Nr. 7/2014
Wahrheit / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Berichtigung / Privatsphäre

(Hildebrand c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 16. Mai 2014

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Zusammenfassung

Darf eine Zeitung einen Leserbrief mit ungeprüften Gerüchten und Unterstellungen zum Frontartikel aufbauschen, aber die Verantwortung für deren Wahrheitsgehalt und für die Verletzung der Privatsphäre von sich weisen? Nein, sagt der Presserat. Vor allem nicht, wenn die Aufmachung mit Anriss und Schlagzeile auf der Frontseite so wirkt, als handle es sich dabei um Tatsachen.
Am 13. November 2013 hat «Blick» einen Leserbrief der ehemaligen Sekretärin von Christoph Blocher zur Titelgeschichte erhoben. Und die darin enthaltenen Unterstellungen über das Privatleben des ehemaligen Notenbankchefs Philipp Hildebrand mit fetten Schlagzeilen aufgemacht. Die Zeitung bot den Vorwürfen und Diffamierungen dieser Zuschrift breiten redaktionellen Platz. Sie wies sie zwar als Inhalt eines privaten Leserbriefs aus, stellte aber gleichzeitig ein neues Gerücht in den Raum: Der Brief sei womöglich von Christoph Blocher diktiert, so der «Blick».
«Blick» macht geltend, dieser Artikel sei infolge eines Missverständnisses zwischen Produktion und Autor entstanden und die Redaktion hätte ihn am folgenden Tag berichtigt. Damit wurde die Story allerdings nur weiter gedreht und von der persönlichen in die politische Ecke der Gerüchteküche verschoben: Der Leserbrief, so die ungeprüfte Behauptung, sei eine neue Eskalationsstufe des tiefen Hasses der SVP auf Hildebrand.
«Blick» hat mit diesem redaktionellen Vorgehen gegen die Wahrheitspflicht ebenso verstossen wie gegen die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen, zur Berichtigung und zur Wahrung der Privatsphäre.

Résumé

Un journal est-il en droit de se servir d’une lettre de lecteur véhiculant des rumeurs non vérifiées et des suppositions malveillantes pour en faire un article de «Une» tout en rejetant la responsabilité quant à la véridicité de son contenu et à l’atteinte commise à la sphère privée? Non, déclare le Conseil de la presse. C’est d’autant moins le cas que le traitement à la «Une» avec lead et manchette fait croire qu’il s’agit bien de faits.

Le 13 novembre 2013, «Blick» prit prétexte d’une lettre de lecteur de l’ancienne secrétaire de Christoph Blocher pour en faire l’article principal de «Une» et d’en relever les suppositions malveillantes concernant la vie privée de l’ancien chef de la Banque nationale par des titres en caractères gras. Le journal offrait un large espace rédactionnel aux reproches et diffamations contenus dans cette lettre. La lettre a certes été identifiée comme d’origine privée, mais donnait lieu aussitôt à une nouvelle rumeur: elle pouvait, selon «Blick», avoir été dictée par Christoph Blocher lui-même.

«Blick» fit valoir que cet article était né d’une mésentente entre la production et l’auteur et que la rédaction aurait procédé à une rectification le lendemain. De ce fait cette histoire ne fit que prendre de l’ampleur et les rumeurs mises en circulation passaient du domaine privé à celui des affaires politiques: la lettre de lecteur, disait une assertion non vérifiée, ne serait qu’un nouveau pas dans l’escalade haineuse de l’UDC contre Hildebrand.

Par ce procédé rédactionnel, «Blick» a violé le devoir de vérité  ainsi que l’obligation d’entendre l’autre partie lorsque sont portées des accusations graves, de procéder à une rectification et de respecter la sphère privée.

