Nr. 17/2017
Wahrheitspflicht / Trennung von Fakten und Kommentar / Unschuldsvermutung / Unlautere Beschaffung von Informationen

(Gemeinde Reinach c. «Basler Zeitung»)

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Zusammenfassung

«Behauptungen statt Fakten

Die «Basler Zeitung» berichtete im Dezember 2016 und Januar 2017 über eine angebliche Sex-Affäre in einem Asylheim der Gemeinde Reinach. Eine Betreuerin habe eine sexuelle Affäre mit einem minderjährigen Asylsuchenden gehabt. Schliesslich habe die Gemeinde die Mitarbeiterin freigestellt. Die beiden Artikel werfen hauptsächlich die Frage auf, ob sich die Gemeinde Reinach strafbar gemacht hat, weil sie eine mögliche Straftat nicht der Staatsanwaltschaft meldete.

Auf Beschwerde der Gemeinde hin hat der Schweizer Presserat nun die «Basler Zeitung» gerügt. Beide Artikel verletzen die Wahrheitspflicht gemäss Journalistenkodex. Denn die «Basler Zeitung» ging in Form von Feststellungen davon aus, dass es eine sexuelle Affäre gab, obwohl dies nicht nachgewiesen ist. Zudem stellte die Zeitung fest, Reinach habe seine Meldepflicht verletzt, obwohl auch diese Frage strittig ist.

Die «Basler Zeitung» verletzte mit den Titeln «Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim» und «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim» zudem die Unschuldsvermutung. Diese Titel konstatieren eine «Sex-Affäre» bzw. ein strafrechtlich relevantes Verhalten, obwohl für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gilt. Es genügte nicht, dass die Zeitung die Unschuldsvermutung dann im Text erwähnte.

Résumé

Des allégations plutôt que des faits

La «Basler Zeitung» a rendu compte en décembre 2016 et janvier 2017 d’une prétendue affaire de mœurs qui se serait déroulée dans un foyer pour requérants d’asile de la commune de Reinach. Une collaboratrice du foyer aurait eu des relations sexuelles avec un requérant mineur. La commune aurait ensuite suspendu cette collaboratrice. Les deux articles soulèvent principalement la question de savoir si la commune de Reinach s’est rendue punissable en ne dénonçant pas une possible infraction au Ministère public.

La commune s’est plainte auprès du Conseil suisse de la presse, qui vient d’infliger un blâme à la «Basler Zeitung». Les deux articles portent atteinte au devoir de vérité inscrit dans le code de déontologie des journalistes. Car la «Basler Zeitung» a avancé sous la forme de constatations qu’il y avait bien eu aventure sexuelle alors que les faits n’étaient pas prouvés. Le journal a également constaté que Reinach avait violé son devoir de communiquer, alors que la question était elle aussi contestée.

La «Basler Zeitung» a également violé la présomption d’innocence en intitulant ses articles «Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim» (relations sexuelles avec un mineur au centre d’asile de Reinach) et «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim» (enquête pénale pour relatons sexuelles dans un centre d’asile de Reinach). Ces titres constatent une affaire de mœurs et un comportement pénalement répréhensible alors que la présomption d’innocence vaut pour toutes les parties. Le fait que le journal évoque cette présomption d’innocence plus bas dans le texte ne suffit pas.

Riassunto

Supposizioni, non fatti

Scandalo sessuale nell’alloggio per richiedenti l’asilo del comune di Reinach: la «Basler Zeitung» ne dava notizia due volte, nel dicembre 2016 e nel gennaio 2017, chiamando in causa una sorveglianza e un minorenne richiedente l’asilo. In seguito all’episodio la dipendente sarebbe stata licenziata. Nei due articoli si diceva anche che il Comune di Reinach avrebbe omesso di segnalare il caso al Ministero pubblico.

Il Comune ha presentato reclamo al Consiglio della stampa, che gli ha dato ragione. I due articoli violano il dovere di ricerca e rispetto della verità iscritto nel codice professionale, in primo luogo dando per assodato che si trattava di sesso mentre questo aspetto non era provato. È controverso anche che il Comune non abbia denunciato il caso. Con i due titoli («Sesso con minorenne nell’alloggio per richiedenti l’asilo di Reinach» e «Inchiesta penale sul sesso nell’alloggio per richiedenti l’asilo di Reinach») il giornale ha violato anche il principio della presunzione di innocenza, perché a quel punto i fatti non erano accertati e non era provato che il Comune non avesse allertato l’autorità inquirente. Non è sufficiente, dopo questi titoli, l’accenno alla presunzione di innocenza contenuto nel testo.

