Nr. 42/2015
Unschuldsvermutung / Namensnennung

(X. c. «Tages-Anzeiger» / «NZZ am Sonntag») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 8. Oktober 2015

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Zusammenfassung

Im März 2015 stürzte ein Flugzeug der Germanwings in den französischen Alpen ab. Das Interesse am Absturz und am Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod gerissen hatte, war gross. Eine Leserin beschwerte sich beim Schweizer Presserat, weil Medien den Namen des Co-Piloten nannten. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
 
Die Tat sei in ihrem Ausmass und ihrer Einzigartigkeit von überwiegendem öffentlichem Interesse, urteilt der Schweizer Presserat. Der Täter habe sich zu einer öffentlichen Person gemacht. In diesem Fall sei das Recht der Öffentlichkeit auf Information stärker als der Schutz der Privatsphäre des Täters. Der Presserat weist deshalb eine Beschwerde ab, die sich gegen einen Artikel im „Tages-Anzeiger“ und einen in der „NZZ am Sonntag“ richtete.
 
Für den Presserat kann es bei einer aussergewöhnlich schweren Straftat gerechtfertigt sein, den Namen des Täters zu nennen. Die Redaktionen haben aber in jedem einzelnen Fall genau abzuwägen, ob die Namensnennung medienethisch zulässig ist. Dabei sollen sie auch die Privatsphäre der Angehörigen des Täters berücksichtigen. Selbst wenn andere Medien den Namen verbreiten oder sogar die Untersuchungsbehörden den Namen nennen, ist das kein Freibrief, dass alle Medien den Namen unbesehen publizieren dürfen.
 
Auch Unschuldsvermutung nicht verletzt
 
Die Beschwerde beanstandete zusätzlich, „Tages-Anzeiger“ und „NZZ am Sonntag“ hätten im Fall des Germanwings-Absturzes die Unschuldsvermutung verletzt. Der Presserat weist auch das ab. Beide Artikel erschienen wenige Tage nach dem Absturz. Beide relativieren schon in den ersten Zeilen die Täterschaft. So heisst es in der „NZZ am Sonntag“, der Co-Pilot habe das Flugzeug «wahrscheinlich absichtlich» zum Absturz gebracht. Und der «Tages-Anzeiger» zitiert den Staatsanwalt, der die Vermutung äussert, der Co-Pilot habe mit Absicht gehandelt. Für Leserinnen und Leser ist in beiden Berichten rasch klar, dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind. Damit haben beide Zeitungen die Unschuldsvermutung nicht verletzt.

Résumé

Un avion de la compagnie Germanwings s’est écrasé dans les Alpes françaises en mars 2015. Cet accident et le copilote ayant entraîné avec lui 149 personnes dans la mort ont suscité un grand intérêt auprès du public. Une lectrice s’est plainte auprès du Conseil suisse de la presse que le nom du copilote ait été nommé dans certains médias. Le Conseil de la presse rejette la plainte.
 
Vu leur ampleur et leur unicité, le Conseil suisse de la presse a estimé que les faits présentaient un intérêt public prépondérant. Leur auteur s’est transformé lui-même en personne publique. Dans ce cas, le droit du public d’être informé prime sur la protection de la sphère privée de l’auteur. Le Conseil de la presse rejette par conséquent une plainte dirigée contre un article du «Tages-Anzeiger» et contre un article paru dans la «NZZ am Sonntag».
 
Le Conseil de la presse estime que la publication du nom de l’auteur peut être justifiée si le délit est particulièrement grave. Les rédactions doivent néanmoins examiner soigneusement de cas en cas si la publication du nom est compatible avec la déontologie professionnelle. Ce faisant, elles doivent aussi tenir compte de la sphère privée des proches parents de l’auteur. Même si d’autres médias publient le nom ou même si les autorités chargées de l’enquête le mentionnent, cela ne saurait constituer une carte blanche autorisant tous les médias à publier le nom sans examen préalable.
 
La présomption d’innocence n’a pas non plus été violée
 
La plainte alléguait aussi que le «Tages-Anzeiger» et la «NZZ am Sonntag» auraient violé la présomption d’innocence dans le cas de l’accident de Germanwings. Le Conseil de la presse rejette également cette allégation. Les deux articles ont paru peu de jours après l’accident. La culpabilité est relativisée dès les premières lignes des deux articles. La «NZZ am Sonntag» écrit ainsi que le copilote aurait «probablement provoqué intentionnellement» l’accident. Quant au «Tages-Anzeiger», il cite le procureur lequel émet la supposition que le copilote aurait agi à dessein. Les lecteurs des deux articles comprennent rapidement que l’enquête n’est pas terminée. Les deux journaux n’ont ainsi pas violé la présomption d’innocence.

