Nr. 34/2003
Wahrheitspflicht / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(Fasser c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 29. Juli 2003

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I. Sachverhalt

A. Am 20. Juli 2002 berichtete der «Blick» unter dem Titel «Bob-Fassers Leute bangen um ihren Job», die Baufirma Orbus AG, Näfels, deren Geschäftsführer der ehemalige Bobfahrer und Olympiasieger Ekkehard Fasser sei, stehe kurz vor dem Konkurs. «Die Angestellten sind frustriert, für sie war Fasser eine Fehlbesetzung.» Weiter hinten in der gleichen Ausgabe veröffentlichte «Blick» einen Artikel über die berufliche Karriere ehemaliger Spitzensportler und die damit verbundenen Erfolge und Misserfolge. Ein Vermerk unter dem Artikel «Bob Fassers Leute (…)» wies auf die Dokumentation hinten im Sportteil hin.

B. Mit Beschwerde vom 5. Februar und 13. März 2003 gelangte Ekkehard Fasser an den Presserat. Er rügte, entgegen dem «Blick»-Titel habe die Firma Orbus AG nie ihm gehört. Die Zitate von anonymen Angestellten seien unwahr und von «Blick» nicht belegt. Seine eigene Firma habe das Geschäftsführungsmandat für die Orbus AG gehabt. Zudem werde er durch den Hinweis zu Unrecht mit Schlagwörtern im Sportteil wie «Pleite, Knast, Mord, Selbstmord und Alkoholexzesse» verkoppelt.

C. Am 8. Mai 2003 wies die anwaltlich vertretene Redaktion des «Blick» die Beschwerde als unbegründet zurück. Die beiden vom Beschwerdeführer beanstandeten, am gleichen Tag erschienenen Artikel seien voneinander unabhängige redaktionelle Beiträge und deshalb separat zu beurteilen. Es sei zulässig, bei einem Manager von «seiner» Firma zu sprechen. Ebenso sei es zulässig gewesen, Mitarbeiter der Orbus AG anonym zu zitieren. Entgegen dem Beschwerdeführer habe schliesslich kein Leser des zweiten Artikels über die berufliche Karriere ehemaliger Spitzensportler den Eindruck, dass darin im Zusammenhang mit Ekkehard Fasser von Pleite, Knast etc. die Rede sei.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 13. Mai 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. Juli 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer beanstandet vornehmlich eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 7 (Respektierung der Privatsphäre, Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter und anonymer Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Soweit er darüber hinaus Ziffer 8 (Achtung der Menschenwürde, Diskriminierungsverbot) beeinträchtigt sieht, kommt dieser nicht näher begründeten Rüge offensichtlich keine selbständige Bedeutung zu.

2. a) Gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» haben sich Journalistinnen und Journalisten an die Wahrheit zu halten. Der Beitrag über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Orbus AG enthält bei einer Gesamtbetrachtung keine erkennbaren Unrichtigkeiten. Denn die Leserschaft erfährt durchaus, dass die Orbus AG und nicht Fassers eigene Firma in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist. Ebenso geht aus dem Text hervor, dass Fasser als Geschäftsführer in leitender Stellung für die Orbus AG tätig war, daneben aber noch eine eigene Firma hat.

b) Der Beschwerdeführer sieht die Wahrheitspflicht dessenungeachtet durch die Bildlegende «Fasser: Seine Firma steht vor dem Konkurs» und das im Lauftext enthaltene Zitat, wonach er noch eine Einzelfirma habe, verletzt. Beides werde von der Leserschaft dahingehend verstanden, dass die Orbus AG seine eigene Firma sei. Demgegenüber habe er im Gespräch mit der Autorin des Artikels erwähnt, dass er nicht Eigentümer der Firma Orbus AG sei, sondern nur auf Mandatsbasis mit seiner eigenen Firma für die Orbus AG arbeite. Durch den Artikel entstehe bei den Lesern der Eindruck, seine eigene Firma sei konkurs.

c) «Blick» räumt dazu ein, die Bildlegende könne missverstanden werden. «Seine Firma steht vor dem Konkurs» könne tatsächlich so interpretiert werden, als sei der Beschwerdeführer Eigentümer der Orbus AG. Dieses mögliche Missverständnis ändere aber nichts daran, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer unternehmerische Verantwortung trage und auch für den eingetretenen wirtschaftlichen Misserfolg geradestehen müsse.