I. Sachverhalt

A. Am 14. Dezember 2016 erschien in der «Basler Zeitung» (BaZ) im Bund Stadt / Land / Region ein Artikel von Joël Hoffmann mit dem Titel «Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim». Hoffmann beschreibt den Umstand, dass im Asylheim für unbegleitete Minderjährige in Reinach «eine Betreuerin wohl eine Affäre mit einem minderjährigen Asylsuchenden» gehabt habe. Dies sei eine mögliche Straftat. Diese «mögliche Straftat wurde von den Verantwortlichen der Gemeinde unter den Teppich gekehrt». Der Autor hält fest, dass für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gelte und dass ihm die Namen der Beteiligten bekannt seien.

Dann geht es um den weiteren Verlauf der «Affäre»: Die fragliche Betreuerin wird freigestellt, bestreitet aber eine Sex-Affäre. Der junge Asylsuchende wird in einem anderen Heim untergebracht. Es tauchen ein Chat-Verlauf und gemäss BaZ «eindeutige Bilder» auf, die die Affäre zwischen Betreuerin und dem jungen Asylsuchenden belegen sollen. Und es geht in erster Linie um den Umgang der Gemeindebehörden mit den Vorkommnissen: Die BaZ schreibt, die Gemeindebehörde von Reinach habe den Fall nicht bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, obwohl es sich um eine mögliche Straftat gehandelt habe, nämlich um Sex mit einer minderjährigen Person unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses gemäss Artikel 188 des Strafgesetzbuches. Die BaZ stellt ausserdem fest, dass die Staatsanwaltschaft erst dank einer Anfrage der BaZ über den Fall informiert worden sei. Die Gemeinde Reinach habe dann «Wind von den Recherchen der BaZ» bekommen und offenbar die Kommunikation ihrer Mitarbeiter nach aussen überwacht.

Am Abend vor der Publikation des Artikels in der «Basler Zeitung» verschickte die Gemeinde Reinach schliesslich eine Medienmitteilung, in der sie die Freistellung der Betreuerin kommunizierte. Auf Anfrage der BaZ nimmt der Gemeindepräsident von Reinach, Urs Hintermann, aber nicht weiter Stellung.

B. Am 6. Januar 2017 erscheint ein zweiter Artikel in der «Basler Zeitung», wieder von Joël Hoffmann. Diesmal mit dem Titel: «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim». Hoffmann stellt gleich zu Beginn fest: «Nun geschieht, was Reinachs Gemeindepräsident Urs Hintermann (SP) verhindern wollte». Die Baselbieter Staatsanwaltschaft habe ein Strafverfahren gegen die Betreuerin eröffnet. Ob auch gegen Hintermann und seine Kader ermittelt werde, sei offen. Es gelte für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.

Dann rekapituliert die BaZ die Affäre zwischen einer Betreuerin und einem minderjährigen Asylsuchenden. Dies mit der Feststellung: «Sie (die Gemeinde-behörden, Anm. d. Red.) haben entgegen ihrer gesetzlichen Pflicht versucht, die mögliche Straftat unter den Teppich zu kehren. Sie haben damit eine saubere Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft zu verhindern versucht.» Der Artikel enthält des Weiteren Stellungnahmen des Gemeindepräsidenten Urs Hintermann, die die BaZ anderen Medien entnimmt. Neu erwähnt die BaZ, die Gemeinde sei laut Quellen im Juli aufgefordert worden, ihrer Meldepflicht nachzukommen. Wer die Gemeinde dazu aufgefordert haben soll, schreibt die BaZ nicht. Gegenüber der BaZ habe sich Gemeindepräsident Hintermann wiederum nicht äussern wollen, mit Verweis auf das laufende Verfahren. Auf Facebook, auf seiner eigenen Website und gegenüber anderen Medien habe er sich aber geäussert: Der Journalismus der BaZ sei unlauter. Und in Bezug auf die Vorwürfe, die Affäre vertuscht zu haben, sei die Gemeinde zum Schluss gekommen, «dass es keinen glaubwürdigen Hinweis gibt, dass es zu einer strafrechtlich relevanten Handlung gekommen sei». Die Staatsanwaltschaft bestätigt zum Schluss gegenüber der BaZ, man habe ein Untersuchungsverfahren eröffnet, «weil ein hinreichender Tatverdacht besteht».

