Nr. 1/1996
Verhalten bei verabredeten Interviews

(Cottier c. 'Facts'), vom 20. Januar 1996

Drucken
Stellungnahme

Verhalten bei verabredeten Interviews

Die Spielregeln des journalistischen Interviews leiten sich vom Grundprinzip der Fairness ab. Bei jedem journalistischen Interview müssen Fragende und Befragte die Spielregeln vorher abmachen. Das gestaltete Interview ist eine gezielte Befragung. Es ist immer für die Öffentlichkeit bestimmt. Wer sich auf ein solches Interview einlässt, muss wissen, dass die Aussagen, die im Laufe des Gesprächs gemacht werden, nicht privater Natur sind. Interviewangebote, hinter denen lediglich PR-Interessen stecken, sind abzulehnen. Dasselbe gilt für Interviews, die nur schriftlich gegeben werden, und Interviews, die nur gegen Geld gegeben werden. Die Interviewdauer ist im voraus aushandeln. Der Beizug weiterer Gesprächsteilnehmer durch den Interview-partner ist abzulehnen, sofern dies vorher nicht vereinbart worden ist. Die Gesprächsleitung liegt allein bei den fragenden Personen. Journalistinnen und Journalisten müssen der Interviewpartnerin oder dem Interviewpartner im voraus das Thema nennen. Sie müssen sie oder ihn veranlassen, dazu Aussagen zu machen. Sie sollen Themen, die ausgeklammert werden sollen, aber von öffentlichem Interesse sind, trotzdem anschneiden und in Kauf nehmen, dass die Antwort verweigert wird (und dies öffentlich machen).

Interviews dürfen bearbeitet und gekürzt werden. Dabei dürfen die Hauptaussagen jedoch nicht entstellt werden. Gestaltete Interviews für Printmedien sollen den Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartnern zur Korrektur und Autorisierung vorgelegt werden. Die Partner können keine Korrekturen anbringen, die völlig vom geführten Gespräch abweichen. Sie können keine Fragen streichen oder neue Fragen erfinden. Wird das Interview massiv korrigiert und werden teilweise Aussagen in ihr Gegenteil verkehrt, so sollen die Journalistinnen und Journalisten den Interviewpartner oder die Interviewpartnerin informieren, dass die Publikation in dieser Form nicht möglich ist und in extremen Fällen auf die Publikation verzichten oder den Vorgang transparent machen. Die autorisierte und vom Medium so akzeptierte Fassung ist jene, die veröffentlicht wird. Wenn beide Seiten mit einer Fassung einverstanden sind, kann hinterher nicht mehr auf frühere Fassungen zurückgegriffen werden.

Prise de position

Comportement lors d’une interview convenue à l’avance

L’interview journalistique est un accord entre deux partenaires qui doivent tous deux respecter des règles de jeu déduites du principe de base de la loyauté. Lors de chaque entretien journalistique, l’intervieweur et l’intervieuwé doivent convenir des règles du jeu à l’avance. L’interview structurée est une enquête ciblée. Elle est toujours destinée au public. Celui qui accepte une telle interview doit savoir que les déclarations faites au cours de l’entretien ne sont pas de nature privée.

Les offres d’interviews derrière lesquelles se cachent uniquement des intérêts liés aux relations publiques (PR) doivent être refusées. Il en est de même des interviews qui ne sont données que par écrit ou uniquement moyennant rémunération. La durée de l’interview doit être fixée à l’avance. L’appel à d’autres participants par la personne interviewée doit être refusé dans la mesure où un tel recours n’a pas été convenu à l’avance. Seules les personnes procédant à l’interview sont habilitées à diriger la discussion. Les journalistes doivent informer à l’avance la personne intervieuwée du sujet de l’entretien. Ils doivent l’amener à faire des déclarations à ce sujet. Ils doivent tout de même aborder des thèmes qui auraient été exclus mais qui sont d’intérêt public tout en prenant le risque qu’une réponse leur soit refusée (et le rendre public).

