Nr. 61/2004
Wahrheitspflicht / Entstellung von Tatsachen / Interviews / Respektierung der Menschenwürde

(X. c. «Baslerstab») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 2. Dezember 2004

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I. Sachverhalt

A. Am 28. Juni 2004 veröffentlichte der «Baslerstab» einen Artikel von Chefredaktor Markus Sutter mit dem Titel «OS-Lehrer sorgt für einige Misstöne» zusammen mit einem kurzen Interview («3 Fragen an Lehrer X.Y.») mit der betroffenen Lehrperson. Sowohl der Artikel als auch das Interview waren bebildert – ersterer mit einem Bild des Schulhauses, letzteres mit einer Art «Phantombild» des Lehrers. Die Schlagzeile auf dem Aushang des «Baslerstabs» lautete: «ÐIch bringe euch alle umð: Lehrer darf weiter unterrichten».

In seinem Artikel berichtet Markus Sutter unter Nennung des betroffenen Schulhauses und der Klasse von verängstigten Schülerinnen und Schülern, die mit dem Ende der Schulzeit ihren Lehrer X.Y. endlich losgeworden seien. Mit Aussagen wie «Ich bringe euch alle um» oder «du Vollidiot» oder «du bist pervers» habe der Lehrer einigen Schülerinnen und Schülern schlaflose Nächte bereitet. Die Eltern seien nach vergeblichen Gesprächen mit dem Lehrer und den zuständigen Schulbehörden mit einer Aufsichtsbeschwerde an die Schulinspektion gelangt. Diese Beschwerde sei abgewiesen worden. Mit der Veröffentlichung des Falles, so ein Vater, wolle man beim Lehrer einen Denkprozess auslösen. Der betroffene Schulinspektor wollte laut «Baslerstab» gegenüber der Zeitung nicht zum Fall Stellung nehmen, da dies eine rein interne Angelegenheit sei.

Das Interview besteht aus drei Fragen an den angeschuldigten Lehrer: 1. «Was sagen Sie zu den Vorwürfen der Eltern?» 2.«Aber haben Sie zum Beispiel den Schülern gesagt, Ðich bringe euch alle umð?» 3. «Mit der Veröffentlichung dieses Falles hoffen Eltern, dass bei Ihnen ein Denkprozess ausgelöst wird (…)».

B. Am 8. Juli 2004 publizierte der «Baslerstab» einen Leserbrief des betroffenen Lehrers, den dieser mit «Lehrer X.Y.» unterzeichnete. Darin äussert sich dieser ausführlich zum Artikel und zum Interview und kritisiert den Aushang des «Baslerstabs» vom 28. Juni 2004.

Der Lehrer sieht sich von einigen Eltern unter Druck gesetzt, die einen «verbalen Ausrutscher» aufbauschen würden, den er so nie gemacht habe und im übrigen auch bedaure. Der Artikel des «Baslerstabs» sei einseitig, weil ausschliesslich auf die Sicht der Minderheit von unzufriedenen Eltern fixiert. Weiter beklagt er, der «Baslerstab» habe ihn «überfallartig» in ein Telefongespräch verwickelt und ihn «suggestiv» zur Antwort gedrängt «das war eine einmalige Aussage». Schliesslich fühle er sich durch den Aushang und das «Phantombild» kriminalisiert und verunglimpft. Zudem habe der Artikel viele Kinder und Eltern verunsichert.

