Nr. 35/2013
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Kommentarfreiheit / Diskriminierung

(Botschaft der Republik Iran c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 14. Juni 2013

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 19. November 2011 veröffentlichte die «Basler Zeitung» einen Meinungsartikel von Chefredaktor Markus Somm (Titel: «Die gefährlichsten Mullahs der Welt»). Nach Meinung der Experten der Internationalen Atomenergieagentur IAEA seien die Hinweise eindeutig: «Wenn nichts dazwischenkommt, dürfte Iran bald eine Atombombe besitzen. (…) Iran, ein altes, hochzivilisiertes Land, das aber von religiösen Fanatikern beherrscht wird: Das Regime könnte sich in eine der gefährlichsten Mächte der Welt verwandeln.» Irans Regime sei bisher vor allem für die eigenen Bürger ein «Albtraum» gewesen, nun müsse sich der Westen insgesamt in Acht nehmen. Da Israel am meisten zu befürchten habe, überrasche es nicht, dass das Land alles unternehme, um das iranische Atomprogramm zu stoppen. Doch die Zeit laufe Israel davon.

Ehrlicherweise habe der Westen bloss zwei Optionen. Entweder sich mit Iran als Atommacht abzufinden oder das Atomprojekt mit militärischen Mitteln zu stoppen. Diplomatische Bemühungen hätten bisher zu keiner Lösung geführt. Zwar berge ein Militärschlag unkalkulierbare Risiken. Dem Westen bleibe aber nichts anderes übrig. Angesichts des führungsschwachen amerikanischen Präsidenten werde es letztlich an Israel liegen, zuzuschlagen. «Iran muss um jeden Preis daran gehindert werden, eine Atombombe zu entwickeln.»

B. Am 2. April 2013 veröffentlichte die «Basler Zeitung Online» im Rahmen des Newsnetverbunds einen ausführlichen Artikel des USA-Korrespondenten Martin Kilian zu den wechselhaften Beziehungen der USA mit dem Iran (Titel: «Ein kompliziertes Verhältnis»). «Seit dem Sturz des Schahs von Persien und der iranischen Geiselnahme von 52 US-Diplomaten im November 1979 werden die amerikanisch-iranischen Beziehungen durch eine stetige Abfolge klandestiner Offensiven und Gegenoffensiven sowie geheimer Abmachungen definiert.» Ursünde sei dabei der «CIA-Coup gegen den nationalistischen iranischen Premierminister Mohammed Mossadeq 1953» gewesen. «Ohne den Sturz Mossadeqs wäre der Schah womöglich nie mehr auf seinen Thron zurückgekehrt, der Iran mithin nicht zu einem Staat von Mullahs und Ayatollahs geworden.»

Nun drohe eine neuerliche Belastung der «schwierigen Beziehung zwischen Iran und Washington». US-Experten schlössen nicht mehr aus, dass Iran Nordkorea bei der Anreicherung von Uran behilflich sei. Beweise dafür lägen bisher nicht vor, «doch dürfte allein ein entsprechender Verdacht die Beziehung Washingtons zu Teheran weiter belasten sowie neokonservative Falken in der Republikanischen Partei stärken, die beim Atomstreit mit Teheran zusammen mit Israel auf eine militärische Lösung drängen».

Dabei seien es besonders Israel und der republikanische Präsident Ronald Reagan gewesen, die das Mullah-Regime in Teheran anfänglich gestärkt hätten. Reagan habe zunächst heimliche Waffenlieferungen Israels an Iran gebilligt, welches die Waffen 1980 im Krieg gegen Saddam Hussein dringend gebraucht habe. Erst 1982 habe Reagan eine Kehrtwende vollzogen und fortan auf den irakischen Autokraten gesetzt. 1985 habe sich dann das Blatt erneut gewendet: «Die Reagan-Administration lieferte mit israelischer Hilfe insgeheim und hinter dem Rücken des US-Kongresses panzerbrechende Raketen sowie Flugabwehrraketen an Teheran, womit die Iran-Contra-Affäre begann. (…) Nach Irangate wandte sich die Weltmacht wieder vermehrt Saddam Hussein zu, bis dieser 1990 in Kuwait einmarschierte und damit den 2. Golfkrieg auslöste. (…) Unter US-Präsident Bill Clinton schien der Dauerfrost zwischen Teheran und Washington aufzutauen, ehe 9/11 und die Präsidentschaft George W. Bushs die US-Politik erneut veränderten und ‹Regimewechsel› nicht nur in Bagdad, sondern auch in Teheran angepeilt wurden.» Die amerikanischen Absichten hätten sich allerdings ins Gegenteil verkehrt und die Mullahs in Teheran gestärkt.

