Nr. 18/2017 vom 26. Juni 2017, berichtigt am 28. Dezember 2017
Wahrheit

(X. c. «watson.ch»)

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Berichtigte Stellungnahme vom 28. Dezember 2017

I. Sachverhalt

A. Am 18. März 2017 publiziert Severin Miszkiewicz auf «watson.ch» eine Liste von «9 Gründen, wieso du an den Frauenmarsch gehen solltest». Einer der Gründe ist, dass Frauen immer noch weniger Lohn verdienen. «watson» schreibt: «In der Regel liegt der Durchschnittslohn von Frauen 18,4 Prozent tiefer als bei Männern – für die gleiche Arbeit. (…) Zusätzlich wird mehr als ein Drittel der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht mit objektiven Merkmalen wie Ausbildung oder beruflicher Stellung erklärt, sondern geht direkt auf Diskriminierung zurück.»

B. Am 20. März 2017 beanstandet X. diese zwei Sätze als nicht wahrheitsgemäss und reicht beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen das Medienportal «watson.ch» ein, weil Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten und Journalistinnen» (nachfolgend «Erklärung») nicht eingehalten sei. Beim ersten Satz moniert X., dass bei der Differenz von 18,4 Prozent die Arbeit eben nicht berücksichtigt werde. Beim zweiten zitierten Satz schreibt X., der durch die Lohnstrukturerhebung (LSE) nicht erklärte Unterschied von gut einem Drittel gehe nicht direkt auf Diskriminierung zurück, sondern lasse sich durch die Daten der LSE nicht erklären.

C. In seiner Stellungnahme weist «watson»-Chefredaktor Maurice Thiriet eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» zurück. Er erklärt, «watson» stütze sich auf die Webseite www.lohngleichheit.ch und die Publikation von 2009 «Fairplay beim Lohn für Frauen und Männer – Lohnfestsetzung im Unternehmen – ein Werkzeug für GewerkschafterInnen und Arbeitnehmendenvertretungen», beide von Schweizerischen Gewerkschaftsbund herausgegeben.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Seraina Kobler und Markus Locher an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 8. Juni 2017 sowie auf dem Korrespondenzweg. Sie kam in ihren Feststellungen zum Schluss, die Beschwerde sei abzuweisen. «watson.ch» habe Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

F. Am 10. Juli 2017 beantragte X. die Berichtigung der Stellungnahme vom 26. Juni 2017. Die Kammer des Presserats sei gar nicht auf seine Argumentation eingegangen. Entgegen dem Artikel von «watson» gehe es beim Unterschied zwischen den Durchschnittslöhnen von Männern und Frauen nicht um «gleiche Arbeit», aber auch nicht um «gleichwertige Arbeit», wie es der Presserat interpretiert habe. Tatsache sei, dass der Unterschied von 18,4 Prozent der Durchschnittslöhne von Männern und Frauen in der Statistik des Bundesamts für Statistik (BFS) unabhängig von der Art oder des Werts einer Arbeit errechnet wird.

Zum zweiten beanstandeten Satz hält X. nochmals fest, dass das BFS bei den nicht objektivierbaren Anteilen der Lohnunterschiede von Mann und Frau zwar Diskriminierung annehme, diese Vermutung könne jedoch nicht einfach als Tatsache hingestellt werden.

X. hebt noch hervor, dass «watson» inzwischen eine Berichtigung und Entschuldigung publiziert und den Text geändert habe. Er ist jedoch der Meinung, diese sei zu spät erfolgt.

G. In seiner Stellungnahme zum Berichtigungsbegehren bestätigt Chefredaktor Maurice Thiriet am 5. September 2017, dass «watson» eine Korrektur im Sinne von X. vorgenommen habe. Und zwar am 29. März 2017, am gleichen Tag, an dem die Redaktion Kenntnis von X.’ Presseratsbeschwerde erhielt.

