Nr. 34/2014
Wahrheitspflicht / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Quellennennung / Identifizierung

(Bundesamt für Verkehr c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Presserats vom 22. Oktober 2014

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen die «Basler Zeitung» teilweise gutgeheissen. Die Zeitung hatte im Juni 2014 schwere Vorwürfe gegen einen Bundesbeamten veröffentlicht, ohne den Beamten vorher mit den Vorwürfen zu konfrontieren.
 
Nicht namentlich genannte Personen werfen dem Chef der Sektion Schifffahrt des Bundesamts für Verkehr in der «Basler Zeitung» vor, er drangsaliere die Binnenschifffahrt mit kleinlicher Auslegung von Paragrafen und bevorzuge langjährige Günstlinge.
 
Nach Ansicht des Presserats besteht ein öffentliches Interesse daran, allfällige Missbräuche in einem Bundesamt zu recherchieren und allenfalls zu veröffentlichen. Aber die «Basler Zeitung» hätte den Beamten mit solch schweren Vorwürfen konfrontieren müssen. Diese Pflicht gilt umso mehr, wenn die Urheber der Vorwürfe in der Zeitung anonym bleiben.
 
Schwere Vorwürfe sind Betroffenen vor der Veröffentlichung immer vorzulegen und zwar die konkreten Vorwürfe. Eine allfällige Stellungnahme ist im Artikel zumindest kurz wiederzugeben. Schwer sind für den Presserat Vorwürfe, die ein illegales oder vergleichbares Verhalten unterstellen.
 
Journalisten sollten Quellen von Informationen grundsätzlich nennen. Gibt es ein überwiegendes Interesse an Geheimhaltung, sollten sie die Quelle so gut beschreiben, dass das Publikum deren Rolle einschätzen kann.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse a approuvé en partie une plainte contre  la «Basler Zeitung». En juin 2014, le journal avait publié de graves accusations contre un fonctionnaire fédéral sans avoir au préalable confronté le fonctionnaire avec ces reproches.

Des personnes dont le nom n’a pas été mentionné reprochent dans la «Basler Zeitung» au chef de la section navigation de l’Office fédéral des transports de tracasser la navigation fluviale par une interprétation étroite des paragraphes et d’avantager des favoris de longue date.

De l’avis du Conseil de la presse il existe un intérêt public à rechercher d’éventuels abus dans un office fédéral et à les publier le cas échéant. La «Basler Zeitung» aurait cependant dû confronter le fonctionnaire avec d’aussi graves accusations, ce d’autant plus que les auteurs des accusations sont restés anonymes dans le journal.

Lorsque de graves reproches sont formulés, ceux-ci doivent toujours être soumis aux personnes concernées dans leur forme concrète. Une prise de position doit, le cas échéant, figurer dans l’article à tout le moins brièvement. Sont considérés comme graves par le Conseil de la presse des reproches qui portent sur un comportement illégal ou similaire.

Les journalistes devraient, en principe, indiquer les sources des informations. S’il existe un intérêt prédominant à les garder secrètes, les sources doivent être décrites avec une clarté suffisante pour que le public soit à même d’évaluer leur rôle.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha parzialmente accolto un reclamo contro il quotidiano «Basler Zeitung», che nel giugno 2014 aveva ospitato dure critiche anonime contro un funzionario federale senza rispettare il dovere di interpellarlo prima della pubblicazione. Persone il cui nome il giornale non rendeva noto accusavano il direttore della Sezione navigazione dell’Ufficio federale dei trasporti di mettere ogni sorta di ostacoli al piccolo traffico fluviale con interpretazioni capziose dei regolamenti e di riservare un trattamento di favore a certi suoi favoriti.

