Nr. 18/2012
Privatsphäre / Menschenwürde

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 9. Mai 2012

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Zusammenfassung

Identifizierender Bericht über Todesfall
Medien dürfen über Unfälle berichten. Identifizierend aber nur dann, sofern daran ein den Schutz der Privatsphäre der Betroffenen überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Daran erinnert der Presserat in seiner Stellungnahme 18/2012.

Blick berichtete im Januar 2012: «Bankerin (27) aus Baar stirbt in den Tauchferien». Die Verstorbene war gestützt auf mehrere Angaben im Artikel und einem Foto identifizierbar, weshalb sich ihre Schwester beim Presserat beschwerte. Da die verunfallte Frau keine Person des öffentlichen Interesses war, hätte die Redaktion auf die Publikation des Fotos und weiterer identifizierender Angaben verzichten sollen, hält der Presserat in seinem Entscheid fest.

Nicht verletzt hat «Blick» aus Sicht des Presserates hingegen die Menschenwürde der Verstorbenen. Weder diese noch ihre Angehörigen wurde durch den Bericht in ihrem Menschsein herabgesetzt. Ebenso wenig hat «Blick» die Fakten in sensationeller Weise dargestellt.

Résumé

rendu permettant d’identifier une victime
Les médias peuvent rendre compte d’accidents. Mais ils ne doivent révéler une identité que s’il existe un intérêt public prépondérant par rapport à la protection de la sphère privée de la personne concernée. Le Conseil de la presse le rappelle dans sa prise de position 18/2012.

«Blick» rapporte en janvier 2012 qu’une jeune banquière de Baar est décédée en faisant de la plongée sous-marine en vacances. La morte est identifiable sur la base de diverses indications dans l’article et d’une photo, ce qui a amené sa sœur à saisir le Conseil de la presse. Du moment que la victime de l’accident n’est pas un personnage public, la rédaction aurait dû renoncer à publier la photo et à fournir d’autres éléments permettant son identification, estime le Conseil de la presse dans ses conclusions.

En revanche, selon le Conseil de la presse, le «Blick» ne porte pas atteinte à la dignité humaine de la victime. Ni cette dernière, ni ses proches n’ont été abaissés dans leur dignité. De même, «Blick» n’a pas présenté les faits de manière sensationnelle.

Riassunto

Pubblicazione dei nomi in caso di incidente.
Nel dare notizie di incidenti, i mass media devono dare i nomi solo se l’interesse pubblico prevale sulla protezione della sfera privata delle persone coinvolte. Il Consiglio della stampa ha ribadito questo principio nella Presa di posizione 18/2012 recentemente adottata.

L’articolo del «Blick» intitolato «Impiegata di banca (27 anni) deceduta in un incidente durante una vacanza balneare» è stato pubblicato lo scorso gennaio. La vittima risultava identificabile attraverso vari particolari contenuti nell’articolo e una fotografia. La sorella si è rivolta al Consiglio della stampa, argomentando che la sua parente non era persona pubblica, tale da giustificarne l’identificazione. Il Consiglio della stampa le ha dato ragione.

Non accolto, invece, un secondo appunto della reclamante, nel senso che il giornale avrebbe violato la dignità umana della vittima. In nessun modo a lei oppure ai suoi congiunti la notizia risulta mancare di rispetto. Non risulta neppure che al fatto sia stato dato dal giornale un rilievo sensazionalistico.


I. Sachverhalt

A. Am 25. Januar 2012 berichtete der «Blick» unter dem Titel «Bankerin (27) aus Baar stirbt in den Tauchferien» über den plötzlichen Tod einer Schweizerin nach einem Tauchgang auf der philippinischen Insel Boracay.

