Nr. 29/2002
Sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Stiftung Schweizerische Patienten-Organisation c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 16. Mai 2002

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I. Sachverhalt

A. Das «St. Galler Tagblatt» vom 11. Januar 2002 berichtete wie andere Medien über Anschuldigungen der Schweizerischen Patienten-Organisation (SPO) gegen Chefarzt Jochen Lange von der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals St. Gallen. Danach hatte Lange am 2. Februar 1999 nicht weniger als 13 Patienten operiert, davon 11 Privatpatienten. Die Vorwürfe stützten sich auf einen Operationsplan, welcher der SPO aus dem Spital zugespielt worden war. Sie gingen dahin, dass es Lange nicht möglich gewesen sei, so viele teils komplizierte Operationen selbst vorzunehmen oder verantwortlich zu leiten; mithin seien besonders die Privatpatienten getäuscht worden, weil diese davon ausgingen, der Chefarzt operiere sie eigenhändig.

B. In der Folge erschienen am 16., 19. und 25. Januar 2002 sowie am 1. Februar 2002 im «St. Galler Tagblatt» 23 Leserbriefe zum Fall. Sie wandten sich mit einer Ausnahme gegen die SPO respektive deren Präsidentin Margrit Kessler und ergriffen Partei für Professor Lange. Abgeschlossen wurden die Meinungsäusserungen im «Tagblatt» vom 21. Februar 2002 in der Rubrik Dialog: Hier erschien der ausführliche Brief einer Leserin im Namen des Frauenforums Wil, welche die Berichterstattung des «St. Galler Tagblatts» zwar heftig, aber sachlich kritisierte und als einseitig brandmarkte: Das «Tagblatt» habe seiner Leserschaft eine Stellungnahme des Vereins der Leitenden Spitalärzte der Schweiz (VLSS), welche die Kritik der SPO stützte, vorenthalten. Und in der Folge eine «beispiellose Leserbriefkampagne gegen die Präsidentin der Patientenorganisation losgetreten». Die Häufung der Briefe gleicher Meinung und ähnlichen Stils entspreche auch nicht den hauseigenen Richtlinien des «Tagblatts» für Leserbriefe. «Tagblatt»-Chefredaktor Gottlieb F. Höpli antwortete in der gleichen Dialog-Rubrik kürzer, aber ebenso pointiert: Die Stellungnahme der Leitenden Spitalärzte habe seine Zeitung erst auf Anfrage von der Patienten-Organisation erhalten. Das «Tagblatt» habe durchaus über die Vorwürfe berichtet, allerdings ohne die «Optik» der SPO zu übernehmen. Sein Blatt habe keine «giftige Hetzkampagne» gegen die SPO-Präsidentin betrieben. Höpli erkennt zum Schluss in den Aktivitäten der SPO und ihrer Präsidentin gegen Lange «deutliche Züge einer Kampagne» und fragt nach den Motiven: «Vor allem dann, wenn es sich um den früheren Arbeitsplatz der Präsidentin handelt, den sie unter für sie nicht durchwegs erfreulichen Begleitumständen verliess, sowie um den früheren Vorgesetzten und Chefarzt-Kollegen ihres Ehemanns.» Frau Kessler wäre deshalb besser in den Ausstand getreten, anstatt den gegenteiligen Weg zu wählen.

C. Mit Schreiben vom 28. Februar 2002 reichte die Stiftung Schweizerische Patienten-Organisation (nachfolgend: SPO) eine Beschwerde gegen das «St. Galler Tagblatt» und dessen Chefredaktor Gottlieb F. Höpli beim Schweizerischen Presserat ein. Darin fasste die SPO die Antwort Höplis auf den Brief des Frauenforums Wil ins Auge; Höpli habe darin mehrfach gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen. Und zwar wie folgt:

a) Gegen Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht), indem eine Redaktorin am «St. Galler Tagblatt» entgegen Höplis Behauptung bereits seit dem 23. Januar 2002 im Besitz des für Lange kritischen Briefs des Vereins der Leitenden Spitalärzte gewesen sei. Zudem habe die Redaktion durch einen Artikel, den ihr ein freier Journalist am Vortag ihrer eigenen Publikation erfolglos angeboten hatte, von der Stellungnahme des VLSS, des Fachverbands der Chefärzte, gewusst. Unwahr sei auch, dass das «Tagblatt» nur einen Leserbrief gegen Lange erhalten habe. Die SPO nannte drei weitere Schreiben gegen Lange, die nicht veröffentlicht worden seien.

