Nr. 5/2020
Wahrheitssuche / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Berichtigungspflicht / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(Bombardier Transportation (Switzerland) c. Schweizer Fernsehen SRF)

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Zusammenfassung

Der Presserat weist eine Beschwerde des Zugherstellers Bombardier gegen das Politmagazin «Rundschau» des Schweizer Fernsehen SRF ab. Das Magazin hatte im Mai 2019 über Mängel bei der Produktion der neuen SBB-Fernverkehrszüge berichtet. Die «Rundschau» stützte sich dabei stark auf Fotos von Ende 2017, die Schäden wie Kabelbrüche oder lose Schrauben dokumentierten. Zudem erhoben anonymisierte Mitarbeitende Vorwürfe gegenüber ihrem Arbeitgeber: Es fehle an Fachwissen, würde unsachgemäss gearbeitet, ja sogar notwendiges Werkzeug fehle. Sie sorgten sich daher um die langfristige Sicherheit dieser Züge.

Mit diesen schweren Vorwürfen konfrontierte die «Rundschau» den Hersteller an einem Freitagvormittag. Bombardier liess für die Antwort fast zwei Arbeitstage (plus ein Wochenende) verstreichen. Am Tag vor der Ausstrahlung monierte Bombardier dann, die Zeit reiche nicht, um die Dokumente seriös zu sichten. Ohne die Fotos und Zitate der Insider eingesehen zu haben, schickte Bombardier der «Rundschau» schliesslich eine schriftliche Stellungnahme.

Beim Presserat machte Bombardier geltend, die «Rundschau» habe unwahr berichtet und die Anhörungspflicht verletzt. Gemäss Bombardier habe SRF nicht die korrekte Produktionsphase der beschädigten Züge genannt. Die eingeblendeten Bilder zeigten Schäden von Testzügen in der Umrüstung.

Der Presserat beurteilt die Wahrheitspflicht nicht als verletzt, weil die «Rundschau» ihre Vorwürfe belegen konnte. Auch die Pflicht, Bombardier anzuhören, ist nicht verletzt. Denn der Hersteller kannte die Vorwürfe frühzeitig im Detail und hätte die Möglichkeit gehabt, präzis dagegenzuhalten. Das Unternehmen verzichtete jedoch darauf. Das medienethische Gremium mahnt die «Rundschau» aber, dass es wünschbar gewesen wäre, die Schadenbilder zu hinterfragen und gegenüber den Zuschauern die Phasen der Fertigung genauer zu benennen.

Résumé

Le Conseil de la presse rejette une plainte du constructeur ferroviaire Bombardier contre le magazine politique «Rundschau» de la chaîne de télévision suisse SRF. L’émission avait relaté en mai 2019 les problèmes techniques rencontrés dans la production des nouveaux trains grande ligne des CFF. «Rundschau» se fondait largement sur des photos datant de fin 2017 illustrant des dommages tels que câbles rompus et vis desserrées. Des collaborateurs qui n’étaient pas cités nommément reprochaient en outre à leur employeur de manquer de connaissances techniques, de travailler de manière non professionnelle, et même de ne pas disposer des outils nécessaires. Les collaborateurs n question se faisaient du souci, toujours selon le magazine, pour la sécurité des trains à long terme.

«Rundschau» a confronté le fabricant de trains à ces graves reproches un vendredi matin. Bombardier a laissé passer près de deux jours ouvrés (plus un week-end) avant de réagir. Le jour de la diffusion de l’émission, Bombardier s’est alors plaint de manquer de temps pour pouvoir examiner sérieusement les documents. Sans avoir vu les fameuses photos ni les citations des collaborateurs, Bombardier a finalement envoyé un avis écrit au magazine «Rundschau».

Bombardier a fait valoir auprès du Conseil de la presse que «Rundschau» n’avait respecté ni son devoir de vérité ni le droit du constructeur d’être entendu. Selon Bombardier, la SRF s’était trompée de phase de production des trains. Les photos diffusées à l’écran montraient les dommages subis par des trains test en cours de transformation.

