Nr. 2/2009
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Stegemann c. «Tachles») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 23. Januar 2009

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe 49/2007 vom 7. Dezember 2007 berichtete die jüdische Wochenzeitung «Tachles» unter dem Titel «Angriff ist die schlechteste Verteidigung» über die Abweisung einer Klage wegen Persönlichkeitsverletzung, die der Basler Theologieprofessor Ekkehard W. Stegemann gegen den Verleger der «Basler Zeitung», Matthias Hagemann, beim Basler Zivilgericht eingereicht hatte. Ausgelöst hatte die Klage ein Kommentar Hagemanns zur organisierten Einreichung von Leserbriefen durch Pro-Israel-Gruppierungen. Er kritisierte namentlich «die aggressive Lobbyarbeit jener informellen vernetzten Gruppe (…), zu der an vorderster Front ein in Basel lehrender Theologieprofessor gehört. (…) Es handelt sich um unzulässige Versuche, durch moralischen Druck die redaktionelle Freiheit zu beschränken.»

Der Bericht von Chefredaktor Yves Kugelmann fasst die Vorgeschichte des Prozesses zusammen und führt zum Urteil aus: «Das Gericht hat nun die Klage vor einer Woche deutlich abgewiesen und festgehalten, dass Hagemanns Kommentar in keiner Weise die Persönlichkeit Stegemanns verletzte. Stegemann selbst bestritt anfänglich in der Öffentlichkeit gar seine Tätigkeit für Media Watch.» Danach schildert Kugelmann die Geschichte der Media Watch und die Rolle von Stegemann in dieser 2006 aufgelösten Organisation. Deren Aufgabe war es laut «Tachles», Leserbriefe unter dem privaten Namen der Mitglieder zu schreiben und mit Briefen Druck auf Redaktionen auszuüben. Das «intransparente», durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) finanzierte Vorgehen von Media Watch sei nicht nur von Hagemann kritisiert worden, sondern habe auch im Dachverband zu Diskussionen geführt.

B. In der Ausgabe Nr. 52/2007 vom 28. Dezember 2007 druckte «Tachles» unter dem Titel «Reine Spekulation» einen Leserbrief von Ekkehard W. Stegemann ab. Er führte darin aus: «In Ihrem Artikel beziehen Sie sich auf ein Gerichtsurteil, das noch nicht rechtskräftig ist und nicht einmal schriftlich begründet vorliegt. Ihre Behauptung über ‹Fakten›, auf die sich das Gericht in seinem Urteil angeblich gestützt hat, sind reine Spekulation. Eine nachweislich unwahre Tatsachenbehauptung ist, dass ich in der Öffentlichkeit meine ‹Tätigkeit für Media Watch› bestritten haben soll. Ich habe meine Tätigkeit für die Media Watch des SIG nie bestritten. Bestritten habe ich aber, und ich bestreite es weiter, einer von Matthias Hagemann nicht namentlich genannten und aus seiner Kolumne von August 2006 auch nicht erkennbaren Gruppe anzugehören.»

Unter den Leserbrief setzte die Redaktion folgende Anmerkung: «Der Gerichtspräsident hat in der mündlichen Urteilsbegründung Verleger Matthias Hagemanns Artikel als in allen Teilen rechtmässig bezeichnet. Media Watch und ähnlich gelagerte Gruppen sind gerade die, um die es in Hagemanns Artikel ging. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen hat Stegemann öffentlich bestritten.»

C. Am 12. Januar 2008 beschwerte sich Ekkehard W. Stegemann über den oben zusammengefassten Bericht von «Tachles» vom 7. Dezember 2007 und rügte, dieser habe die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung von Informationen/Entstellung von Tatsachen/Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Kugelmann unterschlage bei der Wiedergabe des Gerichtsurteils den wichtigen Hinweis des Gerichts, dass es im Urteil nicht darum gegangen sei, ob Hagemanns Werturteile zutreffend seien, sondern nur darum, ob sie als Werturteile zulässig seien. Er manipuliere das Gerichtsurteil, um Hagemanns Werturteile, die von Verschwörungsreflexen geprägt seien, als durch das Gericht festgestellte zutreffende «Fakten» darzustellen. Zudem nehme «Tachles» einseitig Partei für Hagemann, von dem die Wochenzeitung über deren Herausgeberin Jüdische Medien AG wirtschaftlich abhängig sei. Eine sorgfältige Recherche hätte erfordert, dass «Tachles» im Bericht nicht nur die Meinung Hagemanns wiedergegeben hätte, sondern auch eine Stellungnahme des Beschwerdeführers eingeholt hätte.