Les interviews peuvent être remodelées et raccourcies, mais les déclarations importantes ne doivent pas être déformées. Les interviews structurées destinées aux médias de la presse écrite doivent être soumis aux peronnes intervieuwée pour correction et autorisation de publication. Ces personnes ne peuvent pas apporter des corrections qui diffèrent complètement du contenu de l’entretien. Elles ne peuvent ni tracer des questions, ni en formuler de nouvelles. Si l’interview est corrigée dans une mesure importante et que des déclarations sont en partie tournées dans un sens opposé, les journalistes doivent informer la personne intervieuwée qu’une publication sous cette forme n’est pas envisageable et, dans les cas extrêmes, renoncer à la publication ou exposer le problème lors de la publication. La version autorisée et acceptée sous cette forme par le média est celle qui sera publiée. Si les deux parties ont donné leur accord à une version déterminée, il n’est plus possible par la suite de se référer à des versions antérieures.

Presa di posizione

Disciplina di un’intervista concordata

L’intervista giornalistica è un’intesa tra due persone tenute a rispettare determinate regole del gioco, derivanti dal principio della correttezza („fairness“). Le regole del gioco devono essere previamente concordate tra intervistato e intervistatore. Un’intervista strutturata ha sempre come fine la pubblicazione. Chi rilascia un’intervista deve sapere che quel che dirà nel corso del colloquio non è destinato a rimanere privato.

Interviste offerte solo per farsi pubblicità devono essere rifiutate. Così pure interviste che prevedano solo risposte scritte, oppure concesse solo contro pagamento. La durata di un’intervista dev’essere concordata preventivamente. L’intervento di terzi interlocutori è da rifiutare se non sia stato concordato in precedenza. La condotta dell’intervista compete unicamente all’intervistatore. Questi deve specificare il tema del colloquio prima dell’inizio. L’intervistato è libero di fare le dichiarazioni che vuole. Se il tema è di interesse pubblico, l’intervistatore può rilanciare domande che nel contatto previo erano state tralasciate. L’intervistato può rifiutarsi di rispondere ma il pubblico può venirne informato.

Le interviste possono venir rielaborate e accorciate. Le dichiarazioni importanti non possono comunque venir alterate. Interviste formali rilasciate ai media scritti devono essere sottoposte all’intervistato per correzione e autorizzazione. L’intervistato non può tuttavia apportare correzioni che modifichino completamente il contenuto del colloquio. Non è lecito sopprimere né chiedere che si cambino le domande. Se l’intervista risulta corretta massicciamente, e determinate dichiarazioni sovvertite, l’intervistato deve essere avvertito che la pubblicazione non è possibile nella forma desiderata. In casi estremi, è lecito rinunciare alla pubblicazione oppure informare il pubblico dell’accaduto. La versione autorizzata e come tale accettata dal giornale è la sola destinata alla pubblicazione. Il ritorno a versioni precedenti, quando sia stata concordata la versione definitiva, non è lecito.

I. Sachverhalt

A. Das Nachrichtenmagazin „Facts“ führte im Sommer 1995 im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen Interviews mit Repräsentanten aller wichtigen schweizerischen Parteien durch. Im Rahmen dieser Serie interviewten am 22. Juli 1995 Chefredaktor Jürg Wildberger und Inlandredaktorin Catherine Duttweiler in Morgins den Präsidenten der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (CVP), Ständerat Anton Cottier. Das Interview wurde in Dialekt geführt und auf Tonband aufgezeichnet. Die Gesprächspartner verabredeten, dass Ständerat Cottier die redigierte Fassung des Interviews einsehen und – durch allfällig notwendige Korrekturen (von Missverständnissen, Fehlern) – autorisieren könne. Die Interviewer betonten, dass sie keine Abschwächungen akzeptieren würden.