Der Artikel nennt die Frau mit dem Vornamen und dem Initial des Nachnamens und veröffentlicht zudem ein Bild von ihr. Die «Tochter eines Schulhausabwarts», die zuletzt als Investmentbankerin in Singapur arbeitete, habe eine steile Karriere hinter sich: Nach der Sekundarschule habe sie eine Lehre bei der Zuger Kantonalbank absolviert und anschliessend an der privaten Zürcher Hochschule für Wirtschaft studiert. Danach schildert der Artikel den Ablauf der Ereignisse, in deren Folge die Schweizerin stirbt: Nachdem die Frau und ihr Verlobter mit Pressluftflaschen am Manoc-Manoc-Strand in den Pazifik gestiegen seien, habe die Schweizerin bald über stechende Bauchschmerzen geklagt. Daraufhin habe ihr Verlobter den Ausflug abgebrochen und die Frau in ein Spital gebracht. Dort habe sich der Gesundheitszustand der Taucherin rasant verschlechtert. Im Spital habe dann das Herz der Frau zu schlagen aufgehört. Der Verlobte verlange nun eine Autopsie, schreibt der «Blick» gestützt auf ein Lokalradio auf den Philippinen.

In gekürzter Fassung erschien dieselbe Geschichte gleichentags im «Blick am Abend». «Blick.ch» veröffentlichte den ursprünglichen Artikel am 26. Januar 2012.

B. Am 15. Februar 2012 gelangte die Schwester der Verstorbenen, X., mit einer Beschwerde an den Presserat. Der Artikel im «Blick» verletze die Ziffern 7 (Privatsphäre) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Für sie als Angehörige sei es schrecklich gewesen, über den Tod ihrer Schwester im «Blick» zu lesen. Diese sei aufgrund der detaillierten Angaben zur Person und dem Bild sofort identifizierbar. Durch die Berichterstattung im «Blick» sei es der Trauerfamilie zudem nicht mehr möglich gewesen, alle Verwandten und Freunde direkt über den Todesfall zu unterrichten.

Weiter stelle der Artikel den Unfallhergang falsch dar. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des «Blick»-Artikels sei dieser noch gar nicht bekannt gewesen. So sei ihre Schwester noch auf dem Tauchboot in Ohnmacht gefallen. Ebenso habe man dort mit Wiederbelebungsmassnahmen begonnen. Im Spital sei lediglich noch der Tod festgestellt worden. Dieser Ablauf sei erst zum Zeitpunkt der Beschwerde durch Polizei- und Spitalberichte definitiv bestätigt worden.

C. Am 23. März 2012 wies die anwaltlich vertretene Redaktion «Blick» die Beschwerde als unbegründet zurück. Ein Lokalradio vor Ort und eine chinesische Nachrichtenagentur hätten die Nachricht über den Tod der Frau mit Namensnennung veröffentlicht. Die Schilderung des Unfallhergangs durch «Blick» stimme mit diesen Quellen überein und weiche im Übrigen auch nicht wesentlich von der Darstellung des Beschwerdeführerin ab. Die Berufung auf die Menschenwürde sei offensichtlich verfehlt. Der beanstandete Bericht sei weder respektlos noch sonst für die Betroffenen herabsetzend.

Die Verstorbene sei zwar unbestrittenermassen identifizierbar. Da aber sowohl die Familie wie der Arbeitgeber eine Todesanzeige mit Foto veröffentlichten, sei nicht zu sehen, inwiefern der beanstandete Artikel in die Privatsphäre eingreife. Zudem seien ein beruflicher Lebenslauf der Verstorbenen mit Foto und ein Profileintrag auf LinkedIn nach wie vor im Internet zu finden. Der Bericht von «Blick» sei zudem erst am 25. Januar 2012 erschienen, zwei Tage nachdem die Familie über den Tod unterrichtet worden sei.

D. Am 5. April 2012 erwiderte die Beschwerdeführerin, die Todesanzeigen seien erst sechs Tage nach dem «Blick»-Artikel erschienen. Dies, weil die Trauerfamilie die Anzeige erst nach dem Eintreffen von Leichnam und Todesschein in der Schweiz sowie einer offiziellen Bestätigung des Todes durch eine Schweizer Behörde hätte schalten können. Die Radio-Nachricht habe die Tote keineswegs eindeutig erkenntlich dargestellt. Eine Identifizierung sei erst durch die Publikation des Bildes und detaillierter Angaben zur Person im «Blick» erfolgt. Bild und beruflicher Lebenslauf der Verstorbenen seien zudem nur wegen einer Sicherheitslücke auf einer chinesischen Jobplattform vorübergehend versehentlich greifbar gewesen.