b) Gegen die Ziffern 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen unterlassen) und 5 (Berichtigungspflicht), indem Höpli ohne jede Recherche von unerfreulichen Begleitumständen gesprochen habe, unter denen die jetzige SPO-Präsidentin ihren damaligen Arbeitsplatz am sanktgallischen Kantonsspital verlassen habe. Dem widersprächen die positiven beigelegten Arbeitszeugnisse, sowohl das offizielle wie das persönlich gehaltene eines früheren Chefarztes.

c) Gegen die Ziffern 1, 3 (keine wichtigen Informationselemente unterschlagen noch Tatsachen entstellen) und 7, indem Chefredaktor Gottlieb F. Höpli behauptet habe, der Ehemann der SPO-Präsidentin sei Chefarzt Lange im Kantonsspital St. Gallen unterstellt gewesen. Höpli habe damit suggeriert, der Ehemann Kessler habe mit Lange Schwierigkeiten gehabt und damit ebenfalls ein persönliches Motiv für die angebliche Kampagne gegen Lange. Die Unterstellung eines solchen Motivs sei noch krasser als im Fall der Präsidentin. Dabei sei der Ehemann Kessler seit 1985 Chefarzt am Spital Altstätten, habe Lange später sogar motiviert, sich in St. Gallen zu bewerben, sei diesem folglich nie unterstellt gewesen und habe sich nie um Langes Posten beworben.

d) Gegen die Ziffern 3 und 7, indem Gottlieb F. Höpli behauptet habe, Frau Kessler hätte in den Ausstand treten müssen, und dabei unterschlage, dass die Präsidentin der SPO genau das ja ausdrücklich getan habe. Sie habe sich nie geäussert, ihre Organisation habe zwei andere Gesprächspartner für die Medien benannt.

D. Am 18. April 2002 nahm Gottlieb F. Höpli zur Beschwerde Stellung. Er verwahrte sich dagegen, sein Blatt habe eine «Hetzkampagne» gegen die SPO-Präsidentin «organisiert» und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzulehnen. Das «Tagblatt» habe Quellen verwendet, welche die Kritik der SPO breit referierten. Und natürlich beim massiv Angeschuldigten, Lange, recherchiert, aber auch ein, unergiebiges, Telefonat mit Frau Kessler geführt. In Bezug auf den gewichtigen Brief des VLSS machte Höpli geltend, die fragliche Redaktorin habe ihm versichert, den Brief nicht erhalten zu haben, eventuell sei er wegen ihrer Ferienabwesenheit auch fehlgeleitet worden.

Zu den Leserbriefen hielt der Chefredaktor fest, sie trügen nicht den Charakter einer orchestrierten Kampagne. Neben den 22 abgedruckten «pro Lange» (und dem einen «contra Lange») habe das «Tagblatt» 14 weitere pro und einen contra Prof. Lange erhalten, aber nicht abgedruckt. Zu den drei von der SPO genannten Contra-Briefen schrieb Höpli, beim einen habe es sich nur um einen Telefonanruf gehandelt, beim zweiten mit massiven Vorwürfen an Lange sei ein juristisches Nachspiel zu befürchten gewesen, der dritte habe teils wörtlich die gleichen Argumente enthalten wie jener des Frauenforums Wil, den er abgedruckt und beantwortet habe.

Chefredaktor Höpli konzedierte, seine Formulierung «sowie um den früheren Vorgesetzten und Chefarzt-Kollegen ihres Ehemanns» sei missverständlich gewesen. Er habe den Vorgesetzten von Frau Kessler (Lange) und nicht den ihres Mannes gemeint. Ein Komma, gesetzt nach Vorgesetzten, und «die Sache wäre grammatikalisch völlig klar gewesen».