B. Der CVP-Präsident erhielt die redigierte Fassung des Interviews am 27
. Juli 1995. Er brachte sehr viele Korrekturen an, liess den Text neu schreiben und sandte ihn per Telefax innerhalb der ihm gewährten Frist, bis zum 28. Juli 1995 mittags, an die Redaktion von „Facts“ zurück. Gleichzeitig bat er die Redaktion, ihm jene Fassung, die dann tatsächlich gedruckt werden soll, nochmals zu übermitteln. Dies geschah am 31. Juli 1995. Diese Fassung war gegenüber der von Anton Cottier korrigierten Fassung neuerdings verändert, vor allem war sie kürzer: Zahlreiche Fragen und Antworten, vor allem am Schluss, waren weggelassen. Cottier erklärte sich damit einverstanden und liess der „Facts“-Redaktion ausrichten, er gebe den Text zur Publikation frei.

C. Das Interview erschien in „Facts“ Nr. 31 vom 3. August 1995, und zwar in einer nochmals veränderten Fassung: Es war neuerdings um einige Fragen und Antworten gekürzt. Und bei 16 Fragen stellte die Redaktion der autorisierten Antwort Cottiers die „Originalversion“ gegenüber, um den Widerspruch zwischen der jeweils ursprünglichen und bereinigten Antwort aufzuzeigen. Diese „Originalversion“ führte die Redaktion bei der ersten Antwort mit der Formulierung ein: „Anton Cottier, wörtlich auf Tonband“, später mit: „Cottier, wörtliche Fassung“. Im Editorial „Intern“ schrieb Chefredaktor Jürg Wildberger: „Nach unserem Gespräch faxten wir dem Christdemokraten die redigierte Tonbandabschrift zu, damit er bei Bedarf kleinere Korrekturen anbringen konnte – wie es Usus ist in unserer Branche. Als Cottier uns den Ausgangstext 24 Stunden später zurückschickte, war das vormalige Interview nicht mehr zu erkennen. 60 von 75 Antworten waren umformuliert und teilweise gar in ihr Gegenteil verkehrt, etliche Fragen von unserer Seite waren gestrichen. Es redete nicht mehr die Person Cottier, sondern eine Kunstfigur, ausgerüstet mit Argumenten von parteiinternen Wahlberatern.“ Und im Vorspann zum Interview erläuterte die Redaktion ihr ungewöhnliches Vorgehen so: „Viele seiner wörtlichen Aussagen formulierte Cottier nachträglich völlig um, manche seiner eigenen Zitate verkehrte er gar ins Gegenteil. – Wo Anton Cottiers ursprüngliche Aussagen besonders stark von seiner nachträglich redigierten Fassung abweichen, publizieren wir deshalb beide Versionen.“

D. Am 29. August 1995 reichte Ständerat Anton Cottier beim Presserat Beschwerde gegen „Facts“ ein. Er machte geltend, dass das Verhalten der Redaktion des Nachrichtenmagazins gegen Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verstosse. Der Presserat überwies den Fall an die 1. Kammer, bestehend aus Roger Blum als Präsident und Sylvie Arsever, Piergiorgio Baroni, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart und Enrico Morresi als Mitglieder. Sie beschloss, auf die Beschwerde einzutreten, und lud die Redaktion des Nachrichtenmagazin „Facts“ zur Stellungnahme ein.

