Nr. 10/2017
Recherchegespräch / Wahrheit / Berichtigen

(Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien c. «Schweiz am Sonntag»)

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Zusammenfassung

Die «Schweiz am Sonntag» publizierte Ende August 2016 einen Bericht mit dem Titel «Der Bösewicht ist weg». Darin beschrieb die Zeitung die Reaktion des Rohstoffkonzerns Glencore auf Kritik an den Zuständen in Kohleminen in Kolumbien. Glencore zeige sich nun transparent und überrumple damit die Kritiker. Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) ziehe nach zwei Reisen mit Kritikern nach Kolumbien trotzdem eine negative Bilanz. Der Artikel hingegen kommt zum Schluss, die Bilanz von Glencores Verhalten in Kolumbien sei zwar durchzogen, mangelnde Transparenz könne man dem Konzern jedoch für einmal nicht vorwerfen.

Gegen den Bericht wehrte sich die ASK mit einer Beschwerde vor dem Schweizer Presserat. Die «Schweiz am Sonntag» habe die Hauptargumente der ASK unterschlagen und einseitig über angebliche Fortschritte in den durch den Kohleabbau betroffenen Indio-Gemeinden berichtet. Zudem habe die ASK ihre Aussagen nicht autorisieren können.

Der Presserat kommt zum Schluss, dass die «Schweiz am Sonntag» korrekt berichtet hat. Der Autor des Artikels hatte die ASK vorgängig über den geplanten Artikel informiert und präzise Fragen gestellt. Er hielt die Regeln zu Recherchegesprächen ein. Beim Kernthema des Artikels – der Frage, ob sich die Lage in den Indio-Gebieten wirklich verbessert hat – sind sich Autor und ASK nicht einig, es steht Aussage gegen Aussage. Der Autor hat jedoch die Haltung beider Seiten korrekt dargestellt und keine wichtigen Informationen unterschlagen. Der Presserat weist daher die Beschwerde ab.

Résumé

Le journal «Schweiz am Sonntag» a publié fin août 2016 un article intitulé «Der Bösewicht ist weg», où il décrivait la réaction du groupe Glencore, spécialisé dans les matières premières, aux critiques visant les conditions régnant dans les mines de charbon de Colombie. Glencore se montrerait maintenant transparent, prenant ses détracteurs au dépourvu. Le Groupe de travail Suisse-Colombie (ASK) tire pourtant un bilan négatif de ses deux voyages en Colombie avec des personnes critiques. L’article, en revanche, conclut que si le comportement de Glencore en Colombie affiche un résultat mitigé, on ne peut pour une fois reprocher au groupe son manque de transparence.

L’ASK a réagi à l’article en adressant une plainte au Conseil suisse de la presse. Le journal «Schweiz am Sonntag» aurait escamoté les principaux arguments de l’ASK et rendu compte de manière partiale des prétendus progrès intervenus dans les communautés amérindiennes touchées par les mines. De plus, l’ASK n’aurait pas eu la possibilité d’autoriser ses déclarations.

Le Conseil de la presse conclut que «Schweiz am Sonntag» a rendu correctement compte de la situation. L’auteur de l’article a préalablement informé l’ASK de son intention de publier un article et posé des questions précises. Il a respecté les règles concernant les entretiens menés pour des recherches. Pour ce qui est du sujet clé de l’article – la question de savoir si la situation des communautés amérindiennes s’est vraiment améliorée –, l’auteur et l’ASK ne sont pas d’accord, c’est la parole de l’un contre celle de l’autre. L’auteur a cependant présenté correctement la position des deux parties et n’a omis aucune information importante. Le Conseil de la presse rejette par conséquent la plainte.

Riassunto

A fine agosto 2016 la «Schweiz am Sonntag», sotto il titolo «Der Bösewicht ist weg» (che si può tradurre, interpretando: «L’Orco se n’è andato») si occupava delle risposte date dalla multinazionale Glencore alle critiche sollevate circa la sua attività nelle miniere di carbone della Colombia. Secondo l’articolo, l’impresa aveva finalmente accettato di comportarsi in modo trasparente, mettendo a tacere i critici. Il Gruppo di lavoro Svizzera-Colombia (ASK), valendosi del risultato di due visite in loco, sulla questione è di parere opposto. La «Schweiz am Sonntag» insiste che, pur sussistendo motivi di lagnanza, alla Glencore non si può più rimproverare la mancanza di trasparenza.

