Nr. 12/2016
Verbreiten von Gerüchten

(X. c. «NZZ am Sonntag») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 25. Mai 2016

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Zusammenfassung

Wer ein Gerücht veröffentlicht, muss dieses zwingend überprüfen. Diesen Grundsatz ruft der Schweizer Presserat in Erinnerung. Sonst verletzen Medien die journalistische Sorgfaltspflicht. Der Presserat hat darum eine Beschwerde gegen die «NZZ am Sonntag» gutgeheissen.
 
Konkret ging es um einen Artikel der Schriftstellerin Milena Moser vom Mai 2015. Unter dem Titel «Der Unterleib des Gurus» ging sie der Frage nach, warum man die Geschichten von Yogalehrern, deren Beziehungen zu ihren Schülerinnen mehr sexueller als spiritueller Natur sind, als besonders skandalös empfinde. Dabei verwendete Moser als Beispiel auch Paramahansa Yogananda, Gründer der Self-Realization Fellowship. Eine Privatperson erhob beim Presserat Beschwerde wegen ungenügender Quellenbearbeitung.
 
Für den Presserat steht fest, dass Moser und die «NZZ am Sonntag» mit der Aussage, Paramahansa Yogananda habe das Zölibat gepredigt, trotzdem aber mehrere Kinder gezeugt und eine Art Harem eingerichtet, ein Gerücht kolportierten.

Journalisten seien verpflichtet, nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne zu veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind, hält der Presserat fest. Eine genaue Bezeichnung der Quelle liegt im Interesse des Publikums.  
 
Die «NZZ am Sonntag» hat gemäss Presserat den Journalistenkodex dadurch verletzt, dass sie ein nicht überprüftes Gerücht zu Paramahansa Yogananda veröffentlichte.

In ihrer Beschwerdeantwort hatte die «NZZ am Sonntag» auch argumentiert, der Kodex gelte für den Artikel gar nicht, weil die Autorin Schriftstellerin und nicht Journalistin sei. Dazu hielt der Presserat fest, dass es unerheblich ist, ob ein Journalist oder eine andere Person Autor eines Artikels ist. Der Kodex gelte für alle Veröffentlichungen in Schweizer Medien.

Résumé

Qui publie une rumeur doit impérativement la vérifier. C’est un principe que le Conseil de la presse tient à rappeler. Les médias portent atteinte sinon à leur devoir de diligence journalistique. Le Conseil de la presse a par conséquent admis une plainte contre la «NZZ am Sonntag».
 
Il en allait concrètement d’un article rédigé par l’écrivaine Milena Moser en mai 2015, intitulé «Der Unterleib des Gurus». Le texte abordait la question de savoir pourquoi les histoires de professeurs de yoga dont les relations avec leurs élèves féminines sont davantage sexuelles que spirituelles apparaissent comme particulièrement scandaleuses. Milena Moser y prenait notamment l’exemple de Paramahansa Yogananda, fondateur de la Self-Realization Fellowship. Un particulier a fait recours auprès du Conseil de la presse en invoquant des sources insuffisantes.
 
Pour le Conseil de la presse, il est clair que Milena Moser et la «NZZ am Sonntag» ont colporté une rumeur en disant que Paramahansa Yogananda avait eu plusieurs enfants et mis en place une sorte de harem alors qu’il prêchait le célibat.

Les journalistes sont tenus de ne publier que des informations, des documents, des images et des sons dont ils connaissent la source, précise le Conseil de la presse. Il est dans l’intérêt du public que les sources soient citées avec précision. 
 
De l’avis du Conseil de la presse, la «NZZ am Sonntag» a porté atteinte au code de déontologie des journalistes en publiant une rumeur sur Paramahansa Yogananda sans la vérifier.

Dans sa réponse, la «NZZ am Sonntag» avait argumenté que le code des journalistes ne s’appliquait pas à l’auteure de l’article, qui est écrivaine et non journaliste. Le Conseil de la presse a noté qu’il importe peu que l’auteur d’un article soit journaliste ou non. Le code s’applique à tout ce que publient les médias suisses.

Riassunto

Se si dà spazio a una voce bisogna almeno verificarla. Il Consiglio della stampa ricorda questa norma primordiale a tutela della qualità dell’informazione, accettando come fondato un reclamo contro la «NZZ am Sonntag».  
 