Bezüglich «der nicht durchwegs erfreulichen Begleitumstände», unter denen Frau Kessler ihren Arbeitsplatz verlassen habe, hält Gottlieb F. Höpli an seiner «zurückhaltenden» Formulierung fest. Natürlich habe er recherchiert, auch wenn die Beschwerde anderes behaupte. Als Ergebnis referierte Höpli, dass das Vertrauensverhältnis ihrer Chefs zu Frau Kessler erheblich gestört gewesen sei.

Höpli bestreitet, dass Margrit Kessler aus eigenem Antrieb den Weg des Ausstands gewählt habe. Vielmehr habe ihr die Präsidentin des Bezirksgerichts Rorschach verboten, «die Vorwürfe gegen Prof. Lange weiter zu verbreiten».

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde
an ihrer Sitzung vom 16. Mai 2002 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Schweizer Presserat äussert sich im folgenden nicht zu den medizinisch-technischen Fragen rund um Chefarzt Langes Rolle im Operationssaal. Den Fachstreit, ob der Chirurg Lange im OP zuviel oder zuwenig des Guten getan hat, will und kann der Presserat nicht entscheiden. Der Presserat prüft nur, inwieweit die Berichte im «St. Galler Tagblatt» die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt haben.

2. Im Kern dreht sich die Beschwerde um die wenigen Zeilen in Punkt 4 von Chefredaktor Höplis Antwort auf den Leserbrief des Frauenforums Wil. Hier nimmt Höplis Text ganz kommentierenden, wertenden Charakter an, ohne freilich als Kommentar deklariert zu sein. Trotzdem hat der Presserat bei der Beurteilung der Beschwerde berücksichtigt, dass Kommentar und Kritik möglichst grosse Freiheit geniessen sollen. Klar ist auch, dass hier Chefredaktor Höpli seine Meinung und seine Wertung zum Ausdruck bringt. Das wird dadurch unterstrichen, dass Gottlieb F. Höpli die Leser im Bild anblickt.

3. Was bei der Beurteilung der Beschwerde ins Gewicht fällt, ist der Gesamteindruck der Berichterstattung im «St. Galler Tagblatt». Denn der Generalvorwurf der Beschwerde lautet, das «Tagblatt» habe einseitig zugunsten Langes und zuungunsten Kesslers berichtet. Der Presserat kommt zum Schluss, die Berichterstattung im «St. Galler Tagblatt» mache auf den unbefangenen Leser nicht den Eindruck, sie gebe einer Seite Recht. Zwar ist der Bericht vom 11. Januar 2002, den die SPO als einseitig bezeichnet, gegenüber Prof. Lange weniger kritisch als etwa der Bericht in der «Basler Zeitung» vom gleichen Tag. Aber auch die Leserschaft des «Tagblatts» erfährt, wenn auch nicht sehr detailliert, von den Vorwürfen gegen Lange. Allerdings fehlen im Gegensatz zur «Basler Zeitung» die gewichtigen kritischen Einwände und Fragen des Vereins der Leitenden Spitalärzte der Schweiz. Sie werden, knapp resümiert, erst mit dem Lange-kritischen Leserbrief des Frauenforums Wil vom 21. Februar 2002 nachgeliefert.

4. In diesem Zusammenhang moniert die Schweizerische Patienten-Organisation, die Zeitung habe keine weiteren Recherchen angestellt, auch nicht bei ihr. Dieser Vorwurf fällt allerdings auf die Beschwerdeführerin zurück. Denn die SPO selbst hat dazu beigetragen, dass ihre Sicht der Dinge nur wenig in den «Tagblatt»-Bericht vom 11. Januar 2002 einfloss, indem sie den von der Redaktion mit dem Bericht Betrauten ablehnte, weil er in einem früheren Fall um Chefarzt Lange «sehr tendenziös und einseitig» berichtet habe. Dass das «St. Galler Tagblatt» nicht auf das «Angebot» der SPO einging, einen anderen Journalisten zu informieren, kann der Presserat nachvollziehen. Denn jede Redaktion, die etwas auf sich hält, lehnt es ab, sich vorschreiben zu lassen, wer berichtet oder zum Interview erscheint. Redaktionen gehen auf solch ein Ansinnen nur in seltenen Ausnahmefällen und nach reiflicher Güterabwägung ein.

