Nr. 24/2000
Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(BSU c. „Blick“) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 24. August 2000

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I. Sachverhalt

A. Anfangs dieses Jahres teilte die Busbetrieb Solothurn und Umgebung (nachfolgend BSU) – eine gemischtwirtschaftliche Unternehmung – ihren Plan mit, ihre neuen Busse bei der Adtranz-Mutter Daimler/Chrysler zu kaufen. Die Offerte der Solothurner Busbau-Firma Hess wurde nicht berücksichtigt. Der Entscheid löste in der Bevölkerung, bei den Gewerkschaften und der Hess AG Proteste aus. Die Firma Carosserie Hess AG legte bei der Schätzungskommission des Kantons Solothurn Beschwerde ein. Diese wurde am 7. April 2000 von der Kantonalen Schätzungskommission abgewiesen.

B. Der Journalist Franz Glinz befasste sich in zwei „Blick“-Artikeln vom 1. und 2. Februar 2000 mit dem BSU-Entscheid und dessen Auswirkungen. Am 9. Februar 2000 publizierte der „Blick“ verschiedene Leserbriefe zu diesem Thema, darunter einen solchen von Z. Darin wurde unter dem Titel „Schmieren-Theater“ ausgeführt: „Es geht doch nur um eins: Wer schmiert mehr? Wir müssen nicht glauben, dass es in der Schweiz anders läuft.“

C. Mit Beschwerde vom 17. April 2000 wandte sich die Direktion des Busbetriebs Solothurn und Umgebung BSU an den Presserat und machte eine Verletzung der Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ geltend. Die Beschwerde richtete sich in erster Linie gegen den Abdruck des Leserbriefes von Z., in dem der BSU zu Unrecht die Annahme von Schmiergeldern unterstellt werde, darüber hinaus aber auch gegen die „Unsachlichkeit der gesamten Medienkampagne des ‘Blick’ in dieser Angelegenheit.“

D. In einer Stellungnahme vom 5. Mai 2000 bestritt der „Blick“, Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt zu haben und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Die Berichterstattung des „Blick“ sei insgesamt sehr sachlich gewesen. Man könne einzig nachvollziehen, dass der Beschwerdeführer am Abdruck des Leserbriefs von Z. keine Freude gehabt habe. „Es wäre besser gewesen, auf den Abdruck dieses Leserbriefes zu verzichten, umso mehr als es auch in unserer Berichterstattung keinerlei Hinweise auf Korruption gab. Immerhin ist die Leseraussage sehr allgemein formuliert und sicher kein direkter Angriff auf die Leitung der BSU.“ Es sei nicht die Absicht gewesen, die BSU durch diesen Leserbrief in ein schiefes Licht zu rücken. Der Leserbriefschreiber habe nicht primär unsachlich, sondern emotional reagiert. Diese Art von Meinungsäusserung müsse in den Medien möglich sein.

E. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin sowie Esther Diener-Morscher, Judith Fasel, Sigmund Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 24. August 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Soweit sich die Beschwerde im Nebenpunkt generell auf die Berichterstattung des „Blick“ über den umstrittenen Busbeschaffungsentscheid bezieht, ist sie als unbegründet abzuweisen. Die BSU geben diesbezüglich in ihrer Beschwerdeschrift nicht an, inwiefern „Blick“ sich hier nicht an die Berufsethik gehalten haben soll. Auch eine kritische, kommentierende Berichterstattung ist zulässig, wenn bei schweren Vorwürfen auch die Betroffenen zu Wort kommen und wenn der Kommentierung Fakten zugrundeliegen, die für die Leserschaft erkennbar sind (vgl. die Stellungnahme i.S. S. c. NZZ vom 20. Februar 1998, Sammlung 1998, S. 48ff.). An diese berufsethischen Regeln hat sich „Blick“ in den dem Presserat vorliegenden Medienberichten offensichtlich gehalten.

2. Die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ gilt auch für die Bearbeitung von Leserbriefen. So sind u.a. Leserbriefe zurückzuweisen, die offensichtlich falsche Aussagen und sachlich eindeutig nicht gerechtfertigte Anschuldigungen enthalten (Ziff. 1 und 7 der „Erklärung“; vgl. u.a. die Stellungnahme i.S. rassistische Leserbriefe vom 15. Dezember 1999, Sammlung 1999, S.174ff. sowie zuletzt die StellungnahmeNr. 9/2000 i.S. W. c. „Coop-Zeitung vom 30. März 2000).

3. Wie auch die Beschwerdeführerin einräumt, enthalten die beiden „Blick“-Artikel von Franz Glinz im Zusammenhang mit der umstrittenen Busbeschaffung keinerlei Hinweise, dass beim Entscheid der BSU Korruption im Spiel gewesen sein könnte. In den Artikeln geht es um andere Schwerpunkte – etwa um Arbeitsplätze und den bedrohten Wirtschaftsstandort Solothurn. Der im Leserbrief von Z. gegenüber der BSU zumindest indirekt erhobene Korruptionsvorwurf erweist sich damit als offensichtlich unbewiesen und hätte dementsprechend nicht publiziert werden dürfen. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass „Blick“ mit dem Abdruck dieses Leserbriefes die Ziffern 1 und 7 der „Erklärung“ verletzt hat.

III. Feststellungen

1. „Blick“ hat mit der Veröffentlichung des Leserbriefes mit dem Titel „Schmieren-Theater“ von Z. vom 9. Februar 2000 die Ziffern 1 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt. Der Leserbrief hätte nicht veröffentlicht werden dürfen. Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen.

2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.