II. Erwägungen

1. Ständerat Anton Cottier argumentierte in seiner Beschwerde, dass ein Interview in der Form eines freien und auf Dialekt geführten Gesprächs, wie es in seinem Fall stattgefunden habe, eher zu Korrekturen durch den Interviewten führe als ein schriftliches Interview. Es sei zwingend und im Journalismus auch anerkannt, dass der vom Interviewten zur Publikation freigegebene Text nicht mehr geändert werden dürfe, ausser in Absprache mit dem Interviewpartner. Dies verlange der Persönlichkeitsschutz. Falls die Redaktion den Eindruck habe, durch die Korrekturen sei das Interview in seinem Grundzügen verändert, müsse sie konsequenterweise auf eine Publikation verzichten. Die Publikation des autorisierten Interviews zusammen mit mündlich abgegeben Antworten ohne Absprache mit dem Interviewten entbehre jeder journalistischen Praxis und widerspreche auch der journalistischen Ethik. Das Vorgehen der „Facts“-Redaktion verletze die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“, insbesondere Ziffer 7: Die Journalistinnen und Journalisten „respektieren die Privatsphäre des einzelnen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen“. Massiv verletzt sei durch den Abdruck von durch Cottier nicht autorisierter Antworten sein „Recht auf das eigene Wort“ und damit indirekt auch seine Persönlichkeit, woraus sich ergebe, dass seine Privatsphäre nicht respektiert worden sei. Der Bruch der Abmachungen verstosse zudem gegen Treu und Glauben. Und der Vorwurf, die korrigierten Antworten seien nicht mehr diejenigen der „Person Cottier“, sondern diejenigen „einer Kunstfigur, ausgerüstet mit Argumenten von parteiinternen Wahlberatern“, greife direkt und massiv in die Privatsphäre Cottiers ein und verletze damit direkt seine Persönlichkeit. Diese Äusserungen wie auch die Darstellung des Interviews als solche verunglimpften zudem das Ansehen Cottiers als Privatperson und seine Stellung als Bundespolitiker und müssten somit als nicht gerechtfertigte Anschuldigungen qualifiziert werden.

2. „Facts“-Chefredaktor Jürg Wildberger und Inlandredaktorin Catherine Duttweiler nahmen gegenüber dem Presserat schriftlich zur Beschwerde Stellung. Sie betonten eingangs, dass sie beide nicht Mitglieder des Schweizerischen Verbands der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) und deshalb der vom SVJ verabschiedeten „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ nicht unterworfen seien. Sie äusserten sich gleichwohl, weil der Fall von grundsätzlicher Bedeutung für den Journalismus sei und daher auch die Meinung des Presserates von Interesse sein dürfte. Nachdem die beiden Interviewer die von Ständerat Cottier am Interviewtext vorgenommenen Änderungen im einzelnen aufgelistet und kommentiert haben, argumentieren sie, dass die von Anton Cottier revidierte Fassung im Vergleich zum tatsächlich stattgefundenen Interview zahlreiche substantielle Änderungen, Streichungen und Ergänzungen aufweise, sowohl in inhaltlicher wie auch in sprachlicher Hinsicht, und dass beim Lesen des revidierten Interviews ein markant anderer Eindruck als bei der Lektüre des ursprünglichen entstehe. Abgesehen von den inhaltlichen Änderungen treffe diese Feststellung im besonderen für die Sprache und somit für den ganzen Charakter des Interviews zu. An die Stelle des eher unsicheren, ausweichenden, zögerlichen, sprachlich uninspiriert und schwerfällig operierenden CVP-Präsidenten trete eine Figur, die kompetent, erschöpfend, schlagfertig, optimistisch und stellenweise humorvoll Auskunft gebe. Für „Facts“ sei daher klar gewesen, dass eine solche „Mogelpackung“ gegenüber den Leserinnen und Lesern nicht zu verantworten sei. Einerseits habe die Öffentlichkeit ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, die besonderen Umstände eines Interviews zu kennen, ohne dass dabei relevante Elemente unterschlagen werden. Zu Recht verstünden die Leserinnen und Leser ein publiziertes Interview als authentisches Abbild eines Gesprächs. Auch sollen die Leser in einer Demokratie über den Umgang von Spitzenpolitikern mit den Medien informiert sein. Andererseits sei auch die Gleichbehandlung mit den übrigen Interview-Partnern zu berücksichtigen gewesen. Das Verhalten von Anton Cottier sei derart eklatant von demjenigen der übrigen Teilnehmer der ‚Ferieninterview‘-Serie abgewichen, dass dieser Umstand Transparenz erfordert habe. Bei den anderen Interviews hätten nämlich die Interviewten entweder gar nichts geändert oder lediglich minimalste Änderungen gewünscht. Somit wäre die unkommentierte Veröffentlichung der revidierten Fassung ebenfalls unter Berücksichtigung dieses Aspektes in höchstem Masse journalistisch unredlich sowie krass unfair gegenüber den übrigen Interview-Teilnehmern gewesen. Dass Chefredaktor Jürg Wildberger im Editorial die Vorgänge gewertet habe, sei durch die Grundrechte der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit in jedem Fall geschützt. Der Inhalt entspreche im übrigen den von ‚Facts‘ getätigten Recherchen.