Riassunto

Tutti ricordano l’incidente dello scorso marzo nelle Alpi francesi, nel quale persero la vita gli occupanti del volo Germanwings, come pure che l’attenzione si concentrò subito sul ruolo del co-pilota dell’areo, il cui comportamento risultò finalmente all’origine della tragedia. Al Consiglio svizzero della stampa, da parte di una lettrice, è pervenuto un reclamo contro la decisione dei media di pubblicare il nome del co-pilota. Il Consiglio lo ha respinto.
 
Il Consiglio della stampa ritiene anzitutto che l’enormità e l’eccezionalità del caso ampiamente giustificavano l’interesse pubblico che ha destato. Nel caso specifico il co-pilota poteva bene essere definito «persona pubblica», per cui l’interesse del pubblico all’informazione prevaleva sul rispetto della sua privacy. Questa la ragione principale per la quale il Consiglio della stampa respinge il reclamo presentato contro gli articoli pubblicati dal «Tages-Anzeiger» e dalla «NZZ am Sonntag». Si trattava cioè di un evento eccezionale che come tale giustificava la menzione del nome.

In ogni singolo caso è tuttavia dovere delle redazioni valutare con attenzione se la pubblicazione è eticamente giustificata. In tale valutazione va considerata anche la sfera privata dei congiunti.  La menzione del nome non sarebbe giustificata, per esempio, solo per il fatto che altri organi di stampa l’abbiano già fornito, e neppure che tali generalità siano state fornite dall’autorità inquirente.
 
Anche la presunzione di innocenza è stata rispettata
 
Nel reclamo si faceva valere inoltre che sia il «Tages-Anzeiger» sia la «NZZ am Sonntag» avevano mancato, nel caso del co-pilota della Germanwing, al rispetto della presunzione di innocenza. Secondo il Consiglio della stampa, invece, i due articoli, pubblicati alcuni giorni dopo l’incidente, tengono conto di tale principio fin dalle prime righe: per esempio, nel caso della «NZZ am Sonntag» scrivendo che il co-pilota aveva causato la sciagura «probabilmente in modo intenzionale», oppure – come il «Tages-Anzeiger» – citando una dichiarazione del procuratore pubblico secondo cui l’uomo «avrebbe agito intenzionalmente». Al lettore era dunque chiaro in entrambi i casi che l’inchiesta su questo punto non era giunta a conclusioni definitive. Per il Consiglio della stampa, i due giornali hanno dunque tenuto conto della presunzione di innocenza.


I. Sachverhalt


A.
Am 24. März 2015 stürzte ein Flugzeug der Fluggesellschaft Germanwings über den französischen Alpen ab. Das Ereignis war während Tagen ein grosses Thema in den Medien. Gegenstand der Beschwerde sind die beiden Frontseitenartikel «Fassungslosigkeit nach mutwilligem Flugzeugabsturz» im «Tages-Anzeiger» vom 27. März 2015 und «So krank war der Pilot, der 149 Personen in den Tod riss» in der «NZZ am Sonntag» vom 29. März 2015.

Der «Tages-Anzeiger» (kein Autor, Kürzel SDA/TA) gibt auf der Frontseite die Aussagen des französischen Staatsanwalts wieder. Dieser gehe davon aus, dass der Co-Pilot sich im Cockpit eingeschlossen habe, als er dort allein war und dass er dann den Sinkflug eingeleitet habe in der Absicht, das Flugzeug zu zerstöre
n. Im Artikel wird der Name des Co-Piloten, Andreas Lubitz, mehrmals genannt. In Titel und Lead («Der Co-Pilot leitete den tödlichen Sinkflug absichtlich ein») wird die Schuld von Lubitz als Fakt dargestellt. Im Text wird die Aussage zur Täterschaft relativiert: «Staatsanwalt Brice Robin aus Marseille ist überzeugt: Der Absturz der Germanwings-Maschine wurde absichtlich durch den Co-Piloten herbeigeführt.», «Robin vermutet, dass …», «Nach dem offenbar mutwillig herbeigeführten Absturz..(..)».

