Nr. 24/2003
Presserats- und Gerichtsverfahren

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 30. Mai 2003

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I. Sachverhalt

A. Am 31. März 2003 berichtete «Blick» unter dem Titel «Spionschwili im Training» im Vorfeld des Europameisterschaftsausscheidungsspiels der Schweizer Fussballnationalmannschaft gegen Georgien, beim Training in Freienbach sei ein «mysteriöser» Gast gesichtet worden: «Er trug eine weisse, gestickte Mütze und einen eigentümlichen Bart. War das ein Spion aus Georgien? Hiess der Agent aus dem Land von Kobiaschwili, Iaschwili, Shashlaschwili und Khlzanelschwili vielleicht gar Spionschwili? Das Rätsel blieb ungelöst. Illustriert war die Notiz mit einem Bild des «mysteriösen Besuchers» und der Bildlegende: «Herr Spionschwili? Mysteriöser Besucher des Trainings».

B. Am 4. April 2003 gelangte der im obengenannten Bericht abgebildete X., durch seinen Anwalt an die «Blick»-Redaktion. Er beschwerte sich über den ohne seine Einwilligung erfolgten Abdruck des Bildes sowie über den «für ihn negativen Text, der als üble Nachrede qualifiziert werden könnte». Für die Verletzung seiner Rechte forderte er eine Entschädigung von Fr. 10’000.–. Damit würde er auf rechtliche Schritte verzichten.

C. Mit Schreiben vom 10. April 2003 wies die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion des «Blick» den Vorwurf der «üblen Nachrede oder Rufschädigung» angesichts des erkennbar «humoristischen» Charakters des Beitrags als unbegründet zurück. Sie schlug vor, die «Lösung des Mysteriums» «in Form eines kurzen redaktionellen Beitrags» im «Blick» zu verkünden und X. eine Eintrittskarte für den nächsten Match der Fussball-Nationalmannschaft im Inland samt Reisekosten zu schenken.

D. Mit Schreiben vom 15. April 2003 wies X. die vom «Blick» vertretene Rechtsauffassung durch seinen Anwalt seinerseits als unzutreffend zurück. Er schlug neu vor, die Angelegenheit durch Zahlung einer Entschädigung von Fr. 3’000.– zuzüglich der ihm entstandenen Anwaltskosten zu regeln. Der Anwalt führte weiter aus: «Dies ist mein allerletztes Angebot. Sollten Sie nach wie vor meinen Klienten mit einer Eintrittskarte in den nächsten Fussballmatch der Nationalmannschaft sowie den Anreisekosten abspeisen wollen, werde ich die Angelegenheit dem Presserat zur Beurteilung vorlegen. Danach wird allenfalls ein Gerichtsgang unumgänglich sein.»

E. Am 30. April 2003 gelangte X. mit einer Beschwerde an den Presserat und beantragte, «es sei festzustellen, dass der Blickreporter mit seinem Artikel im ÐBlick? vom 31. März 2003 die Ziffern 7 bzw. 8 der ÐErklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten? verletzt hat».

F. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen. Das gilt auch für Beschwerden, bei denen die Zuständigkeit des Schweizer Presserates offensichtlich fehlt oder auf die der Presserat gestützt auf Art. 15 des Geschäftsreglements von vornherein nicht eintritt. Das Presseratspräsidium – bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidenten Daniel Cornu und Esther Diener-Morscher – hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Mai 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 15 Abs. 2 seines Geschäftsreglements kann der Schweizer Presserat auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführerin noch anhängig gemacht werden soll. Gemäss Abs. 3 tritt der Presserat auf eine Beschwerde nicht ein, wenn er zum Schluss gelangt, dass die manifeste Gefahr der Beeinflussung eines hängigen Gerichtsverfahrens durch das Presseratsverfahren das Interesse des Beschwerdeführers an einer Stellungnahme des Presserates eindeutig überwiegt; und wenn sich keine grundlegenden berufsethischen Fragen stellen. 2. Der Presserat hat in jüngster Zeit nur zurückhaltend von dem ihm durch Art. 15 des Geschäftsregelements eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, auf eine Beschwerde nicht einzutreten, wenn in der gleichen Angelegenheit ein Gerichtsverfahren bereits hängig ist oder eventuell später noch eingeleitet werden soll. In der Stellungnahme 26/2002 in Sachen X. c. «Obersee Nachrichten» hat er dazu ausgeführt: «Wenn bereits jede Eventualität eines späteren Gerichtsprozesses zum Nichteintreten führen würde, beraubte sich der Presserat der Möglichkeit, in manchen wichtigen Fragen der Berufsethik Stellung zu nehmen. Dabei ist zu beachten, dass der Presserat wohl den gleichen Sachverhalt wie ein allfälliges Gericht beurteilt, jedoch nicht die gleichen Normen anwendet. Richtschnur für den Presserat sind die berufsethischen Grundsätze, wie sie in der ÐErklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten? sowie in den erläuternden Richtlinien dazu festgehalten sind. Zudem kann der Presserat, anders als die Gerichte, nur Stellungnahmen abgeben und weder Sanktionen verhängen, noch einer Partei eine Entschädigung zusprechen.»

3. Bereits in einer Stellungnahme aus dem Jahr 1992 (M.M. c. «Le Pays» vom 23. November 1992) hat der Presserat allerdings festgehalten, dass er sich ungeachtet eines hängigen Gerichtsverfahrens zu berufsethischen Fragen äussern kann, dies jedoch ablehnt, wenn seine Stellungnahme offensichtlich in erster Linie der Untermauerung der juristischen Argumentation des Beschwerdeführers in einem anderen Verfahren dienen soll.

Ob dies im Einzelfall zu bejahen ist, ist vom Presserat auf der Grundlage der vorhandenen Indizien im Rahmen einer Abwägung der gesamten Umstände jedes Einzelfalls zu entscheiden. Aufgrund der Eingabe des Beschwerdeführers und insbesondere der mit der Gegenpartei geführten Vorkorrespondenz erhält der Presserat den eindeutigen Eindruck, dass die Beschwerde an den Presserat in erster Linie bezweckt, die rechtlichen Grundlagen der Forderungen des Beschwerdeführers auf eine angemessene Entschädigung für die aus seiner Sicht erlittene Unbill und für den Ersatz der ihm in diesem Zusammenhang entstandenen Anwaltskosten zu untermauern. Zum einen gibt der Beschwerdeführer selber an, dass er an den Presserat gelangt ist, weil «Blick» hinsichtlich der Entschädigung nicht «kompromissbereit» gewesen sei (Beschwerdeschrift Seite 4 oben). Zum anderen hat der Beschwerdeführer in seinen beiden Schreiben vom 4. und 15. April 2003 immer eine Regelung in Form einer Abgeltung durch eine Geldsumme vorgeschlagen und dabei klargemacht, dass auch nach einer Stellungnahme des Presserates «allenfalls ein Gerichtsgang unumgänglich sein» werde. Handkehrum behält sich der Beschwerdeführer im Begleitbrief zu seiner Beschwerde vor, diese zurückzuziehen, «wenn die Gegenpartei dazu bereit ist, zumindest meine reduzierte Forderung zu erfüllen». Dies kann nach Auffassung des Presserates nicht anders verstanden werden, als es dem Beschwerdeführer offensichtlich in erster Linie darum geht, seine rechtliche Argumentation mit einer Stellungnahme des Presserates im Hinblick auf ein späteres Gerichtsverfahren zu untermauern. Zumindest könnte er den Druck auf den «Blick» soweit aufrechterhalten wollen, dass die Redaktion doch noch in eine aus Sicht des Beschwerdeführers «angemessene» Lösung einwilligt.

4. Ausserdem erkennt das Präsidium hier keine berufsethische Frage von selbständigem grossen Gewicht, sondern allenfalls einen nicht über alle Zweifel erhabenen Scherz der «Blick»-Redaktion ohne besondere Beeinträchtigung des Beschwerdeführers. Gerade in seinem Bekanntenkreis wird ihn niemand für einen «Spion aus Georgien» halten.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.