L’ASK si è rivolta al Consiglio della stampa sostenendo che il giornale non aveva riportato correttamente i principali argomenti a carico dell’azienda, e in particolare aveva dato una versione edulcorata dei «progressi» ottenuti nei rapporti con una comunità di indigeni. L’ASK denunciava pure che il giornale non le aveva sottoposto per approvazione il riassunto delle proprie osservazioni.

Il Consiglio della stampa è giunto alla conclusione che la «Schweiz am Sonntag» ha agito correttamente. L’autore dell’articolo aveva tempestivamente preso contatto con l’ASK, formulando domande precise. Anche le regole circa i contatti tra il giornale e l’ASK risultano rispettate. Quanto all’assunto principale dell’articolo (la condizione delle popolazioni indigene sarebbe migliorata), l’opinione dell’articolista e quella dell’ASK si rivelano frontalmente opposte. Le opinioni a confronto, comunque, nell’articolo risultano esposte correttamente; e neppure si constatano omissioni di rilievo. Il ricorso è perciò respinto.

I. Sachverhalt

A. Am 28. August 2016 erschien in der «Schweiz am Sonntag» (SaS) ein Artikel unter dem Titel «Der Bösewicht ist weg». Im Lead wird gesagt, der Ruf des Rohstoffkonzerns Glencore sei derart schlecht, dass «bisher jede Menschenrechtsorganisation leichtes Spiel gegen die Firma hatte». Aber jetzt zeige sich Glencore transparent und überrumple damit die Kritiker. Autor Daniel Puntas Bernet berichtet von einer Sitzung am Glencore-Hauptsitz in Baar vom 17. Mai 2016, an der Glencore über Fortschritte rund um die kolumbianischen Kohleminen informierte: Abwesend war dabei die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK). Diese habe jahrelang gegen Glencore geschossen, «und nun verweigert sie sich dem Dialog?» Zur Begründung dieses Verhaltens sage die ASK: Solche oberflächlichen Treffen hätten nicht die Qualität, «die uns weiterbringt».

Im Folgenden erläutert der Autor den Ablauf des Dialogs zwischen der Zivilbevölkerung (Einwohner aus dem Zürcher Säuliamt) und Glencore. Es gab zwei Reisen nach Kolumbien, zur zweiten Reise mit den Kohle-Managern von Glencore war auch ein Vertreter der ASK eingeladen, dessen Teilnahme aber erst nach viel Überzeugungsarbeit habe erreicht werden können. Während die ASK eine negative Bilanz der Reise zog (Puntas Bernet zitiert aus einem Interview von ASK-Fachstellenleiter Stephan Suhner_in der «Wochenzeitung» WOZ), habe die Zwischenbilanz in Baar differenzierter ausgesehen. Dazu zitiert Puntas Bernet Glencore-CEO Ivan Glasenberg: «Um Spendengelder zu bekommen, brauchen sie uns als Bösewicht.» Puntas Bernet seinerseits räumt ein, dass die Bilanz von Glencores Verhalten in Kolumbien durchzogen sei; «doch wie sollte sich etwas verbessern, wenn man nicht miteinander redet?» Mangelnde Transparenz könne man dem Konzern «für einmal nicht vorwerfen».

B. Am 7. Dezember 2016 reichte die ASK beim Presserat eine Beschwerde gegen den Artikel ein. Der Artikel der «Schweiz am Sonntag» sei in zentralen Punkten falsch oder unvollständig, und das Ersuchen um Raum für eine Gegendarstellung habe die SaS abgelehnt. Verletzt worden seien die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche) sowie die Ziffern 3 und 5 der «Erklärung».

Die Beschwerdeführerin hebt hervor, dass Daniel Puntas Bernet Aussagen aus 18 Monaten Zusammenarbeit zitiere, ohne dass er die ASK über deren Verwendung vorgängig informiert und deren Autorisierung ermöglicht habe. Damit sei Richtlinie 4.6 klar verletzt.

Die SaS habe die Hauptargumente der ASK unterschlagen (Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung»). Die ASK verweigere sich dem Dialog nicht grundsätzlich, wie dies der Artikel insinuiere. Auch habe Puntas Bernet verschwiegen, warum die ASK gezögert habe, an der Reise teilzunehmen, obwohl ihm die Gründe für das Zögern bekannt gewesen seien. Der Journalist habe auch einseitig über angebliche Fortschritte in den durch den Kohleabbau betroffenen Indio-Gemeinden berichtet.