d) Auch wenn es unter dem Gesichtspunkt der vollständigen Information des Publikums zu begrüssen wäre, wenn «Blick» klarer zwischen der Eigentümer-Stellung (Aktionariat) und verantwortlichen Organen (Verwaltungsrat, Geschäftsführung usw.) unterschieden hätte, war es berufsethisch angesichts der verantwortungsvollen Stellung des Beschwerdeführers innerhalb der Orbus AG vertretbar, etwas verkürzt von «Bob-Fassers Leuten» zu sprechen. Ebensowenig dürfte die Leserschaft aus dem beanstandeten Satz «Da ich noch eine Einzelfirma habe, nage ich nicht gleich am Hungertuch» abgeleitet haben, dass Fasser Eigentümer der Orbus AG sei. Dieser Satz ist nur dann verständlich, wenn die genannte Einzelfirma als Personengesellschaft und die Orbus AG als juristische Person nicht identisch sind. Zudem wird Fasser unmitelbar vor diesem Satz wie folgt zitiert: «Seit Mai dieses Jahres habe ich auch kein Geld mehr gesehen». Diese Aussage deutet für die Leserschaft ebenfalls darauf hin, dass der Beschwerdeführer entweder in einem Anstellungs- oder Auftragsverhältnis, wohl aber kaum als Eigentümer für die Orbus AG tätig war. Und obwohl sprachlich missverständlich, vermag schliesslich auch die Bildlegende «Viererbob-Olympiasieger Fasser: Seine Firma steht vor dem Konkurs» – wenn auch knapp – keine Verletzung der Wahrheitspflicht zu begründen. Denn wie ausgeführt, wird aus dem gesamten Kontext von Titel, Lead, Lauftext, Bild und Bildlegende genügend klar, dass mit «seine» nicht eine Eigentümerstellung des Beschwerdeführers im Rechtssinn gemeint sein kann.

3. a) Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre der von einer Medienberichterstattung betroffenen Personen zu respektieren sowie anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen.

b) Der Beschwerdeführer sieht seinen Persönlichkeitsschutz in zweierlei Hinsicht verletzt. Zum einen handle es sich beim indirekten Zitat «Die Angestellten sind frustriert. Für sie war Fasser eine Fehlbesetzung.» um eine unzulässige anonyme Anschuldigung. Zum andern sieht er sich im zweiten, im Sportteil abgedruckten Artikel über die berufliche Karriere ehemaliger Spitzensportler zu Unrecht in Zusammenhang mit negativen Schlagwörtern gebracht.

c) «Blick» argumentiert demgegenüber, die Autorin habe bloss zulässige Werturteile von Mitarbeitern der Firma wiedergegeben. Von anonymen Anschuldigungen könne keine Rede sein, da die Journalistin mit den Betroffenen gesprochen habe, diese aber mit Rücksicht auf die Betroffenen in berufsethisch zulässiger Weise nicht genannt habe. Ebensowenig werde der Beschwerdeführer im zweiten Artikel mit Termini wie Pleite, Knast usw. in Kontakt gebracht.

d) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann von einer Veröffentlichung anonymer Anschuldigungen im Sinne von Ziffer 7 der «Erklärung» erst dann die Rede sein, wenn eine Redaktion für sie nicht überprüfbare Vorwürfe eines unbekannten Dritten publiziert. Demgegenüber ist es gestützt auf Ziffer 5 der «Erklärung» (Quellenschutz) berufsethisch zulässig, einem Informanten die Vertraulichkeit zuzusichern, wenn damit schützenswerte Interessen gewahrt werden. Dies ist zu bejahen, wenn ein Medium Vorwürfe von Arbeitnehmern gegenüber einem Vorgesetzten wiedergibt, da diese bei namentlicher Berichterstattung mit negativen Konsequenzen rechnen müs
sten (Stellungnahme 6/01 i.S. L. c. «Tages-Anzeiger»). Hinsichtlich des zweiten Artikels mag der Hinweis am Schluss des Berichts auf der Titelseite «Im Sport Spitze – und danach» zwar etwas unglücklich erscheinen. Dies hat auch der ehemalige «Blick»-Chefredaktor gegenüber dem Vater des Beschwerdeführers in einem Schreiben eingeräumt. Dennoch kann aber nicht die Rede davon sein, dass dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang straffälliges Verhalten, Drogenmissbrauch oder andere negative Verhaltensweisen unterstellt würden.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.