Nr. 42/2016
Wahrheitspflicht / Berichtigung

(X. c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 27. Dezember 2016

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I. Sachverhalt

A. Das «St. Galler Tagblatt» veröffentlichte am 20. August 2015 einen Artikel mit dem Titel «Verkäuferin täglich belästigt». Der Artikel berichtet über eine Berufungsverhandlung am Kantonsgericht St. Gallen. Der Beschuldigte hatte gegen das Urteil des Kreisgerichts Rheintal Einsprache erhoben. Das Gericht habe es als erwiesen erachtet, dass der 62-jährige IV-Rentner einer Verkäuferin während eineinhalb Jahren nachgestellt habe – trotz Aufforderung von verschiedenen Seiten, die Frau in Ruhe zu lassen. Der Beschuldigte habe begonnen, genau gegenüber der Wohnung der Frau Klavierstunden zu nehmen, habe ihr einen Brief geschrieben und sie aufgefordert, sich mit ihm zu treffen. Während der Verhandlung habe der Beschuldigte nichts über seinen beruflichen Werdegang oder seine Freizeitgestaltung sagen wollen; dies habe nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun. Im Ergebnis habe das Kantonsgericht die Sanktion reduziert und den «psychisch angeschlagenen» Mann wegen mehrfacher versuchter Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 50 Franken verurteilt.

B. Am 5. Oktober 2015 beschwerte sich der verurteilte X. beim Schweizer Presserat gegen den Artikel des «St. Galler Tagblatt». Er sieht das Wahrheitsgebot (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», nachfolgend «Erklärung») verletzt. Gemäss X. hätte im Artikel erwähnt werden müssen, dass es im Schweizerischen Strafgesetzbuch keinen Straftatbestand des «Stalking» gibt. Die Aussage, wonach der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinem beruflichen Werdegang habe machen wollen, sei falsch, er habe klar seinen Beruf als dipl. Gedächtnistrainer und Lernbegleiter genannt und auch seine Arbeit als Kleinklassenlehrer der Oberstufe mitgeteilt. Er als Angeklagter würde bewusst stigmatisiert und es entstehe ein völlig irreales und falsches Bild. Die angeblichen Belästigungen hätten von Februar 2012 bis am 22. November 2012 gedauert und nicht wie die Journalistin behaupte während eineinhalb Jahren. Auch die Aussage, er habe «Klavierstunden» genommen, sei eine eindeutig journalistisch unqualifizierte, unsachliche Wiedergabe. Es habe sich einzig um diese eine Klavierstunde vom 22. November 2012 gehandelt, von etwas Anderem sei im Gerichtssaal nie die Rede gewesen. Der Beschwerdeführer beanstandet insbesondere die Unterschlagung der Tatsache, dass er sechs Stunden ohne erkennbaren Verdachtsmoment im Gefängnis festgehalten worden sei. Er sei nicht einfach sogenannt psychisch angeschlagen, sondern objektiv traumatisiert wegen dieses massiven Übergriffs der St. Galler Beamten und Polizisten. Des Weiteren würden inhaltliche Angaben des Verteidigers im Artikel gänzlich fehlen. Der Beschwerdeführer hatte im September 2015 beim «St. Galler Tagblatt» eine Berichtigung des Artikels verlangt, welche ihm nicht gewährt wurde. Aus diesem Grund sieht er auch Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt, seiner Meinung nach hätten alle oben genannten Punkte berichtigt werden müssen.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Dezember 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
 

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer sieht diese Bestimmung dadurch verletzt, dass im Artikel nicht erwähnt wird, dass es im Schweizerischen Strafgesetzbuch keinen Straftatbestand des «Stalking» gebe. Diesen Vorwurf erachtet der Presserat als offensichtlich unbegründet. Die Journalistin verwendet an keiner Stelle den Begriff «Stalking», sondern spricht von «Nötigung» bzw. von «mehrfach versuchter Nötigung», einem Straftatbestand des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Es bestand für sie offensichtlich keine Pflicht, über den Begriff des «Stalking» aufzuklären.

Ob der Beschwerdeführer tatsächlich keine Angaben über seinen beruflichen Werdegang machen wollte, wie im Artikel festgehalten und von ihm bestritten, kann der Presserat nicht beurteilen. Es steht hier Aussage gegen Aussage. Ähnlich verhält es sich mit dem Zeitraum, in dem die Belästigung stattgefunden haben soll. Der Beschwerdeführer scheint der Meinung zu sein, es handle sich um einen Zeitraum von neun Monaten. In seiner Beschwerde hält er dazu fest, der Staatsanwalt sei von vier Jahren, der Richter von zwei Jahren und die Journalistin des strittigen Artikels von eineinhalb Jahren ausgegangen. Die Bemessung des für eine Nötigung relevanten Zeitraums kann je nach Kriterien sehr unterschiedlich ausfallen. Laut Artikel war die Vorinstanz von einem relevanten Zeitraum von eineinhalb Jahren ausgegangen. Der Artikel äussert sich nicht zu dem für das Kantonsgericht relevanten Zeitraum. Dem Presserat liegen keine Unterlagen vor, die den genannten Zeitraum in Frage stellen würden. Die genannten eineinhalb Jahre können deshalb nicht als unwahr bezeichnet werden. Somit erscheint die Beschwerde auch in diesem Punkt als unbegründet. Dasselbe gilt für die Frage, ob es sich bei den Klavierstunden um mehrere – wie im Artikel erwähnt – oder nur eine einzige – wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht – handelte. Dem Presserat liegen keine Unterlagen vor, die es ihm erlauben würden, sich zu dieser Frage zu äussern.

Soweit der Beschwerdeführer den Vorwurf erhebt, die Ermittlungsmethoden und erkennungs-dienstliche Gewaltanwendung an den Händen des Angeklagten seien im Artikel verschwiegen worden, so erscheint dem Presserat auch dieser Vorwurf als offensichtlich unbegründet. Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine Berichterstattung über die Berufungsverhandlung. Die vom Beschwerdeführer gegen die Polizei erhobenen Vorwürfe waren nicht Teil dieser Gerichtsverhandlung. Die Journalistin war nicht verpflichtet, darüber zu berichten.

Der Beschwerdeführer bemängelt weiter, sein Verteidiger sei in dem Artikel nicht erwähnt worden. Dies ist falsch. Im dritten Abschnitt des Artikels wird die Begründung des Verteidigers dargelegt. Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt offensichtlich unbegründet.

Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die Verletzung der Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung»). Diese besagt, dass jede veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist, zu berichtigen ist. In einem Schreiben an das «St. Galler Tagblatt» hatte der Beschwerdeführer den Artikel kritisiert und eine Berichtigung verlangt, ohne jedoch genau zu benennen, was zu berichtigen sei. Das «St. Galler Tagblatt» brachte in der Folge auch keine Berichtigung. Lässt sich – wie oben dargelegt – keine Verletzung der Wahrheitspflicht feststellen, so entfällt für das «St. Galler Tagblatt» auch die Pflicht zu be-richtigen. Die Beschwerde erweist sich somit auch bezüglich dieser Rüge als offensichtlich unbegründet. Soweit der Beschwerdeführer überdies Schadenersatz verlangt, so ist der Presserat für dieses Anliegen nicht zuständig (Art. 17 Geschäftsreglement des Presserats).

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.