C. Am 18. Januar 2017 reichte die Gemeinde Reinach – vertreten durch Manuel Bertschi vom Verein «Fairmedia, für fairen Journalismus» – Beschwerde beim Schweizer Presserat ein und beanstandet die beiden erwähnten Artikel der BaZ. In beiden Artikeln sieht Fairmedia die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 4 (unlautere Methoden) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») respektive die Richtlinien 1.1 (Wahrheits-suche), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) sowie 7.4 (Unschuldsvermutung) verletzt. Die Gemeinde moniert als Erstes, die «Basler Zeitung» habe sich unlauterer Methoden zur Beschaffung von Informationen bedient. Der Journalist Joël Hoffmann habe via SMS zwei Mal versucht, von einer Mitarbeiterin der Gemeinde Reinach Informationen zu erhalten. Dies obwohl es offensichtlich sei, dass sie dem Amtsgeheimnis unterstehe und nicht befugt gewesen sei, Auskünfte zu erteilen. Die Mitarbeiterin gehöre weder der Kommunikationsabteilung der Gemeinde an, noch sei sie in einer Kaderfunktion. Der Journalist der BaZ habe bewusst versucht, eine Amtsträgerin in Versuchung zu bringen, das Amtsgeheimnis zu verletzen. Dies sei eine unlautere Methode.

Die Gemeinde beanstandet weiter einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht. Die beiden Artikel enthielten mehrere Passagen, die auf Mutmassungen beruhten. Der Journalist der BaZ stelle die Affäre der Betreuerin mit einem minderjährigen Asylsuchenden als Fakt dar. Dies obwohl diese Beziehung bis zum Zeitpunkt der Beschwerde nicht bewiesen sei und die Betreuerin sie bestreite. Ausserdem werde an mehreren Stellen das Wort «Sex» verwendet. Ob sexuelle Handlungen stattgefunden haben, sei aber völlig offen.

Weiter werfe die BaZ dem Gemeinderat und im Speziellen Gemeindepräsident Urs Hintermann vor, eine mögliche Straftat mit Absicht verschwiegen zu haben. Dies mit Formulierungen wie: «Recherchen der BaZ zeigen: Diese mögliche Straftat wurde von den Verantwortlichen der Gemeinde unter den Teppich gekehrt.» Oder: «Sie haben entgegen ihrer gesetzlichen Pflicht versucht, die mögliche Straftat unter den Teppich zu kehren. Sie haben damit eine saubere Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft zu verhindern versucht.» Fakt sei vielmehr, dass der Gemeinderat von Reinach sorgfältig geprüft habe, «ob nebst den arbeitsrechtlichen Massnahmen als ultima ratio auch die strafrechtliche Ebene in Anspruch genommen werden muss». Der Gemeinderat sei nach eingehender Prüfung zum Schluss gekommen, «dass kein ausreichender Verdacht auf einen strafrechtlichen Tatbestand vorliege …». Die Kantonspolizei habe ausserdem am 14. September 2016 eine umfassende Chronologie der Ereignisse erhalten. Von einer versuchten Vertuschung könne keine Rede sein. Es entspreche auch nicht der Wahrheit, dass die Gemeindebehörde versucht habe, die Kommunikation der Mitarbeitenden der Gemeinde zu überwachen. Die fragliche Mitarbeitende habe das SMS des BaZ-Journalisten von sich aus an ihre Vorgesetzten weitergeleitet. Unwahr sei schliesslich, dass Gemeindepräsident Hintermann zu den brisanten Vorkommnissen geschwiegen habe, wie die BaZ schreibe. Er habe am 13. Dezember 2016 via Medienmitteilung zum Vorwurf gegen die ehemalige Asylbetreuerin Stellung genommen. Dies also noch vor der Publikation des ersten Artikels.