Il Consiglio della stampa è del parere che il sospetto di abusi gravi commessi da un ufficio federale rende l’informazione di interesse pubblico e giustifica l’inchiesta giornalistica e la pubblicazione. Tuttavia la «Basler Zeitung» avrebbe dovuto dare al funzionario accusato la possibilità di reagire agli addebiti, tanto più in quanto la denuncia non era firmata. Accuse di questa gravità devono sempre essere sottoposte all’interessato prima della pubblicazione. Nell’articolo va riservato un sia pure piccolo spazio alla sua risposta quando si insinui che si tratta di azione illegale o comunque scorretta.

Infine, e in linea di principio, il Consiglio osserva che la fonte delle informazioni va precisata. Se è dato un interesse preponderante al mantenimento dell’anonimato, tale fonte dev’essere descritta in modo tale che il pubblico possa farsi di un’idea del ruolo che ha nel caso specifico.


I. Sachverhalt


A.
Am 30. Juni 2014 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel von Dominik Feusi unter dem Titel «Untersuchung wegen Amtsmissbrauch». Der Artikel befasst sich vor allem mit K., dem Chef der Sektion Schifffahrt beim Bundesamt für Verkehr (BAV) und einem Rechtsstreit zwischen diesem und dem Schiffshändler X. X. reichte Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch ein gegen Sektionschef K. In einem Prozess gegen die Zürcher Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) soll K. Angaben zur Sicherheit bei Limmatschiffen «geschönt» haben. Die Bundesanwaltschaft trat auf die Strafanzeige nicht ein (Nichtanhandnahmeverfügung). Auf Beschwerde von X. verlangte das Bundesstrafgericht von der Bundesanwaltschaft, den Sachverhalt doch zu untersuchen. Die «Basler Zeitung» nahm den Tag, an dem K. vor der Bundesanwaltschaft aussagen musste, als Anlass für die Berichterstattung.

Im Artikel nahm Feusi weitere Vorwürfe gegen K auf. Ein Teil der Vorwürfe kam offenbar von X. Die anderen Quellen werden nicht namentlich genannt. Sie werden als «andere Leute aus der Schiff-Szene» bezeichnet. Demnach soll Sektionschef K. für den Schiffshändler X. eine «Sonderbehandlung» angeordnet haben. Der Sektionschef «drangsaliere die Binnenschifffahrt mit kleinlicher Auslegung von Paragrafen, komplizierten Verfahren und arroganter Ablehnung blosser Anfragen, sagen mehrere Auskunftspersonen. Er soll beispielsweise EU-Recht schon angewendet haben, als es in der Schweiz noch gar nicht galt. Oder bei der Restauration von alten Schiffen unsinnige Änderungen an der Bauweise verlangt haben. K. bevorzuge langjährige Günstlinge.» Offen darüber reden wolle niemand, schrieb Feusi. Man fürchte eine Retourkutsche von «König K.».

B. Am 2. Juli 2014 beschwerte sich Andreas Windlinger in seiner Funktion als Mediensprecher des Bundesamts für Verkehr beim Schweizer Presserat gegen den Artikel «Untersuchung wegen Amtsmissbrauch».

Die «Basler Zeitung» greife den Sektionschef Schifffahrt des BAV persönlich an und rücke diesen in ein schlechtes Licht. Der Artikel kolportiere eine ganze Reihe von anonymen Vorwürfen gegen K. Mit diesen anonymen und sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldigungen würde Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Zudem sei fraglich, ob sich Feusi vom Recht der Öffentlichkeit habe leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren (Ziffer 1 der «Erklärung»).

Der Journalist habe dem BAV zwar einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, darin seien aber die anonymen und nicht belegten Vorwürfe nicht enthalten gewesen. Das BAV habe deshalb keine Gelegenheit gehabt, sich zu diesen zu äussern. Damit habe die «Basler Zeitung» die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt.

Weiter habe die «Basler Zeitung» erst am Freitag, 27. Juni 2014, um 15 Uhr den Fragenkatalog vorgelegt und um Stellungnahme ersucht. Die Beantwortung der Fragen sei zu diesem Zeitpunkt nur unter grösstem Zeitdruck möglich gewesen.