Der im Artikel enthaltene Satz, «Stegemann selbst bestritt anfänglich in der Öffentlichkeit gar seine Tätigkeit für Media Watch», sei zudem schlicht unwahr. Er selber habe weder ausdrücklich noch sinngemäss je öffentlich bestritten, für Media Watch tätig gewesen zu sein. Bestritten habe er bloss, jener nicht namentlich genannten und auch in ihrer Identität nicht erkennbaren Gruppe zuzugehören, die Verleger Hagemann in jenem Kommentar angegriffen habe. Mit der Behauptung, er habe «anfänglich» bestritten, für Media Watch tätig gewesen zu sein, versuche Kugelmann, ihn (Stegemann) als Lügner darzustellen.

Und anstatt, wie es die Berichtigungspflicht erfordert hätte, diese unwahre Tatsachenbehauptung zurückzunehmen und sich zu entschuldigen, habe «Tachles» in der Anmerkung zum Leserbrief seine unwahre Behauptung noch einmal wiederholt. Zudem habe die Redaktion die Unterschrift seines Leserbriefs manipuliert und verfälscht. Aus der einfachen Unterzeichnung «Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann» habe Kugelmann «Ekkehard W. Stegemann, ehemaliger Präsident des Jüdischen Medienforums und Mitglied der Gruppe Media Watch des SIG, Basel» gemacht.

D. Am 4. April 2008 wies Chefredaktor Yves Kugelmann die Beschwerde namens der Redaktion von «Tachles» als unbegründet zurück. «Tachles» habe seit 2004 kritisch über das Jüdische Medienforum und dessen Nachfolgeorganisation Media Watch berichtet. Die Berichterstattung über den Prozess zwischen Stegemann und Hagemann habe mehr damit als mit der Person von Matthias Hagemann und dessen Rolle als Verleger zu tun. Die im Artikel angeführten Fakten, auf die sich auch das Gericht gestützt habe, hätten zudem nicht das Geringste mit den Werturteilen von Hagemann zu tun. Was «Tachles» als Fakten aufzähle, sei «tatsächlich unmissverständlich erwiesen».

Die Aussage, wonach Ekkehard W. Stegemann anfänglich in der Öffentlichkeit seine Tätigkeit bestritten habe, basiere auf einer Sendung des «Regionaljournal Basel» von Schweizer Radio DRS vom August 2006. Ohnehin habe der Beschwerdeführer nicht im Zentrum der Berichterstattung von «Tachles» gestanden. Die Kritik habe sich immer in erster Linie an den SIG und dessen Führungsriege gerichtet.

Beim Leserbrief habe «Tachles» seiner üblichen Praxis entsprechend die akademischen Titel des Beschwerdeführers weggelassen. Einzuräumen sei, dass beim Hinweis auf die Mitgliedschaft bei Media Watch» eine doppelte Verwendung des Wortes «ehemalig» angebracht gewesen wäre. Es sei jedoch absurd, daraus den Willen zu Manipulation und Verfälschung abzuleiten.

