Nr. 44/2011
Wahrheit / Entstellung von Informationen / Respektierung der Privatsphäre

(Hablützel-Bürki c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 7. Oktober 20

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I. Sachverhalt

A. Am 27. Januar 2011 berichtete Hans-Peter Hildbrand im «Blick», die Degenfechterin Gianna Hablützel-Bürki wolle die Spitze des Schweizerischen Fechtverbands «stürzen» (Titel: «Bürki putscht gegen den Verband»). «Fecht-Mami» Hablützel-Bürki (41) sei Präsidentin des Fechtvereins Basel Riehen Scorpions und eine «gnadenlose Selbstvermarkterin; ihre eigene Homepage heisst ‹fechten.ch›». Nun versuche «die Baslerin den ultimativen Treffer im Kampf gegen den Schweizerischen Fechtverband. Sie fordert mit drei weiteren Vereinen (Seeland, Baden und Morges) die Verbandsspitze in corpore zum Rücktritt auf. (…) Hablützel-Bürki und ihre Getreuen fordern Minigolfer Roger M. Cadosch, Bobfahrerin Monica Günthard und den Polizisten Damian Mohler in den Vorstand. Die Antragsteller legten aber kein Konzept vor, was sie anders und besser machen würden. Ihre Anträge sprechen jedenfalls nicht für ein kompetentes Team, ihre Wahlvorschläge haben sie nicht fristgerecht eingereicht. (…) Fazit: einmal mehr ein Scheingefecht von Gianna Hablützel-Bürki.»

B. Am 4. und 20. Februar 2011 beschwerte sich Gianna Hablützel-Bürki, Riehen, beim Presserat gegen den obengenannten Bericht von «Blick», welcher der Leserschaft ein nicht der Wahrheit entsprechendes Bild vermittle, ihre Persönlichkeit verletze und gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Informationen) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse. Im einzelnen beanstandet die Beschwerdeführerin:

– Hans-Peter Hildbrand habe sie zu den im Bericht erhobenen Vorwürfen weder persönlich befragt, noch sie über das Erscheinen des Artikels orientiert. Er habe nicht nach der Wahrheit gesucht und den Leserinnen und Lesern wichtige Informationen unterschlagen.

– Der Autor habe ungefragt veraltete Zitate aus früheren Interviews in einen anderen Zusammenhang gestellt und damit den wahren Sachverhalt vollkommen entstellt.

– Weiter habe «Blick» ein fast 10-jähriges Archivbild ohne Einwilligung verwendet. Sie habe deshalb keinen Einfluss darauf nehmen können, wie sie in Bild und Wort gegenüber Dritten und der Öffentlichkeit dargestellt werde.

– Obwohl der Vorwurf, sie wolle den Vorstand des Schweizerischen Fechtverbands stürzen, schwerwiegend sei, sei ihr vor Erscheinen des beanstandeten Berichts keine Möglichkeit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen. Dies gelte auch für die weiteren im Artikel genannten Fechtvereine und Personen.

– Entgegen der Behauptung von «Blick» seien die Wahlvorschläge fristgerecht eingereicht worden.

– Der von «Blick» erhobene Vorwurf, «die Antragsteller legten aber kein Konzept vor», entbehre jeglicher Grundlage, da die Verbandsstatuten ein solches Konzept gar nicht vorsähen.

– Schliesslich verkürze «Blick» die eingereichten Wahlvorschläge in diskriminierender Weise zu irreführenden Schlagworten («Minigolfer», «Bobfahrerin», «Polizist»).

Da die Beschwerdeführerin nicht öffentlich aufgetreten sei und es sich um eine Privatangelegenheit handle, habe sie das Recht selber zu entscheiden, was sie zu wem sage und wie ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit dargestellt werde.

C. Am 2. Mai 2011 wies Oliver Görz, Ressortleiter Sport «Blick»-Gruppe, die Beschwerde namens der Redaktion von «Blick» als unbegründet zurück. Hans-Peter Hildbrand habe vor der Publikation mehrmals erfolglos versucht, Frau Hablützel-Bürki telefonisch zu erreichen. Die anderen im Artikel erwähnten Personen hätten keine Stellung beziehen wollen. Sämtliche von «Blick» verwendeten Zitate seien belegt und beim Bild handle es sich um ein «normales Agenturfoto (Keystone)» aus der sportlichen Karriere der Beschwerdeführerin.

Die statutarische Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen sei am 7. Januar 2011 abgelaufen. Erst am 20. Januar 2011 seien Wahlvorschläge eingereicht worden. Und erst nach Erscheinen des Artikels sei den Vereinen am 29. Januar 2011 ein Papier mit dem Titel «Swiss-Fencing Konzept 2011» zugestellt worden. Inhaltlich stelle das Papier allerdings kein Konzept dar, insbesondere werde darin nicht dargelegt, inwiefern sportpolitisch andere Akzente gesetzt werden sollten. Schliesslich seien die Begriffe «Minigolfer» und «Bobfahrerin» weder irreführend noch diskriminierend. Auf der Homepage von Swiss Olympic werde Roger M. Cadosch ebenfalls als Minigolfer bezeichnet. Monica Günthard auf der Homepage des Zürcher Bobclubs als Bobfahrerin.