5. Auch wenn das «Tagblatt» also der Sicht Langes und des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen zuneigt, begründet sich daraus noch keine Verletzung des Ehrenkodex der Schweizer Medien. Denn gemäss ständiger Praxis des Presserats sind auch scharf kritisierende, pointierte, ja einseitige und parteiergreifende Berichte berufsethisch erlaubt, sofern sich die kommentierenden, wertenden Passagen auf Fakten stützen und sich die Leserschaft eine eigene Meinung bilden kann (vgl. die Stellungnahmen 12/98 i.S. M. c. «Neue Luzerner Zeitung», vom 17/2000 i.S. D. c. «Weltwoche», 30/2001 i.S. B. c. «Neue Zürcher Zeitung», und 31/2001 2001 i.S. Heimstättengenossenschaft Winterthur c. «Der Landbote»).

6. Während die Beschwerdeführerin allgemein die Einseitigkeit des «Tagblatts» beklagt, sieht sie die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» konkret in der Antwort von Chefredaktor Höpli auf den Leserbrief aus Wil verletzt. Die Darstellung folgt in Bezug auf die gerügten Verletzungen der gleichen Systematik wie im Sachverhalt:

a) Die Ziffer 1 der «Erklärung», die den Journalisten zur Wahrheit verpflichtet, sei verletzt, weil Höpli behaupte, das «Tagblatt» habe den Brief der Leitenden Spitalärzte von der Beschwerdeführerin erst auf Anfrage erhalten; dabei sei er dem «Tagblatt» mit dem normalen Medienversand vom 21. Januar 2002 zugestellt worden. Der Beschwerdegegner besteht darauf, die fragliche Redaktorin habe den Brief nicht erhalten oder er sei fehlgeleitet worden. Hier steht Aussage gegen Aussage und es ist dem Presserat nicht möglich, festzustellen, wer Recht hat und wo die Wahrheit liegt.

Als unwahr bezeichnet die SPO zudem, dass Höpli nur von einem, abgedruckten, Leserbrief gegen Lange schreibt. Die SPO nennt drei weitere. Die Differenz löst sich auf, weil die eine Meinungsäusserung laut Beschwerdegegner nur am Telefon erfolgte, ein Brief nicht gedruckt wurde, wofür der Beschwerdegegner journalistisch achtbare juristische Gründe anführt, und der dritte vom 6. Februar 2002 datiert, also nach dem Zeitpunkt, worauf sich Höplis Bilanz der Leserbriefe in seiner «Antwort» bezog: Am 1. Februar waren 22 Pro-Briefe und 1 contra abgedruckt. Nicht abgedruckt war der gemäss Chefredaktor Höpli juristisch fragwürdige. Insgesamt hat das «Tagblatt» von vier Lange-kritischen Briefen deren 2 publiziert, den zweiten prominent und in extenso in der Rubrik Dialog, allerdings gekontert von Gottlieb F. Höplis Replik.

Grundsätzlich aber ist der Streit um die Zahl der Leserbriefe für die Beurteilung der Beschwerde unerheblich. Denn eine Redaktion kann unter berufsethischen Gesichtspunkten frei über Abdruck oder Nichtabdruck von Leserbriefen entscheiden. Darauf hat der Presserat in einer Vielzahl von Entscheiden hingewiesen (vgl. etwa die Stellungnahme vom 16. Mai 2000 i.S. Oui à la vie c. «La Liberté» mit weiteren Verweisen und jene vom 1. März 2001 i.S. F. c. «Basler Zeitung», Sammlung 2001, S. 106ff.). Das «St. Galler Tagblatt» war also nicht zum Abdruck von Leserbriefen verpflichtet – weder pro noch contra; die Redaktion hat hiermit ihre berufsethische Pflicht nicht verletzt.