Riassunto

Può la redazione di un giornale pubblicare in prima pagina la lettera di un lettore che riferisce voci e illazioni non verificate e poi rifiutare ogni responsabilità per il contenuto e respingere l’accusa di violazione della sfera privata? No, dice il Consiglio della stampa,  soprattutto perché il rilievo dato all’intervento dava al pubblico l’impressione che si trattasse di fatti assodati.
Il giornale in causa è il “Blick”, che il 13 novembre 2013 dava il massimo risalto, nella posizione in pagina e nel titolo, a una lettera dell’ex segretario di Christoph Blocher contenente pesanti insinuazioni sulla vita privata dell’ex presidente del direttorio della Banca Nazionale Philipp Hildebrand. Era chiaro che si trattava della lettera di un privato, ma, suggerendo che la mossa poteva essere stata dettata da Christoph Blocher in persona, il giornale dava credito alla serie di nuove accuse e illazioni.  
Il «Blick» fa valere che la pubblicazione era dovuta a un malinteso tra l’autore e la redazione, e che il giorno dopo è stata pubblicata una messa a punto. In tal modo, tuttavia, si è data ancora più corda alle insinuazioni, dando loro valenza politica, lasciando credere, insomma, che si trattava di un ulteriore scalino di un odio politico.  
La conclusione del Consiglio della stampa è che il «Blick» ha mancato al dovere di rispetto della verità, non ha consultato la persona oggetto di gravi addebiti, non ha rettificato correttamente la notizia e ha violato la sfera privata della persona criticata.


I. Sachverhalt


A.
Am 7. November 2013 erscheint im «Blick» ein Artikel von Peter Hossli über Philipp Hildebrand, mit Anriss auf der Frontseite unter der fetten Schlagzeile «Blocher-Vertraute unterstellt Philipp Hildebrand Geldgier statt Liebe!». Darin steht weiter, dass die «frühere Sekretärin der SVP-Legende» über die Beziehung des ehemaligen Notenbank-Chefs Hildebrand «mit der reichen Margarita Louis-Dreyfus» lästere. Dazu gab es Fotos von Hildebrand und Margarita Louis-Dreyfus.

Im eigentlichen Artikel wird wiederholt, ebenfalls mit Fotos der beiden sowie der Ehefrau Hildebrands und diesmal unter der Schlagzeile «Nur ins Geld verliebt», dass Blochers ehemalige Sekretärin «massive Vorwürfe» gegen Hildebrand erhebe. Gerda Fuhrer habe sofort einen Leserbrief geschrieben, als sie von der Trennung im Hause Hildebrand erfahren habe. «Nicht aus Liebe, aus Raffgier habe Philipp Hildebrand seine Gattin Kashya verlassen.» Überrascht habe sie die Trennung nicht: «Weil wir diesen Mann ja so eingestuft haben.» «Seine unerlaubten Insidergeschäfte tätigte Hildebrand aus reiner Geldgier.» «Er belastete seine Frau, um gut dazustehen.» Dazu brauche er sie nun nicht mehr. «Nun angelt er sich die reichste Französin.» «Sicher aus Liebe und nicht aus der gleichen Gier, mit welcher er zu Recht gestürzt worden ist!»

Die Häme stammt aus Herrliberg ZH, schreibt Redaktor Peter Hossli dazu. «Ob Fuhrer den bösen Brief gar auf Weisung Blochers» geschrieben habe, sei nicht klar. Klar sei dessen Aversion gegen den ehemaligen Notenbank-Präsidenten.

Gleichentags erscheint der Artikel auch online auf «Blick.ch», wo er allerdings auch gleichentags wieder gelöscht worden ist.

B.  Einen Tag später, am 8. November 2013, erscheinen im «Blick» zwei weitere Artikel zur Sache. Unter dem Titel «Jetzt wird’s richtig persönlich» wird der Artikel vom Vortag definiert als «eine neue Eskalationsstufe des tiefen Hasses der SVP auf Hildebrand». Denn der «Frontalangriff» von Blochers Sekretärin basiere auf einem haltlosen Vorwurf.
 
