Nr. 34/2015
Privatsphäre / Identifizierung

(X. c. «Blick» und «Blick.ch») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 4. September 2015

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I. Sachverhalt

A. Am 13. November 2014 berichtete «Blick» über den Postautounfall in Endingen AG vom 11. November 2014, bei dem zwei Menschen ihr Leben verloren. Der Artikel beschäftigte sich unter dem Titel «Ihr Glück war perfekt. Das zweite Opfer Jonas M. (✝24) hinterlässt Frau und Neugeborenes» mit dem Schicksal dieser jungen Familie. Der Artikel wurde unter anderem mit einem verpixelten Foto des Paares illustriert und schilderte die Lebenssituation des Opfers.

B. Am 14. November 2014 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Berichterstattung des «Blick» in seiner Print- und Onlineausgabe ein. Als guter Freund des Verunglückten reiche er die Beschwerde dessen Frau und dessen Baby zuliebe ein. X. beanstandete mehrere Fehler. «Blick» habe ein Foto aus dem Facebookprofil der Frau ohne Nachfrage bei ihr verwendet und für den Bericht missbraucht. Durch die Veröffentlichung des Vornamens und der Initiale des Nachnamens, der Angaben zu Beruf, Zivilstand, ehemaligem Wohnort und des verpixelten Fotos sei die Identität des Opfers nicht geschützt worden, obwohl an desssen Identifizierung kein öffentliches Interesse bestehe. Zudem habe der Bericht die Wahrheitspflicht verletzt. Sowohl die Angaben zum Hobby des Verunfallten wie zum Wohnungswechsel und der Art des Wohnhauses seien falsch.

C. Am 6. Februar 2015 beantwortete der Rechtsvertreter der Redaktionen «Blick» und «Blick.ch» die Beschwerde und schloss auf deren Abweisung. Beim Bericht handle es sich entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht um eine Titelgeschichte, der Artikel sei auf Seite 7 erschienen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet, dass ein Bild entwendet wurde. Was auf Facebook publiziert werde, dürfe verwendet werden, weil es in der Weltöffentlichkeit sei. Zudem sei das Bild verpixelt, so dass die Personen nicht erkennbar seien. Im Weiteren erlaubten die Angaben im Artikel keine Identifizierung des Verstorbenen, ein allfälliges Vorwissen einzelner sei nicht zu berücksichtigen. Da «Blick» den letzten Wohnort und den Familiennamen nicht genannt habe, sei eine Identifizierung ausgeschlossen. Eine Verletzung der Privatsphäre liege deshalb nicht vor. Es lägen auch keine Verstösse gegen die Wahrheitspflicht vor. Die Aussagen über Hobby, Wohnungswechsel und Art des Wohnhauses seien in ihren Formulierungen korrekt.

D. Am 18. August 2015 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. August 2015 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») verpflichtet Journalisten, die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Der Beschwerdeführer macht geltend, das veröffentlichte Foto sei ohne Nachfrage bei der Frau des Verstorbenen auf ihrem Facebookprofil entwendet worden. Der Presserat hat bereits wiederholt festgehalten, dass allein daraus, dass eine Information oder ein Bild im Internet gefunden wird, nicht abzuleiten ist, dass der Urheber in die Weiterverbreitung durch ein anderes Medium einwilligt. Das Recht aufs eigene Bild geht nicht verloren, wenn dieses Bild im Internet aufgerufen werden kann. Dieses Prinzip gilt nicht nur für private Fotos, sondern auch für urheberrechtlich geschützte Bilder. Deshalb ist das Argument von «Blick» und «Blick.ch», das Foto sei auf Facebook einsehbar und damit in der Weltöffentlichkeit, nicht stichhaltig. Der Schweizer Presserat befasste sich in der Stellungnahme 43/2010 aus eigener Initiative mit dem Internet und der Privatsphäre. Er stellte fest, dass private Informationen aus dem Internet nicht ohne Einschränkungen weiterverbreitet werden können. Im Internet würden zwar immer mehr Informationen über Personen zugänglich, dies bedeute jedoch nicht, dass damit auch das Recht auf Persönlichkeitsschutz aufgehoben werde. Entscheidend sei, mit welcher Absicht und in welchem Kontext sich jemand im öffentlichen Raum exponiere. Im vorliegenden Fall teilte die Frau des Opfers das Bild auf Facebook mit ihrem Freundeskreis. Das Paarfoto steht zudem in keinem Zusammenhang mit dem Unfall. Eine Einwilligung der Frau für die Verwendung des Fotos lag nicht vor. Deshalb durfte das Bild grundsätzlich nicht verwendet werden. Die Verpixelung des Fotos hebt diesen Grundsatz nicht auf. Durch die Verwendung des Fotos hat «Blick» somit Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt.

