Nr. 4/2007
Respektierung der Privatsphäre

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 16. März 2007

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I. Sachverhalt

A. Am 19. Dezember 2005 titelte der «Blick»: «Sado-Maso-Krach. Ex-Pfarrer stellt Grosi (73) auf die Strasse». Katia Murmann berichtete auf den Seiten 8 und 9 der gleichen Ausgabe, die 73-jährige S. werde aus ihrer Wohnung in Maur ZH hinausgeworfen, weil sie einem «Sado-Maso-Nachbarn» auf die Spur gekommen sei. Per Zufall habe sie auf dem gemeinsamen Estrich einen dem Nachbarn gehörenden Ordner mit Fotos von «Sado-Maso-Spielen, Peitschenschlägen und Fetischpartys» gefunden. Als sie sich an den Gemeindepräsidenten und die örtliche Pfarrerin gewendet habe, sei sie auf eine Mauer des Schweigens gestossen. Stattdessen sei dann ihre Wohnung wegen Hausfriedensbruch von der Polizei durchsucht und der besagte Ordner beschlagnahmt worden. Kurz darauf habe die Hausverwaltung im Auftrag der Vermieterschaft nicht etwa dem Nachbarn gekündigt, «der andere mit lauter Musik belästigt und mit Mädchen Sado-Maso-Spiele treibt, sondern der alten Dame». Vermieter sei eine Erbengemeinschaft, darunter das Ehepaar X. (Die richtige Vornamen und der Buchstabe des Nachnamens wurden im Artikel genannt). «Er ist ausgerechnet ein Ex-Pfarrer, sie gibt Bibelunterricht». Gegenüber der Zeitung «sagt Vermieter X., der Ex-Pfarrer: ‹Es ging um den Mitmieterschutz. Und es gab eindeutig ein Potenzial der Bedrohung.› (…) S. hat mehrmals das Gespräch mit den Vermietern gesucht. Ohne Erfolg. Eine Anwältin erstreitet eine Fristerstreckung. Bis Ende 2006 kann sie in ihrer Wohnung bleiben. Immerhin. Eine neue Bleibe hat (…) S. bisher nicht gefunden.»

B. Am 1. August 2006 gelangte der betroffene Vermieter X. mit einer Beschwerde gegen den Artikel vom 19. Dezember 2005 an den Presserat. Der Bericht von Katia Murmann stelle einseitig auf die Sichtweise der betroffenen Mieterin ab. Die Journalistin unterschlage die früheren Vorkommnisse, Auseinandersetzungen und Konflikte der Mieterin mit Mitbewohner/innen und bausche die Angelegenheit mit dem blauen Ordner zum Hauptgrund der Kündigung auf. Dies obwohl er der Journalistin vor der Publikation am Telefon klar dargelegt habe, dass die Mieterin nicht deshalb, sondern wegen fehlender Rücksichtnahme und vorhandenem Aggressionspotential nicht mehr tragbar sei.

«Blick» unterschlage zudem die massgebliche Rolle der involvierten professionellen Hausverwaltungsfirma, auf deren Fachkompetenz sie sich als Laien verlassen hätten. Das Urteil der Mietschlichtungsstelle werde nur am Rande und verfälscht erwähnt. Dabei hätte darauf hingewiesen werden müssen, dass die Mieterschaft den Schiedsspruch und damit die Kündigung trotz anwaltlicher Vertretung akzeptiert habe. «Blick» habe auch unterschlagen, dass Vermieter in bestimmten Fällen bei Auseinandersetzungen unter verschiedenen Mietern rechtlich gezwungen seien, zu intervenieren.

Nach der Publikation habe die Zeitung weder eine von ihm geforderte Gegendarstellung abgedruckt noch wenigstens die gröbsten Fehler berichtigt. Schliesslich würden im Artikel er und seine Ehegattin mit vollem Vornamen und dem ersten Buchstaben des Nachnamens erwähnt. Ein so bezeichnetes Ehepaar in Kombination mit den relativ selten vorkommenden Berufstätigkeiten «Bibelunterricht» und «Pfarrer» lasse eine Identifikation zu, die über das engere Umfeld hinausgehe. In seiner früheren Pfarrgemeinde im Knonaueramt und im Nachbardorf, aus der seine Ehegattin stamme, seien sie aufgrund des Berichts problemlos identifizierbar. Seine aktuelle Tätigkeit werde im Bericht bezeichnenderweise nicht erwähnt. Die angeführte Pfarrer-Tätigkeit liege 17 Jahre zurück; erst 10 Jahre nach deren Aufgabe sei er im Zusammenhang mit einer Erbschaft in die Position als Vermieter gerückt. Insgesamt habe «Blick» mit dem beanstandeten Bericht die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung von Tatsachen), 7 (Respektierung der Privatsphäre) und 8 (Respektierung der Menschenwürde/Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.

D. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 9. März 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer leitet aus der Pflicht zur Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1 zur «Erklärung») eine Pflicht der Journalistinnen und Journalisten zu «objektiver» Berichterstattung und umfassender Sachverhaltsklärung ab. Dies verneint der Presserat jedoch in ständiger Praxis und weist im Gegenteil darauf hin, dass die Berufsethik auch eine einseitige, parteiergreifende Berichterstattung zulässt, sofern Betroffene vor der Publikation von schweren Vorwürfen angehört werden und der Medienbericht ihre Stellungnahme zumindest kurz wiedergibt.

b) Zwar ist für den Presserat nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer angesichts des zwischen den Parteien des Mietverhältnisses äusserst umstrittenen Sachverhalts an der einseitigen Übernahme des Standpunkts der Mieterin Anstoss nimmt. Immerhin hat die Journalistin aber vor der Publikation des Berichts mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufgenommen, und ist dessen Kündigungsbegründung – «Verstösse gegen die Hausordnung»; «Nichtbefolgen der Anweisungen» sowie «Es ging um den Mitmieterschutz. Und es gab eindeutig ein Potenzial der Bedrohung» – darin enthalten. Trotz der sehr einseitigen Darstellung des «Blick» steht damit im Ergebnis letztlich Behauptung gegen Behauptung.

Die deutliche Parteinahme für das 73-jährige «Grosi» ist der Zeitung ungeachtet davon unbenommen, ob diese Bewertung der Fakten als angemessen erscheint oder nicht. Ebenso wenig ist es entscheidend, dass sich die vermietende Erbengemeinschaft durch eine professionelle Hausverwaltung hat vertreten lassen. Denn es ist ohne weiteres zulässig, deren Handlungen im Rahmen einer kommentierenden Bewertung der Ereignisse dem Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers zuzurechnen. Und ebenso wenig verstösst der Bericht gegen Ziffer 3 der «Erklärung», wenn er kommentierend festhält, eine Anwältin habe für die Mieterin eine Erstreckung des Mietverhältnisses erstritten. Aus den vom Beschwerdeführer dem Presserat eingereichten Unterlagen geht hervor, dass die Mieterin die Kündigung des Mietverhältnisses mit Unterstützung einer Anwältin bei der Schlichtungsstelle als ungültig anfocht und dass die Parteien in der Folge eine Erstreckung vereinbarten. Die Bewertung dieses Vorgangs als «Erstreiten» ist durch die Kommentarfreiheit offensichtlich gedeckt.

Schliesslich kann aus der eine Woche vor Weihnachten erfolgten polemischen Gegenüberstellung zwischen der ehemaligen Tätigkeit des Beschwerdeführers als Pfarrer und dessen angeblich «unchristlichen» Handlungen als Vermieter weder eine Verletzung der Menschenwürde des Betroffenen noch eine Diskriminierung der christlichen Glaubensrichtung abgeleitet werden. Letztere ist in ihrer Gesamtheit durch den Artikel nicht betroffen. Und der Beschwerdeführer wird zwar für die angebliche «unchristliche» Kündigung hart kritisiert, jedoch nicht in seinem Menschsein herabgewürdigt.

2. Näher zu prüfen ist hingegen der vom Beschwerdeführer erhobene (Haupt-)Vorwurf der ungerechtfertigten identifizierenden Berichterstattung. Gestützt auf Ziffer 7 der «Erklärung» (Respektierung der Privatsphäre) hat der Presserat in ständiger Praxis festgehalten, dass – vorbehältlich von eng begrenzten Ausnahmen nicht nur eine namentliche, sondern generell eine identifizierende Berichterstattung zu unterlassen ist. Die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» hält entsprechend fest, dass «Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich wed
er Namen nennen, noch andere Angaben machen, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden». Die Richtlinie 7.6 nennt zudem auch die Voraussetzungen, die eine identifizierende Berichterstattung ausnahmsweise rechtfertigen. Eine solche Ausnahme ist vorliegend nicht ersichtlich. Zu prüfen ist damit einzig, ob die Redaktion des «Blick» davon ausgehen musste, dass die im Bericht vom 19. Dezember 2005 enthaltenen Angaben eine Identifikation des Beschwerdeführers über sein engstes Umfeld hinaus ermöglichen würde.

Diese Identifikationsgefahr zumindest erhöht hat die Nennung des Vornamens und des ersten Buchstabens des Nachnamens des Beschwerdeführers. Selbst wenn dies für sich allein noch keine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» begründet, erinnert der Presserat an seine Empfehlung (vgl. bereits die Stellungnahmen 3 und 7/1994), nach Möglichkeit auf entsprechende Angaben zu verzichten und stattdessen beispielsweise ein Pseudonym zu verwenden. Dies hätte die Erkennbarkeit der im Medienbericht Kritisierten noch einmal wesentlich reduziert. Vorliegend lag aber nach Auffassung des Presserates trotz dieser unnötigen Angabe sowie derjenigen des ehemaligen Berufes des Beschwerdeführers und der Tätigkeit seiner Ehefrau eine Identifizierung nicht nahe. Die Eigentumsverhältnisse an einer Mietliegenschaft in einem Zürcher Vorort dürften in der Regel kaum einem weiteren Kreis bekannt sein. Rückschlüsse auf die Kritisierten lassen sich zudem insbesondere dann kaum machen, wenn sie nicht am gleichen Ort wohnen. Und schliesslich liegt die frühere berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Pfarrer bereits 17 Jahre zurück und wurde zudem auch nicht am Standort der Liegenschaft ausgeübt. Die Identifikation des Beschwerdeführers aufgrund der im Artikel enthaltenen Angaben über sein engeres familiäres, soziales oder berufliches Umfeld hinaus erscheint unter diesem Umständen als unwahrscheinlich.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick» hat die Ziffern 1, 3, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.