Nr. 6/2000
Unschuldsvermutung / Unterschlagung wesentlicher Informationselemente

(G. c. „CASH“) Stellungnahme des Presserates vom 9. Februar 2000

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 23. Juli 1999 veröffentlichte „CASH“ einen Artikel mit dem Titel „Der Veruntreuhänder“, in welchem über die finanzielle Situation von G. berichtet wurde. Darin wurde von „CASH“ dargelegt, G. sei wegen Betrugs und Veruntreuung erstinstanzlich verurteilt worden. Trotz grosser Schulden lebe er gratis in einem Haus, das seiner Frau gehöre. Auf dem Haus laste eine Hypothek, welche von der Hypothekargläubigerin, der Alusuisse, kürzlich gekündigt worden sei. Im Artikel kamen verschiedene Gläubiger von G. zu Wort, die sich über ihn verärgert zeigten.

B. Mit Beschwerde vom 11. Oktober 1999 gelangte RA Dr. iur. H. namens von G. und dessen Ehefrau an den Presserat und machten die Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ geltend. In wesentlichem warfen sie dem Autor des Artikels, Stefan Waldvogel, eine einseitige und unrichtige Wiedergabe der Fakten vor. Zudem sei die Persönlichkeit von Frau G. in schwerwiegender Weise verletzt worden. Frau G. werde im Artikel angegriffen, obwohl sie mit dem Strafverfahren ihres Ehemannes nichts zu tun habe.

C. In einer Stellungnahme vom 26. November 1999 beantragte RA Dr. Matthias Schwaibold namens von „CASH“ die Abweisung der Beschwerde, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. Die Parteien hätten am 21. Oktober 1999 einen Vergleich abgeschlossen, der entgegen der Auffassung des Gegenanwalts auch das Verfahren vor dem Presserat erfasse. Materiell hielt „CASH“ an seiner Version der Fakten fest und wies den Vorwurf der Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ vollumfänglich zurück.

D. Das Presseratspräsidium wies die Beschwerde der 1. Kammer zu. Dieser gehörten Roger Blum als Präsident sowie Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Esther Maria Jenny, Enrico Morresi sowie Edy Salmina an. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 16. Dezember 1999 und 9. Februar 2000.

II. Erwägungen

1. Vorab hat sich der Presserat mit dem formellen Einwand der Beschwerdegegnerin auseinanderzusetzen, wonach das Verfahren vor dem Presserat aufgrund des am 21. Oktober 1999 abgeschlossenen Vergleichs zwischen den Parteien als gegenstandslos abzuschreiben sei. Gemäss Ziff. 4 dieses Vergleichs erklären die Beschwerdeführer den Verzicht auf strafrechtliche Schritte oder die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche aufgrund der umstrittenen Publikation in „CASH“ vom 23. Juli 1999. Weiter enthält die Vereinbarung eine Klausel, wonach die Parteien nach Vollzug des Vergleichs per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt seien. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin wird damit auch das Verfahren vor dem Presserat hinfällig.

Diese formelle Argumentation der Beschwerdegegnerin ist zurückzuweisen. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vergleich vermag das Eintreten des Presserates auf die vorliegende Beschwerde nicht von vornherein zu verhindern. Anders wäre die Frage dann zu beurteilen, wenn die Beschwerdeführerin dem Presserat den Rückzug der Beschwerde bekanntgegeben hätte. Ein solcher Beschwerderückzug liegt aber nicht vor. Im Gegenteil erwähnt die Beschwerdegegnerin ein Telefon ihres Anwalts mit dem Gegenanwalt in dem letzterer den Standpunkt vertreten habe, das Verfahren durch den Presserat werde vom Vergleich nicht erfasst. Wenn die Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses tatsächlich davon ausgegangen ist, dass damit auch das Presseratsverfahren dahinfalle, wäre sie gut beraten gewesen, sich den Beschwerderückzug explizit zusichern zu lassen.

