Nr. 13/2016
Wahrheitspflicht / Privatsphäre

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 25. Mai 2016

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I. Sachverhalt


A. Am 19. April 2014 veröffentlichte «Blick» einen Artikel mit dem Titel «Schulden, Müll und eine Strafanzeige». Der Artikel von Viktor Dammann befasst sich mit einem 27-jährigen Mann, der sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern abgesetzt haben soll. Er schulde die Miete für seine Wohnung, Arzthonorare und Rechnungen von Weinhandlungen. Der Mann war bekannt als Mitglied der Jungfreisinnigen der Stadt Zürich. Der Kantonalpräsident der Jungfreisinnigen Andri Silberschmidt erklärte gegenüber dem «Blick», die Partei habe den Mann ausgeschlossen und distanziere sich von seinen Tätigkeiten.

B. Am 16. Oktober 2014 reichte X. per Mail eine nicht unterzeichnete Beschwerde gegen den Artikel vom 19. April 2014 ein. Aufgefordert, das Formerfordernis der Unterschrift nachzuholen, reichte er am 19. Oktober 2014 eine unterzeichnete Beschwerde nach. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte geltend. Der Autor habe trotz ausdrücklichen Untersagens seinen Namen genannt und sein Foto ohne seine Einwilligung von einem beruflichen Netzwerk kopiert. Im Weiteren habe «Blick» mehrfach gegen die Wahrheitspflicht verstossen. Der Artikel sei zu löschen und Autor Dammann müsse seine verdiente Abmahnung bekommen.

Am 9. Dezember 2014 reichte X. Ergänzungen zu seiner Beschwerde ein. Er konkretisiert die seines Erachtens erfolgten Verletzungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Im einzelnen nennt er Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4.5/4.6 (Interview / Recherchegespräche), 7.1/7.2 (Privatsphäre / Identifizierung), 8.1 (Menschenwürde), 8.2 (Diskriminierungsverbot).  

C. Am 6. Februar 2015 nahm der Rechtsvertreter der Redaktion «Blick» Stellung zur Beschwerde. Er macht geltend, soweit mit Zuschrift vom 9. Dezember 2014 die am letzten Tag der Frist – dem 19. Oktober 2014 – erhobene Beschwerde ergänzt wurde, sei auf diese zusätzliche Eingabe nicht einzutreten. Zudem sei die Beschwerde sowenig wie die Ergänzung unterzeichnet, sondern beide seien lediglich per E-Mail eingereicht worden, weshalb im Hauptantrag auf Nichteintreten zu schliessen sei. Der Beschwerdeführer mache keine Adressangabe, was daran liegen dürfte, so auch amtliche Zustellungen zu verunmöglichen. Im Eventualantrag schliesst die Beschwerdegegnerin auf vollständige Abweisung der Beschwerde. Sie hält fest, dass der «Blick»-Artikel an keiner Stelle unter dem Gesichtspunkt von Pressekodex und Richtlinien zu beanstanden sei. Sämtliche Vorhaltungen in der Beschwerde seien unbegründet und unbewiesen.

D. Am 16. Dezember 2015 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann. Dieses hat die vorliegende Stellungnahme per 19. Mai 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen


1. Vorerst zu klären ist die Frage, ob auf die Beschwerde einzutreten ist. Art. 8 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats sieht vor, dass Beschwerden mit vollständiger Adressangabe des Absenders und handschriftlich unterzeichnet per konventionelle Post oder elektronisch einzureichen sind. Der Beschwerdeführer reichte seine mit Unterschrift versehene Beschwerde am 19. Oktober 2014 per E-Mail ein. Im Begleitmail gab er zudem eine c/o-Adresse an. Die Angabe einer vorübergehenden Adresse muss für die Einreichung einer Beschwerde reichen. Da die Beschwerdefrist von 6 Monaten ebenfalls eingehalten wurde, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten. In permanenter Praxis setzt der Presserat die formalen Anforderungen an eine Beschwerde zudem nicht allzu hoch an. Wenn ein juristischer Laie die Gründe einer Beschwerde nennt, es jedoch unterlässt, die genauen Ziffern der «Erklärung» anzugeben, tritt der Presserat auf eine Beschwerde ein. Dies hat der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 19. Oktober 2014 getan. Seine Ergänzungen vom 9. Dezember 2014 sind deshalb für den Eintretensentscheid des Presserats nicht massgebend. Nicht einzutreten ist auf X. Beschwerde jedoch bezüglich seiner Forderung, der Artikel solle gelöscht und Viktor Dammann abgemahnt werden. Der Presserat trifft in seinen Stellungnahmen Feststellungen und erlässt Empfehlungen. Er hat jedoch keine Sanktionsmöglichkeiten (Art. 17 Abs. 2 Geschäftsreglement).