E. Am 15. April 2008 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. Januar 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Haben die Leserinnen und Leser einen falschen Eindruck über das Urteil des Basler Zivilgerichts erhalten? Der Presserat kann dies nicht abschliessend beurteilen, zumal ihm die Parteien keine schriftliche Urteilsbegründung eingereicht haben – sofern eine solche überhaupt ausgefertigt worden ist. Gestützt auf die Lektüre des beanstandeten Artikels kommt der Presserat zum Schluss, dass der Bericht soweit ersichtlich die wichtigsten Fakten in verständlicher Weise wiedergibt. «Tachles» zitiert vorab die wichtigsten Passagen aus dem Kommentar von Hagemann und führt dann weiter aus, dass dieser den Beschwerdeführer dazu veranlasste, eine Klage wegen Persönlichkeitsverletzung einzureichen. Danach gibt die Wochenzeitung die unbestrittenen Fakten der Klageabweisu
ng und der Verneinung einer Persönlichkeitsverletzung durch das Gericht wieder. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war «Tachles» darüber hinaus nicht verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass das Gericht einzig über die Zulässigkeit des Kommentars von Hagemann zu entscheiden hatte und nicht etwa, ob dieser zutreffend sei. Ebenso wenig war es aufgrund der Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zwingend, vor der Publikation des Berichts eine Stellungnahme von Ekkehard W. Stegemann einzuholen. Der Bericht über die Tatsache, dass eine Klage wegen Persönlichkeitsverletzung durch das Gericht abgewiesen worden ist, stellt keinen schweren Vorwurf im Sinne dieser Bestimmung dar, der eine Anhörung notwendig machen würde.

2. Hat der Beschwerdeführer, wie dies Yves Kugelmann im beanstandeten Artikel behauptet, anfänglich seine Tätigkeit für Media Watch bestritten oder trifft dies nicht zu und hätte «Tachles» dies entsprechend berichtigen müssen? Der Presserat führt bekanntlich keine eigenen Beweiserhebungen durch (vgl. z.B. die Stellungnahmen 3/2008, 34/2008) und sieht sich aufgrund der ihm eingereichten Unterlagen nicht in der Lage, diese Frage schlüssig zu beantworten. Vorab erscheint auch dieser Vorwurf nicht als derart schwer, dass er eine Anhörung des Betroffenen vor der Publikation (Richtlinie 3.8 der «Erklärung») zwingend erscheinen lässt. Zumal er nicht neu ist. «Tachles» hat bereits in der Ausgabe vom 1. September 2006 («Nachruf auf eine Totgeburt») geschrieben: «So bestritt Media-Watch-Mitarbeiter Ekkehard Stegemann in Radio DRS und Telebasel vor drei Wochen inständig, dass er selbst im Namen einer organisierten Gruppe aktiv sei.»

In seiner Beschwerde an den Presserat erwähnt Stegemann lediglich ein Interview mit Telebasel vom 25. August 2006, wo er sich lediglich zu der im Kommentar Hagemanns nicht namentlich genannte Gruppe geäussert habe, nicht aber zu Media Watch. Wenn er aber erwähnte, vereinzelt Leserbriefe und E-Mails (in eigenem Namen) geschrieben zu haben, wäre es in diesem Kontext zumindest naheliegend gewesen, auf seine Tätigkeit für Media Watch hinzuweisen. Zudem geht die Beschwerde mit keinem Wort auf das von «Tachles» zur Hauptsache angeführte Interview mit Radio DRS ein, das im gleichen Zeitraum (August 2006) ausgestrahlt wurde. Bei Würdigung dieser Umstände ist für den Presserat die vom Beschwerdeführer behauptete Unwahrheit der umstrittenen Behauptung von «Tachles» jedenfalls nicht erstellt. Entsprechend ist eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung» zu verneinen.

3. Schliesslich sieht der Presserat in der Veränderung der Bezeichnung des Beschwerdeführers unter seinem Leserbrief keine Absicht einer Manipulation und Verfälschung. Zwar erscheint die redaktionelle Veränderung von «Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann» zu «Ekkehard W. Stegemann, ehemaliger Präsident des Jüdischen Medienforums und Mitglied der Gruppe Media Watch des SIG, Basel» unschön. Sie erweckt den Eindruck, im Zusammenhang mit dem gespannten Verhältnis zwischen den Parteien zu stehen und sie war jedenfalls nicht geeignet, die Wogen zu glätten. Trotzdem erschiene es – auch in Berücksichtigung der sprachlichen Ungenauigkeit in Bezug auf die Zugehörigkeit zur Media Watch – unverhältnismässig, hieraus eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» abzuleiten.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Tachles» hat mit der Publikation des Artikels «Angriff ist die schlechteste Verteidigung» in der Ausgabe vom 7. Dezember 2007 und des Leserbriefs «Reine Spekulation» in der Ausgabe vom 28. Dezember 2007 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.