H. Das Präsidium des Presserats wies das Berichtigungsgesuch wiederum seiner 3. Kammer zu.

I. Die 3. Kammer des Presserats behandelte das Berichtigungsgesuch an ihrer Sitzung vom 7. Dezember 2017 und auf dem Korrespondenzweg. Die Kammer setzte sich gleich zusammen wie oben unter D. ausgeführt.

II. Erwägungen

1. Der erste Satz, den der Beschwerdeführer beanstandet, lautet: «In der Regel liegt der Durchschnittslohn von Frauen 18,4 Prozent tiefer als bei Männern – für die gleiche Arbeit.» Er macht geltend, bei der Differenz von 18,4 Prozent werde die Arbeit eben nicht berücksichtigt. «watson.ch» äussert sich in seiner Beschwerdeantwort nicht direkt zu diesem Vorwurf, sondern führt aus, auf welche Publikation es sich dabei stützt. Der Presserat hatte in seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2017 festgehalten, dass seines Erachtens Beschwerdeführer und Beschwerdegegner eigentlich dasselbe meinen: dass nämlich bei der Festsetzung des Lohnes von Frauen und Männern eine gleichwertige Arbeit lohnmässig nicht gleich berücksichtigt werde. In seinem Gesuch um Berichtigung weist X. darauf hin, dass es beim Unterschied zwischen den Durchschnittslöhnen von Männern und Frauen nicht um «gleiche Arbeit» gehe, aber auch nicht um «gleichwertige Arbeit», wie es der Presserat interpretiert habe. Das Bundesamt für Statistik ermittle die Durchschnittslöhne von Männern und Frauen unabhängig von der Art oder des Werts einer Arbeit.

Der Presserat hat in der Folge seine Argumentation überprüft und gibt dem Beschwerdeführer recht: Die Differenz von 18,4 Prozent zwischen den Durchschnittslöhnen von Männern und Frauen gibt einfach an, wieviel Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer. Dabei geht es nicht um weniger Lohn für «gleiche Arbeit», wie es «watson» geschrieben hatte, und auch nicht um weniger Lohn für «gleichwertige Arbeit», wie es der Presserat falsch interpretiert hat. Zwar fliessen in die Errechnung dieser Durchschnittslöhne durchaus die Unterschiede in Bezug auf Qualifikation, Alter, hierarchische Stellung, Beruf oder Branche ein. Aber es geht dabei nicht um einen Vergleich der Löhne von Mann und Frau für gleiche Arbeit. Entgegen seiner ersten Stellungnahme vom 26. Juni 2017 kommt der Presserat daher zum Schluss, dass «watson» mit seiner Publikation in der Fassung vom 18. März 2017 die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) verletzt hatte. Die Beschwerde wird somit in diesem Punkt gutgeheissen.

2. Der zweite beanstandete Satz lautet: «Zusätzlich wird mehr als ein Drittel der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht mit objektiven Merkmalen wie Ausbildung oder beruflicher Stellung erklärt, sondern geht direkt auf Diskriminierung zurück.» Auch bei diesem Satz stützt sich «watson» auf den Gewerkschaftsbund, eine in dieser Sachfrage glaubwürdige Quelle, und fasst die Aussagen richtig zusammen. In der Publikation «Fairplay beim Lohn für Frauen und Männer – Lohnfestsetzung im Unternehmen – ein Werkzeug für GewerkschafterInnen und Arbeitnehmendenvertre-tungen» heisst es im Vorwort, 40 Prozent der Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau seien auf diskriminierende Faktoren zurückzuführen. Auf Seite 8 heisst es zudem: «Ein Teil dieser Unterschiede – gemäss Studien rund 60 Prozent – lassen sich durch objektive Faktoren erklären, der verbleibende Teil ist als Lohndiskriminierung im Sinne des Gleichstellungsgesetzes (GlG) zu werten.» Aus dem Zitat wird klar, dass es sich um eine Wertung des Gewerkschaftsbunds handelt. X. hält dazu in seiner Beschwerde und in seinem Gesuch um Berichtigung fest, das Bundesamt für Statistik nehme bei den nicht objektivierbaren Anteilen der Lohnunterschiede von Mann und Frau zwar Diskriminierung an. Diese Vermutung könne jedoch nicht einfach als Tatsache hingestellt werden.

