Nr. 35/2017
Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Informationen / Anhören bei schweren Vorwürfen / Berichtigung

(X. c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 17. Oktober 2017

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I. Sachverhalt

A. Am 16. November 2016 berichtete das «St. Galler Tagblatt» (SGT) in seinem Bund «Ostschweiz» unter dem Titel «Bistum St. Gallen ab 2017 mit Ombudsstelle» über mehrere Beschlüsse des Katholischen Kollegiums des Kantons St. Gallen, u.a. zum Budget, zur neuen Kathedralvereinbarung und zu zwei Bauprojekten. Nicht eingetreten sei das Kollegium auf zwei Volksmotionen, die von derselben Person gekommen seien und deren eigene Situation beträfen. Es könne nicht sein, dass persönliche Anliegen zu einer Volksmotion führten. Das Bistum St. Gallen schaffe 2017 eine Ombudsstelle, ausserdem seien viele Anliegen im neuen Personaldekret bereits enthalten.

B. Am 9. Januar 2017 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen diesen Artikel ein, genauer gegen den letzten Abschnitt betreffend die beiden Volksmotionen. Der Beschwerdeführer sieht die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» − nachfolgend «Erklärung») mehrfach verletzt. Die Volksmotion «Geprüfter Datenschutz» mache nicht eine persönliche Situation zum Gegenstand, sondern die Umsetzung von Art. 26 des kantonalen Datenschutzgesetzes. Insoweit mit dem Vorstoss «Qualitätsentwicklung» seine eigene Personalführungssituation thematisiert sei, handle es sich vorrangig nicht um ein «persönliches Anliegen», sondern um eine pastorale Besorgnis. Diese Besorgnis hätten gut 300 Unterzeichnende und zahlreiche Solidaritätsbriefe zum Ausdruck gebracht als einen Aufruf zu Transparenz, Behebung eines bisher verdeckten Missstandes und zu kirchlich-fachgerechter Krisenbewälti-gung. Darüber hinaus ziele die Hauptstossrichtung von «Qualitätsentwicklung» auf die verstärkte Anwendung der kirchlichen Methode «Güterabwägung» im Personalwesen, konkret von Anhang 3 Artikel 3 des Personalreglements, die Protokollierung des rechtlichen Gehörs. Die Redaktion des «St. Galler Tagblatt» habe ihm am 8. November 2017 zugesagt, für den Fall einer Berichterstattung würde er der erste sein, der davon erfahre respektive Stellung nehmen könne. Diese Zusage sei bei der Wahrheitssuche für den Artikel vom 16. November 2016 verletzt worden. Weiter sieht X. Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Information) der «Erklärung» verletzt. Um die öffentlichkeitsrelevante Dimension der beiden Volksmotionen einordnen zu können, wäre es für Leser wichtig zu erfahren, dass es sich hier um die ersten beiden Volksmotionen im Bistum handelte, dass sich gut 350 Stimmberechtigte aus 22 Kirchgemeinden daran beteiligt hatten, dass der Beschwerdeführer als Erstunterzeichner vorwiegend in seiner Rolle als Pastoralassistent auf den Plan getreten sei und die wesentliche Leistung dieser Volksmotionen von engagierten Frauen und Männern erbracht worden sei in ihrer Überzeugungsarbeit für eine transparente, befreiende kircheninterne Kultur im Sinne von Papst Franziskus. X. macht zudem eine Verletzung von Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) geltend. Selbst nach der Abstimmungsniederlage blieben zentrale Anliegen der Volksmotionen Gegenstand des Diskurses, innerkirchlich und möglicherweise sogar gesellschaftlich, da die Bistumskirche St. Gallen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft sei. Verkürzte Information in der Berichterstattung könne einen schwerwiegenden Vorwurf bedeuten gegenüber den 300 Unterzeichnenden, denen indirekt unterstellt werde, sie hätten sich unkritisch vereinnahmen lassen, wenn es heisse, persönliche Anliegen dürften nicht zu einer Volksmotion führen. Gegenüber ihm als Erstunterzeichner könne es einen schweren Vorwurf bedeuten hinsichtlich seiner fachlich-pastoralen Kompetenz im Einsatz für eine faktentransparente Personalführungskultur und demzufolge hinsichtlich seiner Berufschancen in einem monopolistisch strukturieren Arbeitsmarkt. Und dass das demokratische Instrument «Volksmotion» zum ersten Mal ergriffen worden sei, könne eine ausserordentliche Sorgfaltspflicht begründen und es erfordern, ihn Stellung nehmen zu lassen; das «Tagblatt» habe ihm das ja auch zugesagt. Als letzte Rüge führt der Beschwerdeführer einen Verstoss gegen die Berichtigungspflicht an: Zwar habe das «St. Galler Tagblatt» seinen Leserbrief am 23. November 2016 veröffentlicht, allerdings sei sein Aufruf zu redaktioneller Richtigstellung herausgekürzt worden. Damit sei die Berichtigungspflicht nicht erfüllt worden, denn der Leserbrief sei weder zeitnah noch inhaltlich vollständig noch in einem dem beanstandeten Artikel ebenbürtigen Format und Gefäss erfolgt.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 17. Oktober 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, die offensichtlich unbegründet ist.

2. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Dem Beschwerdeführer geht es konkret um die beiden Sätze «Nicht eingetreten ist das Kollegium auf zwei Volksmotionen, die von derselben Person kamen und deren eigene Situation betrafen. Es könne nicht sein, dass persönliche Anliegen zu einer Volksmotion führten, wird ein Ratsmitglied in der Mitteilung zitiert». X. macht geltend, es handle sich weder bei der Volksmotion «Geprüfter Datenschutz» noch bei der Volksmotion «Qualitätsentwicklung» um ein persönliches Anliegen, sondern zum einen um die Umsetzung von Art. 26 des kantonalen Datenschutzgesetzes, zum anderen um eine pastorale Besorgnis, welche von gut 300 Unterzeichnenden getragen werde. Für die Beurteilung des Presserats ist das jedoch nicht ausschlaggebend. Er prüft, ob das «St. Galler Tagblatt» die Wahrheitspflicht respektiert hat, indem es berichtete, das Kollegium sei auf zwei Volksmotionen nicht eingetreten, die von derselben Person kamen und deren eigene Situation betrafen. Dieser Satz wird wie folgt präzisiert: «Es könne nicht sein, dass persönliche Anliegen zu einer Volkmotion führten, wird ein Ratsmitglied in der Mitteilung zitiert.» Damit wird klar, dass die «St. Galler Zeitung» die Haltung des Kollegiums wiedergibt. Dies ist für den Leser ersichtlich. Stefan Schmid, Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts», hat den Beschwerdeführer zudem von sich aus auf die Möglichkeit der Veröffentlichung eines Leserbriefs hingewiesen, um seine Haltung darzulegen. Darin hat X. die Gründe präzisieren können, warum es sich bei den Themen der beiden Motionen eben gerade nicht um persönliche Anliegen handelte. Der Satz mit seinem Aufruf zu einer redaktionellen Richtigstellung, dessen Streichung der Beschwerdeführer bemängelt, fehlte im Übrigen in einer ersten Fassung, die er dem SGT einen Tag zuvor eingereicht hatte. Letztlich ist die Zeitung dem Anliegen des Beschwerdeführers somit weitgehend nachgekommen. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht liegt offensichtlich nicht vor.

3. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten u.a., dass sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, das «Tagblatt» wäre verpflichtet gewesen, wichtige Zusatzinformationen zu den beiden Motionen zu veröffentlichen, um dem Leser zu ermöglichen, die öffentlichkeitsrelevante Dimension der beiden Volksmotionen zu erkennen. Zwar ist es richtig, dass der Leser und die Leserin nicht erfahren, wie viele Stimmberechtigte aus wie vielen Kirchgemeinden die beiden Motionen unterzeichnet haben und was genau der Inhalt dieser Motionen ist. Dass dies für den Erstunterzeichner wichtige Elemente sind, ist nachvollziehbar. Hingegen ist es für den Leser nicht unerlässlich, diese Details zu kennen, um den Sinn der Mitteilung zu verstehen – nämlich dass das Kollegium auf die Volksmotionen nicht eingetreten ist. Das «St. Galler Tagblatt» ist frei in der Wahl seiner Themen, eine Verpflichtung, über innerkirchliche Anliegen zu berichten, besteht nicht. Auch Ziffer 3 der «Erklärung» ist somit offensichtlich nicht verletzt.

4. Richtlinie 3.8 leitet aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten die Pflicht für Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Gestützt auf die ständige Praxis des Presserats wiegt ein Vorwurf schwer, wenn jemandem ein illegales oder damit vergleichbares besonders verwerfliches Verhalten vorgeworfen wird. Dies ist mit der Aussage, es handle sich beim Inhalt der beiden Motionen um persönliche Anliegen des Beschwerdeführers und Erstunterzeichners, offensichtlich nicht der Fall. Richtlinie 3.8 ist nicht verletzt. Daran ändert auch eine Zusage des SGT, Stellung nehmen zu können im Falle einer Berichterstattung, nichts. Es versteht sich jedoch von selbst, dass man solche Zusagen nur machen sollte, wenn man sie auch einhalten kann.

5. Ist die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») nicht verletzt, so findet auch die in Ziffer 5 der «Erklärung» statuierte Berichtigungspflicht für unrichtige Fakten keine Anwendung. Die Ziffer 5 präzisierende Richtlinie 5.2 zu Leserbriefen hält zudem fest, dass Briefe von Leserinnen und Lesern redigiert und dem Sinn entsprechend gekürzt werden dürfen. Insofern ist auch die Streichung des Satzes «Ich bitte die Tagblattredaktion um Hintergrund-Information zu diesen und weiteren Sachverhalten» nicht zu beanstanden, umso mehr als medienethisch kein Anspruch auf Veröffentlichung von Leserbriefen besteht.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.