Mit Anton Cottier sei nie ein Rückzugsrecht vereinbart worden. Mit dessen Zustimmung zum
Interview habe „Facts“ das Recht zur Publikation erhalten. Das vereinbarte Gegenlesen habe lediglich das Recht beinhaltet, allfällige Missverständnisse und Fehler zu korrigieren, keinesfalls das Recht zum kompletten Rückzug des Interviews, was von Anton Cottier im übrigen auch nie geltend gemacht wurde. Dass „Facts“ bei einigen Fragen zusätzlich die ursprünglichen Antworten von Anton Cottier (wörtlich auf Tonband) wiedergegeben habe, sei ebenfalls ein Gebot der journalistischen Redlichkeit gewesen, damit sich das Publikum ein Bild über das Ausmass der Veränderungen machen konnte.

3. Der Vorgang rund um das Interview mit CVP-Präsident Anton Cottier ist in der Tat ungewöhnlich. Der erste Schritt war korrekt: Ständerat Cottier erhielt (am 27. Juli 1995) die redigierte Fassung des Gesprächs, damit er Korrekturen anbringen und den Text autorisieren konnte. Diese Fassung enthielt 75 Fragen und Antworten. Der zweite Schritt war bereits unüblich und fragwürdig: Ständerat Cottier korrigierte nicht nur die Mehrzahl der Antworten (64 von 75), er strich auch ganze Fragen und Antworten, nämlich sechs, änderte zwei Fragen und plazierte eine weitere Frage um. Auch wenn es theoretisch einem Interviewpartner freisteht, in jeder Antwort zumindest eine kosmetische Änderung (z.B. sprachlicher Art) anzubringen, so steht ihm keineswegs zu, Fragen zu verändern oder zu streichen. Die Interviewer wollten das Gespräch so und nicht anders führen; sie hatten Gründe, gerade diese Fragen zu stellen. Der Interviewpartner ist frei in seinen Antworten; er kann sogar Antworten verweigern. Aber er hat keine Verfügungsgewalt über die Fragen. Dies widerspricht allen journalistischen Regeln und ist geradezu ein Sakrileg. Ein journalistisches Interview bindet nicht nur die Interviewenden, sondern auch die Gesprächspartner, die sich darauf einlassen. In dieser Hinsicht hat Ständerat Cottier die Spielregeln eindeutig verletzt.

4. Der dritte Schritt war ebenfalls eigenartig: Ständerat Cottier erhielt (am 31. Juli 1995) Einblick in die revidierte Version der Redaktion, die angeblich für die Drucklegung vorgesehen war. Aber entweder spielte die Redaktion mit falschen Karten, oder sie wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie etwas anderes vorhatte. Jedenfalls wurde Ständerat Cottier im falschen Glauben gelassen, am folgenden Donnerstag würde genau diese Version im Heft stehen. Immerhin hatten am 28. und am 31. Juli 1995 mehrere Telefonate der „Facts“-Redaktion mit Ständerat Cottier stattgefunden: Laut Angaben von „Facts“ teilte Catherine Duttweiler (am 28. Juli) dem CVP-Präsidenten ihre Bedenken wegen der revidierten Fassung des Interviews mit. Das Ausmass der Veränderungen sei inakzeptabel, und die Redaktion mache sich Gedanken über einen Publikationsverzicht. Cottier habe angesichts der bevorstehenden Wahlen mit allem Nachdruck auf einer Veröffentlichung bestanden. „Facts“-Geschäftsführer Kurt W. Zimmermann habe (am 31. Juli) Cottier auf sein „einmaliges“ Verhalten aufmerksam gemacht und auf das Erfordernis der Fairness und Gleichbehandlung mit den übrigen Teilnehmern an der Interview-Serie hingewiesen. Dabei sei auch zur Sprache gekommen, dass die von Cottier übermittelte Fassung des Interviews von mehreren Personen aus dem CVP-Umfeld bearbeitet worden sei.