Il particolare criticato era contenuto in un articolo della scrittrice Milena Moser uscito nel maggio 2015, intitolato «L’addome del guru» («Der Unterleib des Gurus»). L’autrice si domandava perché fosse da ritenere particolarmente scandaloso il comportamento degli insegnanti di yoga, quando si occupano più del sesso delle loro allieve che dello spirito. L’esempio citato riguardava il fondatore di «Self-Realization Fellowship», Paramahansa Yogananda. La pubblicazione è stata segnalata da un lettore al Consiglio della stampa come sprovvista del necessario approfondimento.
 
Al Consiglio della stampa appare evidente che il fatto citato nell’articolo della «NZZ am Sonntag» (che pur predicando l’astinenza sessuale il guru si fosse attorniato di ragazzi come di un harem) è un puro pettegolezzo. Ai giornalisti spetta non solo pubblicare documenti, illustrazioni, riprese di suono di cui è loro nota la fonte, ma anche cercare il contatto con le fonti, nell’interesse del pubblico. Dare corpo a una voce raccolta senza verificarla rappresenta una violazione del codice deontologico: è questo che il Consiglio della stampa rimprovera alla «NZZ am Sonntag». Il fatto che l’autrice non sia una giornalista ma una scrittrice (argomento fatto valere dal settimanale criticato) è irrilevante: a contare è quel che viene pubblicato.  

I. Sachverhalt

A. Am Sonntag, 24. Mai 2015, veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» den Artikel «Der Unterleib des Gurus». Darin geht die Schriftstellerin Milena Moser der Frage nach, warum man die Geschichten von Yogalehrern, deren Beziehungen zu ihren Schülerinnen mehr sexueller als spiritueller Natur sind, als besonders skandalös empfinde. Dabei verwendet Moser unter anderen auch als Beispiel Paramahansa Yogananda, Gründer der Self-Realization Fellowship (SRF). Sie erhebt gegen ihn den Vorwurf, Paramahansa Yogananda habe das Zölibat gepredigt, trotzdem aber mehrere Kinder gezeugt. Und nach seinem Tod 1952 sei publik gemacht worden, «dass er neben seiner Zelle eine Art Harem eingerichtet haben soll».
 
B. X. versuchte danach in einem längeren Mail-Verkehr mit der Redaktion der «NZZ am Sonntag» vergeblich herauszufinden, worauf Moser die Behauptung stützt. Er erkundigte sich dabei auch explizit nach einer Quelle für die Aussagen über Paramahansa Yogananda. Die Redaktion der «NZZ am Sonntag» ging in ihrer Antwort nicht im Detail auf die Quelle ein. Und verwies sinngemäss darauf, dass es sich bei den Behauptungen um Fakten, «wo nicht extra ausgewiesen, [um] von verschiedensten internationalen Medien (‹New York Times›, etc.)» handle.

C. Weil sich die Redaktion der «NZZ am Sonntag» nicht kooperativ zeigte und ihn indirekt auf den Rechtsweg verwies, erhob X. am 15. Oktober 2015 Beschwerde beim Schweizer Presserat. Der Beschwerdeführer bezog sich darin vor allem darauf, dass es keinen Grund zur Geheimhaltung der Quelle gebe und somit die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt sei. Dies, weil die Abstützung der Behauptung – der Beschwerdeführer nennt sie in diesem Zusammenhang die Quellenangabe – «wichtig und unerlässlich» für das Verständnis der Information über Paramahansa Yogananda sei. Der Beschwerdeführer bezieht sich dabei ausdrücklich auch auf die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung).

D.  Für die «NZZ am Sonntag» nahm Chefredaktor Felix E. Müller am 9. Februar 2016 Stellung. Laut Müller habe der Beschwerdeführer von der «NZZ am
Sonntag» die «lückenlose Offenlegung der Quellen gegenüber» ihm «und damit gleichzeitig der SRF-Gruppe» verlangt. Für Müller steht fest, dass keine Pflichtverletzung vorliege, weil weder Ziffer 3 der «Erklärung» noch Richtlinie 3.1 des Presserats eine Verpflichtung enthalte, «gegenüber einzelnen Leserinnen und Lesern oder Gruppierungen die Quellen offenzulegen». Zudem wäre der Presserat nicht befugt, die «NZZ am Sonntag» zu verpflichten, gegenüber dem Beschwerdeführer oder der SRF-Gruppe die Quellen offen zu legen. Dies gelte «auch in Bezug auf das Begehren […], eine Entschuldigung und Richtigstellung des Sachverhalts in einer der nächsten Ausgaben zu veröffentlichen für den Fall, dass die Dokumente nicht beigebracht werden». Dazu führe der Beschwerdeführer nicht an, welche Fakten im beanstandeten Artikel falsch sein sollen. Und weiter gehöre die Beschwerde auch deswegen abgewiesen, weil die Autorin der «NZZ am Sonntag» keine Journalistin sei und darum die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht anwendbar sei.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann als Präsident an sowie Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. März 2016 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung» geltend. Im Artikel werde der Lebenswandel von Paramahansa Yogananda skandalisiert, ohne dass eine Quelle für die Behauptungen genannt werde. Diese sei aber «wichtig und unerlässlich» für das Verständnis der Passage über Paramahansa Yogananda, so der Beschwerdeführer. Weil die «NZZ am Sonntag» diese aber nicht nachliefern wollte und sich verwahrte, dass sie nicht verpflichtet sei, Quellen zu nennen, argumentiert der Beschwerdeführer sodann damit, dass es gar keinen Grund zur Geheimhaltung der Quelle gebe. Darum, so sein Schluss, werde die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt. Die «NZZ am Sonntag» liefert in ihrer Beschwerdeantwort keine Erklärung, warum sie die Behauptung ohne Quellenangaben abgedruckt hat. Und sie lässt auch ausdrücklich offen, darzulegen, ob sie je über die entsprechenden Informationen verfügte, welche diese Behauptungen stützen könnten.