Wenn eine Partei von Anfang an darauf verzichtet, den Rechtsweg zu beschreiten, verzichtet sie damit noch nicht auf die Anrufung des Presserates. Ebensowenig kann dies bei einer Partei angenommen werden, die – wie z.B. vorliegend im Rahmen eines Vergleichs – in einem späteren Zeitpunkt auf die Geltendmachung von zivil- und / oder strafrechtlicher Ansprüche verzichtet. Neben dem an sich nach wie vor legitimen Interesse der Beschwerdeführerin an einer Stellungnahme des Presserates fällt aber auch ein öffentliches Interesse ins Gewicht. Die Auferlegung ethischer Pflichten an die Medienschaffenden und das Verfahren vor dem Presserat bezwecken nicht allein, die Beziehungen zwischen den Medien und Dritten zu befrieden, sondern sollen auch zur Qualität des von den Medien sichergestellten, für eine demokratische Gesellschaft unabdingbaren öffentlichen Diskurses beitragen. Zu einer vollständigen Information des Publikums gehört die Richtigstellung falscher Inhalte ebenso wie der Hinweis auf die Unterschlagung wesentlicher Informationselemente. Soweit ersichtlich wurde im Rahmen des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichs keine Veröffentlichung einer Entschuldigung, Richtigstellung oder etwas ähnliches vereinbart, so dass dem Publikum – wie aus den nachfolgenden Ausführungen hervorgeht – bei einer Abschreibung des Presseratsverfahrens wesentliche Informationselemente vorenthalten blieben.

2. Die Beschwerdeführer rügen vorab eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Der Presserat hat in seiner Stellungnahme vom 24. Januar 1994 i.S. Tornare / Télévision suisse romande (Sammlung 1994, S. 17ff.) darauf hingewiesen, dass sich das rechtliche Gebot der Unschuldsvermutung in erster Linie an die Strafverfolgungsbehörden richtet. Dennoch ist aus Ziff. 3 (Keine Unterschlagung wesentlicher Informationselemente) und aus Ziff. 7 (Wahrung der Privatsphäre; Verbot sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ die berufsethische Pflicht der Medienschaffenden abzuleiten, bei der Berichterstattung über ein Strafverfahren das Publikum immer auch darüber aufzuklären, ob eine Verurteilung erfolgt ist bzw. ob ein Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen ist (Stellungnahme i.S. A. c. „Le Matin“, Sammlung 1997 S. 68ff.). Ohnehin ist aber bei der Namensnennung in der Gerichtsberichterstattung grosse Zurückhaltung angebracht. Vom Grundsatz der Wahrung der Anonymität des Betroffenen darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn dies durch ein besonderes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Abweichend vom Grundsatz der Wahrung der Anonymität darf der Name des Betroffenen ausnahmsweise genannt werden, wenn eine Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist (Stellungnahme i.S. Namensnennung bei der Gerichtsberichterstattung vom 7. November 1994, Sammlung 1994, S. 67ff.).

3. Vorliegend hat „CASH“ unter dem Gesichtspunkt von Ziff. 7 der „Erklärung“ genügend informiert, indem es seine Leserschaft darauf hingewiesen hat, dass eine Verurteilung des Beschwerdeführers erst erstinstanzlich erfolgt war und dass dieser laut seinem Anwalt den Fall möglicherweise ans Obergericht weiterziehen werde. Ebenso erscheint die Nennung des Namens des Beschwerdeführers deshalb zumindest als vertretbar, weil in Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren sein Name im Zeitpunkt der Publikation des umstrittenen Artikels bereits durch andere Medien genannt worden war und er deshalb – zumindest vorübergehend – einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war.

