Nr. 2/2017
Prüfen und Bezeichnen externer Bildquellen

(X. c. «10 vor 10» SRF)

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen einen Beitrag der Nachrichtensendung «10vor10» des Schweizer Fernsehens abgewiesen. Ein Zuschauer hatte den Beitrag «Syrische Regierung setzte Chlorgas ein» vom 31. August 2016 bemängelt: Die eingespielten Filmsequenzen über die Opfer der Giftgasangriffe vom März 2015 stammten seiner Meinung nach von einer Medienanstalt der terroristischen Nusra-Front. Das schloss der Zuschauer aus den links oben im Bild zu sehenden arabischen Signeten.

Die Redaktion «10vor10» konnte jedoch gegenüber dem Presserat überzeugend nachweisen, dass die Videosequenzen nicht von der radikalislamistischen Nusra-Front kamen. Sondern einerseits von lokalen syrischen Anbietern, andererseits von den zivilen Helfern der Organisation Weisshelme. Das Fernsehen belegte zudem, dass es die Herkunft der Filmbilder und deren Glaubwürdigkeit sorgfältig geprüft hatte. Trotzdem teilt der Presserat die Kritik des Beschwerdeführers in einem Punkt: Die arabischen Signete sagten wohl den wenigsten Zuschauern etwas. Ein knapper, klarer Hinweis zur Herkunft der Filmsequenzen hätte dem Publikum gedient.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse a rejeté une plainte qui lui a été adressée à propos d’un reportage de l’émission «10vor10» de la télévision suisse alémanique. Le spectateur reprochait au reportage «Syrische Regierung setzte Chlorgas ein» (le gouvernement syrien répand du chlore), diffusé le 31 août 2016, d’avoir montré des séquences filmées de victimes d’attaque au gaz toxique de mars 2015 émanant, selon lui, de l’agence de presse du front terroriste al-Nosra. Il avait déduit cet avis des symboles arabes visibles en haut à gauche de l’écran.

La rédaction de «10vor10» a pu toutefois démontrer de manière convaincante au Conseil de la presse que les séquences vidéo n’émanaient pas de ce groupe islamiste radical. Elle les avait obtenues d’une part de prestataires syriens locaux, d’autre part de bénévoles civils de l’organisation des «Casques blancs». La télévision a pu également prouver qu’elle avait contrôlé soigneusement l’origine des images et leur crédibilité. Le Conseil de la presse partage toutefois l’avis du plaignant sur un point: les symboles arabes n’étaient compréhensibles que par un tout petit nombre de spectateurs. Une brève indication de l’origine des séquences filmées aurait été utile au public.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha respinto un reclamo contro un servizio della trasmissione «10vor10» della Televisione svizzera tedesca. Un telespettatore aveva denunciato la trasmissione per avere diffuso, il 31 agosto 2016, sotto il titolo: «Il governo siriano usa il gas cloro», un filmato di fonte islamista prodotto dai servizi di propaganda del Fronte Al-Nusra. A prova dell’allegazione, una scritta in arabo visibile nella parte in alto a sinistra dello schermo.

Alla richiesta di chiarimento del Consiglio della stampa, la redazione di «10vor10» ha prodotto una prova convincente che la sequenza criticata non proveniva dal fronte radicale di Al-Nusra bensì da operatori indipendenti siriani e da soccorritori civili dell’organizzazione «Caschi bianchi». La redazione ha fornito pure le prove di come l’origine delle sequenze e la loro credibilità siano state accuratamente verificate. Il Consiglio della stampa su un punto è tuttavia critico nei confronti dell’emissione televisiva: nel pubblico, solo un’infima minoranza era in grado di interpretare i segni in arabo che si vedevano nell’immagine: una breve ma chiara indicazione della fonte sarebbe stata utile.

I. Sachverhalt

A. Am 31. August 2016 strahlte die Sendung «10vor10» von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) einen Beitrag aus mit dem Titel «Syrische Regierung setzte Chlorgas ein». Der Beitrag berichtet über die Untersuchung der Giftgasangriffe in Syrien durch die Uno und die Organi-sation für das Verbot chemischer Waffen. Deren Bericht benennt erstmals die Täter dreier Angriffe: Für die Angriffe mit Chlorgas in Sarmin und Talmenes sei das syrische Regime von Präsident Bashar Assad verantwortlich, das Senfgas in Marea habe der so genannte Islamische Staat eingesetzt. Im gut dreiminütigen Beitrag äussern sich darauf drei Experten zur Bedeutung des Berichts und ordnen ihn ein. Die SRF-Sendung verwendete teils selbst gedrehte Interviewsequenzen, teils Filmsequenzen externer Quellen.