Auf der Frontseite der «NZZ am Sonntag» schreibt René Donzé zwei Tage später vor allem über die psychische Erkrankung von Lubitz. Er zitiert dabei Aussagen aus verschiedenen Zeitungen. Der Name Andreas Lubitz wird mehrmals genannt. Im Titel stellt Donzé die Tat als Fakt dar: «So krank war der Pilot, der 149 Personen in den Tod riss». Im Text relativiert er dies: «Co-Pilot Andreas Lubitz, der ein Flugzeug der Gesellschaft Germanwings am Dienstag in den französischen Alpen wahrscheinlich absichtlich zerschellen liess, war psychisch krank.»

B. Am 27. März 2015 kritisiert X. in einem Email an den «Tages-Anzeiger», dass dieser im genannten Artikel den Namen des Co-Piloten genannt habe und dass die Unschuldsvermutung verletzt worden sei. Am gleichen Tag verteidigt Dominique Eigenmann, Nachrichtenchef beim «Tages-Anzeiger», in einem Antwort-E-Mail die Namensnennung. Zudem erklärt er, die Unschuldsvermutung sei nicht verletzt worden. In weiteren E-Mails bleiben die beiden Seiten bei ihren Positionen.  

In einem Mail an die «NZZ am Sonntag» (Datum geht aus den Unterlagen nicht hervor) beanstandet die Beschwerdeführerin ebenfalls die Namensnennung und die angebliche Verletzung der Unschuldsvermutung. In seiner Antwort verteidigt Francesco Benini, Ressortleiter Hintergrund und Meinungen, die Namensnennung.
 
C. Am 17. April 2015 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über die beiden genannten Artikel. Das Verschulden des Co-Piloten sei bei Erscheinen der Artikel noch nicht restlos geklärt gewesen. Deshalb habe die Unschuldsvermutung gegolten. Zudem sei Ziffer 8 (eigentlich Ziffer 7) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Dem öffentlichen Interesse sei durch die ausführlichen Berichte voll Genüge getan. Durch die Nennung des vollen Namens seien nicht nur ein Toter, sondern zugleich seine nächsten Angehörigen mit an den Pranger gestellt worden. Zudem beanstandet X., dass die Antworten auf ihre E-Mails sehr unbefriedigend und nicht rechtskonform ausgefallen seien.
 
D. Am 5. Juni 2015 nahm der Rechtsdienst von Tamedia Stellung und beantragte, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der «Tages-Anzeiger» habe die Unschuldsvermutung keineswegs verletzt. Der Artikel basiere auf dem aktuellen Stand der Ermittlungen. Dabei seien unter anderem Vermutungen des Staatsanwalts wiedergegeben worden. Dies sei im Artikel ausdrücklich so dargestellt. Für den Leser sei klar, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen worden seien und noch nicht restlos geklärt sei, ob Andreas Lubitz verantwortlich war.

Tamedia nannte mehrere Gründe, weshalb die Namensnennung gerechtfertigt gewesen sei: Nach der herrschenden Rechtslehre ende die Persönlichkeit mit dem Tod. Somit könne die Persönlichkeit von Andreas Lubitz nicht verletzt worden sein. Zudem habe der Staatsanwalt den Namen des Co-Piloten genannt. Er habe ihn sogar buchstabiert. Weiter sei zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im «Tages-Anzeiger» der Name Andreas Lubitz schon in mehreren Medien genannt worden und der breiten Öffentlichkeit bereits bekannt gewesen. Zudem habe der Flugzeugabsturz in der Bevölkerung eine tiefe Betroffenheit ausgelöst. Es habe ein grosses Interesse der Öffentlichkeit bestanden, womit ein Ereignis der Zeitgeschichte vorliege. Andreas Lubitz sei deshalb als «relative Person der Zeitgeschichte» zu qualifizieren. Die Namensnennung sei elementar, um den Absturz als das darzustellen, was er sei: Kein Unglück, sondern ein Massenmord mit Andreas Lubitz als Täter. Zudem seien die Angehörigen von Lubitz nicht an den Pranger gestellt worden. Diese seien im «Tages-Anzeiger» mit Absicht nie Thema der Berichterstattung gewesen. Die wahrheitsgetreue Information der Öffentlichkeit dürfe nicht zu Gunsten einzelner Angehöriger verboten oder eingeschränkt werden.

E. Am 7. Juli 2015 beantragte Felix E. Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», die Beschwerde abzuweisen. Die Unschuldsvermutung sei nicht verletzt worden. Im Lead und im ersten Satz des beanstandeten Artikels sei der Begriff «wahrscheinlich» verwendet worden. Die Staatsanwaltschaft habe an ihrer Medienkonferenz am 26. März 2015 den Fokus ihrer Ermittlungen auf Andreas Lubitz gelenkt, und am selben Tag habe der Chef der Lufthansa, des Mutterhauses von Germanwings, an einer Medienkonferenz gesagt, das Flugzeug sei offensichtlich willentlich zum Absturz gebracht worden, mutmasslich durch den Co-Piloten.