Le Conseil de la presse considère que le devoir de vérité n’a pas été violé, parce que «Rundschau» a pu prouver ses critiques. Le devoir d’entendre Bombardier a lui aussi été respecté. Car le constructeur ferroviaire avait connu en temps utile les détails des critiques et eu la possibilité de les contrer avec précision. L’entreprise avait cependant renoncé à le faire. Le Conseil de la presse signale toutefois à «Rundschau» qu’il aurait été souhaitable de contrôler les photos des dommages et d’indiquer plus précisément aux téléspectateurs quelle était la phase de fabrication concernée.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha respinto un reclamo presentato dal costruttore ferroviario Bombardier contro il settimanale di approfondimento «Rundschau» della Televisione svizzera SRF. Il servizio contestato si occupava della produzione dei nuovi convogli interurbani per le Ferrovie federali e si basava su foto scattate alla fine del 2017 che mostravano danni al cablaggio e viti non fissate. Testimonianze anonimizzate raccolte tra dipendenti dell’impresa contestavano la competenza del committente, accusato di organizzare male il lavoro e addirittura di far mancare strumentazioni necessarie. Il tutto concorreva, secondo la trasmissione, a sollevare molti interrogativi circa la resistenza nel tempo dei nuovi treni.

La redazione di «Rundschau» aveva sottoposto all’azienda le manchevolezze mostrate dal servizio un venerdì mattina. Questa aveva lasciato passare tutto il «weekend» e due giorni feriali interi prima di rispondere. Il giorno prima della trasmissione aveva avvertito la redazione di non essere in grado di verificare approfonditamente in tempo utile le mancanze denunciate. Senza pronunciarsi sul materiale fotografico e sulle segnalazioni dei dipendenti, l’azienda inviava alla trasmissione un comunicato per iscritto.

Nel reclamo presentato al Consiglio della stampa, la Bombardier accusa la trasmissione di falsità e di omissione del necessario confronto con l’azienda criticata. Il servizio ometteva di precisare in quale fase della produzione i treni difettosi si trovavano, le foto si riferivano a interventi di prova effettuati su carrozze in fase di trasformazione.

Il Consiglio della stampa ritiene che la «Rundschau» abbia dimostrato di non aver mancato al dovere di rispetto della verità mostrando quel servizio. Anche l’appunto di mancata consultazione dell’impresa non sussiste, perché all’azienda il contenuto del servizio era stato mostrato in tempo utile per essere contraddetto. Al servizio si può tuttavia rimproverare di non aver meglio precisato a quale fase del lavoro le foto si riferivano.

I. Sachverhalt

A. Am 15. Mai 2019 hat das Politmagazin «Rundschau» des Schweizer Fernsehen einen Beitrag mit dem Titel «SBB-Pannenzug: Insider packen aus» ausgestrahlt. Am selben Abend publizierte die Redaktion zudem den Online-Artikel «Pannenzug von Bombardier: Insider packen aus», der die wesentlichen Inhalte des Fernsehbeitrags wiedergibt. Die «Rundschau» berichtet darin über Mängel in der Produktion der neuen SBB-Fernverkehrszüge «FV Dosto». Deren Auslieferung verzögere sich seit Jahren. Auch seien sie störungsanfällig, wodurch es zu Ausfällen im Bahnverkehr komme. Das bestätigt im Fernsehbeitrag auch Toni Häne, Leiter Personenverkehr SBB. Die «Rundschau» stützt ihre Berichterstattung auf Fotos, die angebliche Schäden dokumentieren, die in der Produktion Ende 2017 verursacht worden seien. Des Weiteren erheben anonymisierte Mitarbeitende des Herstellers Bombardier Vorwürfe gegen ihren Arbeitgeber: Arbeiten würden unsachgemäss durchgeführt, weshalb die Wagen rasch rosten dürften; Schrauben würden dilettantisch angezogen, wodurch sich diese lösen könnten; und es fehle in der Produktionsstätte an notwendigem Werkzeug. Zudem würden Kabel ohne den vorgeschriebenen Abstand verlegt, was im späteren Betrieb zu elektronischen oder elektrischen Reaktionen führen könne. Die Mitarbeitenden geben an, dass qualifizierte Angestellte das Unternehmen verlassen und viele der temporär Beschäftigten nicht über das notwendige Fachwissen verfügen würden. Langfristig befürchten sie deshalb Sicherheitsprobleme bei den neuen Fernverkehrszügen. Bombardier streitet die Vorwürfe ab und verweist auf die befristete Betriebsbewilligung für die Züge, die das Bundesamt für Verkehr dem Hersteller erteilt hat. Auch würde jeder Zug «einzeln intensiv geprüft», betont Bombardier gegenüber der «Rundschau». Seit Februar 2018 hätten die Züge «750 000 Kilometer ohne einen einzigen sicherheitsrelevanten Vorfall» zurückgelegt, wie der Hersteller im Beitrag zitiert wird. Auch die SBB schreibt in ihrer Stellungnahme, dass «keine sicherheitsrelevanten Mängel» bekannt seien. Im Anschluss an den Beitrag hat die «Rundschau» ein Interview mit Edith Graf-Litscher, Präsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission, ausgestrahlt. Diese teilt die Bedenken der Mitarbeitenden nicht und verweist auf die Sicherheitskontrollen von Bombardier und SBB.