Zudem mache die «Basler Zeitung» K. durch die Nennung des Kürzels, seiner Funktion beim BAV, die Angabe des Al
ters und einen summarischen Lebenslauf klar kenntlich und verletze auch damit Ziffer 7 der «Erklärung» (Identifizierung).

C. Am 26. September 2014 wies die anwaltlich vertretene Redaktion der «Basler Zeitung» die Beschwerde in allen Punkten zurück.

Die Quellen für den Artikel seien, mit Ausnahme von X., nicht namentlich genannt, weil sie allesamt in der einen oder anderen Art beruflich mit dem Sektionschef zu tun hätten. Wegen der weitreichenden Handlungskompetenzen und der rechtlichen Stellung des Sektionschefs sei es für die Auskunftspersonen nicht möglich gewesen, sich unter Namensnennung zitieren zu lassen. Feusi habe jedoch nur solche Aussagen im Artikel verwendet, die ihm von zwei unabhängigen Quellen zugetragen worden seien. Für den Leser werde klar ersichtlich, aus welchem Umfeld diese Aussagen stammten, nämlich aus der Schifffahrt-Szene. Dass es sich um sachlich berechtigte Vorwürfe handle, lasse sich aus der Tatsache ableiten, dass die Vorwürfe von mehreren und vor allem unabhängigen Quellen vorgebracht worden seien. Deshalb sei Ziffer 7 der «Erklärung» nicht verletzt.

Dass X. eine «Sonderbehandlung» durch K. erhalten habe, sei eine Einschätzung von X., die dieser so auch in der Strafanzeige verwendet habe. Es liege kein anonymer Vorwurf vor und es handle sich nicht um eine sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung.

Der Beschwerdeführer lege nicht dar, inwiefern die «Basler Zeitung» die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») verletzt haben soll. Der Journalist habe alles in seiner Macht Stehende getan, um die Wahrheit zu finden. Er habe dem Beschwerdeführer einen umfangreichen Fragenkatalog geschickt und ihn telefonisch kontaktiert.

Zum Vorwurf, die Anhörungspflicht verletzt zu haben, wendet die Beschwerdegegnerin ein, das BAV sei bezüglich des laufenden Strafverfahrens und des schweren Vorwurfs des Amtsmissbrauchs angehört worden. Die übrigen Vorwürfe würden allerdings die Intensität nicht erreichen, die eine vorgängige Anhörung nötig gemacht hätten. Dem Sektionschef werde zwar mit den anonymen Äusserungen ein selbstherrliches und gebieterisches Verhalten unterstellt. Diese Vorwürfe seien aber nicht so schwer, dass sie im Gebiet des Illegalen anzusiedeln seien. Die Antworten des BAV auf den Fragenkatalog seien mehrheitlich knapp gehalten und teilweise gezielt ausweichend gewesen. Darauf sei es zu einem Telefongespräch zwischen Feusi und Gregor Saladin, Sektionschef Information und Informatik beim BAV, gekommen. Saladin habe dabei zu den Vorwürfen gegen K. keine Stellung genommen. Feusi habe auch die anonymen Anschuldigungen der Auskunftspersonen «in summarischer Form» dargelegt, sei jedoch nicht konkreter darauf eingegangen, als klar geworden sei, dass Saladin kein Interesse daran gehabt habe, Stellung zu nehmen. Anstatt sich zu den Vorwürfen zu äussern, sei es dem BAV im Telefongespräch darum gegangen, Schäden von K. abzuwenden, indem man auf anonymisierte Berichterstattung gepocht habe.