C. Am 23. August 2004 gelangte der – anwaltlich vertretene – betroffene Lehrer X. mit einer Beschwerde an den Presserat. Der Artikel im «Baslerstab» vom 28. Juni 2004 verletze die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung von Informationen und Entstellung von Tatsachen, Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4 (Fairness bei Interviews) sowie 8 (Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Die Aussage «Ich bringe euch alle um» habe er so nie gemacht. Die kritisierte Aussage habe vielmehr gelautet: «In dieser Situation könnte ich euch alle umbringen.» Das im Artikel veröffentlichte Pseudo-«Phantombild» suggeriere ein kriminelles Verhalten. Zudem sei der falsche Eindruck entstanden, die gesamte Klasse sei verängstigt gewesen. Demgegenüber hätte das Fairnessprinzip verlangt, dass auch die Mehrheit der zufriedenen Eltern und Schüler/innen angehört worden wäre. Weiter habe der «Baslerstab» aus einem Telefongespräch ein Interview mit drei Fragen und drei Antworten konstruiert, ohne dass dies so vereinbart worden wäre. Ebensowenig sei dieses «Interview» zur Autorisation vorgelegt worden. Schliesslich lasse der beanstandete Artikel und insbesondere der Titel des Aushangs X. als potentiellen Amokläufer erscheinen, was durch das Pseudo-«Phantombild» und die Bezeichnung «Lehrer X. Y.» unterstrichen werde. Diese Anschuldigung verletze die Menschenwürde von X.

D. In seiner Stellungnahme vom 23. September 2004 wies der Chefredaktor des «Baslerstabs», Markus Sutter, die Beschwerde als unbegründet zurück. Es sei «journalistisch korrekt» gewesen, die umstrittene Aussage «Ich bringe euch alle um» aus einem Elternmail und zwei anderen Quellen zu übernehmen. Zudem habe der Beschwerdeführer im Interview deutlich machen können, dass nach seiner Ansicht der zitierte Satz aus dem Zusammenhang gerissen worden sei. Im Artikel sei nie behauptet worden, dass alle Schülerinnen und Schüler schlaflose Nächte gehabt hätten. Das Layout auf der Frontseite der Zeitung (Haupttext und «drei Fragen» mit Foto) sei seit Jahren strikt vorgegeben. Mit der gewählten Darstellung sei die Anonymität des Angegriffenen gewahrt geblieben. X. sei zudem korrekt angehört und ebensowenig seien Interviewregeln verletzt worden.

E. Das Presseratspräsidium übertrug die Beschwerde zur Behandlung an die 3. Kammer, der Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter, Max Trossmann als Mitglieder angehören.

F. In einem nach Abschluss des Schriftenwechsels der Parteien eingegangenen Schreiben vom 20. Oktober 2004 machte X. geltend, Markus Sutter habe im «Interview» ausgerechnet seine wichtigste Aussage «so habe ich das nie gesagt» weggelassen. Ebenso erscheine die Frage des Journalisten, ob das eine «einmalige Aussage» war, im gedruckten Text nirgends.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 2. Dezember 2004 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Gemäss der Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» ist die Wahrheitssuche Ausgangspunkt der Informationstätigkeit. Beurteilt wird also nicht eine Art vermeintlicher «Besitz» der Wahrheit, sondern das Bemühen, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Der Presserat hat wiederholt darauf hingewiesen (vgl. zuletzt die Stellungnahme 54/2004 mit weiteren Hinweisen ), dass diese Wahrheitssuche den Ausgangspunkt einer berufsethisch korrekten Recherche bildet.

2. Der Beschwerdeführer sieht Ziffer 1 der «Erklärung» gleich in mehrfacher Hinsicht verletzt und argumentiert: a) das vom «Baslerstab» wiedergegebene Zitat «Ich bringe euch alle um» sei falsch; b) der Titel suggeriere Aktualität, obwohl die Aussage bereits mehr als ein Jahr zurückliege; c) falsch sei auch die Aussage, die «Eltern hatten immer wieder das Gespräch gesucht, zuerst mit dem fachlich weitgehend unbestrittenen Lehrer»; d) im Artikel werde der Eindruck erweckt, sämtliche Schülerinnen und Schüler der Klasse 3e seien verängstigt gewesen und hätten schlaflose Nächte verbracht; e) der reisserische Artikel greife auch die Institution Schule als Ganzes an und erschwere so die künftige Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule; und f) die wirkliche Absicht der Eltern werde durch die Aussage eines Vaters, man wolle beim Lehrer nur einen Denkprozess auslösen, im Artikel nicht richtig wiedergegeben.

