Nr. 19/2012
Presserats- und Gerichtsverfahren

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 14. Mai 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 22. August 2011 berichtete Ralph Donghi im «Blick» unter dem Titel «Das tote Mädchen aus der Limmat» über einen tödlichen Badeunfall einer 17-jährigen Schülerin während den Sommerferien. Der Bericht schildert den tragischen Unfall aus Sicht des Vaters, mit dem die verstorbene Tochter einen Ausflug an die Limmat machte. Die Schülerin, die super habe schwimmen können, sei vor dem Essen allein ins Wasser gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Illustriert ist der Artikel mit zwei Bildern der Verstorbenen, einem des Vaters sowie einem Bild der Unfallstelle mit Blumen und Kerzen.

B.
Am 17. Februar 2012 beschwerte sich die anwaltlich vertretene X., die vom Vater getrennt lebende Mutter der verstorbenen Schülerin, beim Presserat über den obengenannten Bericht, der die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletze. «Blick» habe es unterlassen, vor der Veröffentlichung die Einwilligung der Mutter einzuholen, welche die elterliche Sorge über die Verstorbene innehatte. Der Anwalt der Beschwerdeführerin kündigte zudem an, er werde «für die Gesuchstellerin in der nächsten Zeit voraussichtlich noch eine Zivilklage» gegen den «Blick» wegen der Verletzung von Artikel 28.ff. Zivilgesetzbuch einreichen.

C. Auf Nachfrage des Presseratssekretariats teilte der Anwalt der Beschwerdeführerin am 19. April 2012 dem Presserat mit, seine Mandantin und er hätten mit der Zivilklage noch zugewartet, weil sie den Entscheid des Presserates oder zumindest die Stellungnahme von «Blick» hätten abwarten wollen. Man werde die Zivilklage aber nun voraussichtlich im Mai 2012 einreichen.

D. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

E.
Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 14. Mai 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1.
Sofern sich berufsethische Grundsatzfragen stellen, kann der Schweizer Presserat gemäss Artikel 10 Absatz 2 seines Geschäftsreglements auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführer während der Dauer des Presseratsverfahrens anhängig gemacht wird

2. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Beschwerde grundlegende berufsethische Fragen aufwirft, berücksichtigt der Presserat nicht allein die als verletzt gerügten abstrakten berufsethischen Bestimmungen, sondern den konkret zur Diskussion stehenden Sachverhalt in Verbindung mit diesen Bestimmungen. Ebenso fällt bei der durch den Presserat vorzunehmenden Interessenabwägung ins Gewicht, inwiefern es von der Bedeutung der Sache her gerechtfertigt erscheint, zu einem identischen oder zumindest ähnlichen Sachverhalt zwei parallele Verfahren durchzuführen. Beanstandet der Beschwerdeführer im parallel hängigen Gerichtsverfahren zu weiten Teilen die gleichen Punkte wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in aller Regel nicht gerechtfertigt (Stellungnahmen 9/2010, 46/2007).

3. Bei der von der Beschwerdeführerin angekündigten Zivilklage wegen Persönlichkeitsverletzung sind durch das Gericht offensichtlich dieselben Fragen zu prüfen wie bei der Presseratsbeschwerde, welche eine Verletzung der Privatsphäre beanstandet.  Nach Auffassung des Presserats wirft die Presseratsbeschwerde vom 17. Februar 2012 darüber hinaus keine grundsätzlichen oder vom Presserat bisher noch nie behandelten neuen berufsethischen Fragen auf. Unter diesen Umständen erscheint die Durchführung zweier paralleler Verfahren nicht sinnvoll.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.