Dem BAV sei für die Beantwortung der Fragen eine Frist von fast 48 Stunden bis Sonntag, 29. Juni 2014, eingeräumt worden. Da die Anhörung von K. vor der Bundesanwaltschaft für Montag, 30. Juni, angesetzt gewesen sei, habe nur so sichergestellt werden können, dass die Stellungnahme des BAV in der Montagausgabe berücksichtigt werden konnte. Es könne nicht von «grösstem Zeitdruck» gesprochen werden. Eine Frist von fast 48 Stunden sei im Gegenteil für journalistische Verhältnisse bei Tageszeitungen eher die Ausnahme als die Regel. Auf Nachfrage habe Feusi per E-Mail dem BAV mitgeteilt, man solle bis Sonntag die Antworten zustellen, die bis dann hätten beantwortet werden können. Der Rest könne später folgen. Wäre die Frist tatsächlich ein grosses Problem gewesen, hätte das BAV nicht innert weniger Stunden eine Stellungnahme abgeben können.

Bezüglich der identifizierenden Berichterstattung über K. schreibt die Beschwerdegegnerin, der Artikel sei, soweit möglich und sinnvoll, in anonymisierter Art und Weise verfasst worden. Wenn der Vorwurf des Amtsmissbrauchs im Raum stehe, müsse ein Medium darüber berichten dürfen. Nach Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» sei es insbesondere erlaubt, identifizierend über eine Person zu berichten, wenn diese ein politisches Amt bekleide oder sich in staatlich oder gesellschaftlich leitender Stellung befinde. Das Amt eines Sektionschefs entspreche zweifelsohne diesen Kriterien. Es liege keine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» vor, da keine Namensnennung erfolgt sei. Dies sei auch nicht relevant, da sich der Sektionschef im Rahmen eines laufenden Strafverfahrens nicht auf vollkommene Anonymität berufen könne.

D. Nach Abschluss des Schriftenwechsels reichte das BAV beim Presserat mit Mail vom 15. Oktober 2014 die mittlerweile in Rechtskraft erwachsene Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft gegen den Sektionschef Schifffahrt ein.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried an.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 22. Oktober 2014 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die kritische Beobachtung der Verwaltung und ihrer Vertreter ist eine wichtige Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten und von öffentlichem Interesse. Die Berichterstattung hat aber den journalistischen Fairnessprinzipien zu folgen. Im Falle des vorliegenden Artikels und der Beschwerde dazu ist abzuwägen, ob die «Basler Zeitung» öffentliches Interesse und Fairness in Einklang brachte.

2. In Ziffer 7 der «Erklärung» heisst es: «Journalisten unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.» Bei einem Teil der in der «Basler Zeitung» gegen den Sektionschef Schifffahrt erhobenen Vorwürfe werden die Quellen nicht namentlich genannt. In Richtlinie 3.1 heisst es bezüglich der Quellennennung: «Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums, sie ist vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an der Geheimhaltung einer Quelle unerlässlich, wenn dies zum Verständnis der Information wichtig ist.» Folgende Hinweise auf die Quellen finden sich im Artikel: «andere Leute aus der Schiff-Szene», «mehrere Auskunftspersonen» und «offen darüber reden will niemand, man fürchtet eine Retourkutsche von König K.». Es ist nachvollziehbar, dass Leute, die beruflich mit der Sektion Schifffahrt zu tun haben, nicht bereit sind, namentlich zu ihren Aussagen zu stehen. Die Transparenz ist aber auch bei Wahrung der Anonymität der Informanten so gut wie möglich sicherzustellen (vgl. die Stellungnahmen 6/2001, 11/2008). Es wäre der «Basler Zeitung» also gut angestanden, die Rolle der Quellen genauer zu umschreiben. Beispielsweise: «ein Schiffshändler», «ein Mitarbeiter einer Schifffahrtsgesellschaft» o.ä. Hilfreich für den Leser wären zudem deutliche Hinweise, dass die Zwei-Quellen-Regel eingehalten worden ist (Stellungnahme 55/2007), mit Aussagen wie «das bestätigt ein anderer Händler» oder «das sagt auch ein kantonaler Beamter, der schon lange mit der Sektion zu tun hat». Dies hätte die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung erhöht. Im Artikel gibt es lediglich einen Hinweis darauf, dass die Vorwürfe von mehreren Personen gemacht werden («sagen mehrere Auskunftspersonen»). Für das Verständnis wären weitere solche Angaben hilfreich, sie sind aber nicht zwingend. Ziffer 7 ist trotz der problematischen Verwendung von anonym gehaltenen Quellen nicht verletzt.