3. a) Im angeblich falsch zitierten Satz «Ich bringe euch alle um» sieht der Beschwerdeführer das wichtigste Argument für eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung». X. macht geltend, stattdessen vielmehr gesagt zu haben «in dieser Situation könnte ich euch alle umbringen».

b) Die entscheidende Differenz der beiden Aussagen markiert das Wörtchen «könnte». Die Möglichkeitsform als (wenn auch geschmackloses oder gar verwerfliches) phantasiertes Begehren oder als Wunsch verweist auf eine sublimierte Form der Verarbeitung von «Mordphantasien». Ich hätte zwar Lust, tu es aber nicht. Die Aussage «ich bringe euch alle um» dagegen sagt klipp und klar «ich tu es». Sie ist Ankündigung der Tat und damit direkte und massive Drohung. Ein Lehrer, der eine solche Drohung aussprechen wü
rde, wäre nicht mehr tragbar. Diese Differenz ist deshalb ethisch von grosser Relevanz.

c) X. führt für seine Version die Aktennotiz eines Gesprächs zwischen Eltern der betroffenen Klasse, dem Lehrer und der Schulhausvorsteherin vom 20. September 2003 an. Die Aktennotiz enthält folgenden Satz: «Vor allem störend empfinden sie seine Wortwahl und die Bemerkung der Klasse gegenüber, Ðin dieser Situation könnte ich euch alle umbringenð». Zudem machte der Beschwerdeführer nachträglich mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 geltend, Markus Sutter anlässlich des Telefongesprächs auf die wichtige Differenz in der Formulierung aufmerksam gemacht zu haben. Erstaunlicherweise keine entsprechende Richtigstellung findet sich demgegenüber im Leserbrief vom 8. Juli 2004. Markus Sutter wendet zum Vorwurf des wahrheitswidrigen Zitats ein, in der E-Mail, die ihm ein Elternteil im Vertrauen geschickt habe, sei wortwörtlich von «ich bringe euch alle um» die Rede gewesen. Zudem sei die Richtigkeit der Aussage durch die gleiche Person und zwei andere Quellen noch einmal bestätigt worden. Vor allem aber habe X. den Sachverhalt am Telefon keineswegs abgestritten, sondern lediglich geltend gemacht, der Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen.

d) Der Presserat ist aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht in der Lage zu entscheiden, welche dieser Versionen der Wahrheit entspricht. Ist dementsprechend nicht belegt, dass sich Markus Sutter zum Zeitpunkt der Publikation der Inkorrektheit des Zitats bewusst war, ist ihm der gute Glaube zuzubilligen. Ebensowenig kann ihm – immer ausgehend von seiner nicht widerlegbaren Sachverhaltsdarstellung – der Vorwurf gemacht werden, zu wenig sorgfältig nach der Wahrheit gesucht zu haben. Denn immerhin macht er geltend, das umstrittene Zitat bei mehreren Quellen und insbesondere auch beim Beschwerdeführer auf seine Richtigkeit überprüft zu haben. Deshalb kann ihm berufsethisch unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitssuche kein Vorwurf gemacht werden, wenn er das Zitat veröffentlichte. Dies gilt trotz gewisser Bedenken auch für den Aushang. Zwar könnte der Text des Aushangs – wie dies X. geltend macht – auch dahingehend verstanden werden, der zitierte Lehrer sei ein potentieller Amokläufer. Trotzdem ist ausgehend von dem aus Sicht des Journalisten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung relativ wahren Sachverhalt festzustellen, dass der Aushangtext neben dem umstrittenen Zitat lediglich die weitere unbestrittene Aussage enthält, wonach X. weiterhin unterrichten darf.