5. Der vierte Schritt nun zeigte, dass sich die „Facts“-Redaktion zu einer Entlarvungsstrategie entschlossen hatte: Sie publizierte nur 44 der ursprünglich 75 vorgesehenen Fragen und Antworten, ergänzte aber die Antworten in 16 Fällen mit Gegenüberstellungen aus der „Originalversion“, wie sie anscheinend aus der Tonbandaufzeichnung hervorging. Diese „Originalversion“ entspricht allerdings in den meisten Fällen ziemlich genau dem, was die „Facts“-Redaktion in der ersten Zusammenfassung Ständerat Cottier vorgelegt hatte. Ein krasser Unterschied wird nur beim Thema Landwirtschaftspolitik sichtbar, wo Cottier im mündlichen Gespräch auf Direktzahlungen hinwies, von denen dann in der redaktionellen Erstversion nicht mehr die Rede war. Dies bewog Cottier, diesen Begriff wieder hineinzukorrigieren. Per Saldo sind also die Aussagen der Originalversion nicht substantiell verschieden von dem, was Cottier zur Autorisierung vorlag. Aber das Vorgehen der „Facts“-Redaktion ist dennoch inakzeptabel: Sie stellte den Änderungen Cottiers eine Version entgegen, die er gar nie hatte einsehen und autorisieren können. Auch wenn man einer Redaktion zubilligen mag, dass sie krasse Änderungen von Interviewaussagen öffentlich machen darf, so muss die Vergleichsversion jene sein, die dem Interviewten vorgelegen hat.

6. Ständerat Cottier hat mit seinem unüblichen und regelwidrigen Verhalten provoziert, dass die Redaktion von „Facts“ den Vorgang öffentlich machte. Aber er hätte nach dem Fairnessgebot Anspruch darauf gehabt, dass der korrigierten einzig und allein die ihm vorgelegte Version gegenübergestellt worden wäre. Mit ihrem Vorgehen hat die Redaktion gegen die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verstossen, allerdings nicht gegen Ziffer 7, sondern gegen Ziffer 3. Sie hat wichtige Elemente von Informationen unterschlagen; sie hat das Publikum nicht darüber aufgeklärt, dass die „Originalversion“ nicht die Ausgangsbasis der Änderungen Cottiers war, sondern dass er diese Version schriftlich nie zu Gesicht bekommen hat. Ständerat Cottier ist allerdings im Irrtum, wenn er sich über die Verletzung seiner Privatsphäre beschwert. Das Interview war ein politisches Interview; gefragt war der CVP-Präsident Cottier, nicht der Privatmann. Dort, wo nach der Reaktion seiner Familie auf sein politisches Engagement geforscht wurde, lag es bei Cottier, darauf zu antworten oder nicht, und wenn ja, wie. Der Kommentar im „Intern“ betraf das Verhalten des Politikers Cottier, und wenn er nach den 64 Änderungen am Interviewtext als „Kunstfigur“ bezeichnet wurde, muss er sich das als Person des öffentlichen Lebens gefallen lassen. Eine Verletzung journalistischer Ethik vermag der Presserat darin nicht zu erkennen.

