Nr. 69/2020
Wahrheitspflicht / Trennung von Fakten und Kommentar / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Berichtigung

(Pfluger c. «NZZ am Sonntag»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 17. Mai 2020 veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» (NZZaS) einen Artikel mit dem Titel «Wer hinter dem Protest steckt», gezeichnet von Lukas Häuptli und Andreas Schmid. Sie schildern, wer die wichtigsten Figuren hinter den Protesten gegen die Corona-Massnahmen sind. Sie nennen dabei insbesondere zwei Personen, Alec Gagneux und Christoph Pfluger.

Von Pfluger wird unter anderem gesagt, er schreibe auf seiner Webseite und in seinem Magazin «Zeitpunkt» schon seit Ende März Texte gegen den «Lockdown», in einem Sonderheft des Magazins mit dem Titel «Corona – das riesige Nichts» bezweifle er, dass das Virus überhaupt einmal da gewesen sei. Später befasst sich der ausführliche Text mit Pflugers Haltung und bemerkt, dieser halte die Präsenz von Rechtsextremen bei den Mahnwachen zwar für verwerflich und fährt dann fort: «Pfluger begab sich aber mehrmals selbst in den Dunstkreis von Rechtsaussen». Als Beleg dafür nennt der Artikel Pflugers Auftritt beim Internet-Fernsehsender «alpenparlament.tv», welches von Martin Frischknecht betrieben werde, einem «Verschwörungstheoretiker mit Hang zu Esoterik und rechtsradikalen Positionen», sowie Auftritte Pflugers in Sendungen des deutschen Videoproduzenten Ken Jebsen. Dem früheren Radiomoderator seien 2011 antisemitische Äusserungen vorgeworfen worden, heute verbreite er Verschwörungstheorien und sei einer der Drahtzieher der Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen in Deutschland.

Am 23. Mai 2020 verlangte Christoph Pfluger von der Chefredaktion der NZZaS eine Gegendarstellung des Inhalts, dass er die Existenz von Sars-CoV-2 keineswegs abstreite, sondern nur daran zweifle, dass Covid-19 zu einer höheren Übersterblichkeit führt als eine schwere Influenza-Welle. Weiter verlangte er die Löschung der betreffenden Passage des Artikels. Die NZZaS hat diese Begehren am 28. Mai 2020 abgelehnt mit der Begründung, dass Pfluger einerseits die Feststellung im NZZaS-Artikel nicht richtig wiedergebe und dass andererseits durch ein Interview belegt sei, dass er, Pfluger, bezweifelt habe, dass das Virus überhaupt einmal da gewesen sei. Damit seien die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Gegendarstellung nicht gegeben, ebenso wenig wie die für eine Löschung.

B. Am 8. Juni 2020 reichte Christoph Pfluger Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Artikel der «NZZ am Sonntag» ein. Er macht Verletzungen der Ziffern 1, 2, 3 und 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Insbesondere verstosse die NZZaS mit ihrem Artikel gegen die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche), gegen Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), Richtlinie 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen) und Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht).

Im Einzelnen macht Beschwerdeführer Pfluger (BF) geltend, die Behauptung, er leugne die Existenz des Corona-Virus, sei falsch, damit verstosse die NZZaS gegen die Wahrheitspflicht. Er streite nicht die Existenz des Virus ab, sondern er zweifle nur an der angeblich höheren «Übersterblichkeit» im Vergleich zu einer schweren Grippewelle. Ebenso verstosse die Behauptung, er bewege sich im Dunstkreis von Rechtsaussen, gegen die Wahrheitspflicht. Der Hinweis auf ein Interview mit Ken Jebsen reiche dazu nicht aus, dieser Vorwurf werde erhoben, ohne dass darauf eingegangen werde, was der BF dort effektiv gesagt habe. Dasselbe gelte für das Gespräch im «alpenparlament.tv». Er habe als Journalist in 40 Jahren rund 10’000 Seiten geschrieben, darin finde man vermutlich keinen einzigen Satz, der auf rechtsextreme Gesinnung schliessen lasse.

Worin genau die gerügte Vermischung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3) besteht, erläutert der BF nicht, ebensowenig begründet er eine Verletzung von Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen). Der geltend gemachte Verstoss gegen die Berichtigungspflicht ergibt sich wohl aus der von ihm beschriebenen und mit den entsprechenden Dokumenten belegten Ablehnung der Gegendarstellung seitens der NZZaS.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 9. Juli 2020 beantragten NZZaS-Chefredaktor Luzi Bernet und der NZZ-Rechtsdienst, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Oder dann sei diese abzuweisen.

Den Antrag auf Nichteintreten begründet die Beschwerdegegnerin NZZaS (BG) damit, dass das Begehren des BF unklar und undeutlich formuliert sei. Die einzelnen gerügten Verstösse würden nicht klar begründet. Zudem sei der Presserat ohnehin nicht der richtige Ort für die Entscheidung darüber, wann eine Gegendarstellung geboten sei, dafür seien Zivilgerichte zuständig.

Inhaltlich sei die Beschwerde abzulehnen, weil der BF – entgegen seiner Behauptung in der Beschwerde – sehr wohl an der Existenz des Virus zweifle. Der Artikel der NZZaS verweise auf des BF Zeitschrift «Zeitpunkt», deren Sonderausgabe habe unter dem Titel gestanden «Corona – das riesige Nichts». Dieser Titel allein lasse keine andere Interpretation zu als die, dass der BF an der Existenz des Virus zweifle. Auch einzelne Artikel im Heft behandelten verschwörungstheoretische Themen rund um Covid-19, wenn etwa diskutiert werde, dass Bill Gates hinter dem Virus stecke. Die Existenz der Pandemie werde zudem wortwörtlich geleugnet, wenn im Heft geschrieben werde «Wenn es die Zahlen nicht hergeben, müssen die Bilder die Pandemie beweisen». Weiter zitiert die BG eine Aussage des BF auf «alpenparlament.tv», wo der BF unter anderem sage: «Also das Ding ist schon am Verschwinden und man fragt sich natürlich, war es überhaupt jemals da? …» All dies belege, dass der BF wie im Artikel beschrieben die Existenz des Virus grundsätzlich bezweifle.

