Nr. 24/2017
Wahrheitspflicht / Quellenbearbeitung / Anhören bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Basler Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 6. April 2016 publizierte die «Basler Zeitung» (BaZ) auf ihrer Frontseite den Artikel «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab» von Daniel Wahl und Martin Furrer. Der Untertitel lautete: «Therwiler Schulleitung ist nach bundesrätlichem Rüffel untergetaucht». Auf Seite 15 folgt der Artikel von Daniel Wahl mit dem Titel «Ein Zauderer, einsam auf weiter Flur» und dem Untertitel «Therwiler Schulleiter Jürg Lauener, der den Handschlag-Dispens für Muslime verteidigt, steht landesweit in der Kritik». Im Zentrum der beiden Artikel steht ein Rückblick auf die Reaktionen, welche die Berichterstattung über die Weigerung zweier muslimischer Schüler, ihren Lehrerinnen in Therwil die Hand zu geben, ausgelöst hatte sowie Stimmen zu Schulleiter Lauener, welcher den Handschlag-Dispens für Muslime verteidigt hatte.

B. Am 10. April 2016 beanstandete X. die Berichterstattung der «Basler Zeitung» mit einer Beschwerde an den Presserat. Er macht einen Verstoss gegen die Ziffer 1, 3 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» sieht er im Frontartikel «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab» dadurch verletzt, dass der erste Satz nach dem Untertitel «Therwiler Schulleitung ist nach bundesrätlichem Rüffel untergetaucht» suggeriere, die telefonische Ansage über das krankheitshalber geschlossene Sekretariat der Schule sei von der Schulleitung bewusst so vorgenommen worden. Eine kleine Recherche hätte nämlich gezeigt, dass eine der Sekretärinnen tatsächlich seit mehr als einem Vierteljahr krankheitshalber fehle und das Sekretariat deshalb an gewissen Nachmittagen unbesetzt sei. Die Aussage zu Schulleiter Lauener «Ehemalige Lehrer bezeichnen ihn als führungsschwach, er sei einer, der nicht durchgreife» mache den Leser zudem glauben, es handle sich um Aussagen mehrerer Lehrer. Der zweite Artikel «Ein Zauderer, einsam auf weiter Flur» verstosse dadurch gegen Ziffer 1 der «Erklärung», dass er sich nur gegen Lauener richte, die Schulleitung in Therwil bestehe jedoch aus drei Personen. Zudem habe der vom Autor zitierte H. F. nicht während zweier Jahre an der Schule gearbeitet, vielmehr habe ihn die Schulleitung im März 2015 nach nur etwas mehr als vier Wochen an der Schule aufgrund verschiedener Verfehlungen entlassen müssen. Diese negative Quelle hätte zuerst überprüft werden müssen. Dass Lauener am späteren Dienstagnachmittag (d. h. dem Vortag vor Publikation der beiden Artikel – Anmerkung d. Red.) nicht auf ein Mail des Journalisten reagiert habe, entbinde diesen nicht von der Pflicht, darauf hinzuweisen, dass diese Sicht einseitig und unbestätigt sei und Lauener anschliessend Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äussern.