Die Gemeinde sieht auch einen Verstoss gegen die Unschuldsvermutung gemäss Richtlinie 7.4. Der Journalist der «Basler Zeitung» habe zwar in beiden Artikeln festgestellt, dass für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gelte. Da er aber dann seine Ausführungen über die «Sex-Affäre» und über den Versuch der Gemeinde, eine mögliche Straftat zu verschweigen, laufend als Fakten darstelle (vor allem mit den Titeln der Artikel), verkomme die Unschuldsvermutung zu einer blossen Floskel. Der Journalist der «Basler Zeitung» begehe eine Vorverurteilung. Die BaZ gehe fälschlicherweise davon aus, dass erstens eine sexuelle Handlung stattgefunden habe. Und dass zweitens eine Abhängigkeit ausgenützt worden sei. Ob dies der Fall war, sei unklar und werde von der BaZ nicht aufgezeigt. Denn allein ein sexuelles Verhältnis wäre noch kein erfüllter Tatbestand gemäss Artikel 188 Abs. 1 im Strafgesetzbuch.

Reinach rügt schliesslich, dass die BaZ in beiden beanstandeten Artikeln ein Bild von Gemeindepräsident Urs Hintermann publiziert hat. Dadurch könnte die Leserschaft wegen der Titel («Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim» – «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim») schlussfolgern, der Gemeindepräsident selbst sei in die sexuelle Affäre involviert. Die Beschwerdeführerin nennt allerdings keine Ziffer der «Erklärung» und keine Richtlinie, die sie als verletzt erachtet.

Zum Schluss stellt die Gemeinde fest, aus ihrer Sicht bestehe kein öffentliches Interesse an dieser Geschichte. Der BaZ-Journalist habe lediglich versucht, ein öffentliches Interesse zu kreieren. Öffentliches Interesse könne demnach nicht als Rechtfertigung herhalten für die Verstösse, die die Beschwerdeführerin einklagt.

D. Die «Basler Zeitung» nimmt am 27. März 2017, anwaltschaftlich vertreten, Stellung. Die Beschwerde der Gemeinde Reinach sei vollumfänglich abzuweisen, sofern überhaupt auf sie eingetreten werden könne. Die Beschwerdegegnerin stellt fest, dass Manuel Bertschi nicht für Fairmedia zeichnungsberechtigt sei. Der Verein Fairmedia könne gemäss Statuten nur durch den Vereinspräsidenten oder durch den Vizepräsidenten zusammen mit einem weiteren Mitglied des Vorstands rechtsverbindlich handeln. Manuel Bertschi sei kein Mitglied des Vorstands. Die Beschwerde leide daher an einem Formmangel. Die Beschwerdeführerin habe es ausserdem unterlassen zu erwähnen, ob ein Gerichtsverfahren angestrengt werde. Auch in diesem Punkt sei die Beschwerde mangelhaft.

Dann folgt die Zusammenfassung der Entstehung der umstrittenen Artikel aus Sicht der BaZ: Der Journalist Joël Hoffmann habe im November 2016 von einer Drittperson Informationen zu einem sexuellen Verhältnis zwischen einer Betreuerin des Asylheims in Reinach und einem minderjährigen Asylsuchenden erhalten. Dem Journalisten sei mitgeteilt worden, die betreffende Mitarbeiterin sei mittlerweile freigestellt. Unter Umständen liege ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor. Der Journalist habe recherchiert und weitere Personen hätten ihm den Sachverhalt bestätigt. Die Informanten hätten verlangt, dass der Journalist ihre Identität zu ihrem Schutz nicht preisgebe.

Am 14. November 2016 habe Hoffmann die Staatsanwaltschaft kontaktiert, um Auskunft über ein allfälliges Strafverfahren gegen die Betreuerin zu erlangen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Baselland habe aufgrund dieser Medienanfrage eine Voruntersuchung eröffnet. Dies habe der Mediensprecher der Staatsanwaltschaft in einem Bericht von Tele Basel am 14. Dezember 2016 bestätigt. Im gleichen Bericht sage der Gemeindepräsident von Reinach, Urs Hintermann, er sei seit dem Sommer 2016 über die Angelegenheit unterrichtet. Die Staatsanwaltschaft wiederum bestätigt der BaZ am 6. Januar 2017, es sei neu ein Untersuchungsverfahren eröffnet worden, «… weil ein hinreichender Tatverdacht besteht».

