauer Zeitungen gegenüber den Schweizer Demokraten Thurgau und deren Exponenten seit der Einreichung der Beschwerden vom 2. November 1999 geltend macht, ist vorab festzustellen, dass Texte des Beschwerdeführers und seiner Partei in der Zeit vor den eidgenössischen Wahlen vom Oktober 1999 offensichtlich wiederholt abgedruckt worden sind. Weiter ist daran zu erinnern (vgl. hierzu die Stellungnahme des Presserates Nr. 18/99 vom 1. Oktober 1999 i.S. Brühwiler / KVP des Kantons Thurgau c. „St. Galler Tagblatt“ / „Bodensee-Tagblatt“), dass einer politischen Partei und deren Exponenten zwar grundsätzlich ein Mindestmass an öffentlicher Aufmerksamkeit zu gewähren ist. Dies ändert aber nichts daran, dass allein die Redaktion zu bestimmen hat, wann und wo berichtet wird, jedenfalls so lange ein Mindestmass erfüllt ist, das eine faire Behandlung der politischen (aber auch sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen) Akteure durch die Medien gewährleisten soll. Aus dem blossen Hinweis des Beschwerdeführers, dass in jüngster Zeit keine Medienmitteilungen abgedruckt worden seien, obwohl die Schweizer Demokraten Thurgau zur Zeit an einem Referendum arbeiteten und dass „in nächster Zeit“ Wahlen anstünden, lässt sich nicht bereits ableiten, dass ihm und seiner Partei das berufsethisch zu gewährende Mindestmass an medialer Aufmerksamkeit nicht mehr erbracht werde. Eine entsprechende Beschwerde wäre erst dann begründet, wenn die vom Beschwerdeführer behauptete mediale Nichtberücksichtigung auch nach der tatsächlichen Lancierung eines wichtigen Referendums und während des Wahlkampfs für die Bezirks- und Kantonsratswahlen hinaus fortdauern würde.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerden gegen „Bodensee-Tagblatt“, „Regional-Zeitung“, „Tagesspiegel“-Zeitungen und „Thurgauer Zeitung“ werden als unbegründet abgewiesen.

2. Es ist zu begrüssen, wenn Medien rechtzeitig vor Beginn eines Wahl- oder Abstimmungskampfes Regeln über den Abdruck von in diesem Zusammenhang eingereichten Zuschriften und Medienmitteilungen veröffentlichen. Diese Regeln sollten sich insbesondere dazu äussern, bis wann Zuschriften einzureichen sind, damit noch eine Chance zum Abdruck besteht.

3. Wenn eine Stellungnahme einer Partei nach Ablauf von der Redaktion angesetzten und bekannt gegebenen Frist eingeht, kann der Nichtabdruck nicht beanstandet werden, sofern die Regeln des betroffenen Mediums eine angemessene Berücksichtigung sämtlicher politischer Akteure gewährleisten.