Nr. 6/2013
Presserats- und Gerichtsverfahren

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 15. Februar 2013

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I. Sachverhalt

A. Am 1. Dezember 2012 titelte «Blick» auf der Frontseite: «Kinder-Killer im ‹Kassensturz›». Der Anriss lautet: «Paul X.* hat in Basel vor 3 Jahren seinen Sohn getötet. Er ist auf freiem Fuss und wartet auf seinen Prozess. Jetzt trat er im SF auf und behauptete, er könne mit Toten sprechen. Im zugehörigen Bericht auf Seite 6 der gleichen Ausgabe («Ausgerechnet im ‹Kassensturz›. Casting-Show mit einem Kinder-Killer») wirft Daniel Riedel die Frage auf, wie die Redaktion des Konsumentenmagazins dazu komme, einen «Kinderkiller» zu einer Castingshow einzuladen. Während sich der Angeschuldigte laut «Blick» nicht äussern wollte, enthält der Artikel eine Stellungnahme des Redaktionsleiters «Kassensturz». Dieser macht geltend, die Redaktion habe sich im Vorfeld des Castings im Umfeld von Paul X. erkundigt sowie in Datenbanken recherchiert. Dabei habe sie keinen Hinweis auf das laufende Strafverfahren gefunden. Illustriert sind die Frontseite und der Artikel mit Screenshots aus der «Kassensturz»-Sendung, auf denen die Augenpartie von «Paul X.» mit einem schwarzen Balken abgedeckt ist.

B. Am 6. Dezember 2012 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen die obengenannte Berichterstattung, die gegen eine ganze Reihe von Punkten der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse. Da er als «Medium» arbeite, habe er sich bei einer «Kassensturz»-Ausschreibung, die paranormale Fähigkeiten nachweisen wollte, als Kandidat gemeldet. Sein Sohn sei vor drei Jahren aufgrund eines tragischen Unfalls verstorben. «Blick» habe das Thema damals rücksichtslos ausgeschlachtet und eine «Horror-Story» veröffentlicht. Er habe damals nicht reagieren können, da er traumatisiert gewesen sei und sich in Untersuchungshaft befunden habe. Nach seinem Auftritt im «Kassensturz» habe «Blick» Hinweise von Lesern erhalten. Darauf habe ihn Daniel Riedel kontaktiert und den Artikel gegen seinen Willen veröffentlicht. Aufgrund der Publikation habe er seine Arbeitsstelle als Teilzeitmitarbeiter in einem Call-Center verloren. Seine Privatsphäre und die Unschuldsvermutung seien durch den Bericht verletzt. Neben der Beschwerde an den Presserat werde er «so rasch wie möglich» ein Gerichtsverfahren einleiten.

C. Gemäss Artikel 12 Absatz 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Februar 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Sofern sich berufsethische Grundsatzfragen stellen, kann der Schweizer Presserat gemäss Artikel 10 Absatz 2 seines Geschäftsreglements auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn zum Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführer während der Dauer des Presseratsverfahrens anhängig gemacht wird.

2. Vorliegend kündigt der Beschwerdeführer an, parallel zur Presseratsbeschwerde sobald als möglich ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Beschwerde grundlegende berufsethische Fragen aufwirft und es sich damit rechtfertigt das Presseratsverfahren trotz des parallelen Gerichtsverfahrens durchzuführen, berücksichtigt der Presserat nicht allein die als verletzt gerügten abstrakten berufsethischen Bestimmungen, sondern den konkret zur Diskussion stehenden Sachverhalt in Verbindung mit diesen Bestimmungen. Ebenso fällt bei der Interessenabwägung durch den Presserat ins Gewicht, inwiefern es die Bedeutung der Sache rechtfertigt, zu einem identischen oder zumindest ähnlichen Sachverhalt zwei parallele Verfahren durchzuführen. Beanstandet der Beschwerdeführer im parallel hängigen Gerichtsverfahren zu weiten Teilen die gleichen Punkte wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in aller Regel nicht gerechtfertigt (Stellungnahmen 46/2007, 9/2010).

3. Vorliegend ist offensichtlich, dass es im Presserats- und im zu erwartenden Gerichtsverfahren im Wesentlichen um dieselbe Frage geht: um die geltend gemachte Verletzung der Privatsphäre und die negativen Folgen, die sich daraus laut dem Beschwerdeführer für ihn ergeben haben. Der Presserat tritt deshalb nicht auf die Beschwerde ein.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.