E. Am 26. April 2012 wandte «Blick» dazu ein, es mache keinen Unterschied, wenn der Artikel im «Blick» bereits vor der Todesanzeige erschienen sei. Die Beschwerdeführerin sei zudem darauf zu behaften, dass die wichtigsten Verwandten und Freunde vor Erscheinen des Artikels informiert worden seien. Zudem lege sie nach wie vor nicht dar, weshalb sich die Familie in ihrer Privatsphäre verletzt sehe.

F. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch und Markus Locher an. Franca Siegfried, Redaktorin im Newsroom der «Blick»-Gruppe, trat gestützt auf Artikel 14 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Presserats von sich aus in den Ausstand.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 9. Mai 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen
1. a) Die Ziffer 7 der «Erklärung» verlangt von den Journalistinnen und Journalisten, die Privatsphäre von Personen zu respektieren, die Gegenstand von Medienberichten sind, sofern kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung vorliegt. Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) hält fest, dass Journalisten in begründeten Fällen Namen nennen und andere Angaben machen dürfen, die eine Identifikation einer im Medienbericht erwähnten Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu deren Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.

b) Vorliegend stellt selbst die Beschwerdegegnerin fest, dass die verstorbene Frau aufgrund der im Artikel enthaltenen Angaben und dem Foto ohne Weiteres erkennbar ist. Die Verstorbene war weder aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit noch aus einem anderen Grund zu den Personen des öffentlichen Lebens zu zählen. Medien dürfen zwar selbstverständlich über Unfälle berichten. Identifizierend aber nur dann, wenn die in der Richtlinie 7.2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

«Blick» bringt zwei Argumente zugunsten einer identifizierenden Berichterstattung vor, die aber für den Presserat nicht stichhaltig sind. Auch wenn ein lokales Radio am anderen Ende der Welt identifizierend über den Tod der Frau berichtet hat, ist diese damit nicht generell bekannt. Entsprechend gelten für Schweizer Redaktionen nach wie vor die in der «Erklärung» und den zugehörigen Richtlinien festgeschriebenen Regeln. Und ebenso wenig darf die Veröffentlichung einer Todesanzeige – selbst eine mit Bild – automatisch als Freipass für eine identifizierende Berichterstattung genommen werden. Wie sich aus den dem Presserat von der Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen ergibt, ist die Todesanzeige aber ohnehin erst deutlich nach dem beanstandeten Artikel erschienen.

Im Zusammenhang mit dem von «Blick» veröffentlichten Bild ist zudem daran zu erinnern, dass Journalisten nicht alles, was im Internet öffentlich zugänglich ist, medial unbesehen weiterverbreiten dürfen (43/2010). Insofern vermag auch der Umstand, dass «Blick» das Bild der Verstorbenen auf einer Jobplattform im Internet fand, dessen Publikation und die damit verbundene Identifizierung nicht zu rechtfertigen. Die Veröffentlichung des Fotos und weiterer privater Informationen der verstorbenen Schwester der Beschwerdeführerin verstösst deshalb gegen Ziffer 7 der «Erklärung».

2. Offensichtlich nicht verletzt ist hingegen die Ziffer 8 der «Erklärung». Durch die Berichterstattung über den Todesfall wurde weder die verstorbene Frau noch ihre Familie in ihrem Menschsein herabgesetzt. Ebenso wenig hat «Blick» die Fakten in sensationeller Weise dargestellt.

Für den Presserat ist vorliegend einzig die Identifizierung problematisch und nicht der Unfallbericht als solcher. Ohne Bild und die weiteren identifizierenden Elemente ist nicht ersichtlich, was daran stossend sein sollte. Dies gilt auch für die von der Beschwerdeführerin beanstandete Differenz zwischen dem von «Blick» berichteten Ablauf und dem von ihr geschilderten tatsächlichen Unfallhergang. Soweit diese Differenz überhaupt als wesentlich erscheint, ist «Blick» jedenfalls kein Vorwurf daraus zu machen, wenn sich die Zeitung auf die zum Zeitpunkt der Publikation verfügbaren Quellen abstützte.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Blick» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Bankerin (27) aus Baar stirbt in den Tauchferien» vom 25. Januar 2011 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Privatsphäre) verletzt. Die Publikation eines Fotos der Toten und identifizierender Angaben war nicht gerechtfertigt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. «Blick» hat die Ziffer 8 der «Erklärung» (Menschenwürde) nicht verletzt.