4. Bezüglich der weiteren von X. geltend gemachten Verletzungen von Ziffer 1 der «Erklärung» kommt der Presserat zu folgenden Schlüssen:

a) Das Argument des Beschwerdeführers, «der Titel suggeriere Aktualität, obwohl die Aussage bereits mehr als ein Jahr zurückliegt», begründet ebensowenig eine Verletzung der berufsethischen Wahrheitspflicht. Die Auseinandersetzung zwischen Eltern, Schule und Schulleitung zog sich offenbar bis zum Ende des Schuljahres dahin und die Problematik erledigt sich auch nicht einfach dadurch, dass die Klasse nicht mehr von X. unterrichtet wird. Es geht auch im Artikel des «Baslerstabs» nicht ausschliesslich um diese eine Aussage, sondern um Fragen der Pädagogik. Was, wenn andere Schülerinnen und Schüler wieder genauso betroffen sind?

b) Die Frage, ob die Eltern tatsächlich das Gespräch zuerst mit dem Lehrer allein gesucht haben oder nicht, muss angesichts der widersprechenden Parteidarstellungen offen bleiben. Der «Baslerstab» hält hier der Rüge von X. die angeblichen Aussagen von Eltern entgegen, die für den Presserat nicht überprüfbar sind.

c) Der Vorwurf, der Artikel erwecke den falschen Eindruck «sämtliche Schülerinnen und Schüler der Klasse seien verängstigt gewesen und hätten schlaflose Nächte verbracht», greift nicht. Die Aussage, «der Mann verängstigte Schülerinnen und Schüler der Klasse», kann nur schwerlich so gelesen werden, dass alle Schülerinnen und Schüler verängstigt gewesen seien. Und was die schlaflosen Nächte anbetrifft, so wird im Artikel explizit von «einigen von ihnen» gesprochen. Eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» ist also auch in diesem Punkt zu verneinen.

d) Der Artikel mag reisserisch sein, die Institution Schule als Ganzes angreifen und auch die künftige Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule erschweren. Die berufsethische Wahrheitspflicht verletzt dies nicht. Die unterschiedliche Beurteilung von Vorgehensweisen tangiert nicht zwangsläufig die Wahrheitsfrage.

e) Über die wirklichen und wohl auch unterschiedlichen Absichten der betroffenen Eltern könnte der Presserat höchstens spekulieren. Ungeachtet davon ist es berufsethisch jedenfalls nicht zu beanstanden, «einen Vater» wie dies der «Baslerstab» getan hat, dahingehend zu zitieren, man habe mit dem gewählten Vorgehen «nur einen Denkprozess beim Lehrer auslösen wollen».

5. a) X. rügt weiter eine Unterschlagung von wichtigen Informationen und Entstellung von Tatsachen (Ziffer 3 der «Erklärung»). Das im Artikel veröffentlichte Pseudo-«Phantombild» suggeriere kriminelles Handeln. Das entstellte Bild trage nichts zum Inhalt des Artikels bei und solle offenbar lediglich das falsche Zitat («Ich bringe euch alle um») unterstreichen. Dieser gewählte Zusammenhang entspreche der Entstellung des realen Sachverhalts. Zudem werde zu Unrecht nicht erwähnt, dass die Mehrheit der Eltern und Schüler/innen zufrieden oder sogar begeistert vom Unterricht von X. gewesen seien. Dadurch sei der falsche Eindruck entstanden, dass die ganze Klasse total verängstigt war. Markus Sutter erwidert, ein Bild sei durch das Layout vorgegeben gewesen. Zudem habe er die Anonymität des Beschwerdeführers wahren wollen. In den «drei Fragen» habe X. zudem betonen können, dass zwei Drittel der Eltern mit ihm zufrieden seien.

b) Auch ein «seit Jahren strikt vorgegebenes» Layout vermag eine Verletzung der Wahrheitspflicht oder die Entstellung von Tatsachen nicht zu rechtfertigen. Ebenso wie der Text des Aushangs und die neben dem Bild stehende Bezeichnung X.Y. trägt das Pseudo-«Phantombild» dazu bei, der Leserschaft unterschwellig ein kriminelles Handeln des Lehrers zu suggerieren. Dennoch würde es nach Auffassung des Presserates zu weit führen, daraus eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» abzuleiten. Geht doch bei einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Berichterstattung für die Leserinnen und Leser deutlich hervor, dass «nur» pädagogisch umstrittene verbale Entgleisungen und keineswegs kriminelle Handlungen zur Diskussion standen.