B. Gegen den Beitrag in «10vor10» reichte X. am 10. September 2016 Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. X. kritisiert den eingespielten Filmbeitrag von externen Quellen und zweifelt an dessen Glaubwürdigkeit. Seines Erachtens handelt es sich um Filmbilder einer «Medienanstalt einer international als Terrororganisation» eingestuften Gruppe. X. schliesst auf die islamistische Nusra-Front. Der Beschwerdeführer findet, SRF habe die externen Quellen für die Zuschauer nicht verständlich bezeichnet und damit seine journalistische Sorgfaltspflicht nicht erfüllt. X. zitiert die Richtlinie 3.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und sieht sie verletzt. Die Richtlinie über die Quellenbearbeitung besagt: «Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten bildet die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit. Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums, (…), wenn dies zum Verständnis der Information wichtig ist.»

C. In seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2016 beantragte Christian Dütschler, Redaktionsleiter von «10vor10», die Beschwerde vollumfänglich zurückzuweisen. Dütschler macht geltend, dass eine erste, zehn Sekunden lange Sequenz des externen Filmmaterials von lokalen syrischen Anbietern stamme, und zwar vom «Koordinationsbüro Sarmin». Diese Bilder stammten zwar aus sozialen Medien. Die Redaktion «10vor10» habe sie jedoch aus dem Eurovision News Exchange übernommen, der offiziellen Plattform für den Bildaustausch der etablierten Fernsehanstalten in Europa. Zu den einzelnen Bildern gebe es jeweils detaillierte Informationen. Zudem sei das Material durch die auf soziale Medien spezialisierte Agentur Storyful auf seine Glaubwürdigkeit und redaktionelle Integrität überprüft worden. Diese Agentur überprüfe insbesondere auch Nachrichten über den Konflikt in Syrien. Eine zweite, sechs Sekunden lange Filmsequenz stamme von der syrischen Zivilschutzorganisation «White Helmets». Die international anerkannten Weisshelme hülfen und retteten Zivilisten im Bürgerkrieg. «10vor10» belegt detailliert, dass die links oben auf der Einspielung zu sehenden Signete keineswegs auf die Nusra-Front verweisen, sondern das erste jenes des Koordinationsbüros Sarmin ist, das zweite jenes der Weisshelme. Die Redaktion weist noch darauf hin, dass ihr Beitrag ein unbestrittenes, durch einen Uno-Bericht belegtes Ereignis betraf, den Chlorgas-Angriff in Sarmin vom März 2015. «10vor10» habe die Sorgfaltspflicht nicht verletzt. Eine detaillierte Quellenangabe sei für das Verständnis der gezeigten Information nicht entscheidend gewesen; das Publikum habe sich gleichwohl eine eigene Meinung bilden können.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der 3. Kammer zu, der Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Seraina Kobler und Markus Locher angehören.

E. Die 3. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. Januar 2017 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Presserat ist gemäss Art. 2 seines Geschäftsreglements für «berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien» zuständig. Er tritt daher auf diese Beschwerde ein. Zwar betrifft sie eine Sendung von SRF und damit der SRG. Und die meisten Beschwerden gegen SRG-Sendungen gehen den Weg über die Ombudsleute der SRG. Diese beurteilen sie nach dem Radio- und Fernsehgesetz RTVG; allenfalls gelangen sie danach vor die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI. Beschwerdeführende können Sendungen von SRF aber auch dem Presserat zu einer medienethischen Beurteilung vorlegen. Beschwerdeführer X. wünscht eine medienethische Einschätzung und betont explizit, er habe kein rundfunkrechtliches Verfahren eingeleitet oder im Sinn.

2. Der Beschwerdeführer legt dar, dass das Signet des ersten Teils des eingespielten Filmbeitrags zu einer Terrororganisation führt, der Nusra-Front. Dieses Signet, arabischer Schriftzug in Gelb, darüber ein schwarzes Banner mit weissem arabischen Schriftzug, sei nämlich das eines lokalen Mediennetzwerks der Front. Die Nusra-Front hat sich 2016 von der al-Qaida in Syrien abgespalten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betrachtet sie als Terrororganisation. Indem «10vor10» Bilder eines lokalen Mediennetzwerks der Nusra-Front in Sarmin zeige und diese nicht für die Zuschauer verständlich deklariere, verletze die Redaktion die journalistische Sorgfaltspflicht. Denn diese verlange, die Quellen einer Information und deren Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Die Redaktion «10vor10» widerspricht dem: Das schwarze Banner im Signet sei, wenn auch sehr ähnlich, nicht das der Nusra-Front; der weisse Schriftzug sei schlicht das muslimische Glaubensbekenntnis. Zu Deutsch: «Es gibt keinen Gott ausser Gott, und Mohammed ist sein Gesandter». Das Signet enthalte neben dem Banner die Beschriftung «Koordinationsbüro Sarmin». Dieses Büro sammle und vertreibe Bilder und Videos lokaler Anbieter. Oftmals sei deren Material die einzige verfügbare Quelle. Denn wegen der gefährlichen Lage in Syrien seien kaum mehr Korrespondenten vor Ort. Die Redaktion betont, dieses Bildmaterial aus sozialen Medien sei durch eine auf solches Material spezialisierte Agentur geprüft und für glaubwürdig befunden worden.