2. Der Beschwerdeführer sieht im kritisierten Artikel die in Ziffer 1 der «Erklärung» statuierte Wahrheitspflicht dadurch verletzt, dass der Artikel festhalte, er befinde sich auf der Flucht. Zudem stimme nicht, dass ihn die Jungfreisinnigen Stadt Zürich hinausgeworfen hätten. Hier lüge der zitierte Andri Silberschmidt. Der erwähnte Unrat in der Wohnung sei dem Umstand zu verdanken, dass der Vermieter die Schlösser getauscht habe, bevor Umzugsreste hätten beseitigt werden können. Zudem habe sich in der Wohnung kein Tisch mehr befunden und die Wohnung sei aufgrund eines Wasserschadens eigentlich unbewohnbar gewesen. Falsch sei auch, dass er die Wohnung im Dezember 2013 verlassen habe, dies sei bereits Anfang Oktober der Fall gewesen. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, man dürfe selbstverständlich über jemanden, der ohne Adressangabe eine Wohnung neben Unrat und unbezahlten Mieten hinterlasse, als «auf der Flucht vor seinen Gläubigern» bezeichnen. Der Presserat stellt fest, dass diesbezüglich Aussage gegen Aussage steht. Dem Presserat liegen keine Unterlagen vor, die die eine oder andere Aussage stützen würden, weshalb diese Frage offen bleiben muss. Dasselbe gilt für den Grund für den Unrat in der Wohnung, die erwähnten unbezahlten Rechnungen, den Tisch, der sich noch in der Wohnung befunden haben soll, die vom Beschwerdeführer behaupteten Mängel an der Wohnung und die Art und Weise sowie der Zeitpunkt, zu dem dieser die Wohnung verlassen hat. Bezüglich des Rauswurfs bei den Jungfreisinnigen führt «Blick» an, der Vorwurf an Andri Silberschmidt sei unbegründet, X. sei tatsächlich ausgeschlossen worden. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte «Gegenbeweis» sei schon deshalb nicht zu beachten (um nicht zu sagen: er sei gefälscht), weil eine Datumsangabe «12. Oktoober 2013», also Oktober mit zwei oo, auf eine Herstellung dieser Datumsangabe von Hand hinweise und es völlig ausgeschlossen erscheine, dass ein Computer ein Datum mit einem Schreibfehler dieser Sorte generiere. Dafür spreche auch, dass der Beschwerdeführer behaupte, Viktor Dammann hätte auf dieses Mail «nicht warten können» – vermutlich deshalb, weil es dieses damals noch nicht gab. Auch hier steht Aussage gegen Aussage. Da der Presserat kein Beweisverfahren führt, kann er letztlich auch die Echtheit von Andri Silberschmidts Mail vom 12. Oktober 2013 an den Beschwerdeführer, in dem der Präsident die Entscheidung von X., aus der Partei auszutreten, bedauert, nicht überprüfen. Im Ergebnis ist demnach keine Verletzung der Wahrheitspflicht erstellt.

3. Zu fragen ist weiter, ob «Blick» das Foto des Beschwerdeführers verwenden bzw. in der gewählten Form mit schwarzem Balken über X. Augen veröffentlichen durfte. «Blick» macht diesbezüglich geltend, es sei völlig zulässig, eine in einem «beruflichen Netzwerk», mithin im Internet publizierte Fotografie eines politisch Tätigen zu verwenden. Der «Balken» genüge, um den Kläger nicht erkennbar zu machen, zudem stehe nirgendwo sein Nachname. Der angebliche Urheberrechtsvermerk werde bestritten und sei auch nicht substantiiert bzw. bewiesen. Der Beschwerdeführer selbst macht keine Angaben dazu, aus welchem beruflichen Netzwerk sei
n Foto kopiert worden ist.

Grundsätzlich gelten für Bilder die gleichen berufsethischen Regeln wie für Texte, Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz sind in jedem Fall zu achten. Wenn jemand zudem in anderem Zusammenhang der Veröffentlichung eines Fotos zustimmt, gilt dies nicht uneingeschränkt für spätere Publikationen. Der Beschwerdeführer war als Kommunikationschef und Mitglied des Vorstands der Jungfreisinnigen Stadt Zürich tätig, hatte demnach eine politische Funktion inne. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn «Blick» ein Foto des Beschwerdeführers aus einem beruflichen Netzwerk veröffentlichte, um u.a. über eine gegen ihn eingereichte Strafanzeige sowie über sein Verhalten bezüglich Zahlungsmoral, Unterstützung durch das Sozialamt sowie sein Verhältnis zu den Jungfreisinnigen zu berichten. Mit dem dicken schwarzen Balken über seinen Augen war zudem genügend für dessen Persönlichkeitsschutz gesorgt. Zudem wurde X. nicht mit vollem Namen genannt, sondern sein Nachname lediglich mit der Initiale bezeichnet. Insofern liegt auch keine Verletzung der in Ziffer 7 der «Erklärung» geschützten Privatsphäre vor.


III. Feststellungen


1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2. «Blick» hat mit der Publikation des Artikels «Schulden, Müll und eine Strafanzeige» vom 19. April 2014 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.