Nr. 26/2015
Wahrheitspflicht / Unschuldsvermutung

(Mank c. «Blick» und «Blick Online») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 26. Juni 2015

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe vom 4. Juli 2014 veröffentlichten «Blick» und «Blick Online» unter dem Titel «Diese Politiker gerieten auf die schiefe Bahn» einen Artikel über Politiker, die «dem Alkohol nicht widerstehen» konnten oder «nüchtern auf die schiefe Bahn» geraten sind. Unter dem Titel «Das gefallene Dutzend!» war dem Artikel eine Bildergalerie mit zwölf Politikerinnen und Politikern beigefügt, darunter ein Bild von Oliver Mank mit folgender Bildlegende: «Im Schaffhauser Stadtparlament spielte er den Moralapostel. Nebenbei betrieb er ein Puff. 2013 wurde Oliver Mank wegen Menschenhandels in zwei Fällen verurteilt.»

B. Am 7. Juli 2014 beschwerte sich Oliver Mank beim Schweizer Presserat gegen diesen Artikel. Er macht eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Er habe kein Puff betrieben, sondern sei als Angestellter Geschäftsführer in einem Cabaret gewesen. Ausserdem sei das Urteil wegen Menschenhandels nicht rechtskräftig. Durch diesen Artikel mache ihn «Blick» zur öffentlichen Person und begründe dies mit seiner Tätigkeit als Schaffhauser Stadtparlamentarier. Stadtparlamentarier sei er 2006 und 2007 gewesen, die Anschuldigungen gegen ihn bezögen sich auf das Jahr 2011 und 2012. Die volle Namensnennung verletze deshalb seine Persönlichkeitsrechte gemäss Ziffer 7 der «Erklärung».

C. Mit Schreiben vom 24. September 2014 und 21. Januar 2015 forderte der Presserat den «Blick» auf, sich zur Beschwerde zu äussern. Dieser Aufforderung kam «Blick» nicht nach.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der 3. Kammer zu, der Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried angehören. Matthias Halbeis und Franca Siegfried – beide Mitarbeitende der «Blick»-Gruppe – traten von sich aus in den Ausstand.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 11. März 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Oliver Mank beschwert sich über die Bildlegende und macht geltend, er habe kein «Puff» betrieben, sondern sei im Angestelltenverhältnis Geschäftsführer in einem Cabaret gewesen. Bei der vom «Blick»-Autor gewählten Formulierung («Nebenbei betrieb er ein Puff») mag es sich um eine journalistische Unschärfe handeln, denn Puff (Bordell) und Cabaret sind umgangssprachlich nicht dasselbe. Die Grenzen der beiden Begriffe sind jedoch fliessend. Die zwar ungenaue, aber nicht falsche Wortwahl ist somit nicht geeignet, einen Verstoss gegen Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» zu begründen.

2. Der Beschwerdeführer wehrt sich zudem gegen die Aussage in der Bildlegende, er sei wegen Menschenhandels in zwei Fällen verurteilt worden. Dies entspreche nicht der Wahrheit, der Berufungsprozess vor dem Obergericht Schaffhausen finde am 12. August 2014 statt. Gestützt auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 7.4 haben Journalisten der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Die Bildlegende verschweigt, dass das Urteil in Bezug auf den Vorwurf des Menschenhandels nicht rechtskräftig war. Dabei handelt es sich um einen schweren Vorwurf. «Blick» hätte dem Rechnung tragen müssen. Dies gilt auch für eine kurze Bildlegende. Ziffer 7 ist verletzt.

3. Der Beschwerdeführer wird mit Vor- und Nachnamen genannt, womit er seine Privatsphäre verletzt sieht. Im Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Anschuldigungen habe er kein öffentliches Amt bekleidet, welches eine volle Namensnennung rechtfertigen würde. Ziffer 7 der «Erklärung» verpflichtet Journalisten, die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Lag es hier im öffentlichen Interesse, zu erfahren, dass ein früherer Stadtparlamentarier ins Visier der Justiz geraten ist, dies nicht für einen Bagatellfall, sondern für eine gravierende Anschuldigung? Wer sich für ein politisches Amt zur Wahl stellt, setzt sich einer gewissen Kritik und Beobachtung durch die Öffentlichkeit und die Medien aus. Politiker tragen eine gesellschaftliche Verantwortung, da sie zur Rechtsstaatlichkeit beitragen sollen und auch von ihnen erwartet wird, dass sie das Gesetz befolgen. Journalisten können ihre Rolle als «watch dogs» nicht spielen, wenn sie nicht auch die Vergangenheit von Politikern beleuchten können. Fragt sich, ob die Zeitdifferenz zwischen dem politischen Amt und dem Gerichtsverfahren zu gross ist, um noch einen Bezug zum Amt herzustellen. Der Presserat meint nein, liegen zwischen der Ausübung des politischen Amts durch Oliver Mank und dem massgeblichen Zeitpunkt für die ihm zur Last gelegten Anschuldigungen doch lediglich vier Jahre. Eine Verletzung der Privatsphäre liegt demnach nicht vor.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Blick» und «Blick-Online» haben Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» in Bezug auf die Unschuldsvermutung dadurch verletzt, dass sie den Beschwerdeführer zu einem Zeitpunkt als verurteilt bezeichnet haben, zu dem das Urteil noch nicht rechtskräftig war. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.