Die Umstände, die zum Absturz des Germanwings-Flugzeugs geführt hätten, seien von «allergrösstem öffentlichem Interesse». Der Name des Co-Piloten sei von den Ermittlungsbehörden bekanntgegeben worden und von da an in unzähligen Medien weltweit genannt worden. Es sei deshalb gerechtfertigt gewesen, den Namen zu nennen. Über den Namen hinaus enthalte der Artikel keine identifizierenden Angaben. Die nächsten Angehörigen seien nicht an den Pranger gestellt worden.

F. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried an. 

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 27. August 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Staatsanwalt der französischen Untersuchungsbehörden hat an der Medienkonferenz am 26. März 2015 wenig Zweifel daran gelassen, dass er Andreas Lubitz für verantwortlich hält für den Tod von 149 Menschen. Lubitz habe den Absturz willentlich herbeigeführt. Er präsentierte die ersten Ergebnisse der Ermittlung. Es handelte sich hier also erst um den Beginn eines Verfahrens, indem ein Verdacht genannt wurde. Die Medien konnten allerdings aufgrund der Aussagen des Staatsanwalts davon ausgehen, dass die französische Justiz starke Indizien für ihre Beschuldigung hatte. Sie konnten aber einen anderen Hergang nicht völlig ausschliessen. Somit galt zu diesem Zeitpunkt die Unschuldsvermutung für Lubitz.

Die Frage der Unschuldsvermutung hat der Presserat bisher vor allem im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren behandelt (13/2013), (40/2010), (32/2000). In Richtlinie 7.4 zur «Erklärung» heisst es im Bezug auf Gerichtsberichterstattung: «Sie (Journalistinnen und Journalisten) tragen der Unschuldsvermutung Rechnung.»

In den beiden beanstandeten Artikeln haben «Tages-Anzeiger» und «NZZ am Sonntag» die Schuldzuweisung leicht relativiert. Der «Tages-Anzeiger» hat den Staatsanwalt zitiert, ohne ein eigenes Urteil zu fällen. Die «NZZ am Sonntag» schreibt von «wahrscheinlich absichtlich». Die Titel der beiden Artikel relativieren allerdings nichts. Das «wahrscheinlich» im Lead-Satz der «NZZ am Sonntag» kann so verstanden werden, dass zwar der Co-Pilot schuld ist, aber dass der Absturz «wahrscheinlich» auf eine schwere psychische Störung zurückzuführen ist. Aufgrund der Aussagen des Staatsanwalts und des Chefs der Lufthansa genügt es nach Ansicht des Presserats aber, wenn früh im Artikel klar wird, dass ein anderer Hergang nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Beide Artikel relativieren die Schuld des Täters im ersten Satz. Für Leserinnen und Leser ist in beiden Artikeln rasch klar, dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind. In beiden Artikeln wurde die Unschuldsve
rmutung somit nicht verletzt.

2. Die Medienkonferenz der französischen Staatsanwaltschaft zwei Tage nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs wurde von vielen TV-Stationen und Internet-Medien live übertragen. Der Staatsanwalt nannte vor den Journalisten den Namen von Co-Pilot Andreas Lubitz und buchstabierte den Nachnamen sogar. Es ist aber nicht Aufgabe der Justiz, auf die Einhaltung von medien-ethischen Regeln zu achten. Das ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten. Der Presserat hat sich kürzlich in seiner Stellungnahme zu «Einschränkungen und anderen Problemen bei der Berichterstattung aus dem Justizwesen» (25/2015) dafür eingesetzt, dass Medien unabhängig von der Justiz und selbstständig über Unschuldsvermutung, Namensnennung und Persönlichkeitsschutz entscheiden sollen. In Stellungnahme 30/2009 hatte der Presserat im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Bild und Namen eines Tatverdächtigen im Rahmen eines polizeilichen Zeugenaufrufs explizit festgehalten: «Redaktionen sollten nicht reflexartig publizieren, wenn Behörden den Namen und das Bild eines Tatverdächtigen freigeben, sondern vor einer Publikation eigenständige berufsethische Überlegungen anstellen.»