C. Am 11. April und 7. Mai 2013 beschwerte sich die Botschaft der Islamischen Republik Iran in Bern beim Schweizer Presserat über die «unsinnige» Argumentation und die «Verzerrungen» im Artikel von Martin Kilian vom 2. April 2013. Ein Schreiben an den Chefredaktor der «Basler Zeitung» sei ohne Reaktion geblieben. Ebenso gelte dies für ein Schreiben vom November 2011, mit welchem die Botschaft den Presserat bat, aufgrund des Artikels von Markus Somm vom 19. November 2011 bei der Redaktion der «Basler Zeitung» zu intervenieren.

Nachdem das Presseratssekretariat die Beschwerdeführerin darauf hinwies, dass der Presserat keine Behörde ist, welche bei den Medienredaktionen interveniert, ergänzte die iranische Botschaft ihre Beschwerdebegründung dahingehend, die «Basler Zeitung» habe mit der Veröffentlichung des beanstandeten Berichts gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Informationsfreiheit), 3 (Entstellung von Tatsachen), 5 (Berichtigung) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.

D. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

E. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 14. Juni 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Soweit sich die Beschwerde indirekt auch auf den Artikel vom 19. November 2011 bezieht, ist die Beschwerdefrist von sechs Monaten (Artikel 10 Absatz 1 des Geschäftsreglements) längst abgelaufen.

3. In ihrer Beanstandung zum Artikel vom 3. April 2013 verkennt die Beschwerdeführerin den Unterschied zwischen Journalismus (Fremddarstellung) und Public Relations (Selbstdarstellung). Auch wenn sich der Staat Iran in seiner Selbstwahrnehmung offenbar als Demokratie sieht und seine Regierung als die am besten legitimierte und demokratischste der Region gehört es zur Presse- und Meinungsäusserungsfreiheit, dies anders zu bewerten.

Für den Presserat ist es deshalb offensichtlich nicht diskriminierend, die iranische Regierung beispielsweise als «Mullah-Regime» zu bezeichnen. Dieser Begriff drückt in einer für die Leserschaft verständlichen Weise aus, dass die Regierung Irans nach hiesigen Massstäben nicht demokratisch in einem Verfahren mit freien Wahlen und freien Parteien gewählt wird. Und soweit die Beschwerdeführerin – nicht einmal in den Eingaben an den Presserat, sondern lediglich in einem undatierten Schreiben an die «Basler Zeitung» – beispielsweise die Zusammenarbeit von Iran und Nordkorea bei der Urananreicherung oder die seinerzeitigen von den USA gebilligten Waffenlieferungen von Israel an den Iran bestreitet, ist auf Folgendes hinzuweisen: Bezüglich der bestrittenen Zusammenarbeit bei der Urananreicherung weist der Artikel von Martin Kilian ausdrücklich darauf hin, dass er sich auf vom Iran bestrittene Vermutungen von US-Experten stützt. Und ebenso nennt der Artikel die Quellen zu den Waffenlieferungen an den Iran – «Dokumente aus der Reagan-Bücherei in Kalifornien».

Auch darüber hinaus beschränkt sich die Beschwerdeführerin in ihren Eingaben darauf, pauschal zu behaupten, die «Basler Zeitung» habe unausgewogen und iranfeindlich berichtet, Unwahrheiten verbreitet und die Berichtigung von Falschmeldungen verweigert, ohne diese Beanstandungen jedoch näher zu begründen. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.

III. Feststellung

Der Pressera
t tritt nicht auf die Beschwerde ein.