7. Dem Presserat liegt aber vor allem daran, den Fall zum Anlass zu nehmen, um Spielregeln für journalistische Interviews aufzustellen. Es muss klar werden, dass jeweils beide Seiten Verpflichtungen eingehen und dass ein gestaltetes Interview immer ein für die Öffentlichkeit bestimmter Dialog ist. Ein Politiker, der sich im Interview-Gespräch mit Medienschaffenden nicht voll konzentriert, sondern einfach drauflos plaudert, weil er damit rechnet, nachher alles berichtigen zu können, ist selber schuld, wenn er nachher als unverbindlich, zögerlich und schwankend bezeichnet wird. Es geht daher darum, dass sich beide Seiten über ihre Rollen und ihre Verantwortung klar werden. Der Presserat verhehlt nicht, dass er sich bei der Formulierung der Spielregeln durch das Interview-Theoriebuch des Leipziger Publizistikprofessors Michael Haller inspirieren liess.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen stellt der Presserat fest:

1. Die Redaktion des Nachrichtenmagazins „Facts“ hat dadurch, dass sie im publizierten Interview mit CVP-Präsident Anton Cottier die autorisierten Aussagen mit Antworten konfrontierte, die der Tonbandaufzeichnung entstammen, aber Cottier nie schriftlich zur Autorisierung vorgelegen hatten, gegen Ziffer 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ (Unterschlagung von wichtigen Elementen von Informationen) verstossen.

2. „Facts“ hatte allerdings gute Gründe, Cottiers Änderungen transparent zu machen, zumal er 85 Prozent der Antworten abänderte und regelwidrig sogar Fragen strich. Allerdings hätte die korrigierte Version der zur Autorisierung vorgelegten Version gegenübergestellt werden müssen.

3. Das journalistische Interview, zumal in seiner formalisierten Gestalt, ist eine Abmachung zwischen zwei Partnern, die sich beide an Spielregeln halten müssen. Das Grundprinzip, auf das die Abmachung aufbaut, ist das der Fairness. Die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journ
alistinnen und Journalisten“ basiert namentlich in den Ziffern 3-7 auf diesem Prinzip. Auf das Prinzip der Fairness bauen die nachfolgenden Spielregeln auf.

4. Bei jedem journalistischen Interview müssen Fragende und Befragte die Spielregeln vorher abmachen.

5. Grundsätzlich ist zwischen drei Gesprächssituationen zu unterscheiden:

a) „on the record“: Befragte dürfen namentlich mit ihren wörtlichen Antworten zitiert werden. b) „off the record“: Die Aussagen der Befragten dürfen zitiert werden, ohne dass eine Quelle genannt wird.

c) „background“: Die Aussagen der Befragten dürfen nicht zitiert werden; sie dienen lediglich als Hintergrund-Information.

Im folgenden ist nur noch vom journalistischen Interview „on the record“ die Rede.

6. Beim Interview „on the record“ ist zu unterscheiden zwischen

a) dem Recherchen-Interview, bei dem höchstens einzelne Zitate im Rahmen eines grösseren Beitrags veröffentlicht werden;

b) dem Reportagen-Interview, bei dem Aussagen von Betroffenen, prototypischen Zeitzeugen oder Prominenten lediglich zur Veranschaulichung des Themas dienen;

c) dem Interview als Darstellungsform, das als Dialog veröffentlicht wird und das eine doppelte Aussageleistung erbringt, nämlich darüber, was gesagt wird und wie es dazu kommt, das einen doppelten Informationswert hat, nämlich über die Sache und über die Person, und das eine Primärsituation mit einer Sekundärsituation verknüpft, nämlich den persönlichen Dialog und den öffentlichen Dialog.