4. Ein wesentlicher Teil der im umstrittenen Artikel gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe stammen nicht aus dem Strafverfahren, sondern aus Parellelrecherchen des Autors. Aus Sicht des Beschwerdeführer werden diese Informationen von „CASH“ einseitig dargestellt, teils werden sie als unwahr bezeichnet. Letzteres wird von „CASH“ z.T. mit erstaunlichen Argumenten bestritten wie z.B. „Wie viele Millionen der Beschwerdeführer schuldet, ist doch egal (…)“. Ohne auf die Einzelheiten der Kontroverse zwischen den Parteien einzugehen, stellt der Presserat jedenfalls fest, dass im Artikel schwerwiegende Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer erho
ben werden. Nach konstanter Praxis des Presserates wäre es unter diesen Umständen im Lichte von Ziff. 3 und 7 der „Erklärung“ unabdingbar gewesen, den Beschwerdeführer persönlich mit diesen Vorwürfen zu konfrontieren und der Leserschaft von seiner diesbezüglichen Stellungnahme Kenntnis zu geben (vgl. u.a. die Stellungnahmen des Presserates Nr. 3/96 i.S. „Ablehnung des Abdrucks einer Stellungnahme in Form eines Leserbriefs“, Sammlung 1996, S. 55ff.; Stellungnahme Nr. 6/96 i.S. „Kennzeichnung unbestätigter Meldungen“, Sammlung der Stellungnahmen 1996, S. 79ff., Stellungnahme Nr. 3/97 i.S. „Redaktionelle Bearbeitung von Artikeln“, Sammlung 1997, 36ff., Stellungnahme Nr. 6/97 i.S. „Einholung einer umfassenden Stellungnahme, Sammlung 1997, S. 61ff.). Dieser grundlegenden berufsethischen Pflicht ist „CASH“ nicht nachgekommen, weshalb eine Verletzung der Ziffern 3 und 7 der „Erklärung“ festzustellen ist.

5. Der umstrittene Artikel befasst sich auch mit der Frau des Beschwerdeführers. Gemäss „CASH“ verlor sie wegen ihrer – von den Beschwerdeführern bestrittenen – Rolle bei einer umstrittenen Zwangsversteigerung des Geschäftshauses ihres Ehemannes ihre Stelle bei der Caritas. Auch hier erstaunt die Gegenargumentation von „CASH“: „Warum sich die Caritas entschied, sich von Frau G. zu trennen, spielt keine Rolle. Unbestritten bleibt, dass Frau G. ihre Stelle verlor.“ Abgesehen davon, dass auch dieser gegenüber Frau G. erhobene Vorwurf als schwerwiegend erscheint und deshalb zumindest die Wiedergabe einer Stellungnahme der Betroffenen berufsethisch unabdingbar gewesen wäre, lässt sich die namentliche Nennung von Frau G. nicht durch ein öffentliches Interesse rechtfertigen, welches das Interesse an der Wahrung ihrer Privatsphäre überwiegen. Dementsprechend hat „CASH“ in diesem Punkt die Ziff. 3 und 7 der „Erklärung“ verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Redaktion von „CASH“ hat Ziff. 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ Rechnung getragen, indem sie darauf hinwies, dass zum Zeitpunkt der Publikation des umstrittenen Artikels eine Verurteilung des Beschwerdeführers erst erstinstanzlich erfolgt und das Urteil zudem noch nicht rechtskräftig war.

2. Angesichts der schwerwiegenden gegenüber dem Beschwerdeführer über das Strafverfahren hinaus erhobenen Vorwürfe hätte er von „CASH“ mit diesen konfrontiert werden müssen und hätte seine Stellungnahme der Leserschaft bekannt gegeben werden müssen. Durch die Unterlassung einer Anhörung hat „CASH“ damit die Ziffern 3 und 7 der „Erklärung“ verletzt.

3. Ebenso hat „CASH“ Ziff. 3 und 7 der „Erklärung“ dadurch verletzt, dass es bei namentlicher Nennung schwerwiegende Vorwürfe an die Ehefrau des Beschwerdeführers erhob, ohne die Betroffene mit diesen Vorwürfen zu konfrontieren und ohne dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Namensnennung zu bejahen gewesen wäre.