Auch wenn ein Name bereits in vielen Medien genannt worden ist, bedeutet das nicht, dass die Nennung gerechtfertigt ist. Der Deutsche Presserat schreibt dazu in seiner Stellungnahme zum Germanwings-Absturz: «Nicht entscheidend war hingegen, dass internationale Medien bereits Namen veröffentlicht hatten, da in Deutschland in der Regel andere ethische Massstäbe im Allgemeinen und der Pressekodex des Deutschen Presserats im Besonderen ausschlaggebend für die Presse sind.» Wenn also die Untersuchungsbehörden einen Namen nennen und der Name in vielen Medien bereits genannt worden ist, heisst das nicht, dass es gerechtfertigt ist, diesen Namen zu veröffentlichen. Solche Informationen können bei einem Entscheid über die Namensnennung aber berücksichtigt werden.

3. Einige Medien haben konsequent auf die Namensnennung verzichtet. Von besonders grossem Interesse war auch für diese das Motiv des Täters. Weshalb hat der Co-Pilot 149 Menschen mit sich in den Tod gerissen? War die Tat religiös oder politisch motiviert? Als Informationen über eine psychische Krankheit des Co-Piloten bekannt wurden, waren genauere Informationen dazu gefragt. Es stellten sich weitere Fragen: Wie krank war er? Was hatte die Fluggesellschaft davon gewusst? Hätte sie davon wissen müssen? Um diesen Fragen nachzugehen und sie zu beantworten, braucht es den Namen des Co-Piloten nicht. Zur Aufklärung der Medienkonsumenten ist es irrelevant, wie der Täter heisst. Diese Information bringt so viel oder so wenig, wie ein Foto des Co-Piloten, seine Haarfarbe oder andere äusserliche Merkmale. Zu beachten ist auch, dass mit der Nennung des Nachnamens die Identifizierbarkeit seiner nächsten Angehörigen kaum zu vermeiden ist. Man kann sich bei einer solch schweren Tat auch fragen, ob mit der Namensnennung ein Wunsch des Täters erfüllt wird und die Medien ihm helfen, eines seiner Ziele zu erreichen.

In einem ganz anderen Fall haben die Schweizer Medien durchgehend auf die Nennung des Namens eines Delinquenten verzichtet. Im Fall «Carlos» wurde ausführlich über dessen Persönlichkeit, Familiensituation, Verhalten, Delikte und die politischen Folgen des Falls berichtet. Sein richtiger Name wurde trotzdem in Hunderten Veröffentlichungen nicht genannt, was der Berichterstattung offensichtlich nicht geschadet hat.

4. Den Namen nennen dürfen Journalistinnen und Journalisten nach der zur «Erklärung» gehörigen Richtlinie 7.2 (Identifizierung) unter anderem, sofern die Namensnennung «anderweitig durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist.» Sie haben dabei sorgfältig abzuwägen zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und dem Schutz der Privatsphäre. In der «Erklärung» ist nicht weiter erläutert, was mit «anderweitigem überwiegenden öffentlichen Interesse» gemeint ist. Der deutsche Pressekodex ist hier deutlicher: «Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn eine aussergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliegt» und wenn «eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist». Es ist unbestritten, dass der Flugzeugabsturz und seine Ursachen von grossem öffentlichem Interesse waren. Ab dem Moment, als ihn der französische Staatsanwalt als mutmasslichen Täter bezeichnete, war auch der Co-Pilot von grossem öffentlichem Interesse. Die Tat von Andreas Lubitz ist in ihrem Ausmass und in ihrer Einzigartigkeit von überwiegendem öffentlichem Interesse und er hat sich mit ihr zu einer öffentlichen Person gemacht. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information wiegt in diesem Fall mehr als der Schutz der Privatsphäre. Der Name Andreas Lubitz durfte deshalb in der Berichterstattung über den Germanwings-Flugzeugabsturz genannt werden.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.



2. «Tages-Anzeiger» und «NZZ am Sonntag» haben mit den Artikeln «Fassungslosigkeit nach mutwilligem Flugzeugabsturz» im «Tagesanzeiger» vom 27. März 2015 bzw. «So krank war der Pilot, der 149 Personen in den Tod riss» vom 29. März 2015 die Ziffer 7 (Identifizierung, Unschuldsvermutung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

3. Bei einer aussergewöhnlich schweren Straftat kann es gerechtfertigt sein, den Namen des Täters zu nennen. Das entbindet die Redaktionen aber nicht davon, in jedem Einzelfall genau abzuwägen, ob eine solche Namennennung medienethisch zulässig ist.