C.
In ihrer Stellungnahme vom 24. Juni 2016 beantragte die anwaltlich vertretene «Basler Zeitung», die Beschwerde abzuweisen. Der beanstandeten Berichterstattung sei eine grössere, fundierte Recherche vorausgegangen. Der Autor habe mit mehreren ehemaligen Lehrern der Schule Therwil gesprochen. Er habe zudem am 5. April 2016 mehrere Versuche unternommen, Schulleiter Jürg Lauener anzurufen und ihn zur Stellungnahme einzuladen. Um 15.11 Uhr habe er Lauener eine E-Mail geschrieben, welche nicht beantwortet worden sei. Zur Kritik am Frontartikel «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab» führt er aus, der Autor berichte in Bezug auf die Kontaktversuche über Tatsachen, die sich genau so zugetragen hätten. Es sei eine Tatsache, dass die gesamte Schulleitung an besagtem Tag nicht erreichbar war, weder über das Sekretariat noch über private Telefonanschlüsse. Die Hintergründe für die Nicht-Erreichbarkeit spielten für die Beurteilung keine Rolle und würden keine Verletzung von journalistischen Sorgfaltspflichten begründen. Auch in der zweiten beanstandeten Passage, wonach ehemalige Lehrer Lauener als führungsschwach bezeichneten und nachgängig nur noch von H. F. die Rede war, sei kein unwahres Element zu erblicken. Fakt sei, dass sich die BaZ auf Informationen mehrerer Lehrer und Schulleiter abstützen konnte und mehrere Personen Kritik geäussert hätten. Allerdings sei nur H. F. bereit gewesen, mit seiner Kritik namentlich in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. Somit habe sich die weitere Berichterstattung auf seine Person und seine Äusserungen konzentriert. Damit entstehe beim Leser kein falscher Eindruck und kein falsches Verständnis. Indem die Redaktion zudem die vertraulich erhaltenen Informationen auch als solche behandelt habe, sei sie ihrer Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Geheimhaltung von vertraulichen Informationen nachgekommen.

Bezüglich des Artikels «Ein Zauderer, einsam auf weiter Flur» führt die BaZ aus, aus der Beschwerdeschrift werde nicht ersichtlich, inwiefern hier eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung» vorliegen solle, der Beschwerdeführer beschränke sich auf den Vorwurf der ungenügenden Recherche. Es sei nie behauptet worden, dass die Schulleitung einzig aus Jürg Lauener bestehe oder dass er alleine für den Entscheid verantwortlich sei. Im Gegenteil: Der Artikel spreche stets von der «Sekundarschul-leitung», «Entscheid der Schulleitung» etc. Dass Lauener als Schulleiter aber stellvertretend für die Schulleitung Gegenstand der Berichte war, sei darauf zurückzuführen, dass er selbst in die Öffentlichkeit getreten sei und dem «Blick» ein Interview gegeben habe. In den beanstandeten Artikeln sei zudem keine Rede davon, dass H. F. während zweier Jahre an der Schule gearbeitet habe. Dieser habe gegenüber der Beschwerdegegnerin dargelegt, dass er während rund vier Monaten an der Schule gearbeitet habe. Der Artikel weise zudem explizit darauf hin, dass F. die Kritik an der Schulleitung sowohl während als auch nach seiner Anstellung geäussert habe. Ohnehin sei die Dauer des Arbeitsverhältnisses für dessen Legitimierung, an der Schulleitung Kritik zu äussern, vollkommen bedeutungslos. Die vorgebrachte Rüge, die BaZ habe ihre Quellen nicht seriös überprüft und keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, sei haltlos. Man habe sämtliche Quellen nach den geltenden Branchenstandards überprüft. Der Autor habe mehrere Male versucht, Lauener zu erreichen, sowohl telefonisch wie per Mail. Jedoch habe weder er selbst noch sonst jemand von der Schulleitung oder vom Sekretariat trotz regen Medieninteresses erreicht werden können. In den Berichten seien Lauener sowie die Schulleitung durchaus kritisch hinterfragt worden. Schwere Vorwürfe im medienethischen Sinne habe die BaZ jedoch keine erhoben, weshalb eine Anhörung gar nicht zwingend gewesen sei. Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die BaZ habe nicht darauf hingewiesen, dass es sich um eine einseitige und unbestätigte Sichtweise handle, führt die BaZ aus, sie habe durchaus darauf hingewiesen, dass Lauener die Möglichkeit hatte, Stellung zu beziehen. Zweitens bestehe kein Anspruch auf eine ausgewogene oder eine objektive Berichterstattung. Drittens fänden sich im Artikel auch entlastende Argumente für Lauener, beispielsweise die Voten von B. L. oder M. R.