Unter dem Titel «Fakten zu Hildebrand» stösst ein halbspaltiger Kommentar von Guido Schätti, Wirtschaftschef des «Blick», in die gleiche Richtung: Die Liebschaft zwischen Ex-Notenbankpräsident und der Rohstoffhändlerin Margarita Louis-Dreyfus sei «Klatsch erster Güte», das Interesse daran zwar «voyeuristisch, aber auch menschlich». Die Nachricht löse aber im Blocher-Lager, fast zwei Jahre nach Hildebrands Rücktritt, noch immer geifernde Reaktionen aus. Der Vorwurf der Geldgier sei absurd, damals wie heute. Für ein unkluges Verhalten und einen Fehler hätte der Mann einen hohen Preis bezahlt.
Doch seine Verdienste sollten nicht vergessen gehen.

C.  Am 27. November 2013 gelangt Philipp Hildebrand an den Presserat. Streitgegenstand ist der Artikel vom 7. November 2013. Dieser verletze das Fairness-Prinzip, namentlich die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung von Informationen), 5 (Berichtigung)  und  7 (Privatsphäre und Unschuldsvermutung). Alle Aussagen tatsächlicher Art, die im beanstandeten Artikel gemacht worden seien, seien unwahr und würden von der Beschwerdegegnerin selbst als «absurd» und «haltlos» bezeichnet. Sie verletzten damit in klarer Weise das Wahrheitsgebot. Zwar treffe es zu, dass sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau getrennt hätten, die Trennung sei aber schon vor einiger Zeit erfolgt und habe weder etwas mit Frau Louis-Dreyfus und/oder ihren finanziellen Verhältnissen zu tun noch mit den Umständen, die dazu geführt hätten, dass der Beschwerdeführer im Januar 2012 sein Amt als Nationalbankpräsident niedergelegt habe. Alle anderslautenden Aussagen seien bösartige Unterstellungen, die einzig dazu dienten, den Beschwerdeführer zu diskreditieren. Insbesondere treffe weder der Vorwurf der Geld- und Raffgier, noch der Vorwurf zu, der Beschwerdeführer habe seine Ehefrau belastet und sich ihrer entledigt, wie im beanstandeten Artikel behauptet und insinuiert werde.

Tatsachenwidrig und durch die Expertisen der KPMG und die Nichtanhandnahmeverfügung der Zürcher Staatsanwaltschaft widerlegt sei auch der Vorwurf, er habe «unerlaubte Insidergeschäfte» getätigt. Zudem hätte die Beschwerdegegnerin es unterlassen, den Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung zu den von ihr selber als «massiv» und «bösartig» bezeichneten Vorwürfen anzuhören und ihm namentlich Gelegenheit zu geben, zu den unwahren Behauptungen Stellung zu nehmen. Zwar habe «Blick» die Unterstellung von Geldgier in der Ausgabe vom 8. November 2013 als «absurd» und «haltlos» bezeichnet. Dies stelle jedoch keine eigentliche Richtigstellung in Bezug auf die am Vortag verbreiteten Aussagen dar. Zudem habe «Blick» jede Richtigstellung in Bezug auf den wahrheitswidrigen und wider besseren Wissens verbreiteten Vorwurf, der Beschwerdeführer habe «unerlaubte Insidergeschäfte» getätigt, sowie in Bezug auf die Unterstellung, er habe seine Ehefrau «aus Raffgier verlassen» und sie «belastet, um gut dazustehen», unterlassen.

Ausserdem habe «Blick» gegen das Gebot zur Achtung der Privatsphäre und zur Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen verstossen, indem er gegen den Beschwerdeführer Vorwürfe verbreitet habe, die ausschliesslich seine Privatsphäre beträfen. Der Beschwerdeführer möge zwar als ehemaliger Nationalbankpräsident in der Öffentlichkeit bekannt sein. Dies gebe einem Pressemedium nicht das Recht, über seine privaten Angelegenheiten zu berichten. Wenn, wie hier, Medien den Voyeurismus ins Zentrum ihrer Berichterstattung stellten, gebe es dafür keine Rechtfertigung. Indem «Blick» im Artikel über den Beschwerdeführer wahrheitswidrig und wider besseres Wissen verbreitete, er habe «unerlaubte Insidergeschäfte» getätigt, habe er zudem das Gebot verletzt, die Unschuldsvermutung zu wahren.