B. Am 12. August 2019 reichte die anwaltlich vertretene Bombardier Transportation (Switzerland) AG eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen das Schweizer Fernsehen ein. Die «Rundschau»-Berichterstattung verletze das Gebot zur Wahrheitssuche gemäss Ziffer 1 respektive Richtlinie 1.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (in der Folge «Erklärung» genannt), die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8), die Berichtigungspflicht (Richtlinie 5.1) und die Pflicht zum Schutz der Privatsphäre (Richtlinie 7.1).

Bombardier argumentiert, dass die Aussagen der sogenannten Insider (der anonymisierten Bombardier-Mitarbeitenden im Beitrag) haltlos, spekulativ und tendenziös seien. Diese Personen würden die jeweiligen Ist-Zustände der einzelnen Züge nicht kennen oder falsch einschätzen. Denn sie würden nicht zwischen Zügen in einer Testphase, in der Instandsetzung (sogenannter Retro-Fit nach der Testphase), in der Produktion oder in der Auslieferung unterscheiden. Das Bildmaterial, das die angeblichen Mängel dokumentiere, zeige eine Betriebshalle eines Drittunternehmens. Dieses sei von Bombardier beauftragt worden, Testzüge wieder instand zu setzen. Das von der «Rundschau» eingeblendete Bildmaterial stamme daher nicht von Zügen aus der Produktion, sondern von solchen, die nach einer intensiven, nicht kommerziellen Testkampagne wiederhergerichtet würden. Indem jedoch von Produktionsmängeln die Rede sei, suggeriere der Beitrag, dass die Züge von Bombardier ein erhebliches Sicherheitsproblem aufwiesen. Das sei unzutreffend. Es gäbe dafür «keine aktuellen Beispiele», schreibt Bombardier in der Beschwerde. Die «Rundschau» habe es unterlassen, die Aussagen der Mitarbeitenden zu überprüfen. Dadurch sei die Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1 der «Erklärung») verletzt.

Des Weiteren macht Bombardier einen Verstoss gegen die Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8) geltend. Die «Rundschau» habe unzumutbare Auflagen für die Sichtung des Bildmaterials gemacht. Die Redaktion habe verlangt, die Beschwerdeführerin während der Sichtung des Materials zu filmen. Dies hätte aber interne Abklärungen und Rückfragen seitens Bombardier verhindert, weshalb die Beschwerdeführerin dies ablehnte. Zudem sei Bombardier im Vorfeld nicht ausreichend über die Aussagen der Mitarbeitenden informiert worden. Damit sei Bombardier die Möglichkeit verwehrt worden, präzis Stellung zu nehmen. Auch andere Vorwürfe seien nur vage vorgetragen worden. Die erste Kontaktaufnahme sei am Freitag vor der Sendung (die jeweils am Mittwoch ausgestrahlt wird) erfolgt. Am Tag des Sendetermins habe die «Rundschau» zudem einen weiteren schweren Vorwurf gegen den Zughersteller erhoben. Dabei ging es um eine Tür, die sich während einer Fahrt gelöst habe. Für eine Stellungnahme sei Bombardier knapp zwei Stunden gewährt worden. Deshalb habe der Hersteller «kein angemessenes Gegengewicht» zu diesem Vorwurf herstellen können.

Nachdem der Beitrag ausgestrahlt worden war, habe Bombardier sich an die Redaktion gewandt und diese auf die Unwahrheiten hingewiesen. Bis zur Eingabe dieser Beschwerde stünde jedoch eine Korrektur aus, was die Berichtigungspflicht (Richtlinie 5.1) verletze.