6. a) Gemäss der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind die Betroffenen vor der Publikation schwerer Vorwürfe dazu anzuhören. Zudem ist ihre Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz wiederzugeben.

b) X. konnte im beanstandeten Medienbericht zu den gewichtigen Vorwürfen der betroffenen Eltern Stellung nehmen. Insofern hat der «Baslerstab» die Richtlinie 3.8 respektiert. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war es zudem darüber hinaus berufsethisch nicht unabdingbar, auch die Mehrheit der ihn unterstützenden Eltern und Schüler im Artikel zu Wort kommen zu lassen. Denn gegenüber diesen hat der «Baslerstab» keine schweren Vorwürfe erhoben.

7. a) Ziffer 4 der «Erklärung» untersagt den Medienschaffenden, sich bei der Beschaffung von Informationen unlauterer Methoden zu bedienen. Gemäss der Richtlinie 4.5 (Interview) zur «Erklärung» basiert das journalistische Interview auf einer Vereinbarung zwischen Partnern, welche die dafür geltenden Regeln festlegen. «Die Einhaltung dieser Regeln ist eine Frage der Fairness. Aus der Interviewsituation muss klar ersichtlich sein, dass die Publikation des Gesprächs beabsichtigt ist.»

b) Die Darstellung der «drei Fragen» im «Baslerstab» erweckt bei der Leserschaft den offensichtlich unzutreffenden Eindruck, die Parteien hätten ein – wenn auch kurzes – gestaltetes Interview vereinbart. Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, er sei von Markus Sutter überfallartig angerufen
und mit dem umstrittenen Zitat konfrontiert worden. Er sei zu keinem Zeitpunkt des Telefongesprächs darüber aufgeklärt worden, dass dieses im Rahmen des übrigen Artikels als Interview erscheinen sollte. Zudem seien die drei Fragen und die drei Antworten vom «Baslerstab» erst nachträglich so konstruiert worden. Der Beschwerdegegner führt in seiner Stellungnahme dazu aus: «Am betreffenden Samstag vor der Publikation habe ich wie erwähnt den Lehrer kontaktiert und erklärt, dass ich ihm Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu den Vorwürfen geben möchte. Ich habe ihm mehrere Fragen gestellt und daraus die Ðdrei Fragenð inkl. Antworten geschrieben. An ein vergleichbares Gespräch kann ich mich in meiner gut 20-jährigen Zeit als Journalist nicht erinnern. X. wollte mir unbedingt vor der Publikation Ðin die Augen sehenð, und er hat mich telefonisch mit einer Reihe von Schimpfwörtern eingedeckt, ohne dass ich ihn im geringsten provoziert hätte (…) Aus diesem Grund sagte ich ihm nur zu, dass ich seinen Argumenten im Artikel Rechnung tragen werde. Um eine gewisse Ausgewogenheit zu garantieren und den Lehrer – im Rahmen der beschränkten Titelseite beim ÐBaslerstabð – richtig zu Wort kommen zu lassen, habe ich mich erst im Laufe des Sonntags zur Variante mit den drei Fragen entschieden (…) Nicht zuletzt aufgrund der schlechten Erfahrungen im ersten Gespräch kontaktierte ich ihn kein zweites Mal.»