Die Löschung des gleichen Artikels auf der Website sowie die einen Tag später folgenden beiden Artikel in «Blick» stellten keine genügende Korrekturmassnahme dar, da die Vorwürfe nicht zurückgenommen worden seien  (und der gedruckte Artikel vom 7. November weiterhin in allen Archiven zu finden sei).

D.  In seiner Stellungnahme vom 6. Februar 2014 schreibt der «Blick», dass der Artikel nicht die ursprüngliche Intention des Verfassers wiedergebe, es aber wegen eines Missverständnisses mit der Produktion zu diesem Missgeschick gekommen sei. Das habe man zu korrigieren versucht, einerseits mit dem Nachfolge-Artikel und dem positiven Kommentar vom 8. November, anderseits mit der Löschung des Artikels auf «Blick online» noch am Tag des Erscheinens. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers seien die Vorwürfe in der Folgepublikation nicht «aufrechterhalten», sondern missbilligt worden. Zudem werde die objektiv erkennbare Zuordnung der Vorhalte vom Vortag als subjektive Meinung der Frau Fuhrer noch einmal betont und in den unbestrittenen, historischen Kontext der Auseinandersetzung Hildebrand–Blocher eingebettet. Gerade deshalb liege medienethisch gesehen eine Korrektur durch die beiden Folgepublikationen vor. Damit sei der Berichtigungspflicht Genüge getan.

Der Beschwerdegegner stellt sich ausserdem auf den Standpunkt, der Artikel mache eindeutig klar, dass diese Gerüchte aus der Blocher-Küche stammten und nicht vom «Blick» selbst. Es sei für die Leserschaft klar ersichtlich, dass die Vorwürfe blosse Unterstellungen einer Blocher-Vertrauten seien, quasi ein kommentierter Leserbrief. Allerdings einer von höherem öffentlichen Interesse, da es sich sowohl bei der Absenderin (indirekt aus der Blocher-Ecke) wie bei der kommentierten Beziehung nicht um unbekannte Privatpersonen handle, sondern um eine Art Fortsetzung im Blocher–Hildebrand-Streit. Wahrheitswidrigkeit finde sich höchstens in den Zitaten aus dem Leserbrief, die aber klar als Zitate und Unterstellungen gekennzeichnet seien, womit sich «Blick» von den Inhalten distanziert habe. Bei Philipp Hildebrand habe es sich auch im November 2013 nicht um eine unbekannte Privatperson gehandelt, die Trennung von seiner Frau sei angesichts der Rolle, welche ihr in der «Affäre Hildebrand» zwei Jahre vorher zugekommen war, keineswegs reine Privatsache und schliesslich sei die Beziehung des Klägers zu Margarita Louis-Dreyfus ihrerseits nicht einfach eine Privatsache, wenn sich die Chefin eines der weltweit grössten Rohstoffkonzerne und der Repräsentant eines der weltgrössten Vermögensverwalter fänden. Ausserdem gehe es einzig um die «äussere» Wahrheit, nämlich die Vorhaltungen der Frau Fuhrer als solche und nicht um die Veröffentlichung ungeprüfter Gerüchte. Es gehe bei der Wahrheitspflicht nicht darum, ob Frau Fuhrers Behauptungen stimmten.

