Nr. 47/2005
Quellenüberprüfung / Namensnennung / Erwähnung strafrechtlicher Verurteilungen

(A. & Co. c. «Berner Zeitung» / «Bieler Tagblatt» / «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt»)

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I. Sachverhalt

A. Am 27. Dezember 2004 veröffentlichte die antifaschistische Organisation «Antifa Bern» ein Mediencommuniqué zu einem am 30. Dezember 2004 geplanten Auftritt der «Nazi-Rockband Indiziert». «Veranstaltet wird das Konzert im Schützenhaus Lengmatt in Thunstetten-Bützberg bei Langenthal BE. (…) Die drei Mitglieder der Band sind gestandene Exponenten der Berner Neonazi-Szene: Die Gebrüder A. aus Burgdorf und B. aus Glashütten, Aargau. Der Gitarrist der Band, ist eine der führenden Figuren der seit Jahren in der Region Burgdorf aktiven rechtsextremen Gruppe ‹Nationale Offensive› (…) Sein jüngerer Bruder, Schlagzeuger von Indiziert, steht ihm in nichts nach (…) Auch B. hat einiges auf dem Kerbholz (…) Alle drei haben vor Gericht wiederholt beteuert, der Nazi-Skin-Szene den Rücken zugekehrt zu haben. Nun wollen die Nazi-Rocker erneut auf die Bühne treten. Wir fordern den Besitzer des Schützenhauses sowie die Gemeinde Bützberg-Thunstetten nachdrücklich dazu auf, dieses Konzert zu unterbinden und der faschistischen Rockgruppe keinen Unterschlupf zu gewähren.»

B. Am 28. Dezember 2004 berichteten «Berner Zeitung» und «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt» über ein in Thunstetten-Bützberg verhindertes Konzert der Gruppe «Indiziert». Der Artikel der «Berner Zeitung» erschien zudem in gekürzter Form im «Bieler Tagblatt». Der Auftritt der «rechtsextremen», der «Neonaziszene» zugehörigen Musikband sei als Geburtstagsfest «getarnt» gewesen. Nach einer Indiskretion und Recherchen der «Antifa» hätten die Behörden den zuvor abgeschlossenen Mietvertrag widerrufen. Die dreiköpfige Band bestehe aus «einschlägig» bekannten Leuten: «die Burgdorfer Brüder A.(21) sowie B. aus Glashütten AG. Letzterer ist der Bruder von C., dem Stützpunktleiter der rechtsextremen Partei National orientierter Schweizer (PNOS)» Alle drei Bandmitglieder seien bereits wegen «rechtsextrem motivierter Gewalt mit dem Gesetz in Konflikt geraten».

C. Am 3. Januar 2005 gelangten die Brüder A. sowie B. mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie rügten, die in der «Berner Zeitung», «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt» sowie dem «Bieler Tagblatt» am 28. Dezember 2004 erschienenen Berichte hätten ohne weitere Recherchen die Informationen der Medienmitteilung der «anonymen Gruppe Antifa Bern» übernommen. «Es wurden Informationen veröffentlicht, deren Quellen nicht bekannt sind (anonymes Communiqué).» Ebenso seien wichtige Elemente von Informationen unterschlagen worden. Weiter sei die Privatsphäre nicht respektiert worden. Denn obwohl A. dem Journalisten der «Berner Zeitung» am Telefon klar gesagt habe, dass er keine Namensangabe wünsche, seien ihre Namen veröffentlicht worden. «Weiter wurde eine Chronik angeblich von uns begangener Straftaten aufgelistet, welche einem Strafregisterauszug gleicht (wiederum Übernahme aus dem Communiqué), aber wie erwähnt nur bedingt der Wahrheit entspricht. Es ist fraglich, ob Verfehlungen aus dem Jahre 2000/2001, welche verbüsst sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder aufgerollt werden müssen.»

D. In einer Stellungnahme vom 1. Februar 2005 wies Chefredaktor Theodor Eckert die Beschwerde namens der Redaktionen von «Langenthaler Tagblatt» und «Berner Rundschau» zurück. Es sei unzutreffend, dass sie die Pressemitteilung der «Antifa Bern» unbesehen übernommen hätten. Wie üblich hätten sie zudem die Mitglieder der Musikgruppe namentlich erwähnt und die Leserschaft über deren Hintergrund informiert.