c) Ausgehend von diesen in weiten Teilen übereinstimmenden Beschreibungen des Ablaufs des Telefongesprächs konnte Markus Sutter keinesfalls darauf abstellen, dass X. damit sein Einverständnis zum Abdruck eines kurzen gestalteten Interviews gegeben hätte. Ungeachtet der vom Journalisten behaupteten – und vom Beschwerdeführer bestrittenen – Beschimpfungen wäre deshalb zumindest eine nachträgliche zweite Kontaktnahme mit eventueller Autorisierung unabdingbar gewesen (Stellungnahme 43/2001). Zumal es angesichts der im «Baslerstab» abgedruckten Äusserung von X., «bei einer Veröffentlichung werde ich einen Anwalt konsultieren», überhaupt fraglich erscheint, ob er gegenüber dem «Baslerstab» zu Handen der Öffentlichkeit Stellung nehmen wollte (Stellungnahme 36/2001). Im Ergebnis hat der «Baslerstab» mit dem Abdruck des nicht autorisierten Interviews deshalb Ziffer 4 der «Erklärung» verletzt.

8. a) Schliesslich rügt X., der «Baslerstab» habe ihn mit der Darstellung als potentiellen Amokläufer, dem digitalverfremdeten Pseudo-«Phantombild» und der Bezeichnung «Lehrer X.Y.» in seiner Menschenwürde verletzt. Durch die Bezeichnung der Schule, der Klasse und der «Misstöne» sei ersichtlich, welcher Lehrer gemeint sei. Diese Anschuldigung verletze umso mehr die Menschenwürde als dem Journalisten bekannt gewesen sei, dass die Beschwerde gegen den Lehrer abgewiesen worden war. X. sei durch den Artikel in seiner Funktion als Lehrkraft und in seiner privaten Persönlichkeit stark betroffen.

b) Gemäss Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sollen Medienschaffende die Menschenwürde respektieren und bei ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Der Presserat hat aus dem berufsethischen Gebot der Respektierung der Menschenwürde in seiner Praxis abgeleitet, dass Menschen in Medienberichten nicht verunglimpft und in unnötiger, sachlich unbegründeter Weise in ihrem Menschsein herabgesetzt werden dürfen. Entsprechend ist nicht jede – gegebenenfalls persönlichkeitsverletzende – negative Darstellung einer Person in einem Medienbericht bereits als Verletzung der Menschenwürde zu werten. Vielmehr ist eine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung» unter diesem Aspekt nur dann zu bejahen, wenn der Angriff auf die Person eine besonders hohe Intensität erreicht und den Betroffenen beispielsweise wegen angeborener oder erworbener körperlicher oder charakterlicher Eigenschaften erniedrigend darstellt (Stellungnahme 38/2000; 4/2004).

c) Wie weiter oben ausgeführt erweckt zwar die Kombination von Aushang, Pseudo-«Phantombild» und «Lehrer X.Y.» erhebliche Bedenken, weil der Bericht des «Baslerstabs» das Verhalten von X. unterschwellig kriminellen Kategorien zuordnet. Dennoch würde es ebenso wie bereits unter dem Gesichtspunkt der Entstellung von Tatsachen nach Auffassung des Presserates zu weit führen, diese fragwürdige Darstellungsweise des «Baslerstabs» als Verletzung der Menschenwürde zu qualifizieren. Erstens fällt hier ins Gewicht, dass sich Markus Sutter – wenn auch mit der Nennung von Schulhaus und Klasse nicht ganz konsequent – bemüht hat, den Lehrer weitgehend zu anonymisieren. Zweitens bezieht sich die Berichterstattung in erster Linie auf das berufliche Handeln des Lehrers und nicht auf angeborene oder erworbene körperliche oder charakterliche Eigenschaften. Und drittens wird – wie ebenfalls bereits weiter oben ausgeführt – aus dem Bericht selber klar, dass dem betroffenen Lehrer ungeachtet der reisserischen Darstellung des «Baslerstabs» eindeutig «bloss» pädagogisch fragwürdiges, nicht aber kriminelles Verhalten vorgeworfen wird.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Mangels des ausdrücklichen Einverständnisses von X. war der «Baslerstab» ohne nachträgliche Autorisierung des Textes nicht befugt, aus einem Telefongespräch ein kurzes gestaltetes Interview zu konstruieren. Insofern hat der «Baslerstab» deshalb Ziffer 4 der «Erklärung» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.