Nr. 9/1992
Stellungnahme des Presserates vom 28. Dezember 1992 zur Manipulation des Pressefotos durch elektronische Bildverarbeitung

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Stellungnahme

Quellenangabe / Verfälschung von Illustrationen

1. Bildmanipulationen, die fotografische Originalvorlagen im Sinn einer Veränderung von deren Aussagen verfälschen bzw. als „Retortenfotos“ den Betrachter irreführen, weil dieser eine Abbildung der „Wirklichkeit“ vor sich zu haben glaubt, stellen grundsätzlich eine Verletzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ dar.

2. Fotobearbeitungen und Bildmontagen sind bei deren Publikation ausdrücklich als solche zu bezeichnen.

3. Die Fotografen der Originalvorlagen, die für eine Bildbearbeitung oder -montage verwendet werden, sind um ihr Einverständnis zur ihnen vorzulegenden Form eine Bildbearbeitung oder -montage anzugehen.

4. Der/die Urheber der Originalvorlage(n) sowie der Verantwortliche für die Bildbearbeitung oder -montage sind bei deren Publikation zu nennen.

5. Der/die Urheber der Originalvorlage(n) sind wie für eine Veröffentlichung seines/ihres unbearbeiteten Originals zu honorieren.

Prise de position

Citation des sources/falsification d’illustrations

1. Les manipulations de photographies qui falsifient des épreuves originales en modifiant leur message, c’est-à-dire en en tirant une image créée de toutes pièces, et qui trompent l’observateur en lui faisant croire à tort qu’il s’agit du reflet de la réalité, constituent une atteinte à la „Déclaration des devoirs et des droits du journaliste“.

2. Le traitement électronique des images et les montages photographiques doivent explicitement être signalés comme tels lors de leur publication.

3. Les photographes qui ont pris les clichés originaux utilisés pour traiter une illustration ou réaliser un montage doivent donner leur accord à l’utilisation de leur travail.

4. Le ou les auteurs du cliché original comme le responsable du traitement de la photographie ou du montage doivent être mentionnés lors de la publication.

5. Le ou les auteurs du ou des clichés originaux doivent être rémunérés de la même façon que lors de la publication ordinaire d’une photo originale.

Presa di posizione

Citazione delle fonti/Falsificazione delle immagini

1. Le manipolazioni di fotografie, che falsificano i clichés originali, modificandone il messaggio, ossia creando una nuova immagine, e che ingannano l’osservatore facendogli credere di trovarsi di fronte a una fedele riproduzione della realtà, costituiscono una violazione della „Dichiarazione dei doveri e dei diritti del giornalista“.

2. Il trattamento elettronico delle immagini ed i montaggi fotografici devono essere chiaramente segnalati quando vengono pubblicati.

3. I fotografi, i cui clichés originali vengono utilizzati per trattare un’immagine o realizzare un montaggio, devono dare il loro consenso prima di un tale uso.

4. Il nome dell’autore, o degli autori, dei clichés originali e il responsabile del trattamento della fotografia o del montaggio, devono essere menzionati al momento della pubblicazione.

5. L’autore o gli autori dei clichés originali devono essere retribuiti come se si trattasse della pubblicazione di una fotografia originale.

I. Sachverhalt

A. Unter Bildmanipulation im Sinn des hier untersuchten Problems wird die Veränderung einer Fotografie vor oder bei ihrer Wiedergabe in einem gedruckten oder elektronischen Informationsmedium verstanden, wobei diese Veränderung der bewussten Täuschung des Bildbetrachters dient, also eine Fälschung oder Verfälschung der durch das Foto vermittelten Information darstellt. Die Abgrenzung der Bildmanipulation zur legitimen Bearbeitung eines Fotos im Sinne der Verbesserung von dessen fotografischer Qualität oder der Präzisierung von dessen Aussage (wie dies ja allein schon durch den Bildausschnitt geschehen kann) ist allerdings fliessend. Sie soll – im Rahmen der Erörterung des berufsethischen Aspektes – bei der bewussten Täuschung des Bildbetrachters und damit Informationsrezipienten vorgenommen werden.

B. Bildmanipulation im oben definierten Sinn ist ein seit Bestehen des Pressefotos als Informations-, Darstellungs- und Illustrationsmittel bekanntes Phänomen. Retouchierungen und Bildmontagen gehören seit jeher zu den Möglichkeiten der Fälschung und wurden nicht selten angewendet. Es gibt in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele bewusster Desinformation durch manipulierte Pressefotos. Die Elektronische Bildverarbeitung (EBV) hat also kein neues Problem geschaffen, erlaubt aber eine quasi perfekte Manipulation bis hin zum eigentlichen „Retorten-Pressefoto“, dessen „Original“ nicht mehr als EBV-produziert erkennbar und eruierbar ist. Wohl ist heute EBV noch teuer und zeitaufwendig, doch verspricht die Entwicklung im Bereich der Elektronik bald verhältnismässig billige und einfach zu bedienende Anlagen. Unabhängig vom Einsatz als legitime Gestaltungsmöglichkeit oder als Mittel zur Verfälschung einer Bildinformation, erfährt die EBV zunehmend Anwendung. Was in der Werbung schon durchaus üblich ist, nämlich die Veränderung oder gar „Komposition“ eines Fotos mittels EBV, um eine gewünschte Aussage beziehungsweise Wirkung zu erzielen, hat denn auch bereits Eingang bei den Informationsmedien gefunden.