Schliesslich habe die SaS Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt: Sie habe sowohl eine verlangte Gegendarstellung verweigert noch der ASK Platz für einen längeren Leserbrief zugestanden. Den kürzeren Leserbrief einer weiteren Person habe sie ebenfalls nicht abgedruckt.

C. Als Herausgeberin der «Schweiz am Sonntag» nimmt die anwaltlich vertretene AZ Zeitungen AG am 18. Januar 2017 Stellung. Sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Zuerst bestreitet sie eine Verletzung der Richtlinie 4.6: Autor Puntas Bernet habe ASK-Leiter Stephan Suhner in einem Mail vom 23. Juni 2016 klar darüber informiert, dass er an einem Artikel über die Sitzung vom 17. Mai 2016 bei Glencore arbeite. Und Suhner gebeten, einige Fragen zu beantworten. Im Artikel habe der Autor ein Zitat aus Suhners Antwortmail vom 25. Juni 2016 verwendet; eine Pflicht zu dessen Autorisierung habe nicht bestanden und Suhner habe auch keine verlangt.

Dann bestreitet die Beschwerdegegnerin, dass sie Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt habe, indem sie wichtige Informationen unterschlug oder Tatsachen entstellte. Sie rügt, dass die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien nur sehr allgemein bleibe mit der Behauptung, der Artikel picke nur unwichtige Details heraus und würdige die Hauptargumente der ASK überhaupt nicht. Die «Schweiz am Sonntag» habe die ASK-Stellungnahme insgesamt fair wiedergegeben. Im Artikel stehe nirgends, dass die ASK den Dialog verweigere. Auch die Gründe für ihr Fernbleiben von der Sitzung vom 17. Mai 2016 würden korrekt zusammengefasst. Bei der von Glencore dort präsentierten Zwischenbilanz habe der Indiodorfvorsteher Fortschritte bei der Wasserversorgung in einer Videobotschaft bestätigt – und diese Aussage stehe im Artikel neben der gegenteiligen Ansicht der Arbeitsgruppe, wonach Glasenberg sein Versprechen nicht gehalten habe.

Die SaS weist detailliert darauf hin, dass alle vier von der ASK in ihrer Beschwerde als falsch angeführten Passagen sich so gar nicht im Artikel der SaS fänden.

Zur Verletzung von Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) hält die Beschwerdegegnerin schliesslich fest, es habe keine Pflicht zur Berichtigung gegeben, da der materielle Inhalt des Artikels nicht zu beanstanden sei. Zudem habe die ASK der SaS nie einen Text für eine Gegendarstellung vorgelegt. Das Angebot der Redaktion, ihre «Beanstandungen» in einem Leserbrief darzulegen, habe die Arbeitsgruppe abgelehnt. Allgemein sei eine Zeitung nicht verpflichtet, bestimmte Leserbriefe abzudrucken. Bei der Auswahl sei sie frei.

D. Das Präsidium des Presserates wies den Fall der 3. Kammer zu, der Max Trossmann (Präsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Seraina Kobler und Markus Locher angehören.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 5. April 2017 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Für den Presserat stellt sich die Frage, ob Daniel Puntas Bernet korrekt informiert hat. Dabei geht es zuerst um den Vorwurf, die Richtlinie 4.6 zu Recherchegesprächen sei verletzt worden. Im Mail vom 23. Juni 2016 an ASK-Fachstellenleiter Stephan Suhner schreibt der Journalist klar, er plane einen Artikel über den Besuch am Glencore-Sitz in Baar und er stellt diesbezüglich auch einige präzise Fragen. Elemente aus Suhners Antworten finden Berücksichtigung im Artikel, anders als dies die Beschwerdeführerin behauptet. Unklar bleibt, welche Aussagen im Artikel aus Sicht der ASK zur Autorisierung hätten vorgelegt werden müssen. ASK-Leiter Suhner hätte eine Autorisierung seiner Antworten verlangen können. Der Presserat sieht keine Hinweise, dass er dies getan hat. Ob er, obwohl ein erfahrener Medien-Partner, nicht wusste, dass er eine Autorisierung verlangen durfte, bleibt offen. Eine Verletzung von Richtlinie 4.6 liegt jedenfalls nicht vor.