Die einzig relevante Frage, die die Beschwerde aufwerfe, sei jene nach der Anhörungspflicht. Es wäre vermutlich klüger gewesen, eine Stellungnahme des Beschwerdeführers einzuholen und zu publizieren, statt es bei der redaktionellen Klarstellung  zu belassen, dass es sich hier um die «Fortsetzung» des Streits Blocher–Hildebrand mit anderen Mitteln handle. Entgegen der Beschwerde dürfte allerdings, bei einem erkennbaren Grad von fehlender Begründung von Vorhaltungen – wie hier – eine Anhörungspflicht entfallen. Was den Vorwurf des Insidervergehens anbelange, so habe die Beschwerdegegnerin selbst diesen Vorwurf ja nicht erhoben und ihn zudem am 8. November 2013 als unbegründet bestätigt. Es sei deshalb unsinnig, einen Verstoss gegen die Unschuldsvermutung und die Berichtigungspflicht zu behaupten. In Bezug auf das Fairnessgebot führt «Blick» abschliessend aus, er habe die Vorwürfe der Frau Fuhrer als solche aus dem Blocher-Lager und damit als Fortsetzung der «Dreckelei» aus dieser Ecke sowohl inhaltlich wie politisch richtig eingeordnet. Nur unter diesem Gesichtspunkt habe überhaupt ein Interesse bestanden, die Vorhaltungen der Frau Fuhrer zu thematisieren. Das Fairnessprinzip sei zudem nicht einfach dann verletzt, wenn eine Mehrzahl von Verstössen vorliege.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu; ihr gehören Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler an. Klaus Lange, Redaktor beim «Blick», trat von sich aus in den Ausstand.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. April 2014 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Vorab zu klären ist der Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer beanstandet ausdrücklich nur den «Blick»-Artikel m
it dem Titel «Geldgier statt Liebe!» vom 7. November 2013. In einer Fussnote zur Frage einer allfälligen öffentlichen Entschuldigung bzw. zu Korrekturmassnahmen zitiert er auch den Artikel vom 8. November 2013 mit dem Titel «Jetzt wird’s richtig persönlich» sowie den Kommentar mit dem Titel «Fakten zu Hildebrand». «Blick» seinerseits macht geltend, der verantwortliche Redaktor Peter Hossli und der Produzent hätten sich missverstanden, weshalb der beschwerdegegenständliche Artikel gar nicht den ursprünglichen Intentionen entsprochen habe. Deshalb sei der Artikel vom 8. November 2013 erschienen samt einem positiv gestimmten Kommentar des Leiters der Wirtschaftsredaktion. Die beiden Artikel vom 8. November sind demnach aufs Engste mit dem beanstandeten Artikel verknüpft, weshalb der Presserat alle drei Artikel in seine Prüfung einbezieht.

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Artikel vom 7. November 2013 verstosse gegen das Wahrheitsgebot, indem sich «Blick» die unwahren Aussagen der zitierten Ex-Sekretärin von alt Bundesrat Blocher zu eigen gemacht habe und diese im Sinne feststehender Tatsachen u.a. mit Ausrufezeichen und im Indikativ publizierte. Daran ändere nichts, dass es sich bei den im beanstandeten Bericht veröffentlichten Vorwürfen um solche einer Drittperson handle.

a) Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») lautet: «Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.» Journalistisches Handwerk verlangt demnach das Bemühen um Wahrhaftigkeit. Die Pflicht zur Wahrheitssuche heisst nicht, Medien müssten einseitige Parteidarstellungen immer durch ergänzende Recherchen objektivieren. Hingegen sind Journalisten verpflichtet, ihre Quellen zu nennen und deren Informationen kritisch zu hinterfragen und mit verhältnismässigem Aufwand zu überprüfen. Ist «Blick» dieser Verpflichtung vorliegend nachgekommen?

b) Es steht nicht in Frage, dass «Blick» den Leserbrief der ehemaligen Mitarbeiterin von Christoph Blocher zum Gegenstand eines Artikels machen durfte. Unbestritten ist auch, dass es sich bei den von Blochers ehemaliger Mitarbeiterin erhobenen Vorwürfen um «massive Vorwürfe» handelt, wie «Blick» selbst schreibt. Er fährt fort: «Ob Fuhrer den bösen Brief gar auf Weisung Blochers schrieb, ist nicht klar» und weist auf die Aversion hin, die Blocher gegen Hildebrand hege.