C. Durch die technischen Möglichkeiten wächst die Gefahr, dass der Pressefotograf, der Bildjournalist oder der Bildredaktor zunehmend die EBV nutzt, um entweder vorhandenes Bildmaterial so zu bearbeiten, dass es eine andere Wirkung und Aussage als die Originalvorlage erhält, oder um nicht beziehungsweise nur teuer oder unter grossem Aufwand zu beschaffende Fotos künstlich herzustellen. Solche Veränderungen von Originalbildern und Bild-Nachstellungen einer effektiven, angenommenen oder fiktiven Wirklichkeit mittels EBV beginnt bei farblichen Bearbeitungen (Beispiel: „Schönung“ eines Gesichtsteints auf dem Titelfoto) und führt über Montagen (Beispiel: Das in einer Zeitung publizierte Foto von einer geheimgehaltenen Trauung eines Prominenten-Paares wurde aus zwei Einzelfotos hergestellt) bis zur eigentlichen Bildfälschung (Beispiel: Das eine Strassendemonstration dokumentierende Pressefoto zeigte eine Demonstration, die früher am gleichen Ort stattgefunden hatte, wobei der Text eines beim jetzigen Anlass verwendeten Spruchbandes auf ein Spruchband des alten Bildes kopiert wurde), um drei Fälle von Bildmanipulation in schweizerischen Printmedien aus jüngster Zeit zu nennen.

D. Angesichts dieser Aktualität des Problems führte der Presserat des Schweizer Verbandes der Journalistinnen und Journalisten SVJ (vormals Verband der Schweizer Journalisten VSJ) am 12. Juni 1992 im Schulungsraum der Ringier AG in Zofingen ein Seminar zum Thema „Die von der modernen Technik gebotenen und genutzten Möglichkeiten der Bildmanipulation in den Medien und die journalistische Glaubwürdigkeit“ durch. Aus diesem Seminar erwuchs eine Dokumentation zum ganzen Problemkreis sowie ein Vorschlag für eine Stellungnahme des Presserates und eine Ergänzung der geltenden „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“. An der Sitzung des Presserates vom 11. September 1992 in Bern wurde eine ad hoc-Gruppe beauftragt, sowohl eine Stellungnahme wie einen Entwurf für eine Ergänzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ auszuarbeiten, wobei letztere an einer weiteren Plenarsitzung des Presserates als Antrag zuhanden der zuständigen SVJ-Gremien verabschiedet werden soll.

II. Erwägungen

1. Das Pressefoto – ebenso wie das bewegte Bild (TV, Film, Video) oder die Tonaufnahme, bei denen sich hinsichtlich Manipulation die gleiche Problemstellung ergibt – besitzt einen hohen journalistischen Stellenwert als „Abbildung der Wirklichkeit“, selbstverständlich unter Berücksichtigung der Subjektivität bei der Wahrnehmung und bei der fotog
rafischen Umsetzung dieser Wirklichkeit durch den Pressefotografen. Das Pressefoto vermittelt Authentizität;;; man geht bei der Bildinformation von einer gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort erhöhten Beweiskraft aus. Dementsprechend ist die Glaubwürdigkeit der Bildinformation gefährdet, wenn deren Manipulierbarkeit nicht bloss möglich ist und immer perfekter wird, sondern auch zunehmend mit ihr gerechnet werden muss.

2. Jede Manipulation eines Pressefotos, die im Sinn der Täuschung des Lesers erfolgt, schmälert die Glaubwürdigkeit der Informationsmedien und des Journalisten in deren Verpflichtung, sich an die Wahrheit zu halten (gemäss Art. 1 der „Erklärung der Pflichten des Journalisten“). Die berufsethischen Anforderungen an den Pressefotografen, Bildjournalisten und Bildredaktor sind angesichts des Stellenwertes des Pressefotos als authentische Abbildung einer Wirklichkeit besonders hoch. Der Leser muss sich der Unverfälschtheit (auch) der Bildinformation sicher sein können.

III. Feststellungen

Aufgrund des ausgeführten Sachverhaltes und obiger Erwägungen hält der Presserat fest:

1. Bildmanipulationen, die fotografische Originalvorlagen im Sinn einer Veränderung von deren Aussagen verfälschen beziehungsweise als „Retortenfotos“ den Betrachter irreführen, weil dieser eine Abbildung der „Wirklichkeit“ vor sich zu haben glaubt, stellen grundsätzlich eine Verletzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ dar. In deren Art. 3 heisst es: „Er (der Journalist) …entstellt weder Tatsachen und Dokumente (…)“. In Ziff. 4 wird zudem postuliert: „Er bedient sich bei der Beschaffung von Informationen, Fotografien und Dokumenten keiner unlauteren Methoden.“ Bildmanipulationen lassen sich durchaus als „Entstellung von Tatsachen und Dokumenten“ bezeichnen, Bildverfälschungen und „Retortenfotos“ als „unlautere Methode bei der Beschaffung von Fotografien“ verstehen.

Zur Verdeutlichung der Anwendbarkeit der geltenden berufsethischen Bestimmungen auch auf die Bildmanipulation behält sich der Presserat vor, dem Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten eine diesbezügliche Ergänzung von Art. 3 und 4 der „Erklärung der Pflichten des Journalisten“ vorzuschlagen.

2. Fotobearbeitungen und Bildmontagen sind bei deren Publikation ausdrücklich als solche zu bezeichnen.

3. Die Fotografen der Originalvorlagen, die für eine Bildbearbeitung oder -montage verwendet werden, sind um ihr Einververständnis zur ihnen vorzulegenden Form einer Bildbearbeitung oder -montage anzugehen.

4. Der/die Urheber der Originalvorlage(n) sowie der Verantwortliche für die Bildbearbeitung oder -montage sind bei deren Publikation zu nennen.

5. Der/die Urheber der Originalvorlage(n) sind wie für eine Veröffentlichung seines/ihres unbearbeiteten Originals zu honorieren.