Am 14. Dezember 2016 habe dann die BaZ den ersten Artikel publiziert. Journalist Hoffmann habe darin seine Recherchen geschildert und auf die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten hingewiesen. Er habe den Gemeindebehörden die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen. Die Gemeinde Reinach habe via Medienmitteilung ungerechtfertigte Vorwürfe gegen den Journalisten der BaZ erhoben. Dieser habe unlauter recherchiert und zu einer Amtsgeheimnisverletzung anstiften wollen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet sämtliche Vorwürfe gegen die BaZ. Joël Hoffmann habe sich bei der Informationsbeschaffung keiner unlauteren Methoden bedient. Seine Informationen stützten sich auf eine breite Quellenbasis. So habe er auch Gemeindepräsident Urs Hintermann kontaktiert, der aber wegen dem laufenden Verfahren keine Auskunft erteilen wollte. Und Hoffmann habe die Mitarbeiterin der Gemeinde um ein vertrauliches Gespräch gebeten. Es sei Hoffmann dabei um allfällige Ergänzungen oder Korrekturen gegangen. Er habe sich klar als Journalist der BaZ zu erkennen gegeben.

Die sexuelle Affäre sei nicht als Fakt dargestellt worden. Die Redaktion führt dazu einige Zitate ins Feld, die zeigen, dass die Rede von einer möglichen Straftat war oder dass eine Betreuerin «wohl» mit einem minderjährigen Asylsuchenden eine Affäre hatte. Dass die beiden eine Affäre gehabt hätten – welcher Art auch immer – sei überhaupt nicht bestritten. Die Redaktion hält sodann fest, ihre Aussage, wonach die Gemeinde mögliche Straftaten verschweigen wollte, hätten ihr mehrere Quellen bestätigt. Die BaZ bestreitet auch die Aussage der Beschwerdeführerin, der Polizei am 14. September 2016 eine ausführliche Chronologie der Ereignisse zugestellt zu haben; die Gemeinde liefere dazu keine Belege.

Das Hauptargument der BaZ für die Aussage, dass die Gemeinde Reinach die mögliche Straftat nicht gemeldet habe, ist, dass die Staatsanwaltschaft eine Vorprüfung des Falls erst aufgrund der Anfrage der Zeitung eingeleitet habe. Dies beweise, dass die Gemeinde Reinach bis zu diesem Zeitpunkt nichts bei der Staatsanwaltschaft gemeldet habe. Die BaZ habe nicht als Fakt dargestellt, dass die Mitarbeitenden der Gemeinde in Bezug auf die Kommunikation gegen aussen unter Druck gesetzt worden seien. Die BaZ habe lediglich geschrieben, dies sei «offenbar» so gewesen. Dies wiederum aufgrund der Angaben von mehreren Quellen.

Dass Gemeindepräsident Hintermann zu den brisanten Vorkommnissen geschwiegen habe, sei ein Fakt, argumentiert die Beschwerdegegnerin. Auf telefonische Anfrage von Joël Hoffmann habe Hintermann inhaltlich keine Stellung genommen. So schliesst die Beschwerdegegnerin, es liege insgesamt kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vor.

Zur Unschuldsvermutung hält die BaZ fest, dass diese klar nicht verletzt sei. In allen Artikeln sei der Hinweis auf die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten erfolgt.

Schliesslich weist die «Basler Zeitung» auch den Vorwurf zurück, Bild und Text irreführend kombiniert zu haben, sowie jenen des mangelnden öffentlichen Interesses. Gegenstand der Berichte sei in erster Linie das Verhalten der Gemeindebehörden gewesen. In diesem Zusammenhang sei Hintermann als Gemeindepräsident eine wichtige Figur und dürfe abgebildet werden. Das öffentliche Interesse an der Angelegenheit sei offensichtlich: eine mögliche (sexuelle) Affäre in einem Asylheim und der möglicherweise widerrechtliche Umgang der Gemeindebehörden damit. Bei so einer Geschichte sei das öffentliche Interesse ganz klar gegeben.

E. Das Präsidium des Presserats teilte den Fall der 1. Kammer zu. Der Kammer gehören die Präsidentin Francesca Snider und die Mitglieder Dennis Bühler, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler an.

F. Die 1. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Juni 2017 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Zuerst ist zu klären, ob die Beschwerde formal mangelhaft ist, sodass auf sie nicht einzutreten sei:
– Es liegt die Vollmacht der Gemeinde Reinach vor, wonach Fairmedia handelnd durch Manuel Bertschi die Gemeinde für die vorliegende Beschwerde vertreten darf. Das ist entscheidend. Ob Manuel Bertschi generell für den Verein Fairmedia zeichnungs-berechtigt ist oder nicht, spielt für diese Beschwerde keine Rolle.
– Fairmedia schreibt explizit, dass alle Voraussetzungen gemäss Art. 11 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats erfüllt seien. Damit ist auch klar, dass kein Parallelverfahren läuft oder angestrebt wird.
Die Voraussetzungen für die Behandlung der Beschwerde sind gegeben. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein.

2. Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung»): Bei der Frage, ob die «Basler Zeitung» die Ziffer 1 verletzt hat, gilt es zwei Ebenen auseinanderzuhalten:
Grundsätzlich versucht die BaZ zwei Fragen zu beantworten: Hat es ein Verhältnis gegeben zwischen der Betreuerin und dem jungen Asylsuchenden? Und: Haben die Gemeindebehörden die Staatsanwaltschaft eingeschaltet oder nicht? Aufgrund der Recherchen kann die BaZ feststellen: Es scheint ein Verhältnis gegeben zu haben und die Gemeinde hat die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet. Diese Feststellungen widersprechen der Wahrheitspflicht nicht. Die BaZ behandelt die beiden Fragen aber noch viel konkreter: Haben sexuelle Handlungen zwischen Betreuerin und jungem Asylsuchendem stattgefunden? Wurde dabei auch ein Abhängigkeitsverhältnis des Asylsuchenden zur Betreuerin ausgenutzt? Und: Hat die Gemeinde vorsätzlich die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet, obwohl ihr klar war, dass strafbare Handlungen stattgefunden haben?

Aus keinem der beiden Artikel geht hervor, welcher Art genau das Verhältnis zwischen der Betreuerin im Asylheim und dem jungen Asylbewerber war. Vorliegende Handyfotos und ein Chatverlauf zeigen zwar, dass die beiden eine irgendwie geartete nahe Beziehung hatten. Für sexuelle Handlungen, für «Sex mit Minderjährigen» gibt es in den Texten aber keinen konkreten belastbaren Hinweis. Die spektakulären Schlagzeilen werden nicht durch Fakten gestützt. Ob es zu sexuellen Handlungen gekommen ist, bleibt offen. Alle Formulierungen, die das Wort Sex verwenden, sind demzufolge nicht gerechtfertigt. Die BaZ geht sogar noch einen Schritt weiter: «Sex mit Minderjährigen» heisst es im Titel des ersten Artikels, obwohl es keine Belege für sexuelle Handlungen gibt, schon gar nicht mit mehreren Minderjährigen. Die Wahrheitspflicht ist verletzt, wenn die «Basler Zeitung» behauptet, es sei zu sexuellen Handlungen gekommen, ohne dies zu belegen.

Selbst wenn die BaZ Belege für sexuelle Handlungen hätte, würde das noch nicht bedeuten, dass Straftatbestände erfüllt wurden. Sex mit Minderjährigen jenseits des Schutzalters ist nicht per se strafbar. Sondern im Sinne von Artikel 188 Absatz 1 des Strafgesetzbuches nur, wenn die Betreuerin das Abhängigkeitsverhältnis des Betreuten zu ihr ausgenützt hätte. Es gibt keinen Hinweis in der BaZ-Berichterstattung, dass dies hier der Fall war. So hatten weder die Heimleitung noch die Gemeinde einen Anlass, gleich die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Sondern im Gegenteil die Pflicht, mit solch brisanten Vorwürfen vorsichtig umzugehen. Zwar haben sie es mit einem Disziplinarproblem zu tun, weil das Verhalten der Betreuerin wohl den Vorschriften im Heim widerspricht. Aber die von den Artikeln unterstellte Pflicht zur schnellstmöglichen Einschaltung der Strafjustiz, das mögliche Vorhandensein einer schweren Straftat, ist vom Text der Artikel und von den vorhandenen Fakten nicht gestützt. Entsprechend äussert sich der Gemeindepräsident gegenüber anderen Medien und sagt, die Gemeinde Reinach habe den Vorfall so eingeschätzt, dass eben keine mögliche strafbare Handlung vorlag. Mit den Vorwürfen des «Vertuschens», des «Unter-den-Tisch-Wischens» gegenüber der Gemeinde verletzt die BaZ demnach die Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1.

Die Frage, ob die Gemeinde der Polizei im September eine Chronologie der Ereignisse übergeben hat oder nicht, kann der Presserat nicht beurteilen. Es steht Aussage gegen Aussage und die dem Presserat vorliegenden Unterlagen geben keine anderen Hinweise.