Tatsächlich ist das BFS bei der Interpretation dieser Ergebnisse vorsichtig und lehnt sich nicht aus dem Fenster – es spricht von die Frauen «potentiell diskriminierenden Lohnunterschieden». Der Presserat stellt dieser Studie eine weitere amtliche Studie zur Seite, die im Juni 2013 zum gleichen Schluss kam: Mehr als ein Drittel des Lohnunterschieds lässt sich nicht durch objektive Merkmale erklären. Herausgegeben haben die Studie das Eidg. Departement des Innern, das Eidg. Gleichstellungsbüro und das Bundesamt für Statistik. Die Studie basiert auf der LSE, ihr Fazit: «Der Unterschied ist auf eine Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückzuführen.» Diese Studie interpretiert die Lohnunterschiede somit als diskriminierend. Letztlich geht es um die Frage, ob der nicht erklärbare Anteil der unterschiedlichen Löhne von Frauen und Männern als Diskriminierung zu werten ist. Gewerkschaftsbund und EDI/Gleichstellungsbüro/BFS sind dieser Meinung, die Statistiker bleiben bei der Interpretation vorsichtig. Im Ergebnis bleibt der Presserat dabei, dass «watson» in diesem Punkt Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt hat. «watson» machte die Aussage, ein gutes Drittel der Lohnunterschiede gehe auf geschlechtliche Diskriminierung zurück, zu Recht und aufgrund seriöser Quellen.

3. «watson» hat bei seinen Ausführungen zum Frauenlohn keine Quelle angegeben. Dies im Gegensatz zur Passage über Gewalt an Frauen, wo das Portal auf das Bundesamt für Statistik verwies. Eine Angabe der Quelle wäre hilfreich gewesen, falschen Interpretationen vorzubeugen. Bei einem derart heiss diskutierten Thema läge es im Sinne von Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) im Interesse des Publikums, anzugeben, auf welche Quellen sich eine Information abstützt.

4. Ziffer 5 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist, berichtigen. «watson» hat nach eigenen Angaben eine Berichtigung der Meldung am Tag, an dem das Medienportal von der Presseratsbeschwerde Kenntnis erhielt, vorgenommen und sich für den Fehler entschuldigt. Damit wurde der Berichtigungspflicht Genüge getan.

III. Feststellungen

1. Der Presserat berichtigt Feststellung 1 seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2017 wie folgt: Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. «watson.ch» hat Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem es schrieb, der Lohnunterschied von Männern und Frauen beziehe sich auf die gleiche Arbeit.

2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

3. Indem «watson» den Text korrigiert hat, ohne den Entscheid des Presserats abzuwarten, aber auch ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, ist die vom Beschwerdeführer geforderte Berichtigung bereits vorgenommen.

Stellungahme vom 26. Juni 2017

I. Sachverhalt

A. Am 18. März 2017 publiziert Severin Miszkiewicz auf «watson.ch» eine Liste von «9 Gründen, wieso du an den Frauenmarsch gehen solltest». Einer der Gründe ist, dass Frauen immer noch weniger Lohn verdienen. «watson» schreibt: «In der Regel liegt der Durchschnittslohn von Frauen 18,4 Prozent tiefer als bei Männern – für die gleiche Arbeit. (…) Zusätzlich wird mehr als ein Drittel der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht mit objektiven Merkmalen wie Ausbildung oder beruflicher Stellung erklärt, sondern geht direkt auf Diskriminierung zurück.»