7. Das Interview als Darstellungsform (gestaltetes Interview) ist kein gewöhnlicher, sondern ein gerichteter Dialog, eine gezielte Befragung. Es ist immer für die Öffentlichkeit bestimmt. Wer sich als Gesprächspartner oder Gesprächspartnerin auf ein solches Interview einlässt, muss wissen, dass die Aussagen, die im Laufe des Gesprächs gemacht werden, nicht privater Natur sind. 8. Journalistinnen und Journalisten sollen Interviewangebote, hinter denen lediglich PR-Interessen stecken, dankend ablehnen. 9. Journalistinnen und Journalisten sollen Interviews, die nur schriftlich gegeben werden, und Interviews, die nur gegen Geld gegeben werden, in der Regel ablehnen.

10. Journalistinnen und Journalisten sollen im voraus die Interviewdauer aushandeln, wobei die Printmedien häufig um mehr Zeit, die elektronischen Medien vielfach um eine knappere Zeit kämpfen müssen.

11. Journalistinnen und Journalisten sollen es ablehnen, dass der Interviewpartner oder die Interviewpartnerin weitere Gesprächsteilnehmer zuzieht, ohne dass dies vorher vereinbart worden ist. Die Gesprächsleitung liegt allein bei den fragenden Personen.

12. Journalistinnen und Journalisten müssen der Interviewpartnerin oder dem Interviewpartner im voraus das Thema nennen. Sie müssen sie oder ihn veranlassen, dazu Aussagen zu machen. Sie sollen Themen, die ausgeklammert werden sollen, aber von öffentlichem Interesse sind, trotzdem anschneiden und in Kauf nehmen, dass die Antwort verweigert wird (und dies öffentlich machen). Sie sollen auf die Forderung, alle Fragen im voraus schriftlich einzureichen, höchstens dann eingehen, wenn es sich um eine interessante Persönlichkeit handelt, die noch nie ein Interview gegeben hat und ohne diese Bedingung auch keines geben würde. Sonst sollen sie bloss einen groben Fragenraster zustellen und sich Zusatzfragen und Zwischenfragen unbedingt vorbehalten.

13. Es muss möglich sein, Interviews zu bearbeiten und zu kürzen. Dabei dürfen bei Kürzungen und Schnitten die Hauptaussagen nicht entstellt werden. Ist ein Interview insgesamt langweilig und enthält keinerlei interessante Aussagen, so soll es nicht veröffentlicht werden. Ein Interview, das Ehrbeleidigungen, unlauteren Wettbewerb oder geheime Informationen enthält, muss bereinigt werden, da die Journalistinnen und Journalisten mithängen.

14. Gestaltete Interviews für Printmedien sollen den Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartnern zur Korrektur und Autorisierung vorgelegt werden, es sei denn, beide Seiten vereinbaren, darauf zu verzichten. Die Partner können keine Korrekturen anbringen, die völlig vom geführten Gespräch abweichen. Sie können keine Fragen streichen oder neue Fragen erfinden. Wird das Interview massiv korrigiert und werden teilweise Aussagen in ihr Gegenteil verkehrt, so sollen die Journalistinnen und Journalisten den Interviewpartner oder die Interviewpartnerin informieren, dass die Publikation in dieser Form nicht möglich ist und in extremen Fällen auf die Publikation verzichten oder den Vorgang transparent machen. Die autorisierte und vom Medium so akzeptierte Fassung ist jene, die veröffentlicht wird. Wenn beide Seiten mit einer Fassung einverstanden sind, kann hinterher nicht mehr auf frühere Fassungen zurückgegriffen werden.

15. Interviewte haben die Möglichkeit, ein Interview in einer für die Medien angemessenen Frist noch zurückzuziehen, sofern dies vorher so vereinbart worden ist, bei Radio und Fernsehen allerdings bis höchstens zwei Stunden vor der Ausstrahlung.

16. Es ist zulässig, Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, die das Interview nicht aus massivem Eigeninteresse (wie: Wahlkampf, Vorstellung eines neuen Produkts oder Projekts) gegeben haben, hinterher für die Zeit und den Aufwand eine kleine Anerkennung zukommen zu lassen.