Insgesamt sieht der Presserat hier die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) nicht verletzt. Allerdings wäre es aus Sicht der Leserschaft wünschbar gewesen, wenn der «Tagblatt»-Artikel vom 11. Januar 2002 den für die Kritik an Lange zentralen Bericht des VLSS referiert hätte. Unter dem Gesichtspunkt des Fairnessprinzips wirft zudem die Einleitung zur Replik des «St. Galler Tagblatts» auf den Leserbrief des Frauenforums Fragen auf. Die abqualifizierende Bemerkung, der Leserbrief enthalte «Verdächtigungen der gröberen Art» lässt die Publikation des Briefs und Höplis Antwort wie einen Gnadenerweis aussehen. Da dies nicht ausdrücklicher Gegenstand der Beschwerde ist, tritt der Presserat jedoch nicht näher auf diesen Punkt ein.

b) Die Beschwerdeführerin sieht sodann die Ziffern 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen unterlassen) und 5 (Berichtigungspflicht) verletzt, wo Chefredaktor Höpli von den für Margrit Kessler «nicht durchwegs erfreulichen Begleitumständen» spricht, unter denen sie ihren damaligen Arbeitsplatz am Kantonsspital St. Gallen verlassen habe. Die Beschwerdeführerin sagt, diese «Verdächtigung» erfolge ohne Recherche, sei sachlich falsch und sie belegt das mit zwei Arbeitszeugnissen. Der Beschwerdegegner hält dagegen, er habe sehr wohl recherchiert. Seine Gespräche mit Informierten hätten ergeben, dass seine «zurückhaltende Formulierung» faktisch fundiert sei.

Der Presserat kann sich auch hier nicht abschliessend zu diesem zwischen den Parteien umstrittenen Sachverhalt äussern. Hingegen kann er die Wirkung der im «Tagblatt» gedruckten Passage von den «nicht durchwegs erfreulichen Begleitumständen» auf die Leserschaft beurteilen. Ohne Zweifel legt dieser Schlenker dem Leser, der Leserin nahe, dass Margrit Kessler von Ranküne und R
essentiment gegenüber ihrem Ex-Vorgesetzten Lange getrieben sei. Die Formulierung greift Kessler in ihrer beruflichen und privaten Sphäre an. Der Presserat hält diese Passage im Schlussabschnitt von Höplis Text deshalb für unfair und heikel, weil sie eben nur andeutet und insinuiert, aber nicht handfest belegt und ausführt. Die Formulierung leistet weiteren Verdächtigungen Vorschub, ohne die Leserschaft materiell darüber zu informieren. Wenn Gottlieb F. Höpli solche Verdächtigungen in den Raum stellt, hätte er zudem dazu auch Margrit Kessler anhören und zu Wort kommen lassen müssen.

Der Presserat qualifiziert diese Passage deshalb im Ergebnis als «sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung». Das «St. Galler Tagblatt» hat damit Ziffer 7 des beruflichen Kodex verletzt.

c) Die Beschwerde sieht im gleichen Abschnitt von Höplis Text die Ziffern 1, 3 (keine Informationen unterschlagen oder Tatsachen entstellen) und 7 verletzt. Hier geht es um den Ehemann der SPO-Präsidentin Kessler. Der Text wird so verstanden, dass der Ehemann, selber Chefarzt, früher Chefarzt Lange unterstellt gewesen sei. Der Beschwerdegegner gibt zu, seine Formulierung sei missverständlich. Er wischt aber den Vorwurf der Beschwerdeführerin, hier werde suggeriert, der Ehemann der Präsidentin habe mit seinem Vorgesetzten Lange Schwierigkeiten gehabt und gehe nun via seine Ehefrau gegen ihn vor, mit leichter Hand vom Tisch, indem er meint, mit dem Setzen eines Kommas nach dem Wort «Vorgesetzten» wäre «die Sache grammatikalisch völlig klar» gewesen. Nun, das Komma stand eben nicht, und die Leserschaft konnte eben durchaus den Eindruck gewinnen, das Ehepaar Kessler habe hier persönliche Gründe, um Lange anzuschwärzen. Die inkriminierte Formulierung verliert zudem mit dem alleinigen Setzen eines Kommas entgegen Höplis Meinung nicht jede Zweideutigkeit. Der Presserat stellt deshalb in diesem Punkt eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung» fest.