E. Ebenso wies der Leiter der Redaktion Oberaargau / Langenthal der «Berner Zeitung» am 22. Februar 2005 die Beschwerde als unbegründet zurück. Die «Berner Zeitung» habe nur Teile aus dem «Antifa»-Communiqué zitiert und dabei zudem die Informationsquelle angegeben. Es treffe zwar zu, dass sie nicht alle Angaben des Communiqués hätten verifizieren können. «Immerhin telefonierte unser Journalist mit einem der Bandmitglieder und liess sich den Konzerttermin bestätigen. Zudem haben wir BZ-intern nachgefragt, worauf uns bestätigt wurde, um wen es sich bei den genannten Bandmitgliedern handelt. Die ‹Antifa› ist eine nicht klar zuzuordnende Organisation. Trotzdem scheint es uns möglich, Informationen aus deren Hand zu veröffentlichen, wenn abgeklärt ist, ob der Sachverhalt richtig ist.»

F. In einer Stellungnahme vom 17. März wies das durch seine Chefredaktion vertretene «Bieler Tagblatt» darauf hin, der Artikel sei von der «Berner Zeitung» übernommen worden. Die Begriffe «Nazi» und «Nazi-Konzert», die von der Antifa stammten, seien in Titel und Lauftext in Anführungszeichen gesetzt worden. Zudem habe das «Bieler Tagblatt» keine «Chronik angeblich von uns begangener Straftaten» aufgelistet. Hingegen werde die Aussage «Alle drei Bandmitglieder sind wegen rechtsextremer Gewalt mit dem Gesetz in Konflikt geraten» von den Beschwerdeführern in deren Eingabe explizit bestätigt.

G. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

H. Am 22. März 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie der Vizepräsidentin Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

I. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2005 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet. Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher trat bei der Behandlung in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, ein Teil der ihnen vorgeworfenen Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund sei unzutreffend und zudem jegliche Zugehörigkeit oder Sympathie zur Neonaziszene dementieren, ist es nicht Sache des Presserates, diese umstrittenen Fakten in einem Beweisverfahren zu klären (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahmen 4 und 16/2005). Hingegen sind die in der Beschwerde aufgeworfenen Rügen des unkorrekten Umgangs mit anonymen Quellen (Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»), der ungerechtfertigten Namensnennung sowie der ungerechtfertigten Erwähnung länger zurückliegenden strafrechtlicher und anderweitiger Vorwürfe (beides Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») näher zu prüfen.

2. a) Gemäss der Praxis des Presserates ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, auf anonyme Quellen abzustellen. Allerdings ist vor der Publikation eine Überprüfung der entsprechenden Informationen erforderlich, und es ist eine Stellungnahme der Betroffenen einzuholen (Stellungnahme 16/2005).

b) Vorliegend stammt die Medienmitteilung der «Antifa Bern» nicht aus gänzlich anonymer Quelle. Zwar ist offenbar nicht genau bekannt, welche Personen hinter den Mediencommuniqués dieser Organisation stehen. Die Leserschaft der beschwerdebeklagten Zeitungen ist aber durchaus in der Lage, die Herkunft und Parteilichkeit der von der «Antifa» stammenden Informationen einzuordnen, wenn diese als Quelle angegeben ist.

c) Die Artikel von «Berner Zeitung» / «Bieler Tagblatt» und von «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt» vom 28. Dezember 2005 nennen alle die «Antifa» als wesentliche Informationsquelle. Darüber hinaus geht aber aus den Berichten hervor, dass die Informationen der Antifa bei weiteren Quellen verifiziert und vertieft wurden. So zitiert die «Berner Zeitung» den «Schützenpräsidenten Hans Waldmann», den Experten Hans Stutz sowie die Gemeindepräsidentin von Thunstetten, Christine Röthlisberger. «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt» kontaktierten «‹Indiziert›-Band-Leader B.», der zu den V
orwürfen keine Stellung habe nehmen wollen sowie ebenfalls Gemeindepräsidentin Christine Röthlisberger. Ingesamt haben die betroffenen Redaktionen die ursprünglich von der Antifa verbreiteten Informationen damit genügend überprüft und eine Verletzung des Verbots der Veröffentlichung anonymer, ungeprüfter Informationen ist somit zu verneinen.