Genügt diese Einordnung? «Blick» macht geltend, eine eindeutige, persönliche wie politische Einordung des Vorwurfs sei für die Leserschaft möglich, sie sehe, dass hier ein politisches Süppchen weitergekocht werde. Wenn sich Blochers ehemalige Sekretärin öffentlich äussere, stehe zu vermuten, dass sie letztlich als «Lautsprecher» ihres früheren Chefs agiere, der natürlich nicht so töricht sei, seine persönliche Ansicht in einem solchen Zusammenhang direkt zu äussern.

c) Der Presserat folgt dieser Argumentation nicht: «Blick» kolportiert diese Unterstellungen, ohne sich wirklich davon zu distanzieren, bzw. diese zu hinterfragen. Er stellt lediglich fest, es sei unklar, ob Fuhrer den bösen Brief gar auf Weisung Blochers geschrieben habe. Damit fügt er seinerseits eine Hypothese, die nicht verifiziert ist, bei. Problematischer ist jedoch die Form, in der diese Vorwürfe veröffentlicht werden. Mit reisserischen Schlagzeilen im Indikativ werden die Vorwürfe von Frau Fuhrer als Tatsachen dargestellt und aufgebauscht, obwohl es sich nur um persönliche Spekulationen handelt. Der Titel hätte allenfalls lauten können: «Blochers ehemalige Sekretärin schiesst gegen Hildebrand». Mit der von «Blick» gewählten Form werden jedoch Vorwürfe als Fakten dargestellt und massiv verstärkt. Das Wahrheitsgebot ist damit verletzt worden.

3. «Blick» kolportiert in diesem Artikel Gerüchte und Vermutungen. Diese sind vor der Publikation zu überprüfen und die betroffene Person muss Stellung nehmen können. Soweit es sich um Werturteile handelt, entziehen sich diese einer Überprüfung. Dass es sich um  schwere Vorwürfe handelt,  ist unbestritten. Der Beschwerdegegner wäre deshalb verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer vor deren Veröffentlichung anzuhören. Damit liegt zusätzlich eine Verletzung von Richtlinie 3.8 vor. Diese statuiert die Pflicht zur Anhörung vor der Publikation schwerer Vorwürfe sowie die Pflicht, diese Stellungnahme im gleichen Medienbericht fair wiederzugeben.

4. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, das in Ziffer 5 der «Erklärung» festgehaltene Berichtigungsgebot sei dadurch verletzt, dass «Blick» im beanstandeten Artikel mit keinem Wort erwähnte, dass sich die Vorwürfe der «unerlaubten Insidergeschäfte» als haltlos erwiesen hätten. Wörtlich heisst es im Artikel vom 7. November 2013: «Seine unerlaubten Insidergeschäfte tätigte Hildebrand aus reiner Geldgier.» Am 8. November veröffentlichte «Blick» unter dem Titel «Fakten zu Hildebrand» zu diesem Thema folgenden Passus: «Das sind die Fakten: Das Ehepaar Hildebrand hat 2011 zwei Devisentransaktionen getätigt. Weil die Märkte damals verrückt spielten war das unklug. Die Hildebrands haben sich aber weder unrechtmässig bereichert, noch Insiderhandel betrieben. Hildebrands Fehler war, dass er zuerst sagte, er habe nichts davon gewusst. Dann bewies ein E-Mail das Gegenteil. Dafür bezahlt er einen hohen Preis.»

Unbestritten zwischen den Parteien ist, dass die Anzeigen gegen Philipp Hildebrand wegen Verstosses gegen die Insiderstrafnorm im September 2013 formell mit einer Nichtanhandnahmeverfügung erledigt wurden. Es stellt sich somit die Frage, ob die «Fakten», die der «Blick» am 8. November nachschob, als Berichtigung genügen. Der Presserat hat diese Frage kontrovers diskutiert. Er ist der Meinung, dass bei einer Berichtigung klar ersichtlich sein muss, auf welche falschen Aussagen sie sich bezieht. Dies ist vorliegend nicht der Fall: Die Information, dass das Ehepaar Hildebrand nicht Insiderhandel betrieben hat, wurde quasi «en passant» in einen Kommentar eingestreut. Aus diesem geht nicht hervor, dass Hildebrand in einem Artikel am Vortag unerlaubte Insidergeschäfte unterstellt worden waren.