Mit der Aussage, Paramahansa Yogananda habe das Zölibat gepredigt, trotzdem aber mehrere Kinder gezeugt, nach seinem Tod 1952 sei zudem publik gemacht worden, «dass er neben seiner Zelle eine Art Harem eingerichtet haben soll» kolportiert die «NZZ am Sonntag» ein Gerücht. Bezüglich der Veröffentlichung von Gerüchten ruft der Presserat folgende Grund-sätze der «Erklärung» in Erinnerung: Zum einen steht die Wahrheitssuche und das entsprechende Recht der Öffentlichkeit, die Wahrheit zu erfahren, im Vordergrund (Ziffer 1). Zum anderen sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne zu veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen als solche (Ziffer 3). Richtlinie 3.1 hält zur Quellenbearbeitung folgendes fest: Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten bildet die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit. Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums, sie ist vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an der Geheimhaltung einer Quelle unerlässlich, wenn dies zum Verständnis der Information wichtig ist. Bereits in seiner Stellungnahme 12/2003 hielt der Presserat zudem fest: Ein verbreitetes Gerücht zu dementieren kann sich aufdrängen, entweder um das Gerücht «abzuschiessen». Oder weil es eine Eigendynamik entfaltet hat und man es nicht mehr ignorieren kann. Dann ist aber die Herkunft des Gerüchts klarzumachen und Betroffene müssen zu Wort kommen (s. dazu auch 9/2008). Vorliegend hat die «NZZ am Sonntag» bzw. die Autorin des Artikels die Quelle des Gerüchts über Paramahansa Yogananda offensichtlich nicht überprüft. Im Mailaustausch mit dem Beschwerdeführer macht die Redaktion lediglich vage geltend, dass es sich bei den Behauptungen um Fakten, «wo nicht extra ausgewiesen, [um] von verschiedensten internationalen Medien (‹New York Times›, etc.)» handle. Mit der Veröffentlichung eines nicht überprüften Gerüchts hat sie demnach Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

2. Der Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» greift im Zusammenhang mit der Autorin des Artikels zu einem originellen Argument. Die Autorin sei nämlich «eine Schriftstellerin und keine Journalistin». Und nur auf letztere sei die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» anwendbar. In Zeiten, in denen es normal ist, dass Sportler, Filmschauspieler und Handwerker regelmässige Kolumnen in Medienprodukten schreiben, gilt es dieses Argument näher zu wägen. In seinem Geschäftsreglement beschreibt sich der Schweizer Presserat als Selbstregulierungsinstanz für medienethische Fragen in der Schweiz. Weiter heisst es dort: «Die Zuständigkeit des Schweizer Presserats erstreckt sich auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien.» Dabei ist es unerheblich, ob eine Journalistin, eine Schriftstellerin oder der Hauswart der NZZ den Artikel zeichnet. Jeder Artikel aus dem redaktionellen Teil der «NZZ am Sonntag» fällt unter die Beurteilungskompetenz des Presserates. Dies, weil es darum geht, ob die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», der sich sowohl Journalisten als auch Verleger verpflichtet haben, eingehalten ist oder nicht.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «NZZ am Sonntag» hat Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» dadurch verletzt, dass sie ein nicht überprüftes Gerücht in Bezug auf Paramahansa Yogananda veröffentlicht hat.

3. Unerheblich ist dabei, ob ein Journalist oder eine andere Person Autor eines Artikels ist. Auf Veröffentlichungen in Schweizer Medien ist die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» als Beurteilungsgrundlage direkt anwendbar.