In Bezug auf eine Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) ist festzustellen, dass diese Richtlinie nicht verletzt ist. Die BaZ hat zwar, wie erörtert, Behauptungen aufgestellt, aber sie vermischt nirgends Fakten und Kommentar.

3. Unlautere Methoden zur Beschaffung von Informationen (Ziffer 4 der «Erklärung»): Darf der BaZ-Journalist einer Gemeindeangestellten eine SMS mit einer Anfrage schicken? Der BaZ-Journalist hat dies unter Angabe seines Namens und seiner Funktion als Journalist der «Basler Zeitung» getan. Er hat transparent und korrekt gehandelt. Er ist nicht verpflichtet, sich ausschliesslich an eine Medienstelle der Gemeinde zu wenden. Die zweite SMS mit dem Wortlaut «Sie haben offenbar alle Infos weitergegeben» soll gemäss der Beschwerdeführerin weiteren Druck auf die Gemeindemitarbeiterin aufgebaut haben. Dies ist nicht nachzuvollziehen. Es wird keinerlei Drohung oder Ähnliches ausgesprochen. Die zweite SMS ist schlicht und einfach die Feststellung des Journalisten, dass die Mitarbeiterin nicht mit ihm sprechen will und die Infos aus der ersten SMS an ihre Vorgesetzten weitergegeben hat. Der BaZ-Journalist hat sich keiner unlauteren Methode zur Informationsbeschaffung bedient. Ziffer 4 ist nicht verletzt.

4. Unschuldsvermutung (Richtlinie 7.4): Die «Basler Zeitung» hat in beiden Artikeln die Unschuldsvermutung klar und deutlich und gleich zu Beginn (im Artikel vom 14. Dezember 2016 sogar zusätzlich im Anriss auf der Front) formuliert. Dieses Vorgehen ist richtig. Die Unschuldsvermutung ist mit den Texten der beiden Artikel nicht verletzt.

Allerdings gilt es auch die Titel der beiden Artikel zu beachten: «Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim» (14. 12. 2016), im Anriss: «Sex-Affäre in Asylheim» (14. 12. 2016) und: «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim» (6. 1. 2017). Diese drei Titel deuten in keiner Weise darauf hin, dass es unklar ist, ob Sex stattgefunden hat und ob es überhaupt zu einer möglichen Straftat gekommen ist. Die Titel suggerieren, dass bereits klare Feststellungen gemacht werden können. Dies ist aber nicht der Fall.

Die Titel müssten den Sachverhalt relativieren: Der Unschuldsvermutung wäre beispielsweise durch Titel in Frageform Rechnung getragen worden. Wenn aber jemand bloss den tatsächlichen Titel des einen oder anderen Artikels liest, geht er davon aus, dass es erwiesenermassen eine Sex-Affäre gibt. Somit ist die Unschuldsvermutung verletzt. Der Presserat hat bereits in anderen Fällen darauf hingewiesen, dass bei Titeln besonders streng darauf zu achtet ist, der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen.

5. Irreführende Kombination von Bild und Text (die Beschwerdeführerin nennt keine Ziffer oder Richtlinie, die verletzt sein soll): Die «Basler Zeitung» hat in den beiden Artikeln vom 14. Dezember 2016 und vom 6. Januar 2017 ein Bild des Gemeindepräsidenten Urs Hintermann publiziert. Einmal mit der Legende: «Fragwürdiges Verhalten. Gemeindepräsident Urs Hintermann (SP) schweigt zu den brisanten Vorkommnissen» (14. 12. 2016) und beim zweiten Artikel: «Affäre vertuscht? Gemeindepräsident Urs Hintermann». Die beiden Artikel stellen das Verhalten der Gemeindebehörden in Frage. Dazu ist es legitim, ein Foto des Gemeindepräsidenten zu publizieren. Er steht kraft seines Amtes im Zentrum der Geschehnisse. Weder die Fotos noch die Legenden dazu erwecken im Kontext des Artikels den Eindruck, der Gemeindepräsident selbst sei in eine Beziehungs-Affäre verwickelt gewesen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in den wesentlichen Punkten gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit den Artikeln «Sex mit Minderjährigen in Reinacher Asylheim» vom 14. Dezember 2016 und «Strafuntersuchung zu Sex in Reinacher Asylheim» vom 6. Januar 2017 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 7 (in Bezug auf die Unschuldsvermutung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinaus wird die Beschwerde abgewiesen.