Bombardier beruft sich im Weiteren auf die Ziffer 7 der «Erklärung» und verweist darauf, dass Journalistinnen und Journalisten sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen haben. Dazu gehöre unter anderem, dass die Fernverkehrszüge von Bombardier generell an gravierenden Produktionsmängeln leiden oder ein Sicherheitsproblem darstellen würden, schreibt die Beschwerdeführerin.

C. Am 2. Oktober 2019 nahm Mario Poletti, Redaktionsleiter der «Rundschau», Stellung zur Beschwerde. Diese sei abzuweisen. Den Vorwurf, dass die «Rundschau» unwahre Tatsachen verbreitet habe, weise die Redaktion zurück. Bombardier sei angehört und prominent in der Berichterstattung zitiert worden. Der Beitrag stütze sich auf mehrere Quellen, die sowohl den Stand 2017 als auch die gegenwärtige Situation der Fertigung aufzeigen würden. Dazu gehörten interne Dokumente von Bombardier, die Mängel in der Produktion Ende 2017 beschreiben würden, Einschätzungen des deutschen Bahnexperten Hans Leister und Aussagen von mehreren Mitarbeitenden Bombardiers. Letztere würden bestätigen, dass es bis in die Gegenwart zu Mängeln in der Fertigung komme. Gemäss den Mitarbeitenden seien diese gravierend und sicherheitsrelevant.

Anders als Bombardier geltend mache, behaupte die «Rundschau» nicht, dass die Foto-Aufnahmen ein «Endprodukt» zeigen würden. Quellen hätten gegenüber der Redaktion angegeben, dass sich diese Züge in der Schlussphase der Produktion befänden. In der Sendung sei zudem von «Zügen in der Fertigung» die Rede. In welcher Phase der Produktion sie sich befänden, würde im «Rundschau»-Beitrag nicht angegeben. Die nachträgliche genauere Bezeichnung von Bombardier ändere zudem nichts daran, dass es sich um Züge handle, die von Bombardier gefertigt und an die SBB ausgeliefert würden. Auch die spätere Präzisierung des Herstellers, dass es sich um Züge in einer Testphase handle, ändere nichts an der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung. Dass die Dokumente einen sogenannten Retro-Fit zeigen würden, habe die «Rundschau» erst mehrere Wochen nach der Ausstrahlung – durch ein Schreiben von Bombardier an die Chefredaktion – erfahren. Im Vorfeld der Sendung habe Bombardier weder in den Telefongesprächen noch in den Mails einen entsprechenden Hinweis gegeben.

Die «Rundschau» gibt an, den Hersteller Bombardier rechtzeitig kontaktiert zu haben. Zudem hätte dieser im Bericht die Gelegenheit erhalten, seine wichtigsten Argumente vorzubringen. Die Redaktion habe Bombardier zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit den Belegen konfrontiert. Das sei am Freitagmorgen gewesen, fünf Tage vor der Sendung. In einem Mail seien Bombardier die zentralen Vorwürfe genannt worden. Gleichzeitig sei der Sendetermin kommuniziert worden und die Möglichkeit, in der Sendung Stellung zu nehmen. Die Einsicht in die Dokumente sei im Anschluss verhandelt worden. Trotz Entgegenkommen der «Rundschau» habe Bombardier deren letztes Angebot abgelehnt.

Da die «Rundschau» ihr Vorgehen und die Umsetzung ihrer Berichterstattung als korrekt erachte, bestehe für die Redaktion kein Grund, Fakten zu berichtigen. Die Vorwürfe seien zudem belegt. Deshalb weise die «Rundschau» auch den Vorwurf zurück, ungerechtfertigte Anschuldigungen verbreitet zu haben.

D. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Januar 2020 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Fertigstellung der Fernverkehrszüge FV Dosto ist stark verzögert. Das dokumentieren nicht nur mehrere eingespielte, frühere Aussagen von Bombardier-Geschäftsführer Stéphane Wettstein im Beitrag der «Rundschau». Das hält auch die SBB in ihrem dritten Statusbericht zum FV Dosto (erschienen am 6. Februar 2019) fest. Diesen Bericht hat Bombardier mit der Beschwerde beim Schweizer Presserat eingereicht. Darin hält die SBB zudem fest: «Die SBB ist mit der aktuellen Leistung der neuen Züge nicht zufrieden»; die Fahrzeuge würden «aus Sicht der SBB die minimalen Anforderungen für einen schweizweiten Einsatz noch nicht» erfüllen. Darüber hinaus sind im eingereichten Statusbericht die Lieferverzögerungen festgehalten sowie die häufigsten Fehlerquellen inklusive Störungsursachen der Züge aufgelistet. Aus dem Statusbericht geht ebenfalls hervor, dass sich Bombardier und SBB über die Ursachen der Lieferverspätung nicht einig sind. Dennoch belegt bereits dieser Bericht, dass die ausgelieferten Züge von Bombardier Mängel aufweisen und für Störungen im Bahnverkehr verantwortlich sind. Bombardier kann deshalb nicht geltend machen, dass die Kernaussage des «Rundschau»-Beitrags ungerechtfertigt ist.

Rund drei Monate nach dem Statusbericht strahlt die «Rundschau» eine Recherche über Mängel in der Produktion von Bombardier aus. Diese stützt sich unter anderem auf Bildmaterial, das beispielsweise einen Kabelbruch, einen fehlenden Lüftungskanal, eine lose Schraube oder gebrochenes Glas zeigt. Der deutsche Bahnexperte Hans Leister kommentiert die Fotos mit «Pfusch am Bau, Pfusch in der Montage». Gemäss «Rundschau» würden die Bilder Mängel in der Fertigung Ende 2017 dokumentieren. Mitarbeitende von Bombardier bestätigen gegenüber dem Fernsehteam, dass sich die Qualität nicht verbessert habe. Die Fehler würden sich wiederholen und man fände sie in jedem einzelnen Fahrzeug, sagen die namentlich nicht genannten Angestellten.

Bombardier moniert, das eingeblendete Bildmaterial stamme aus Testfahrzeugen, die nach einer nicht kommerziellen Testphase wiederhergerichtet würden. Es seien nicht Züge, die sich in der Produktion befänden, sondern in der Umrüstung. Das habe nichts mit dem Endprodukt zu tun. Es sei daher eine Unterstellung, Bombardier habe der SBB mangelhafte Züge geliefert. Die «Rundschau» weist in ihrer Beschwerdeantwort darauf hin, dass im Beitrag nicht behauptet werde, die Fotos zeigten ein Endprodukt, sondern Züge in der Fertigung. Die nachträgliche genauere Bezeichnung der Produktionsphase durch Bombardier ändere nichts daran, dass diese Züge für die SBB angefertigt worden seien.

Für den Presserat ist es aufgrund der vorliegenden Dokumente nicht abschliessend abschätzbar, in welcher Phase sich die Züge befanden, als die Schäden aufgenommen wurden. Das Argument von Bombardier, dass die Fotos ein Werk eines Lieferanten zeige, reicht nicht. Beim entsprechenden Foto ist der Hintergrund kaum erkennbar; Rückschlüsse auf den Ort lässt es nicht zu. Dem Presserat liegen die Mails zwischen Bombardier und der «Rundschau» vor, die im Vorfeld der Sendung verschickt wurden. Sie belegen, dass die «Rundschau» Bombardier am Freitag vor dem Sendetermin mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert hat. Im entsprechenden Mail wird auf Fotos von Ende 2017 verwiesen, die zahlreiche Mängel in mehreren Zügen zeigen würden. Die «Rundschau» listet diese auf: «fehlerhafte Montagen, lose Abdeckungen, fehlende Komponenten, ungeschützt herumliegende Teile, gebrochenes Glas, Wasserschaden». Aus demselben Mail erfährt Bombardier, dass ein Experte dies als «Pfusch in der Montage» einschätzt. Ebenfalls kann Bombardier dem Schreiben der «Rundschau» entnehmen, dass Mitarbeitende von immensen Qualitätsproblemen in der Endfertigung sprechen und vor nicht sicheren Zügen warnen. Sie befürchten unter anderem, dass Teile sich lösen können oder diese aufgrund unsachgemässer Bearbeitung rosten.