2. Die Beschwerdeführerin sieht auch Ziffer 3 der «Erklärung» als verletzt an, ohne dass klar ersichtlich ist, welcher Aspekt dieser Ziffer des Journalistenkodex betroffen wäre, wohl am ehesten, dass Informationen unterschlagen wurden. Die Beurteilung des Presserats wird hier erschwert, weil die Beschwerdeschrift keines der vier monierten, angeblichen Zitate aus dem Artikel richtig wiedergibt, sondern nur sehr ungenau. Im Wesentlichen geht es darum, dass der ASK vorgeworfen wird, den Dialog verweigert zu haben, indem sie am geschilderten Treffen nicht teilnahm und auch zögerte, bei der Reise nach Kolumbien dabei zu sein. Dazu ist zu sagen, dass der Autor die Aussage zur Dialogverweigerung mit einem Fragezeichen versehen hat. Er erläutert auch, warum die ASK nicht am Treffen teilnahm.

Den Vorwurf, die ASK habe gezögert, an der Reise teilzunehmen, erhebt Puntas Bernet, ohne die Motive der ASK dafür zu nennen. Diese führt die ASK erst nach der Veröffentlichung des Artikels in einem Mailverkehr mit SaS-Chefredaktor Patrik Müller an. Ob die Behauptung der ASK stimmt, dass sie Puntas Bernet bekannt waren, ist offen. Allerdings sind Journalisten nicht verpflichtet, beide Seiten zu jedem Punkt zu Wort kommen zu lassen.

Was das Kernthema des Artikels anbelangt – Hat sich die Situation in den betroffenen Gebieten wirklich verbessert? –, sind die Aussagen im Artikel wie auch in den Stellungnahmen von Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin gegensätzlich. Es steht Aussage gegen Aussage; ob sich wirklich wesentliche Veränderungen ergeben haben oder ob Suhner Recht hat, wenn er sagt, Glasenberg habe «sein Versprechen nicht gehalten», muss deshalb offen bleiben.

Konkret geht es zum Beispiel um ein Video, in dem Jairo, der indigene Dorfvorsteher, aussagen soll, die Situation habe sich wesentlich verbessert. Dem hält die ASK entgegen, sie habe «ganz andere, tagesaktuelle Infos», die Probleme mit der Wasserversorgung seien in keiner Weise gelöst (Mail Suhner vom 25. Juni 2016 an Puntas Bernet). Es wäre sicher journalistisch ergiebiger gewesen, wenn Puntas Bernet ausführlicher auf dieses Thema eingegangen wäre, statt den Konflikt immer mehr zu personalisieren (Titel: «Der Bösewicht ist weg»). Eine Verletzung von Ziffer 3 liegt aber nicht vor.

3. Hat die SaS die Ziffer 5 der «Erklärung» (Berichtigungspflicht) verletzt? Der Presserat hat erst kürzlich (Entscheid 5/2017) darauf hingewiesen, dass Journalisten Berichtigungen unverzüglich vorzunehmen haben und dass diese Pflicht nur die Fakten betrifft, nicht die sich auf Fakten abstützenden Werturteile. Wenn wie beim Glencore-Artikel kein Vorstoss gegen die Wahrheitspflicht vorliegt, so ist auch die Berichtigungspflicht nicht verletzt.

Zudem geht für den Presserat aus dem Mailverkehr zwischen ASK-Leiter Suhner und SaS-Chefredaktor Müller klar hervor, dass die Arbeitsgruppe zunächst wohl «angemessenen Raum für eine Gegendarstellung» verlangte, aber keine regelrechte Gegendarstellung einreichte.

Zur Kontroverse über die Nicht-Veröffentlichung eines Leserbriefs hält der Presserat fest, dass die Redaktionen frei über den Abdruck von Leserbriefen entscheiden, also kein Recht auf Abdruck eines Leserbriefs besteht (vgl. die Entscheide 11/2012 und 34/2016). Allerdings ist der Presserat der Meinung, Redaktionen sollten im Umgang mit Leserbriefen grosszügig sein. Es wäre wohl sinnvoll gewesen, hätte die ASK das Angebot von Chefredaktor Patrik Müller, in der «Schweiz am Sonntag» einen längeren Leserbrief als üblich abzudrucken, angenommen. Insgesamt liegt keine Verletzung von Ziffer 5 der «Erklärung» vor.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Schweiz am Sonntag» hat mit dem Artikel «Der Bösewicht ist weg» die Ziffern 3, 4 und 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.