Der Presserat kommt zum Schluss, dass «10vor10» für diesen Teil des angezweifelten Filmmaterials überzeugend nachweisen kann, dass es sich nicht um Filmbilder einer Medienanstalt der terroristischen Nusra-Front handelt. Zwar ähnelt das schwarze Banner der Nusra-Front jenem in der ersten Filmsequenz, da beide das muslimische Glaubensbekenntnis in weisser Schrift auf schwarzem Grund enthalten. Das von «10vor10» verwendete Signet des Koordinationsbüros Sarmin enthält darüber hinaus dessen Namen in arabischer Schrift. Das Bildmaterial wurde zudem von der auf Berichte aus sozialen Medien spezialisierten Agentur Storyful überprüft. Zwar räumt diese Agentur ein, die Natur der sozialen Medien mache es unmöglich, die Authentizität des Bildmaterials zu 100 Prozent zu garantieren. Dies muss für den Presserat in diesem Kontext jedoch genügen. SRF hat die nötigen Abklärungen vorgenommen, um soweit möglich sicherzustellen, dass die Bildsequenz aus seriösen Quellen stammt und damit die Folgen eines durch einen Uno-Bericht dokumentierten Giftgasangriffs veranschaulicht. Der Presserat sieht deshalb die Richtlinie 3.1 zur Quellenbearbeitung nicht verletzt.

3. Der zweite Teil des externen Filmmaterials stammt von den «White Helmets». Auch diese Sequenz bringt Beschwerdeführer X. mit der Nusra-Front in Verbindung. Auch hier bemängelt er, die Quelle des Filmmaterials sei für die Zuschauer nicht verständlich bezeichnet. Das aber wäre unerlässlich, damit die Zuschauer diese visuelle Information richtig einschätzen könnten. «10vor10» kann auch hier glaubhaft darlegen, dass die Weisshelme nichts mit der Terrorgruppe Nusra-Front zu tun haben oder gar zu ihr gehören, sondern dass diese private, nicht staatliche Zivilschutzorganisation von Freiwilligen in Syrien Zivilisten hilft. Die Redaktion erläutert, die Links zu den für den Filmeinspieler verwendeten Videos der «White Helmets» habe sie über einen syrischen Journalisten erhalten. Er lebe in Deutschland und arbeite für grosse, renommierte Medien. Die verwendeten Bildsequenzen der Organisation der Weisshelme seien also durchaus eine glaubwürdige Quelle. Der Presserat kann auch hier keine Verletzung der Pflicht erkennen, die Quelle einer Information und ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen.

4. Der Beschwerdeführer moniert besonders, dass die Quellen des externen Filmmaterials für die Zuschauer nicht verständlich bezeichnet sind. Die SRF-Redaktion macht geltend, auf den gezeigten Bildsequenzen seien die Signete der Urheber ersichtlich. Sie machten deutlich, dass diese Sequenzen nicht von SRF gedreht worden seien. Zugleich hätten diese Signete «interessierte Zuschauer» darauf hingewiesen, dass dieses Material aus lokalen Quellen stamme. Zusätzlich sei noch das Datum eingeblendet worden, an dem die Videos gedreht wurden (16. März 2015). Wie detailliert eine Quelle anzugeben sei, hänge in hohem Mass davon ab, wie umstritten der Informationsgehalt der gezeigten Bilder sei. Hier sei dieser Gehalt unumstritten: Die Bilder zeigten Menschen, die nach dem Chlorgasangriff vom März 2015 auf Sarmin in einer behelfsmässigen Krankenstation behandelt würden.

Für den Presserat ist die Kritik des Beschwerdeführers, dass die Bildquellen ungenügend gekennzeichnet sind, nicht ganz von der Hand zu weisen: Das Signet des Koordinationsbüros Sarmin wie das der Weisshelme sind dem normalen Zuschauer wohl kaum bekannt und sagen ihm wenig. Dieser erkennt wahrscheinlich nur, dass es sich um lokale Filmbilder handelt. Es wäre daher wünschenswert gewesen, «10vor10» hätte die Herkunft der Filmsequenzen für das Publikum verständlicher und aufschlussreicher deklariert. Sei es im Sprechtext, sei es als Einblender (Laufband, Bildlegende). Ein knapper, aber klarer Hinweis wäre für das Publikum eine Hilfe und ein Gewinn gewesen.

Dieser Mangel begründet nach Auffassung des Presserats jedoch keine Verletzung von Richtlinie 3.1 zur Quellenbearbeitung. Denn insgesamt erlaubte der Beitrag den Zuschauenden, das Thema einzuordnen und zu werten: Mit dem faktenbasierten Bericht der Uno über die Giftgasangriffe, der Einschätzung des Berichts durch Experten, der Illustration der Folgen des Angriffs durch den kurzen Filmeinspieler aus Sarmin wurden genügend Elemente gegeben, welche den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Einordnung der Bilder ermöglichten.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «10vor10» hat mit dem Beitrag «Syrische Regierung setzte Chlorgas ein» die Ziffer 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.