Das erste Mail der «Rundschau» enthält die konkreten Vorwürfe, die im späteren Bericht dargelegt wurden. Bombardier wusste ab Freitagvormittag von deren Schwere und somit vom eigentlichen Inhalt des Beitrags. Trotzdem hat die Beschwerdeführerin die Gelegenheit nicht genutzt, um die Dokumente im Vorfeld der Sendung zu sichten und allenfalls Präzisierungen anzubringen. Vielmehr hat sich Bombardier mit einer allgemeinen Stellungnahme zufrieden gegeben. Die «Rundschau» hat deren zentralen Argumente in der Berichterstattung aufgenommen. So wird im Beitrag explizit erwähnt, dass die Züge bei mehr als 750 000 zurückgelegten Kilometern keinen einzigen sicherheitsrelevanten Vorfall aufweisen und die Sicherheit eines jeden einzelnen Zugs überprüft würde. Auch eine Stellungnahme der SBB über die Sicherheit der Bombardier-Züge fand Eingang in die Berichterstattung. Sie entkräftete die Vorwürfe der Mitarbeitenden. Auch die Aussagen von Edith Graf-Litscher, der Präsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission, entlasteten Bombardier. Die Wirkung der Bilder mit den dokumentierten Schäden auf die Zuschauerinnen und Zuschauer darf dennoch nicht unterschätzt werden. Der «Rundschau» wäre es gut angestanden, die Materialbilder genauer zu hinterfragen und die Produktionsphase detaillierter zu benennen. Hätte Bombardier jedoch die Dokumente gesichtet, wäre es dem Unternehmen möglich gewesen, diese zu präzisieren. Darauf aber hat Bombardier verzichtet, obwohl das Unternehmen frühzeitig über die Schwere der Vorwürfe informiert war. Indem die «Rundschau» alle ihr zugänglichen Quellen berücksichtigt hat, sieht der Presserat Ziffer 1 der «Erklärung» respektive die Suche nach der Wahrheit nicht als verletzt an.

2. Bombardier macht des Weiteren in der Beschwerde geltend, dass die «Rundschau» es unterlassen habe, die Beschwerdeführerin rechtzeitig zu kontaktieren und regelrecht zu schweren Vorwürfen anzuhören. Die Redaktion habe auf Zeit gespielt. Sie habe das Bildmaterial zuerst zurückgehalten und dann eine spätere Sichtung an unzumutbare Auflagen geknüpft. Wie bereits vorgängig ausgeführt, hat die «Rundschau» Bombardier am Freitagvormittag vor der Sendung mit den zentralen Vorwürfen konfrontiert und diese konkret geschildert. Im selben Mail wird der Beschwerdeführerin angeboten, Bombardier-Chef Stéphane Wettstein könne seine Sicht der Dinge im Beitrag vorbringen. Auf diese Nachricht reagiert Bombardier am Montagvormittag telefonisch und am späten Montagnachmittag mit einem Mail an die Redaktion. Darin schlägt Bombardier vor, gemeinsam mit einem Vertreter der SBB das Bildmaterial in der Redaktion zu sichten. Im nachfolgenden Mailverkehr findet ein Feilschen um die Bedingungen statt. Die «Rundschau» will bei der Sichtung gleichzeitig eine Stellungnahme vor der Kamera einholen; Bombardier lehnt dies ab. Schliesslich lenkt am Dienstagvormittag die «Rundschau» ein. Bombardier gibt an, für eine seriöse Sichtung sei der Dienstagnachmittag zu kurzfristig und verspricht eine schriftliche Stellungnahme, die in der Folge eintrifft.