D. Am 5. Dezember 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. September 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Artikel «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab»: Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung dieser Bestimmung dadurch geltend, dass im Artikel «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab» der erste Satz nach dem Untertitel «Therwiler Schulleitung ist nach bundesrätlichem Rüffel untergetaucht» suggeriere, die telefonische Ansage über das krankheitshalber geschlossene Sekretariat der Schule sei von der Schulleitung bewusst so vorgenommen worden. Die BaZ macht diesbezüglich geltend, der Autor habe am Tag vor Erscheinen des Artikels mehrere Versuche unternommen, Schulleiter Jürg Lauener anzurufen und ihn zur Stellungnahmen einzuladen – sowohl in der Schule als auch über sein privates Telefon sei dieser nicht erreichbar gewesen. Namentlich in der Schule sei das Telefon am Vormittag (der erste Anruf des Autors sei zwischen 11.30 und 12.00 Uhr erfolgt) nicht besetzt gewesen, am frühen Nachmittag sei der Anruf des Autors direkt auf den Anrufbeantworter weitergeleitet worden. Gemäss der Anrufbeantworteransage war das Sekretariat krankheitshalber nicht erreichbar.

Die ersten Sätze des Artikels lauten: «Therwil. Die telefonische Ansage auf dem Sekretariat der Sekundarschule Therwil ist knapp: Das Büro sei krankheitshalber unbesetzt. Schulleiter Jürg Lauener nimmt das Telefon auch privat nicht ab und reagiert ebenso wenig auf Mailanfragen.» Es folgt ein Hinweis auf die Berichterstattung des «Blick», welcher Lauener vorgeworfen habe, er rede sich heraus sowie auf Bundesrätin Simonetta Sommarugas Kritik. Mit dem Hinweis auf das nicht besetzte Sekretariat bzw. die Ansage auf dem Anrufbeantworter sowie dem Hinweis, dass Lauener weder telefonisch noch per Mail erreichbar war, gibt der Autor die Fakten wieder. Aus der journalistischen Sorgfaltspflicht lässt sich keine Verpflichtung ableiten, welche insbesondere weitere Recherchen zu den Gründen der Nichtbesetzung des Sekretariats erforderlich gemacht hätten. Auch aus dem Untertitel «Therwiler Schulleitung ist nach bundesrätlichem Rüffel untergetaucht» in Verbindung mit dem zitierten ersten Satz lässt sich keine Verletzung der Wahrheitspflicht ableiten. Für den Presserat ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Wortwahl suggeriert haben soll, die telefonische Ansage über das krankheitshalber geschlossene Sekretariat der Schule sei von der Schulleitung bewusst so vorgenommen worden.

Der Beschwerdeführer sieht Ziffer 1 der «Erklärung» auch dadurch verletzt, dass der Passus «Ehemalige Lehrer bezeichnen ihn als führungsschwach, er sei einer, der nicht durchgreife» beim Leser ein falsches Verständnis befördere. Im weiteren Bericht sei nur noch von einem H. F. als ehemaligem Lehrer zu lesen. Der Autor halte sich hier nicht an die Wahrheit. Die BaZ führt dazu aus, sie habe sich auf Informationen mehrerer Lehrer und Schulleiter abstützen können und mehrere Personen hätten Kritik geäussert. Allerdings sei nur H. F. bereit gewesen, mit seiner Kritik an Jürg Lauener namentlich und sichtbar öffentlich in Erscheinung zu treten. Somit habe sich der Bericht auf F. und dessen Äusserungen konzentriert. Damit entstünde beim Leser kein falscher Eindruck und kein falsches Verständnis. Es sei stets klar formuliert worden, dass Lauener von verschiedener Seite kritisiert worden sei. Ebenso klar verständlich sei es für die Leserschaft, dass die nachgehende Kritik an dessen Person jene von H. F. sei. Der Presserat hat keinen Anlass, diese Ausführungen der BaZ in Zweifel zu ziehen. Der Beschwerdeführer legt dafür auch keine Elemente vor. Eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» liegt deshalb nicht vor.