B. Am 20. März 2017 beanstandet X. diese zwei Sätze als nicht wahrheitsgemäss und reicht beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen das Medienportal «watson.ch» ein, weil Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten und Journalistinnen» (nachfolgend «Erklärung») nicht eingehalten sei. Beim ersten Satz moniert X., dass bei der Differenz von 18,4 % die Arbeit eben nicht berücksichtigt werde. Beim zweiten zitierten Satz schreibt X., der durch die Lohnstrukturerhebung (LSE) nicht erklärte Unterschied von gut einem Drittel gehe nicht direkt auf Diskriminierung zurück, sondern lasse sich durch die Daten der LSE nicht erklären.

C. In seiner Stellungnahme weist «watson»-Chefredaktor Maurice Thiriet eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» zurück. Er erklärt, «watson» stütze sich auf die Webseite www.lohngleichheit.ch und die Publikation von 2009 «Fairplay beim Lohn für Frauen und Männer – Lohnfestsetzung im Unternehmen – ein Werkzeug für GewerkschafterInnen und Arbeitnehmendenvertretungen», beide von Schweizerischen Gewerkschaftsbund herausgegeben.

D.
Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Markus Locher und Seraina Kobler an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 8. Juni 2017 sowie auf dem Korrespondenzweg.


II. Erwägungen

1. Beim ersten beanstandeten Satz meinen nach Erachten des Presserates Beschwerdeführer und Beschwerdegegner eigentlich das Gleiche: dass nämlich bei der Festsetzung des Lohns von Frauen und Männern eine gleichwertige Arbeit lohnmässig nicht gleich berücksichtigt wird. Dabei fasst der Beschwerdeführer vorerst die Arbeit in den Blick, findet, auch wenn Frauen eine gleich(wertig)e Arbeit ausübten, sei ihr Lohn trotzdem tiefer – also werde ihre Arbeit nicht berücksichtigt. Der «watson»-Journalist dagegen nimmt zuerst den tieferen Frauenlohn ins Auge und findet die Differenz ungerechtfertigt, obwohl doch Männer und Frauen die gleiche Arbeit verrichteten. Wenn Beschwerdeführer X. aus dem Satz «In der Regel liegt der Durchschnittslohn von Frauen 18,4 Prozent tiefer als bei Männern – für die gleiche Arbeit» herausliest, dass bei dieser Formulierung die Arbeit gerade nicht berücksichtigt werde, so kann ihm der Presserat darin nicht folgen. Korrekterweise ist der Begriff gleichwertige Arbeit zu verwenden, wie dies bereits die Bundesverfassung tut. Jedenfalls ist Ziffer 1 der «Erklärung» durch den Satz nicht verletzt.

2. Auch beim zweiten beanstandeten Satz stützt sich «watson» auf den Gewerkschaftsbund, eine in dieser Sachfrage glaubwürdige Quelle, und fasst die Aussagen richtig zusammen. Der Presserat stellt eine amtliche Studie daneben, die im Juni 2013 zum gleichen Schluss kam: Mehr als ein Drittel des Lohnunterschieds kann nicht durch objektive Merkmale erklärt werden. Herausgegeben haben die Studie das Eidg. Departement des Innern, das Eidg. Gleichstellungsbüro und das Bundesamt für Statistik. Die Studie basiert auf der LSE, ihr Fazit: «Der Unterschied ist auf eine Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückzuführen.» Die Überlegungen des Beschwerdeführers, wonach die Aussage, der Lohnunterschied gehe direkt auf Diskriminierung zurück, nicht haltbar sei, überzeugen den Presserat nicht. «watson» macht die Aussage, ein gutes Drittel der Lohnunterschiede gehe auf geschlechtliche Diskriminierung zurück, zu Recht und aufgrund seriöser Quellen.

3. «watson» hat bei seinen Ausführungen zum Frauenlohn keine Quellen angegeben. Dies im Gegensatz zu der Passage über Gewalt an Frauen, wo das Portal auf das Bundesamt für Statistik verwies. Eine Angabe der Quelle wäre hilfreich gewesen, falschen Interpretationen vorzubeugen. Bei einem derart heiss diskutierten Thema läge es im Sinne von Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) im Interesse des Publikums, anzugeben, auf welche Quellen sich eine Information abstützt.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «watson.ch» hat Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.