Aus dem vorliegenden Mailverkehr geht hervor, dass die «Rundschau» die Beschwerdeführerin rechtzeitig kontaktiert und auf deren Nachfragen zeitnah reagiert hat. Der Vorwurf seitens Bombardier, zu wenig Zeit für eine Sichtung des Materials gehabt zu haben, ist insofern unhaltbar, als Bombardier selber fast zwei Arbeitstage (Freitag und Montag) verstreichen liess, um die Anfrage der «Rundschau» zu beantworten. Bombardier schlug am späten Montagnachmittag vor, das Bildmaterial am Dienstagvormittag in der Redaktion zu sichten. Die «Rundschau» lud Bombardier und die SBB für den Nachmittag ein – mit der Auflage, dass die Beschwerdeführerin vor Ort eine Stellungnahme vor der Kamera abgibt. Ein Filmen bei der Sichtung lehnte wiederum Bombardier ab. Der Presserat weist darauf hin, dass es unfair ist, eine Sichtung vom gleichzeitigen Filmen abhängig zu machen. Allerdings hat am Dienstagvormittag die «Rundschau» eingelenkt: Bombardier könne nach der Sichtung entscheiden, wie das Unternehmen Stellung beziehen wolle. Für ein Unternehmen, das über eine professionelle Medienstelle verfügt und die Vorwürfe seit Freitagmorgen kannte, ist es zumutbar, am frühen Dienstagnachmittag die Dokumente durchzugehen. Wie schnell die Medienverantwortlichen von Bombardier reagieren können, zeigte sich am Tag des Sendetermins. An jenem Mittwoch stellt die «Rundschau» eine Nachfrage bei Bombardier. Dabei ging es um eine Türe, die sich bei einem Hochgeschwindigkeitstest in Osteuropa gelöst haben soll. Die Stellungnahme von Bombardier ging vier Stunden später bei der Redaktion ein – und wurde in der Abmoderation wiedergegeben. Insgesamt befindet der Presserat, die «Rundschau» habe die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) nicht verletzt.

3. Bombardier bringt in ihrer Beschwerde zudem vor, die «Rundschau» habe die Berichtigungspflicht verletzt. Eineinhalb Monate nach Ausstrahlen der Sendung habe sich Bombardier an den Chefredaktor des Schweizer Fernsehen gewandt. Das Schreiben liegt dem Presserat vor. Bombardier hält darin fest, dass die Fotos Züge zeigten, die nach den Testkampagnen umgerüstet würden. Auch verweist der Hersteller auf den Vorfall in Osteuropa, als sich bei einer Testfahrt eine Türe gelöst hat. Es sei physikalisch gar nicht möglich, dass diese 700 Meter weggespickt sei, wie dies ein Mitarbeitender von Bombardier im Beitrag angibt. Die «Rundschau»-Redaktion hält in ihrer Beschwerdeantwort hingegen fest, dass die Berichterstattung korrekt sei und es daher keine Fakten gäbe, die zu berichtigen seien.

Wie bereits unter Punkt 1 der Erwägungen ausgeführt, beurteilt der Presserat die Wahrheitspflicht als nicht verletzt. Der Beitrag thematisiert Mängel in der Fertigung von Bombardier. Aufgrund des vorliegenden Materials ist es für den Presserat nicht abschliessend ersichtlich, in welcher Phase die dokumentierten Schäden entstanden sind. Dies ist aber im vorliegenden Fall nicht zentral. Bereits im Februar 2019 hat die SBB in ihrem Statusbericht die mangelhafte Qualität der FV Dosto-Züge thematisiert. In der Beschwerde widerspricht Bombardier zudem nicht, dass jene Züge, deren Schäden fotografisch dokumentiert sind, nach der Umrüstung nicht ebenfalls an die SBB geliefert würden.

Nachdem die «Rundschau»-Redaktion durch die Beschwerde beim Presserat erfahren hat, dass die Tür bei der Testfahrt in Osteuropa maximal 70 statt 700 Meter weggespickt sei, ist dies im Online-Artikel zu berücksichtigen. Er sollte darauf hinweisen, dass Bombardier von 70 Metern ausgeht. Allerdings ändert diese ungenaue Angabe nichts am eigentlichen Sachverhalt, dass die Türe wegflog. Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) ist jedenfalls trotz der Ungenauigkeit in einem Nebenaspekt nicht verletzt, weil die «Rundschau» nicht unwahr berichtet hat.

4. In der Beschwerde beruft sich Bombardier auch auf die Ziffer 7 der «Erklärung». Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen seien. Dieser Vorwurf ist bereits oben in Erwägung 1 zu Ziffer 1 (Wahrheit) abgehandelt. Ziffer 7 der «Erklärung» ist vorliegend nicht anwendbar.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in allen Punkten abgewiesen.

2. Die «Rundschau» hat mit dem Fernsehbeitrag «SBB-Pannenzug: Insider packen aus» und dem entsprechenden Online-Artikel Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 3 (Anhören bei schweren Vorwürfen), Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) und Ziffer 7 (Ungerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.