3. a) Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Gemäss der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» und der Praxis des Presserates zu dieser Bestimmung ist eine namentliche, identifizierende Berichterstattung nur ausnahmsweise zulässig, insbesondere dann, wenn der Betroffene im Zusammenhang mit der Berichterstattung selber an die Öffentlichkeit getreten ist. So muss, wer an einer öffentlichen Demonstration oder Kundgebung teilnimmt, damit rechnen oder in Kauf nehmen, dass über diesen Anlass berichtet wird und dass er oder sie gegebenenfalls in Medienberichten zu erkennen ist (50/2001). Ebenso hat der Presserat in der Stellungnahme 59/2001 festgehalten, dass sich der öffentliche Charakter eines Anlasses und daraus abgeleitet die Zulässigkeit einer bildlichen Berichterstattung auch aus den äusseren Umständen ergeben könne.

b) Wer wie die Beschwerdeführer als Mitglieder einer Rockband mit Konzerten in der Öffentlichkeit auftritt, bezweckt damit oder nimmt zumindest in Kauf, in diesem Zusammenhang zum Gegenstand der Medienberichterstattung zu werden. Dies gilt auch in Bezug auf den für den 30. Dezember 2004 geplanten Anlass im Schützenhaus in Bützberg, an dem gemäss der Darstellung der Beschwerdeführer der erste Geburtstag der Rockband mit CD-Taufe hätte gefeiert werden sollen.

c) Wesentlich heikler erscheint in diesem Zusammenhang die Erwähnung der strafrechtlichen Verurteilungen der drei Bandmitglieder, zumal gemäss der Richtlinie 7.5 zur «Erklärung» auf die Resozialisierungschancen Rücksicht zu nehmen ist. Währenddem «Berner Zeitung» / «Bieler Tagblatt» lediglich allgemein berichteten, alle Bandmitglieder seien bereits wegen rechtsextrem motivierter Taten mit dem Gesetz in Konflikt geraten, enthält der Artikel von «Berner Rundschau» / «Langenthaler Tagblatt» darüber hinaus Angaben zu einzelnen Vorfällen. Dazu ist vorab festzustellen, dass die Beschwerdeführer selber einräumen, in den Jahren 2000 und 2001 seien alle drei Bandmitglieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und strafrechtlich verurteilt worden. Soweit sie darüber hinaus geltend machen, einen Teil der ihnen in den drei Medienberichten vorgeworfenen Delikte hätten sie nicht begangen, kann dies der Presserat anhand der ihm vorliegenden Unterlagen nicht beurteilen. Ungeachtet davon stellt sich berufsethisch die grundsätzliche Frage, ob überhaupt und falls ja, unter welchen Voraussetzungen in einer identifizierenden Medienberichtstattung strafrechtliche Verurteilungen erwähnt werden dürfen.

Nach Auffassung des Presserates sind dazu die gleichen Massstäbe heranzuziehen, wie sie generell für die identifizierende Berichterstattung gelten. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer ausnahmsweise identifizierenden Berichterstattung ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Gegenstand der Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Auftritt der betroffenen Person in der Öffentlichkeit steht (Stellungnahme 7/2005). Zwar ist bei der Erwähnung einer strafrechtlichen Verurteilung in einer identifizierenden Berichterstattung noch stärkere Zurückhaltung zu fordern, als sie bereits bei der Namensnennung angebracht ist. Wenn aber wie vorliegend ein eindeutiger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Anlass der Berichterstattung, dem Konzert einer umstrittenen rechtsextremen Rockband und dem noch nicht allzu weit zurückliegenden, offensichtlich rechtsextrem motivierten gewalttätigen Verhalten der Bandmitglieder besteht, ist die Erwähnung einer früheren strafrechtlichen Verurteilung berufsethisch ausnahmsweise nicht zu beanstanden.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Wer mit einer Rockband mit Konzerten in der Öffentlichkeit auftritt, nimmt damit in Kauf, zum Gegenstand einer identifizierenden Berichterstattung zu werden.

3. Bei der Erwähnung einer strafrechtlichen Verurteilung in einer identifizierenden Berichterstattung ist eine noch stärkere Zurückhaltung zu fordern, als sie bereits bei der Namensnennung angebracht ist. Besteht zwischen dem Anlass der Berichterstattung und dem früheren strafrechtlichen Verhalten jedoch ein enger sachlicher Zusammenhang, ist die Erwähnung einer früheren strafrechtlichen Verurteilung jedenfalls dann ausnahmsweise zulässig, wenn diese noch nicht allzu weit zurückliegt.