Nr. 29/2017
Wahrheitspflicht / Quellenbearbeitung / Unterschlagen wichtiger Informationen / Berichtigung

(X. c. «Aargauer Zeitung»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 22. März 2016 publizierte die «Aargauer Zeitung» (AZ) in ihrer Freiämter-Ausgabe den Artikel «Treppenweg führt zur Staatsanwaltschaft». Im Lead heisst es: «Zufikon. Wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung musste sich ein Einwohner bei der Gemeinde entschuldigen und eine Spende zugunsten der St. Josef-Stiftung entrichten.» Der Artikel selbst berichtet über die verzögerte Wiedereröffnung eines Treppenwegs, welchen die Gemeinde Zufikon neu erstellen und sperren musste. Ein Einwohner hätte dem Gemeinderat seinen Unmut über diese Verzögerung kundgetan. Er habe diverse beleidigende und drohende E-Mails an den Gemeinderat versandt und Flugblätter verteilt, deren Briefumschläge mit dem Gemeindelogo versehen waren. Der Gemeinderat habe gegen den Urheber Anzeige erstattet. Aufgrund der Verhandlungen vor der Staatsanwaltschaft habe sich der Einwohner beim Gemeindeammann entschuldigt. Ein Vergleich habe ihn dazu verpflichtet, ein Entschuldigungsschreiben an die Gemeinde Zufikon sowie an sämtliche Adressaten seines Flugblatts zu richten. Darüber hinaus müsse er eine Parteientschädigung leisten sowie eine Spende zugunsten der St. Josef-Stiftung bezahlen.

B. Am 30. Mai 2016 wandte sich X. mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Er macht geltend, im Artikel werde einseitig berichtet, es seien diverse beleidigende und drohende E-Mails an den Gemeinderat versandt und Flugblätter verteilt worden, deren Briefumschläge mit dem Gemeindelogo versehen gewesen seien, weshalb er sich habe entschuldigen müssen sowie eine Spende bezahlen. Konkret wirft er der AZ folgende Falschaussagen vor: Die Aussage «Wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung musste sich ein Einwohner bei der Gemeinde entschuldigen (…)» sei eine Lüge. Er habe sich lediglich wegen seines unangepassten Umgangstons entschuldigen müssen. Zudem habe die AZ nicht geschrieben, dass der Gemeinderat seine Strafanzeige auf Anraten der Staatsanwaltschaft zurückgezogen habe. Damit habe sie wichtige Elemente von Informationen unterschlagen. Zudem sei der AZ – entgegen ihrer Aussage – sehr wohl bewusst gewesen, wer sich hinter dem «Einwohner» verstecke. Auch ohne Namensnennung sei er ein weiteres Mal in der AZ blossgestellt worden. Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verlange von Journalisten, dass sie die Privatsphäre der einzelnen Personen respektieren und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen unterlassen. Die AZ habe sich zudem geweigert, eine Berichtigung zu veröffentlichen, dies sowohl in Form einer redaktionellen Berichtigung, als auch in Form eines kurzen Leserbriefs.

C. Am 16. September 2016 nahm Christian Dorer, Chefredaktor der «Aargauer Zeitung», Stellung. Die Redaktion Freiamt habe am 22. März 2016 eine Medienmitteilung der Gemeinde Zufikon weitgehend im Wortlaut veröffentlicht. Die leichte redaktionelle Bearbeitung sei durch den für Zufikon zuständigen Redaktor erfolgt. Dieser habe sich zuvor beim Gemeindeammann erkundigt, welcher grundsätzlich auf den Wortlaut der Medienmitteilung verwiesen habe und dabei von einem Vergleich sprach, der getroffen worden sei. Diese zusätzliche Angabe sei im Artikel übernommen worden. In der Folge habe sich X. bei der Redaktion gemeldet und von dieser gefordert, sich des Themas anzunehmen und seine Sicht der Dinge zu publizieren. Dies habe die Redaktion abgelehnt. Die Redaktion habe keine Veranlassung gesehen, in die Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde Zufikon und X. einzugreifen, weil sie diese aufgrund der publizierten Meldung als rechtlich bereits abgeschlossen betrachtete. Der Verzicht auf eine weitere Berichterstattung sei zudem auch aufgrund von Erfahrungen, die in der Vergangenheit mit der Person X. gemacht worden seien, erfolgt. Die Redaktion der AZ Freiamt sehe in ihrem Vorgehen keine journalistischen Pflichten verletzt. Sie habe eine Medienmitteilung der Gemeinde Zufikon praktisch unverändert abgedruckt, in der erstens keine Namen genannt und zweitens auch keine falschen Beschuldigungen erhoben worden seien.