Was die Aussage im Artikel betrifft, der BF bewege sich «im Dunstkreis von Rechtsaussen», so sei dies nicht zu bestreiten angesichts der Tatsache, dass er in den Sendungen von «alpenparlament.tv» und Ken Jebsen aufgetreten sei, zweier Exponenten von Verschwörungstheorien, die allgemein dem rechten Flügel zuzuordnen seien. Eine solche Zuordnung basiere auf einer politischen Bewertung, die sachlich begründet werde und im Rahmen der freien Meinungsäusserung liege. Damit behaupte die NZZaS im Übrigen nicht, der BF gehöre selber solchen Strömungen an.

Was die Trennung von Fakten und Kommentar betrifft, sei diese klar erkennbar, wenn etwa die Teilnahme an bestimmten Interviews als Fakt geschildert und die Positionierung des Betreibers des Senders «alpenparlament.tv» als Person mit rechtsradikalen Positionen kommentiert werde. Der BF sei sowohl schriftlich wie mündlich ausführlich angehört worden, der entsprechende Vorwurf (nicht angehört worden zu sein) treffe ebenfalls nicht zu.

D. Am 24. Juli 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. September auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Zum Eintreten: Die NZZaS macht geltend, der Presserat sei nicht zuständig für den Entscheid, ob eine Gegendarstellung geboten sei oder nicht. Dem ist zuzustimmen. Das Gegendarstellungsrecht ist im Zivilgesetzbuch geregelt und entsprechend Sache der Zivilgerichte. Ebenso trifft zu, dass die Beschwerde hinsichtlich der Vorwürfe Trennung von Fakten und Kommentar, Anhörungsrecht und Berichtigungspflicht nicht hinlänglich begründet wird.
Dennoch tritt der Presserat auf die Beschwerde ein; denn klar ist, dass der BF den Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung», respektive Richtlinie 1.1 rügt und das auch begründet.

2. Was den Verstoss gegen die Wahrheitspflicht angeht, so macht der BF geltend, er stelle nicht die Existenz des Covid-19-Virus infrage, sondern nur dessen Gefährlichkeit, und er gehe davon aus, dass das Corona-Virus keine grössere «Übersterblichkeit» zeige als eine starke Grippewelle. Die NZZaS macht demgegenüber geltend, ein Titel wie «Corona – das grosse Nichts» allein belege schon, was die Zeitung geschrieben habe, nämlich er bezweifle die Existenz des Virus. Weiter werden andere Passagen aus Pflugers Sonderheft und aus einem Interview zitiert.

Wer ein Heft verantwortet, in welchem Verschwörungstheorien diskutiert werden wie diejenige, dass Bill Gates hinter der Problematik stecke und dieses Heft betitelt mit «Corona – das riesige Nichts», der muss davon ausgehen, dass der durchschnittliche Leser, die durchschnittliche Leserin (auf die der Presserat jeweils abstellt) das so versteht, dass es dieses «riesige Nichts» nicht gibt. Sonst wäre es ein «Etwas». Der BF weckt damit klar den Eindruck, dass er an der Existenz des Problems Coronavirus zumindest zweifelt. Dafür spricht auch seine im Interview geäusserte Bemerkung, wonach das Ding am Verschwinden sei, und man sich frage, «ob es jemals da gewesen» sei. Dem widerspricht auch nicht, dass der BF andernorts im Interview sagt, er nehme schon an, dass das Virus existiere. Weil er aber beifügt, es sei nicht gefährlicher als eine starke Grippewelle, und gleichzeitig an erwähnter Stelle seine Existenz generell bezweifelt, ist die entsprechende Einschätzung der NZZaS («zweifelt») zulässig. Der BF geht mindestens davon aus, dass das von den Medien behandelte Thema «Gefahr durch ein Corona-Virus» so nicht existiert, deutet aber stellenweise auch an, dass er an der Existenz des Virus selber zweifelt. Die Charakterisierung der NZZaS verstösst deshalb nicht gegen die Verpflichtung zur Suche nach der Wahrheit.

Was die Feststellung der NZZaS angeht, der BF habe sich in den Dunstkreis von Rechtsaussen begeben, so ist Ähnliches festzuhalten: Wenn sich jemand auf den Plattformen von Verschwörungstheoretikern bewegt, welche – je nach Bewertung – scharf rechtsnationalistische bis rechtsextreme Thesen vertreten, darf man zu Recht davon sprechen, er habe «sich mehrmals in den Dunstkreis von Rechtsaussen» begeben. Damit wird er nicht als Rechtsradikaler tituliert. Der Artikel weist vorgängig ausdrücklich darauf hin, dass es dem BF nicht wohl sei mit der Präsenz von Rechtsradikalen bei seinen Mahnwachen. Der BF wurde nicht, wie von ihm in der Beschwerde moniert, als rechtsradikal beschrieben, es wurde die Auswahl seiner Auftrittsplattformen (und damit auch der entsprechenden Publika) transparent gemacht und sehr kritisch beurteilt. Damit verstiess die NZZaS nicht gegen das Wahrheitsgebot.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit dem Artikel «Wer hinter dem Protest steckt» vom 17. Mai 2020 die Ziffern 1 (Wahrheitsgebot), 2 (Kommentar), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.