Nr. 19/2000
Veröffentlichung einer Gegendarstellung als Leserbrief

(Kantonale Ethikkommission Zürich c. „Das Magazin“) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 7. Juni 2000

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I. Sachverhalt

A. In Nr. 51/1999 erschien im „Magazin“ des „Tages-Anzeigers“ unter dem Titel „Hier spricht die Stimme der Vernunft“ ein ausführlicher Artikel über Ethikkommissionen in der Schweiz. Der Artikel behandelt unter anderem die Frage, was die Ethik den „drei grossen Revolutionen“ (der medizinischen, biologischen und der wirtschaftlichen) entgegenzusetzen habe und inwieweit die in den Kommissionen tätigen Mitglieder befähigt seien, sich kompetent und interessensfrei zu ethischen Fragen zu äussern. Eher auf einem Nebenschauplatz geht der Autor auch auf die Stellung, die gesetzlichen Grundlagen bzw. die Besetzung der verschiedenen Ethikkommissionen in den Kantonen ein. Unter anderem schreibt Christoph Keller in diesem Zusammenhang: „Und die demokratische Legitimation der Kommissionen steht auf überaus wackligen Füssen. Nur die Berner Ethikkommission verfügt über eine gesetzliche Grundlage, alle anderen operieren mehr oder weniger im rechtsfreien Raum.“

B. Am 11. Januar 2000 wandte sich der Sekretär der Kantonalen Ethik-Kommission der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich (nachfolgend KEK), Niklaus Herzog, an die Chefredaktion des „Magazins“ und verlangte, gestützt auf Art. 28g ZGB den Abdruck einer Gegendarstellung. Dabei berief er sich auf die oben zitierte Stelle des Artikels und stellte fest, dies sei eine krass tatsachenwidrige Behauptung. Die gesetzlichen Grundlagen der KEK seien durch eine seit dem 1. Januar 1998 geltende Revision der Kantonalen Heilmittelverordnung geschaffen worden. Die Aufgaben und Arbeitsweise der vom Regierungsrat gewählten KEK und ihrer neun Unterkommissionen basierten auf einem von Regierungsrätin Verena Diener am 10. Juni 1998 in Kraft gesetzten Reglement.

C. In Nr. 4/2000 des „Magazins“ erschien der vom Sekretär der KEK eingeschickte ungekürzte Gegendarstellungstext auf der Leserbriefseite unter dem Titel „Tatsachenwidrig“.

D. Am 3. März 2000 wandte sich der Sekretär der KEK an den Schweizer Presserat. Er stellte in seiner Eingabe fest, dass die Redaktion des „Magazins“ der gesetzlichen Pflicht, dem Betroffenen unverzüglich mitzuteilen, wann die Gegendarstellung veröffentlicht werde, nicht nachgekommen sei. Auf seine telefonische Nachfrage hin habe man ausrichten lassen, der Text werde in einer der nächsten Nummern abgedruckt, was dann, wie erwähnt, nicht wie verlangt als Gegendarstellung sondern in Form eines Leserbriefes geschah. Damit seien zentrale Punkte der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt: nämlich das Fairnessprinzip und, mittelbar, auch die Berichtigungspflicht. Im übrigen sei durch die Verletzung von Art. 28k Abs. 2 ZGB nicht nur das Gesetz, sondern auch die journalistische Berufsethik missachtet worden. Denn der letzte Abschnitt der „Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten“ halte fest, dass letztere ihre Arbeit in „Anerkennung der bestehenden Gesetze jedes Landes“ zu erfüllen haben.

E. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 1. Kammer zu, der Roger Blum als Präsident und Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi sowie Edy Salmina als Mitglieder angehören.

F. In seiner Stellungnahme an den Presserat vom 3. Mai 2000 beantragte der Rechtsdienst der TA-Media AG namens der Chefredaktion des „Magazins“, die Beschwerde sei abzuweisen. Da die gesetzlichen Voraussetzungen einer Gegendarstellung nicht erfüllt seien, sei es nicht nur zulässig, sondern sachgerecht, ja ausgesprochen fair gewesen, dass „Das Magazin“, statt den Text abzulehnen, diesen ungekürzt als Leserbrief publizierte. Einzuräumen sei, dass es vom administrativen Ablauf her besser gewesen wäre, man hätte der KEK formell mitgeteilt, das Gesuch auf Gegendarstellung werde abgelehnt, man sei aber bereit, den Text als Leserbrief zu publizieren. In diesem höchstens administrativ nicht ganz optimalen Vorgehen der „Magazin“-Redaktion sei jedoch nicht die Spur eines Verstosses gegen die „Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten“ auszumachen. Ebenso könne von einer Verletzung von Ziffer 5 der „Erklärung“ keine Rede sein. Abgesehen davon, dass mit der Verweigerung einer Gegendarstellung die Berichtigungspflicht nicht verletzt werde, äussere sich Ziff. 5 der „Erklärung“ nicht zur Form der Berichtigung. Selbstverständlich verlange das Fairnessprinzip, dass eine Berichtigung so publiziert werde, dass sie die angestrebte Wirkung entfalten könne. Mit dem unveränderten Abdruck des eingereichten Textes sei dem „Magazin“ diesbezüglich sicher kein Vorwurf zu machen.

G. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. Juni 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Gegenstand der Beschwerde ist der Abdruck eines Gegendarstellungstextes als Leserbrief durch die Redaktions des „Magazins“ ohne vorherige Rücksprache mit der Beschwerdeführerin. Dazu ist vorab festzuhalten, dass sich der Presserat nicht zu Rechtsfragen zu äussern hat (vgl. zuletzt die Stellungnahme i.S. B. c. „TELE“ vom 7. Juli 1999, Sammlung 1999, S. 93ff.). Dies gilt ungeachtet der im letzten Absatz der „Erklärung der Pflichten“ stipulierten Pflicht, wonach Journalistinnen und Journalisten in Anerkennung der bestehenden Gesetzes jedes Landes in Berufsfragen nur das Urteil ihrer Kolleginnen und Kollegen annehmen sollen.

Die Beschwerdeführerin leitet daraus eine mittelbare Pflicht ab, wonach der Presserat sich auch zur vorliegend geltend gemachten Verletzung von Normen des Gegendarstellungsrechts zu äussern habe. In diesem Punkt folgt ihr der Presserat nicht. Eine solche Auslegung der „Erklärung“ würde einer sinnvollen Abgrenzung zwischen der Tätigkeit des Presserates und derjenigen der Gerichte jeglichen Boden entziehen. Der Presserat äussert sich zur Tragweite und Einhaltung berufsethischer Regeln, während die Gerichte auf der Grundlage von Rechtsnormen zu urteilen haben. Die Institution „Schweizer Presserat ist nicht geschaffen worden, damit jeder Beschwerdeführer, jede Beschwerdeführerin unter Anrufung dieser berufsethischen Norm vom Presserat die Interpretation beliebiger Rechtsnormen verlangen kann. Mithin ist im Rahmen dieses Verfahrens offenzulassen, ob „Das Magazin“ im konkreten Fall rechtlich verpflichtet gewesen wäre, die Gegendarstellung als solche abzudrucken. Der Presserat äussert sich im folgenden einzig zu den geltend gemachten Verletzungen des Fairnessprinzips und der Berichtigungspflicht.

2. War es unfair, eine verlangte Gegendarstellung ohne vorherige Mitteilung als Leserbrief zu veröffentlichen? Das Fairnessprinzip wäre jedenfalls dann verletzt, wenn auf die Beanstandung der Beschwerdeführerin überhaupt nicht eingegangen worden wäre. Die Redaktion des „Magazins“ hat jedoch auf die Eingabe der Beschwerdeführerin reagiert. Allerdings hat sie es unterlassen, die Beschwerdeführerin deutlich über ihre Absicht zu orientieren. Unter diesen Umständen verliess sich die Beschwerdeführerin zu Recht darauf, dass ihr Text in der von ihr verlangten Form abgedruckt werden würde.

Der Presserat hat bereits in der Stellungnahme i.S. P. c. „La Suisse“ vom 14. November 1988 (Sammlung 1983-1989, S. 85ff.) festgehalten, dass ein Gegendarstellungsgesuch nicht ohne Einwilligung des Gesuchstellers als Leserbrief abgedruckt werden darf. An diesem Grundsatz ist weiterhin festzuhalten. Die Pflicht zur Fairness verlangt von den Journalistinnen und Journalisten, Leserinnen und Leser sowie andere von der Berichterstattung Betroffene als vollwertige Ansprechpartner zu behandeln. In diesem Sinne hat der Presserat in der Stellungnahme i.S. B. c. „La Liberté“ vom 1. Oktober 1999 (Sammlung 1999, S. 154ff.) verlangt, dass eine Leserbriefredaktion, die den Leserbrief einer Leserin gekürzt publizierte, obschon diese d
en integralen Abdruck verlangt hatte, vor der Publikation das Einverständnis der Autorin einhole. Denn nur unter dieser Voraussetzung verbleibe der Autorin die Wahlfreiheit, den Leserbrief gekürzt abdrucken zu lassen oder auf den Abdruck zu verzichten. Entsprechend muss auch dem Autor eines Gegendarstellungstextes, der als Leserbrief abgedruckt werden soll, dieselbe Wahlfreiheit eingeräumt werden.

Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die Redaktion des „Magazins“ das Fairnessprinzip verletzt hat, weil sie es unterliess, vor dem Abdruck des Gegendarstellungstextes als Leserbrief die Einwilligung der Beschwerdeführerin einzuholen.

3. Hat die „Magazin“-Redaktion darüber hinaus mittelbar auch die berufsethische Berichtigungspflicht verletzt? Enthält der zur Diskussion stehende Artikel inhaltlich eine Falschmeldung, die nachträglich durch die Redaktion hätte berichtigt werden müssen? Der Presserat hat aus Ziff. 5 der „Erklärung“ abgeleitet, dass Journalistinnen und Journalisten, die nachträglich Kenntnis von einer Unrichtigkeit in einem von ihnen veröffentlichten Medienbericht erhalten, diese von sich aus unverzüglich korrigieren müssen (vgl. Stellungnahmen vom 30. April 1998 i.S. M./F. c. „SonntagsZeitung“, Sammlung 1998, S. 78ff. sowie vom 25. Mai 1998 i.S. A. c. „La Liberté“ / „Le Courrier“, Sammlung 1998 S. 87ff.) Aus Sicht des Presserates ist es zudem zu begrüssen, wenn Redaktionen eine spezielle Rubrik (z.B. „Korrigenda“) zur Veröffentlichung von Berichtigungen einführen, da dies letztlich die Glaubwürdigkeit der Medien stärkt.

In Bezug auf den konkreten Fall geht aus den eingereichten Unterlagen zwar hervor, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin auf einem materiellen Gesetz (Kantonale Heilmittelverordnung) beruht. Insofern war es in Bezug auf die Beschwerdeführerin zumindest unpräzis, wenn „Das Magazin“ generell von einer fehlenden gesetzlichen Grundlage gesprochen hat. Um Missverständnisse auszuschliessen, hätte deklariert werden müssen, dass mit gesetzlicher Grundlage ausschliesslich ein Gesetz im formellen Sinn gemeint sei. Ob die Tätigkeit der Beschwerdeführerin letztlich sogar auf einem Gesetz im formellen Sinne basiert, womit eine Berichtigung durch die Redaktion selber angebracht gewesen wäre, wird aus den Beschwerdeunterlagen nicht klar. Fest steht lediglich, dass der Artikel zu wenig deutlich zwischen gesetzlicher Grundlage im formellen und materiellen Sinne differenziert hat. Die Formulierung „alle anderen operieren im mehr oder weniger rechtsfreien Raum“ lässt für die Leserschaft verschiedene Interpretationsmöglichkeiten offen, weshalb diesbezüglich nicht von einer offensichtlichen, durch die Redaktion selber zu berichtigenden Falschmeldung gesprochen werden kann.

Die Leserschaft hat mit der Veröffentlichung des Leserbriefes Kenntnis von der Berichtigung der Beschwerdeführerin erhalten, wenn auch bezüglich des Vorgehens der Redaktion wie oben ausgeführt eine Beanstandung am Platz ist. Es erscheint deshalb unverhältnismässig, von der Beschwerdegegnerin eine zusätzliche Veröffentlichung einer eigenen Berichtigung zu verlangen. Allerdings kann daraus nicht abgeleitet werden, dass eine Falschmeldung generell durch den Abdruck eines entsprechenden Leserbriefes – das Einverständnis des Autors oder der Autorin vorbehalten – berichtigt werden kann.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. „Das Magazin“ hat das Fairnessprinzip dadurch verletzt, dass es eine Gegendarstellung ohne Rücksprache mit der Beschwerdeführerin als Leserbrief veröffentlicht hat.

3. Falschmeldungen sind durch die Redaktion von sich aus zu berichtigen, sobald sie davon Kenntnis hat. Nachdem „Das Magazin“ durch einen Leserbrief seiner Leserschaft die Berichtigungen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht hatte, wäre es unverhältnismässig, bei einem in Bezug auf den Gesamtkontext eines Medienberichts als untergeordnet erscheinenden Fehler die Veröffentlichung einer zusätzlichen redaktionellen Berichtigung zu verlangen. Die Beschwerde wird deshalb in Bezug auf die geltend gemachte mittelbare Verletzung der Berichtigungspflicht abgewiesen.