D. Am 5. Dezember 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. September 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 3.1 hält zudem fest, dass die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten bildet. Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums, sie ist unerlässlich, wenn sie zum Verständnis der Information wichtig ist. Der Beschwerdeführer kritisiert insbesondere den Lead «Wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung musste sich ein Einwohner bei der Gemeinde entschuldigen und eine Spende zugunsten der St. Josef-Stiftung entrichten». Dies stimme nicht, er habe sich lediglich wegen seines unangepassten Umgangstons entschuldigen müssen. Die AZ habe zudem nicht geschrieben, dass die Strafanzeige zurückgezogen worden sei. Die AZ macht geltend, sie habe eine Medienmitteilung der Gemeinde Zufikon praktisch unverändert abgedruckt, die erstens keine Namen genannt habe und zweitens auch keine falschen Beschuldigungen erhob. Hinzugefügt habe sie die Information des Gemeindeammanns, dass ein Vergleich abgeschlossen wurde. Laut Praxis des Presserats verlangt Ziffer 1 der «Erklärung» von Journalisten nicht, dass sie amtliche Verlautbarungen unbedingt mit eigenen Recherchen überprüfen. Sie dürfen sich bei solchen Mitteilungen auf die Richtigkeit des Inhalts verlassen. In Anwendung von Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) ist jedoch die Quelle zu nennen. Eine genaue Quellenbezeichnung dient dem Publikum. Vorliegend hat die AZ die Medienmitteilung der Gemeinde fast wörtlich übernommen, jedoch gestützt auf ihre Recherchen mit dem Element des Vergleichs ergänzt. Bei einer derart weitgehenden Übernahme eines Mediencommuniqués wäre eine Bezeichnung der Quelle, hier die Gemeinde Zufikon, wünschenswert gewesen. Da die AZ deren Inhalt jedoch überprüft hat, ist knapp nicht von einer Verletzung von Ziffer 3 auszugehen.

2. a) Zu prüfen ist weiter der von der AZ formulierte Lead. X. sieht damit die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») verletzt. Der Lead hält fest, dass sich ein Einwohner wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung bei der Gemeinde entschuldigen musste. Im Text selbst steht, dass der Gemeinderat eine Strafanzeige und Strafantrag gegen den Einwohner wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung eingereicht hat, in der Folge jedoch ein Vergleich abgeschlossen wurde. Zwar ist für einen juristisch gebildeten Leser damit klar, dass die Strafanzeige zurückgezogen worden ist. Dies ist jedoch letztlich nicht massgebend für die Beurteilung der Frage, ob die Nichterwähnung dieses Rückzugs eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» begründet, wie dies der Beschwerdeführer moniert. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. Für den Durchschnittsleser massgebend ist, dass der Streit zwischen Einwohner und Gemeinde beigelegt wurde und kein weiteres juristisches Nachspiel hat. Dies geht aus dem Text hervor. Unerheblich in Bezug auf diese Rüge ist dabei, dass der Einwohner nicht mit Namen genannt wird. Ziffer 3 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt. Allerdings stimmt der Lead nicht in allen Teilen mit dem Inhalt des Artikels überein. Mit Abschluss des Vergleichs und Rückzug der Anzeige ist der Inhalt dieser Anzeige vom Tisch. Die Vorwürfe der Anzeige trotzdem im Lead als Grund der Entschuldigung zu nennen, ist unsorgfältig. Allerdings wiegt diese mangelnde Sorgfalt nicht so schwer, um einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht zu begründen. Der Presserat sieht deshalb Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.

b) Ist die Wahrheitspflicht nicht verletzt, so findet auch die in Ziffer 5 der «Erklärung» statuierte Berichtigungspflicht für unrichtige Fakten keine Anwendung.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Aargauer Zeitung» hat mit dem Artikel «Treppenweg führt zur Staatsanwaltschaft» vom 22. März 2016 Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 3 (Quellenbearbeitung; Unterschlagen wichtiger Informationen) und Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.