5. Zu untersuchen ist schliesslich eine allfällige Verletzung des Gebots zur Achtung der Privatsphäre und zur Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen, wie sie Ziffer 7 der «Erklärung» statuieren.

a) Ziffer 7 der «Erklärung» schützt die Privatsphäre der Personen, über die berichtet wird, sofern das «öffentliche Interesse» nicht das Gegenteil verlangt. Richtlinie 7.1 zur «Erklärung» präzisiert, dass dies auch für prominente Personen gilt. Der Presserat hat sich in zahlreichen Stellungnahmen mit dem Schutz des Privatlebens von Prominenten auseinandergesetzt. Prominente und Politiker müssen sich mehr gefallen lassen als zurückgezogen lebende Zeitgenossen. Politiker und Prominente bestimmen zudem durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit selber mit, ob und wie die Medien über ihr Privat- und Familienleben berichten. Sie können nicht beanspruchen, dass über sie nur in genehmem Zusammenhang berichtet wird. Selbst wenn Prominente die Öffentlichkeit in weitem Umfang an ihrem Privatleben teilhaben lassen, lässt sich daraus aber kein gänzlicher Verzicht auf den Schutz der Privat- und Intimsphäre ableiten (vgl. beispielsweise die Stellungnahmen 52/2006 und 9/2008).

b) Der Beschwerdeführer erklärt, es treffe zu, dass sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau getrennt hätten, die Trennung sei aber schon vor einiger Zeit erfolgt und habe weder etwas mit Frau Louis-Dreyfus und/oder ihren finanziellen Verhältnissen zu tun noch mit den Umständen, die dazu geführt haben, dass der Beschwerdeführer im
Januar 2012 sein Amt als Nationalbankpräsident niedergelegt habe. «Blick« verbreite gegen den Beschwerdeführer Vorwürfe, die ausschliesslich seine Privatsphäre betreffen.

c) Im Falle des Beschwerdeführers handelt es sich zweifelsohne um eine prominente Person. Er war von Januar 2010 bis Januar 2012 Präsident der schweizerischen Nationalbank. Dieses Amt stellte er zur Verfügung, nachdem in den Medien über angebliche Insidervergehen seinerseits spekuliert worden war. Dabei war auch die Rolle seiner Frau in Bezug auf Devisengeschäfte thematisiert und in der Folge untersucht worden. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass «Blick» über die Trennung der Eheleute Hildebrand sowie über die neue Beziehung mit Margarita Louis-Dreyfus berichtete. Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, muss sich jedoch auch eine prominente Person nicht gefallen lassen. Es ist unter medienethischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, dass sich der Beschwerdeführer vorhalten lassen musste, er habe seine Frau verlassen und sei aus Raffgier eine neue Beziehung zu einer reichen Frau eingegangen. Die Beschwerdegegnerin selbst    gibt zu, mit Motivationen aus der Blocher-Ecke spekuliert zu haben, ebenfalls, dass dabei der Voyeurismus im Vordergrund stand.

6. Abschliessend  ist festzuhalten, dass  ein offensichtlich diffamierender, Gerüchte streuender Leserbrief in einem separaten Artikel gross aufgemacht wurde. Ob dies gestützt auf ein Missverständnis zwischen dem verantwortlichen Redaktor und dem Produzenten geschah, wie dies «Blick» geltend macht, ist dabei unerheblich. In einem nachgeschobenen Artikel wird am nächsten Tag das Thema von der persönlichen Ebene auf die politische Ebene gehoben, indem der Leserbrief als neue Eskalationsstufe des tiefen Hasses der SVP auf Hildebrand dargestellt wird, womit erneut ein nicht überprüfbares Gerücht in die Welt gesetzt wurde. Statt das allfällige Missverständnis zu berichtigen, hat «Blick» die Story weitergedreht.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in ihren wesentlichen Punkten gutgeheissen.

2. «Blick» hat mit der Veröffentlichung eines diffamierenden, Gerüchte streuenden Leserbriefs in einem gross aufgemachten Artikel die Ziffer 1 (Wahrheit), Ziffer 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), Ziffer 5 (Berichtigung) und Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.