b) Artikel «Ein Zauderer, einsam auf weiter Flur»: Bezüglich dieses Artikels macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Ziffer 1, 3 und 7 der «Erklärung» geltend. Die in Ziffer 1 der «Erklärung» geschützte Wahrheitspflicht sieht er dadurch verletzt, dass die Schulleitung in Therwil aus drei Personen bestehe und der Entscheid nicht nur von Lauener gefällt worden sei. Zudem habe der zitierte Kritiker Laueners, H. F., nicht wie in der Zeitung erwähnt während zweier Jahre an der Schule gearbeitet, sondern sei im März 2015 nach etwas mehr als vier Wochen von der Schulleitung entlassen worden.

Im Artikel heisst es wörtlich: «Der erfahrene Pädagoge und ausgebildete Schulleiter H. F. (Name ausgeschrieben, Anmerkung der Red.) äusserte sich sowohl während als auch nach seiner Anstellung an der Sekundarschule in Therwil kritisch hinsichtlich der Fähigkeiten und Vorgehensweisen der Schulleitung an der Sekundarschule Therwil in den Jahren 2014 und 2015.» Dass Beschwerdeführer und BaZ unterschiedliche Aussagen über die Dauer des Anstellungsverhältnisses von H. F. an der Therwiler Sekundarschule machen, ist irrelevant, da im Artikel nirgends die Rede davon ist, wie lange sein Anstellungsverhältnis gedauert hat. Medienethisch relevant ist, dass der Artikel auf die Kritik während der Jahre 2014 und 2015 verweist und aussagt, H. F. habe sie während und nach seiner Anstellung geäussert. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht ist somit nicht ersichtlich. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass die Schulleitung aus drei Personen besteht. Nirgends im Artikel wird gesagt, Lauener sei alleiniger Schulleiter. Dass er als Schulleiter bezeichnet wird, ist nicht zu beanstanden. Eine Präzisierung oder Bezeichnung als Co-Leiter wäre hingegen wünschenswert gewesen. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass der Artikel auf ihn fokussiert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass er gegenüber «Blick» Auskunft gab, legitim.

2. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, dass seriöse journalistische Arbeit verlangt hätte, dass die negative Quelle (H. F.) überprüft worden wäre und darauf hingewiesen wird, dass diese Sicht einseitig und unbestätigt sei. Lauener hätte die Gelegenheit gegeben werden müssen, sich zu den Vorwürfen zu äussern. Die BaZ macht diesbezüglich geltend, sie habe sämtliche Quellen nach den geltenden Branchenstandards überprüft und sich auf mehrere Quellen abgestützt. Auch hier besteht für den Presserat kein Anlass, daran zu zweifeln, der Beschwerdeführer bringt denn auch keine weiteren Elemente diesbezüglich vor.

In Bezug auf den Vorwurf, Lauener hätte die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, sei auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 3.8 verwiesen. Diese fordert eine Anhörung bei schweren Vorwürfen. Als schwer gilt ein Vorwurf gemäss Praxis des Presserats, wenn jemandem ein illegales oder ein damit vergleichbares, besonders verwerfliches Verhalten vorgeworfen wird. Dies ist vorlie-gend nicht der Fall, die BaZ war nicht verpflichtet, Lauener anzuhören. Dass sie es dennoch versucht hat, ist ihr zugute zu halten. Auch, dass sie nicht nur Kritiker zu Wort kommen liess, sondern auch Personen, welche sich positiv über Lauener äussern,

3. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» geltend macht, so begründet er diese nicht weiter. Mangels Substantiierung ist auf diese Rüge somit nicht einzutreten.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit den beiden Artikeln «Nach Handschlag-Dispens reisst die Kritik nicht ab» und «Ein Zauderer, einsam auf weiter Flur» Ziffer 1 (Wahrheit) und 3 (Bearbeitung von Quellen, Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.