D. Am 6. Mai 2011 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. Oktober 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» rügt, ist zunächst festzuhalten, dass das Thema die Privatsphäre von Gianna Hablützel-Bürki und der weiteren im Bericht genannten Personen nicht berührt. Zwar sind Vereine privatrechtlich organisiert. Die Besetzung des Vorstands eines gesamtschweizerischen Sportverbands in einer olympischen Sportart ist jedoch keine reine «Privatangelegenheit». Wer für ein solches Amt kandidiert, muss damit rechnen, dass die Medien darüber gegebenenfalls (kritisch) berichten. Die Beschwerdeführerin selber stand als Spitzensportlerin regelmässig im Rampenlicht der Öffentlichkeit und die beanstandete Berichterstattung bewegt sich im Zusammenhang mit dem Fechtsport. Gemäss der Richtlinie 7.2 zur «Erklärung» ist die identifizierende Berichterstattung zulässig, wenn ein Medienbericht im Zusammenhang mit dem Grund der öffentlichen Bekanntheit einer Person steht. Im gleichen Zusammenhang ist es auch zulässig, ein Bild der/des Betroffenen abzudrucken. Soweit die Voraussetzungen für eine identifizierende, bildliche Berichterstattung über die Beschwerdeführerin erfüllt sind, hat sie entgegen ihrer Auffassung zudem keinen Anspruch darauf, selber zu bestimmen, wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» ist mithin zu verneinen.

2. Die Richtlinie 3.8 auferlegt Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Wann wiegt ein Vorwurf schwer genug, damit eine Anhörung zwingend wird? Der Presserat hält dazu in seiner Praxis fest (vgl. die Stellungnahmen 66/2008 und 6/2010), dass damit die Unterstellung eines illegalen oder eines damit vergleichbaren unredlichen Verhaltens gemeint ist.

Demgegenüber unterstellt «Blick» der Beschwerdeführerin «bloss», sie habe in inkompetenter Weise (verspätete Wahlvorschläge, fehlendes Konzept) die Spitze des Schweizerischen Fechtverbands zum Rücktritt aufgefordert. Auch wenn eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin für die Leserschaft von Interesse gewesen wäre, wiegt der Vorwurf nicht schwer genug, um die Anhörung unabdingbar zu machen.

3. Der beanstandete «Blick»-Bericht enthält zwei Zitate der Beschwerdeführerin:

a) Im ersten Zitat heisst es: «Ich versuche in dieser Saison wieder die Nummer 1 der Schweiz zu werden.» Als Quelle des Zitats ist die «Basler Zeitung» angegeben. In der «Basler Zeitung» vom 14. Januar 2011 («Was macht eigentlich…? – Gianna Hablützel-Bürki») ist dazu Folgendes zu lesen: «Nach dem Rücktritt von Sophie Lamon rückt Hablützel-Bürki in der nationalen Hierarchie hinter Tiffany Géroudet auf Rang zwei vor. ‹Wenn ich die Nummer 1 bin, kommt der Verband kaum um eine Selektion herum›, glaubt sie. Dafür hat die Rechtshänderin ihren Trainingsaufwand gesteigert.» Inhaltlich is
t die Aussage «Ich versuche in dieser Saison wieder die Nummer 1 der Schweiz zu werden» also zutreffend, hätte aber korrekterweise nicht als Zitat gekennzeichnet werden dürfen. Gemäss der Praxis des Presserates ist jedoch nicht aus jeder formalen Unrichtigkeit eine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten (Stellungnahmen 64/2009, 20 und 37/2010, 10 und 14/2011). Da die Leserschaft inhaltlich nicht darüber getäuscht wird, was die Beschwerdeführerin gegenüber der «Basler Zeitung» sagte, erscheint der Fehler von «Blick» nicht genügend relevant, um daraus eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» (Entstellung von Informationen) abzuleiten.

b) Das zweite Zitat dient offensichtlich dazu, die kommentierende Einschätzung des Autors zu unterlegen, wonach Gianna Hablützel-Bürki eine «gnadenlose Selbstvermarkterin» sei. «Ihre Homepage heisst ‹fechten.ch›.‹Weil der Fechtsport nicht zuletzt durch mich so populär geworden ist.›» Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, das Zitat sei erfunden, sondern beanstandet lediglich, dieses sei durch Verwendung in einem anderen Kontext zweckentfremdet worden und verzerre die Tatsachen. Da weder Gianna Hablützel-Bürki noch «Blick» den Medienbericht eingereicht haben, aus dem das Zitat ursprünglich stammt, ist der Presserat nicht in der Lage, diese Rüge der Beschwerdeführerin zu beurteilen. Auch insofern ist deshalb eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» nicht erstellt.

4. Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin eine Reihe von Aussagen des Artikels von Hans-Peter Hildbrand als unwahr:

a) Sind die Wahlvorschläge an den Schweizerischen Fechtverband wie von «Blick» dargestellt tatsächlich verspätet eingereicht worden? Der Presserat kann diese Frage nicht abschliessend beurteilen. Soweit ersichtlich erscheint die Darstellung von Hans-Peter Hildbrand jedoch zutreffend. Denn aus den Beschwerdeunterlagen geht hervor, dass die Anträge von drei Fechtvereinen an den schweizerischen Verband vom 7. Januar 2011 datieren. Demgegenüber wurden verschiedene Wahlvorschläge erst zwischen dem 18. und 20. Januar 2011 eingereicht. In Ziffer 9.2.1 der auf der Website des Schweizerischen Fechtverbands (www.swiss-fencing.ch) aufgeschalteten Verbandsstatuten vom 23. Februar 2002 heisst es: «Anträge und Wahlvorschläge an die Generalversammlung müssen dem Vorstand mindestens vier Wochen vor der Generalversammlung vorliegen.» Diese Frist lief für die Generalversammlung vom 5. Februar 2011 deutlich vor dem 18. Januar 2011 ab.

b) Soweit die Beschwerdeführerin weiter beanstandet, der von «Blick» erhobene Vorwurf, «die Antragsteller legten aber kein Konzept vor», entbehre jeglicher Grundlage, da die Verbandsstatuten ein solches Konzept gar nicht vorsähen, zielt das an der Sache vorbei. Denn die Kritik, wonach die antragstellenden Vereine lediglich ein «Köpferollen» forderten, ohne aber inhaltlich darzulegen, was sie anders machen möchten, bewegt sich offensichtlich innerhalb der Freiheit des grosszügig auszulegenden Rahmens von Kommentar und Kritik.

c) Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, «Blick» verkürze die eingereichten Wahlvorschläge in diskriminierender Weise zu irreführenden Schlagworten («Minigolfer», «Bobfahrerin», «Polizist»). Zunächst ist dazu festzuhalten, dass «Blick» berufsethisch nicht verpflichtet ist, ausgewogen und umfassend über die vorgeschlagenen Kandidaturen zu berichten. Zu prüfen ist deshalb einzig, ob die Schlagworte als zulässige Zuspitzungen oder aber als unzulässige (wahrheitswidrige) Überspitzungen zu werten sind.

Zumindest die beiden Kandidaten Roger M. Cadosch und Damian Mohler waren gemäss den eingereichten Unterlagen nie gross im Fechtsport aktiv. Bei Damian Mohler heisst es immerhin im Schreiben der Basel Riehen Scorpions vom 19. Januar 2011, er habe die «Faszination des Fechtens (…) anlässlich eines Fechtkurses kennengelernt. «Mit Leidenschaft und Engagement widmet er sich seither als aktives Mitglied in seiner Freizeit auch dem Fechtsport.» Seine Eignung für das Vorstandsamt wird jedoch nicht damit begründet, sondern vielmehr mit seiner beruflichen Tätigkeit, an deren Ursprung – wie seiner Homepage zu entnehmen ist – tatsächlich die Ausbildung zum Polizisten stand. Die Kandidatur von Roger M. Cadosch wird vom Fechtverein Seeland in einer E-Mail vom 20. Januar 2011 demgegenüber mit den drei Elementen «Rechtsanwalt, Mitglied der Minigolfnationalmannschaft und Exekutivrat von Swiss Olympic» begründet. Die Verkürzung zu «Minigolfer» ist unter diesen Umständen unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht ebenso wenig zu beanstanden wie diejenige zu «Polizist» bei Damian Mohler.

Etwas heikler erscheint hingegen die Etikettierung von Monica Günthard als «Bobfahrerin». Zwar ist dem Lebenslauf von Frau Günthard zu entnehmen, dass sie in den 1990er-Jahren den Bobsport ausübte. Bevor sie Bobpilotin wurde, war sie laut dem Wahlvorschlag des Fechtclubs Baden vom 19. Januar 2011 jedoch «Mitglied des Schweizer Nationalkaders Damen Degen und Teilnehmerin an den Weltmeisterschaften 1990». Mithin scheint es eigentlich naheliegender, sie im Zusammenhang mit einer Kandidatur für den Vorstand des Schweizerischen Fechtverbands als «ehemalige Degenfechterin» statt als «Bobfahrerin» zu bezeichnen. Der Presserat hat aber bereits in seiner Stellungnahme 1/1992 darauf hingewiesen, dass eine etwas einseitige, eigenwillige Selektion von Informationen nicht a priori gegen die Berufsethik verstösst. Und da Monica Günthard früher tatsächlich «Bobfahrerin» war, ist eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» auch in diesem Punkt zu verneinen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Bürki putscht gegen den Verband» in der Ausgabe vom 27. Januar 2011 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Informationen) und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Privatsphäre) nicht verletzt.