3. a) Richtlinie 3.8 verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören und deren Stellungnahme im Medienbericht fair wiederzugeben. Es ist zu prüfe
n, ob die «Basler Zeitung» schwere Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer erhebt. Gemäss der Praxis des Presserats gilt ein Vorwurf als schwer, wenn ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten unterstellt wird. Die «BaZ» macht geltend, bezüglich des laufenden Verfahrens und dem schweren Vorwurf des Amtsmissbrauchs sei der Beschwerdeführer angehört worden. Die übrigen Vorwürfe erreichten allerdings die Intensität nicht, die eine vorgängige Anhörung nötig gemacht hätte. Zweifelsohne werde dem Sektionschef mit den anonymen Äusserungen ein selbstherrliches und gebieterisches Verhalten unterstellt. Jedoch wögen diese Vorwürfe nicht so schwer, dass sie im Gebiet des Illegalen anzusiedeln wären.

Für den Presserat handelt es sich bei den Aussagen, «K. bevorzuge langjährige Günstlinge» und «Er soll beispielsweise EU-Recht schon angewendet haben, als es in der Schweiz noch gar nicht galt» um Vorwürfe im Bereich von Amtsmissbrauch und Rechtsverletzung. Es sind also offensichtlich schwere Vorwürfe gegen den Sektionschef, aber auch gegen dessen Vorgesetzte, die solches Handeln angeblich zulassen. Eine Anhörung des Betroffenen ist also unerlässlich. Ebenfalls als schwerer Vorwurf im Sinne der Richtlinie 3.8 zu bewerten ist, dass K. vor Gericht den eigenen Sicherheitsbericht «beschönigt» habe. Dieser Vorwurf ist Gegenstand der Strafanzeige gegen K., wird im Artikel aber als Tatsache dargestellt.

b) Schwere Vorwürfe sind gemäss der Praxis des Presserats «präzis» zu unterbreiten (Stellungnahmen 44/2006, 38/2010, 6/2014). Autor Feusi stellt im E-Mail vom 29. Juni 2014 dem BAV neun konkrete Fragen, aber nur eine dieser Fragen betrifft einen der genannten Vorwürfe. Es geht dabei um den Vorwurf der Beschönigung: «Der Direktor (des BAV) erachtet die Strafanzeige für unbegründet. Ist es nicht einmal eine Untersuchung wert, wenn ein Sektionschef Erkenntnisse seiner eigenen Sektion in einem offiziellen Bericht für ein Gerichtsverfahren nicht erwähnt?» Die Vorwürfe, die nicht namentlich genannte Quellen erheben, werden im E-Mail nicht erwähnt. Laut der Beschwerdegegnerin hat Feusi diese Vorwürfe gegen K. in einem Telefongespräch «in summarischer Form» dargelegt. Dies ist angesichts der Schwere der Vorwürfe ungenügend. Die «Basler Zeitung» hätte die Vorwürfe präzise darlegen und eine klare Antwort einfordern müssen. Dies gilt noch verstärkt bei anonym gehaltenen Quellen. Journalisten haben solche Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Gerade bei der Veröffentlichung von schweren Vorwürfen anonym gehaltener Informanten kommt der korrekten Durchführung der Anhörung ein ganz besonderes Gewicht zu. Die Betroffenen sind ausdrücklich mit den konkreten, zentralen Vorwürfen zu konfrontieren. Es empfiehlt sich, die konkreten Vorwürfe schriftlich zu unterbreiten. Wird die Stellungnahme verweigert, sollte der Medienbericht darauf hinweisen, dass der Betroffene mit den zentralen Vorwürfen konfrontiert worden ist (Stellungnahme 44/2006). Die «BaZ» hat demnach mit der Veröffentlichung der anonymen Vorwürfe der Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen nicht Genüge getan.