b) Weiter ist zu fragen, ob «Blick» und «Blick.ch» durch die Veröffentlichung des Vornamens und der Initiale des Nachnamens des Opfers, den Angaben zu dessen Beruf, Zivilstand und ehemaligem Wohnort die Identität des Opfers genügend geschützt haben. Gestützt auf Richtlinie 7.2 (Identifizierung) wägen Journalistinnen und Journalisten die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig ab. Im beanstandeten Artikel werden Vorname und Initiale des Nachnamens des Opfers genannt, dann dessen Alter, Zivilstand, Herkunft bzw. früherer Wohnort. «Blick» und «Blick.ch» machen geltend, diese Angaben erlaubten keine Identifizierung des Verstorbenen. Da insbesondere der letzte Wohnort und der Familienname nicht genannt würden, sei eine Identifikation ausgeschlossen, die Privatsphäre nicht verletzt.

Zwar wird der letzte Wohnort nicht explizit genannt, indem «Blick» jedoch schreibt, der Verstorbene sei kurz vor sechs Uhr im Dorf ins Unglücks-Postauto gestiegen, lässt sich dieser dennoch eruieren. «Blick» geht mit der Nennung all der genannten Elemente weit. Der Presserat kommt jedoch zum Schluss, dass knapp keine Verletzung der Privatsphäre vorliegt, da der Verstorbene über den Kreis von Familie, Bekannten und Dorf hinaus nicht identifizierbar ist. Ziffer 7 der «Erklärung» ist demnach nicht verletzt.

2. Ziffer 1 der «Erklärung» hält fest, dass sich JournalistInnen an die Wahrheit halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Beschwerdeführer X. macht geltend, weder die Angaben zum Hobby Fussball des Verunfallten (in Wirklichkeit spiele er seit mehr als drei Jahren nicht mehr aktiv Fussball, seine Sportart sei Tennis), noch der angeblich vor Kurzem durchgeführte Wohnungswechsel (Wohnortwechsel sei der 1. August 2013 gewesen), noch die Art des Wohnhauses (statt wie geschrieben Reihen-Einfamilienhaus handle es sich um ein Dreifamilienhaus) entsprächen der Wahrheit. Die Beschwerdegegnerin macht hierzu geltend, es sei egal, ob und allenfalls wie lange der Verstorbene nicht mehr Fussball gespielt habe. X. behaupte nicht, der Verstorbene habe gar nie Fussball gespielt, er sage vielmehr, seit drei Jahren habe er nicht mehr aktiv Fussball gespielt.

Im Artikel wird ein «Fussballfreund» des Verstorbenen u.a. mit der Aussage zitiert, zu Hause im Wallis habe der Verstorbene beim FC Grächen Fussball gespielt. Auf eine genauere zeitliche Angabe wird verzichtet. Insofern ist diese Aussage für den Presserat nicht zu beanstanden. In Bezug auf den Zeitpunkt des Wohnungswechsels führt «Blick» aus, dieser sei unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht völlig irrelevant, die Behauptungen des Beschwerdeführers würden bestritten. In der Datenbank Teledata sei jedenfalls als Umzugsdatum der 2. Oktober 2014 ersichtlich und somit liege dieser wenige Wochen vor dem Unfall. Diese Angabe habe ausserdem ein Beka
nnter gegenüber «Blick» bestätigt. Für die Redaktion habe es damit zwei unabhängige Quellen gegeben. Der Presserat stellt fest, dass hier letztlich Aussage gegen Aussage steht, weshalb sich die Wahrheit für ihn nicht eruieren lässt. In Bezug auf die Bezeichnung des Hauses als «Reihen-Einfamilienhaus» macht «Blick» geltend, aus Sicht der Redaktion sei die Bezeichnung im Artikel korrekt, wie auch ein Augenschein ergeben habe. Es sei nämlich ein Anbau an ein anderes Haus mit einem separaten Eingang, wo auch die Familie des Verstorbenen angeschrieben sei. Letztlich muss auch diese Frage offen bleiben, da dem Presserat keine weiteren Unterlagen vorliegen, die für die eine oder andere Variante sprächen. Im Ergebnis sind die Beschreibungen des Hobbys, des Wohnungswechsels sowie der Art des Wohnhauses nicht zu beanstanden. Sie sind sowohl zeitlich, örtlich wie auch materiell offen formuliert, so dass sie dazu beitragen, die Anonymität des Opfers zu gewährleisten. Zudem enthalten sie keinen nachgewiesenen sachlichen Fehler. Es liegt somit keine Verletzung der Wahrheitspflicht vor.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Blick» und «Blick.ch» haben Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» in Bezug auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte dadurch verletzt, dass sie ein Foto des Verunfallten und dessen Frau von der Facebookseite der Frau ohne deren Einwilligung verwendeten. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.