d) Schliesslich verstösst Gottlieb F. Höplis Text gemäss Beschwerde dort gegen die Ziffern 3 (Pflicht zur vollständigen Information, keine Tatsachen entstellen) und 7 (ungerechtfertigte Anschuldigungen unterlassen), wo es um den Ausstand der SPO-Präsidentin in der Causa Lange geht. Die Beschwerdeführerin insistiert glaubwürdig, ihre Präsidentin sei in den Ausstand getreten. Zwei entsprechende Mitteilungen der SPO an die Medien vom 21. Januar 2002 und 8. Februar 2002 belegen das auch. Zudem überliess die Präsidentin Medienauftritte und öffentliche Stellungnahmen offensichtlich anderen Personen ihrer Organisation. Ob Margrit Kessler dabei aus eigenem Antrieb in den Ausstand getreten ist, wie die SPO in ihrer Beschwerdebegründung schreibt oder ob sie nur die superprovisorische Verfügung des Bezirksgerichts Rorschach zu diesem Schritt zwang (wie die SPO selbst in der Medienmitteilung vom 21. Januar 2002 schreibt), ist für die Beurteilung der Beschwerde letztlich nicht entscheidend. Die Beschwerde rügt, Chefredaktor Höpli unterschlage, dass die Präsidentin im Ausstand sei. Tatsächlich schreibt Höpli eindeutig, es hätte «für Frau Kessler von Anfang an nur eine glaubwürdige Lösung gegeben: den Ausstand. Sie hat leider den gegenteiligen Weg gewählt.» Das ist in dieser absoluten Form offensichtlich falsch, besonders auch, dass sie gerade das Gegenteil getan habe, als in den Ausstand zu treten. Der Beschwerdegegner hat diesem Vorwurf denn auch wenig entgegenzusetzen. Er verweist darauf, dass Margrit Kessler nicht aus eigenem Antrieb im Ausstand sei. Zudem habe sie sich «mindestens an einem Ort noch weiter zur Sache geäussert». Sein Beleg, die «Basler Zeitung» vom 11. Januar 2002, schreibt ein Zitat zwar Margrit Kessler persönlich zu. Es ist allerdings fast wortwörtlich identisch damit, wie des Beschwerdegegners eigenes Blatt gleichentags ein Schreiben der SPO zitiert. Sehr wahrscheinlich ist die Quelle für beide Zitate das gleiche Schreiben der Patienten-Organisation.

Im Ergebnis liegt hier eine Verletzung der Ziffern 3 und 7 der «Erklärung» vor, indem Chefredaktor Höpli sachlich falsch schreibt, die Präsidentin der SPO sei nicht nur nicht in den Ausstand getreten, sondern habe genau das Gegenteil getan.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird weitgehend gutgeheissen.

2. Das «St. Galler Tagblatt» hat die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem sein Chefredaktor Gottlieb F. Höpli in einer Replik auf einen Leserbrief von «nicht durchwegs erfreulichen Begleitumständen» schrieb, unter denen die Präsidentin der Schweizerischen Patienten-Organisation einen früheren Arbeitsplatz verlassen habe, ohne das materiell zu belegen und die Angegriffene dazu zu befragen und zu Wort kommen zu lassen.

3. Das «St. Galler Tagblatt» hat die Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung» verletzt, weil sein Chefredaktor den Chefarzt Lange fälschlicherweise als früheren Vorgesetzten des Ehemanns der SPO-Präsidentin bezeichnete. Chefredaktor Höpli legte damit der Leserschaft nahe, auch beim Ehemann persönliche Motive anzunehmen, die hinter den Aktionen der SPO stehen.

4. Der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt» hat die Ziffern 3 und 7 der «Erklärung» in den beiden Schlusssätzen seiner Replik verletzt. Dort behauptet er sachlich falsch, die Präsidentin der Schweizerischen Patienten-Organisation befinde sich im Fall Lange nicht im Ausstand.