c) Vorwürfe, die in einer Strafanzeige erhoben werden, sind keine Fakten. Deshalb muss der Angezeigte dazu im Sinne von Richtlinie 3.8 Stellung nehmen können – dies im Gegensatz zur Berichterstattung über Gerichtsurteile. Die «Basler Zeitung» hat das BAV mit den Vorwürfen aus der Strafanzeige korrekterweise konfrontiert und die Antwort des BAV im Artikel aufgenommen.

4. Die Beschwerdeführerin macht keine Angaben dazu, welche Textstellen das Wahrheitsgebot ihrer Ansicht nach verletzt haben. Auch aufgrund der Unterlagen ist für den Presserat nicht erstellt, dass die Vorwürfe der «Basler Zeitung» sachlich nicht gerechtfertigt sind und gegen das Wahrheitsgebot verstossen.

5. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Beantwortung der am Freitagnachmittag gestellten Fragen nur unter «grösstem Zeitdruck» möglich gewesen sei. Offenbar ist hier weniger die Frist von fast zwei Tagen das Problem, sondern dass es nach Büroschluss allenfalls hätte schwierig werden können, alle Fragen zu beantworten. Der Presserat hat sich schon mehrmals mit Fristen bei Anhörungen befasst (Stellungnahmen 51/2002, 23/2008, 26/2013). Die Anhörung muss früh genug stattfinden, damit der Betroffene genügend Zeit zur Antwort hat. Die zu gewährende Frist hängt dabei vom Umfang der Fragen und deren Komplexität ab. Das BAV hat die Fragen innert weniger Stunden beantwortet. Zudem hatte Journalist Feusi angeboten, dass Antworten auch später nachgeliefert werden könnten. Freitagnachmittag mag zwar ein ungünstiger Zeitpunkt sein, aber die eingeräumte Frist war genügend lang. Die Anhörungspflicht wurde damit in dieser Hinsicht nicht verletzt.

6. Gemäss Richtlinie 7.2 ist die identifizierende Berichterstattung zulässig, sofern die betroffene Person ein politisches Amt beziehungsweise eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht. Der Sektionschef Schifffahrt hat eine staatliche Funktion inne. Durch seine Tätigkeit als Chef einer Sektion, die in der Schweiz einmalig ist, ist ein gewisses Mass an Identifizierbarkeit unumgänglich. Die «Basler Zeitung» hat den Sektionschef nicht namentlich genannt, sondern den ersten Buchstaben des Nachnamens (K.) verwendet. Unabhängig davon, ob eine Nennung des vollständigen Namens zulässig gewesen wäre, ist Richtlinie 7.2 daher nicht verletzt.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Bericht «Untersuchung wegen Amtsmissbrauch» vom 30. Juni 2014 Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt. Es besteht ein öffentliches Interesse daran, allfällige Missbräuche eines Sektionschefs zu recherchieren und allenfalls zu veröffentlichen. Auch eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs kann von öffentlichem Interesse sein. Die «BaZ» wäre jedoch verpflichtet gewesen, den Sektionschef Schifffahrt bzw. das Bundesamt für Verkehr vor der Veröffentlichung des Berichts konkret mit allen schweren Vorwürfen zu konfrontieren. Dass die meisten Vorwürfe von nicht genannten Quellen stammten, verstärkte diese Pflicht zusätzlich.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen. Die «Basler Zeitung» hat Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 3 (unter dem Aspekt der Quellennennung) und Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung» nicht verletzt.